Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Am Tropf der Poesie
Von Silvia Adler / Fotos von Milena Holler
Der weiblichen Verführungskunst sind auf der Opernbühne keine Grenzen gesetzt: mal bedient sie sich aufsehenerregender äußerlicher Effekte, setzt auf glanzvolle Roben, raffinierte Frisuren und tiefe Decolletes - mal lockt sie mit dem edlen Charakter der todesmutigen Heroine, kokettiert mit mädchenhaftem Charme oder betört als erotisch unberechenbare Femme fatale. Hausfrau Charlotte (Stefanie Schaefer, sitzend) kümmert sich nur um die kleinen Geschwister, sondern auch um den Besucher Bailli (Christof Stegemann)
Im Gegensatz zu den großen Verführerinnen der Opernliteratur besitzt die Charlotte in Jules Massenets 1892 uraufgeführtem Werther keines dieser Attribute. Als Werther die älteste Tochter eines verwitweten Amtmannes kennen lernt, beeindruckt ihn vor allem ihre Natürlichkeit. Im Kreis ihrer jüngeren Geschwister, denen sie die Mutter ersetzt, erscheint ihm Charlotte als Idealbild weiblicher Unschuld und Tugend. In dieses bürgerliche Familienidyll platzt Werther (Edgardo Zayas)
Sowohl Goethes Romanvorlage als auch Massenets an Dramatik kaum zu übertreffende Musik erweisen sich als emotionale Selbstläufer. Bereits beim ersten Zusammentreffen von Charlotte und Werther sind die Weichen gestellt das im Selbstmord endende Finale erscheint als unabwendbare Konsequenz. Fast fahrlässig scheinen die Protagonisten sich selbst überlassen; die Charaktere bleiben vage und erstarren häufig in opernhaft-affektierter Pose. Vor allem die Charlotte technisch versiert und klangschön gesungen von Stefanie Schaefer lässt im ersten Akt jede anrührende Natürlichkeit vermissen. Im orangeroten Ballkleid wirkt sie nicht unschuldig, sondern vielmehr launenhaft-kapriziös. Gekünstelt und aufgesetzt erscheint nicht nur der Umgang mit den jüngeren Geschwistern, sondern auch die Beziehung zu Werther. Der Figur fehlt es spürbar an innerer Ruhe und Seelentiefe, die ihren Zauber und ihre eigentliche Anziehungskraft ausmacht. Im Zwiespalt der gefühle: Charlotte, erst nach der Pause leidend
Glaubhafter verkörpert dagegen Edgardo Zayas die leidenschaftlich-düstere Emphase des Werther. Allerdings besitzt sein nicht immer ausgeglichen klingender Tenor für die dramatische Partie nicht die nötige Größe. Besonders den Spitzentönen fehlt es an Volumen und Strahlkraft. Stimmlich überzeugend behauptet sich Kay Stiefermann als Albert. Auch darstellerisch gewinnt er seiner Rolle einiges ab - auch wenn Regie und Kostüm die Partie allzu eindimensional in die Nähe einer Spießbürgerkarikatur rücken lassen. Wie ein bunter Fremdkörper wirbelt Michaela Maria Mayer als Sophie durch das abgründige Geschehen. Trotz der soliden Gesangsleistung nimmt ihre aufgekratzt- aktionistische Soubrettenattitüde der Rolle viel von ihrer Wirkung. Von der bürgerlichen Fassade erdrückt: Werther tot am Boden, Charlotte betrübt daneben
Erst im dritten und vierten Akt gelingt es der Inszenierung, den Funken auf das Publikum überspringen zu lassen. Wie in einem Albtraum senkt sich im Schlussbild die Decke herab, als wolle sie die Protagonisten unter sich begraben. Dass die Aufführung plötzlich unter die Haut geht, liegt nicht nur an der hervorragenden sängerischen Leistung von Stefanie Schaefer. Mitgerissen vom dramatischen Handlungsverlauf der Romanvorlage, scheinen die Darsteller alles Starre und Künstliche hinter sich zu lassen und agieren auf einmal ganz nah am Puls der emotionsgeladenen Musik. Angetrieben vom facettenreich und farbig klingenden Orchester unter Enrico Delamboye entfaltet das Bühnengeschehen plötzlich eine emotionale Wucht, die man anfangs vermisst hat.
Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamInszenierungSusanne Boetius Jürgen Tamchina
Musikalische Leitung
Bühnenbild
Kostüme
Dramaturgie
Einstudierung des Kinderchores
Licht
Ton
SolistenWertherEdgardo Zayas
Charlotte
Albert
Sophie
Le Bailli
Johann
Schmidt
Käthchen
Die jüngeren Geschwister
Andreas Engelmann Helge Haase Richard Mertens Max Möller Philipp Siebeneicker
Statisterie der Wuppertaler Bühnen
Claudia Grenda Daniella Siegmund Anne Tysiak Martin Auerbach Ulrich Auerbach Christian Beckmann Michael Janssen Bülent Kremser Thomas Plokarz Christian Schulz
|
- Fine -