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Die Bühne als Schlachtfeld
Von Angela Mense
Es fängt zunächst leise an. Aus einem überdimensionalen Lammellenvorhang schält sich ein spartanisch bekleideter Tänzer und erobert sich zunächst tastend, dann immer mutiger den leeren Raum der Bühne, eine urzeitliche Akrobatik vollführend. Getrieben von einem inneren Rhythmus, den der Tänzer durch seinen Atem und Aufklatschen der Hände kommuniziert, beschreibt er geometrische Figuren und wilde Sprünge, stampft und wälzt sich auf dem Boden. Die 1983 am Nederlands Dans Theater uraufgeführte Choreografie Stamping Ground von Jirí Kylián ist von jenen Aborigine-Tänzen inspiriert, die der gebürtige Tscheche in den 80er Jahren in Nordaustralien dokumentierte, bevor sie in der modernen Welt abhanden kommen würden.
Kampf um Raum - Raphael Saada und Antonio Chamizo Salcedo in Stamping Ground
Entsprechend urzeitlich, zu Anfang sogar befremdend tierisch, mutet der Tanz an. Während langen zehn Minuten wechseln sich wenig variierende Soli ab, die Spannung geht etwas abhanden, was sich aber mit einsetzender Musik schlagartig ändert. Mit den rhythmisch komplexen Perkussionselementen Carlos Chavez' erwacht ein reger Mikrokosmos, in dem sich kleine Szenen ursprünglichster Kommunikation abspielen. Die sechs Tänzer, drei Frauen, drei Männer, konfrontieren sich in expressiven Gesten, wittern einander, streiten sich gegenseitig den Raum ab. Doch folgt der Gewalt auch immer wieder die Suche nach Nähe, nach einem synchronen Miteinander. Ein spannungsgeladener Bewegungswirbel, der nicht zuletzt durch den subtilen Witz einzelner Bilder und eine stringente choreografische Ästhetik fasziniert.
Ausschlaggebend ist, dass Kylián ungeachtet der Inspirationsquelle eine eigene Körper-Sprache gefunden hat, eine eigene Poesie des Körpers, so der Name der zweiten Ballettpremiere dieser Spielzeit. Doch so sanft, wie Kylián die Autonomie und Freiheit seiner Kunst impliziert, so lautstark fordert Marguerite Donlon, Ballettdirektorin am Staatstheater, diese ein. Ihre Uraufführung On Top, zunächst ein geistreiches, dadaistisches Verwirr- und Silbenspiel mit tanzenden Buchstaben, entpuppt sich vor dem Hintergrund des politischen Kontextes das Saarländische Staatstheater hat Sparmaßnahmen von 17 Millionen Euro auferlegt bekommen nach und nach als Bloßstellung politischer Macht. Man stelle sich nur das Bild vor: Fünf Tänzer kombinieren sich und ihre auf Rücken und Bauch aufgeklebten Buchstaben zu einem holprigen Poltk. Die Rettung kommt vom Himmel und unter lautem Getöse von Wagners Walküre schweben zwei Crashtest-Dummies aus dem Flugwerk herab und ergänzen die fehlenden is. Umgarnen des Publikums - Ilka von Häfen, Matthias Markstein, Raphael Saada und Youn Hui Jeon in Erinnerung an ... eine Zukunft
Poetisch verträumt geht es weiter mit Erinnerung an ...eine Zukunft, die zweite Uraufführung von Marguerite Donlon. Auf zwei verschiedenen Höhenebenen, die die Bewusstseinsebenen des gegenwärtigen Erlebens und Erinnerns darstellen, tanzt jeweils ein Paar. Dass Erinnerung auch Verfremdung des Erlebten heißt, wird wunderbar verdeutlicht durch ein Wechselspiel von Pas de Deux' und Soli, von synchronem und asynchronem Tanz der Paare, aber auch im Dekors durch halbtransparente Wände, hinter denen die Tänzer als Zerrbild erscheinen. Sanfte, ruhige Streicherklänge von Benjamin Britten und Arvo Pärt ergänzen die fließenden, poetischen Bewegungen zu einem melancholisch harmonischen Gesamtbild. Eine schöne Idee, dass der Zuschauer das Stück jemandem widmen kann. Weniger schön ist, dass jene Namen mit etwas Pech ist ein Helmut Müller oder eine Gertrud Meier dabei während des Stücks verlesen werden, was die zarte Poesie empfindlich stört. Ausbluten der Kunst - Micol Mantini in Poetic Licence
Mit Poetic Licence, einer Uraufführung vom 18. Oktober 2003 an der Komischen Oper in Berlin, knüpft Marguerite Donlon wieder an die Überschrift des Abends an. Donlon baut einen multimedialen Rahmen aus Dekors, bildender Kunst, Musik und Sprache auf, um diesen nach und nach zu demontieren. Zurück bleibt ein Tanz, der allem äußeren Schnickschnack entledigt ist. Als materieller Rahmen dient ein kastenförmiges Gestell aus schmalen Stangen, unter denen die Tänzer agieren und der sich im Laufe der Choreografie ebenso wie die einzelnen Stellwände im Hintergrund verflüchtigt. Die eingespielte elektronische Bearbeitung von Gedichtrezitationen Brendan Kennellys sowie Tschaikowsys Nussknacker und Strawinskys Dumbarton Oaks vom Orchester des Saarländischen Staatstheaters leider recht lustlos heruntergegeigt verstummen am Ende ganz. Akustische und materielle Leere lassen am Ende Raum für Bewegung und Atmen der Tänzer. Vielleicht ist die Klarheit dieses letzten Bildes der schönste Moment in einer ansonsten recht überladenen und strukturlosen Choreografie mag dies auch ihr Gesamtkonzept unterstützen. Einzelne starke Szenen faszinieren, etwa wenn Micol Mantini mit dem Blut ihrer Pulsadern Leinwände bemalt und sich damit quasi die Poesie aus dem Körper herauspresst. Oder wenn Andrea Palombi sich wie elektrisiert zu den elektronischen Klängen Claas Willekes bewegt und der gleiche Tanz später mit Tschaikowskys Nussknacker untermalt ist. Ansonsten reihen sich die Bilder unmotiviert aneinander ohne erkennbaren dramaturgischen Zusammenhang. Zu sehr schwimmt das bewusst abstrakt angelegte Stück, fehlt es ihm an formaler Stringenz.
Der Besucher von Poesie des Körpers bleibt denn auch seltsam ungerührt. Vielleicht ist es die mit On Top eingeläutete Kampfansage an die Politik, die den Blick auf die wahre Schönheit der Bewegung trübt. So ist man beispielsweise versucht, das Stück Erinnerung an ... eine Zukunft als nostalgischen Rückblick auf bessere (kulturpolitische) Zeiten zu verstehen oder Poetic Licence als Lossagung der Tanzkunst nicht nur von der Abhängigkeit anderer Künste, sondern auch vom politischen Umfeld. Vielleicht ist es auch das zwanghafte Bemühen, sich seinen Wert selbst zu beweisen. Eine Anstrengung, die die Donlon-Compagnie wahrlich nicht nötig hätte. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Dramaturgie
Das Saarländische Staatsorchester Stamping Ground(Uraufführung amNederland Dans Theater 1983) Choreographie Jirí Kylián
Musik
Bühnenbild
Kostüme
Licht
Tänzer
Elmer Domdom Ilka von Häfen Hitomi Kuhara Raphael Saada Antonio Chamizo Salcedo Erinnerung... an eine Zukunft
Choreographie
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- Fine -