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Eine Frau in der barbarischen Männerwelt
Von Claus Huth
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Fotos von Bettina Stöß
...Sie hätte hundert Augen haben mögen, um sich satt sehen zu können an den Dekorationen, Kostümen, Gestalten, an den gemalten und doch zitternden Bäumen, an den Samtbaretten, Rittermänteln und Degen, an allen diesen Trugbildern, in denen eine so seltsame Harmonie wie um Dinge einer ganz anderen Welt lebte....
So beschreib Gustave Flaubert den Eindruck seiner Romanheldin Emma Bovary beim Besuch einer Aufführung von Donizettis Lucia di Lammermoor. In Saarbrücken hatte diese Oper, inszeniert von Operndirektor Matthias Kaiser, im Dezember letzten Jahres Premiere, und mit ihr ist nach der bewegenden und packenden Aufführung von Luigi Nonos Intolleranza zu Beginn der Spielzeit erneut eine Aufführung geglückt, wie man sie sich packender und aufregender kaum hätte wünschen können.
Enrico verzweifelt - Guido Baehr
Freilich, die überbordenden Dekorationen, Samtbarette und Rittermäntel, gemalte und doch zitternde Bäume hätte Madame Bovary nicht zu Gesicht bekommen, hätte sie das Saarbrücker Staatstheater besucht. Manfred Gruber, Ausstattungsdirektor am Essener Theater, hat die Bühne weit freigeräumt und stellt zwei höchst unterschiedliche, halbrunde und nach einer Seite offene turmartige Konstruktionen auf sie: Die eine undurchsichtig, mächtig, hart, rostig-braun, die andere durchsichtig, ätherisch weis, zart und zerbrechlich wirkend. Und damit ist auf gelungene Weise der szenische Rahmen für Matthias Kaisers Sicht auf das Belcanto-Werk abgesteckt. Kaiser geht es um das Gegeneinander von männlichen und weiblichen Prinzipien in dem Stück, er stellt die von einer barbarisch-brutalen Männerwelt unterdrückte und zerbrochene Frau ganz ins Zentrum seiner Sichtweise.
Das mag auf den ersten Blick plakativ und einfach erscheinen, beinhaltet in seiner durchweg sehr polemischen Zuspitzung aber eine zweifellos nach wie vor gültige Aussage: Gewalt in der Familie, in der Ehe, Gewalt einer sich noch immer zu oft patriarchalisch dünkenden Gesellschaft gegen die Frau, das gibt es heute noch öfter, als man zugeben will. Und Kaiser gelingt es, die Geschichte um Lucia, die den Erzfeind des Bruders Enrico, den verarmten Edgardo, liebt und von ihrem Bruder aus rein politischen Gründen gezwungen wird, den nicht nur einflussreichen Arturo Buklaw zu ehelichen, die diesen verhassten Ehemann im Brautgemach in einem Akt der Notwehr umbringt und darüber seelisch zerbricht, in diesem Rahmen spannend und einleuchtend zu erzählen. Dazu tragen wiederum die beiden zuvor genannten Türme, die sich gegeneinander bewegen können und in immer neuen Konstellationen auf der Bühne erscheinen, die mal Zufluchtsort für einen Sänger, der in einer Arie reflektierend quasi aus dem Geschehen heraustritt, mal fast wie handelnde Personen erscheinen, nicht unwesentlich bei. Sie werden fast wie eine Art Barometer der Spannungen zwischen den Geschlechtern auf der Bühne eingesetzt, zeigen an, wie die Personen zueinander stehen. Etwa im großen Duett Lucias mit ihrem Bruder Enrico: Zunächst stehen die Türme links und rechts gegeneinander auf der Bühne, dann, im Laufe des Duettes, bewegen sie sich wie die Protagonisten aufeinander zu, um sich aber eben genau nicht zu treffen und am Ende wieder gegeneinander zu stehen: Trotz Lucias Einwilligung in die Ehe mit Buklaw ist sie eben innerlich keineswegs mit ihrem Bruder einig. Eklat beim Hochzeitsfest - Algirdas Drevinskas, Stefanie Krahnenfeld, Manou Walesch, Jae-Chul Bae
Gewiss, das schwarz-weiß dieser Inszenierung könnte übertrieben erscheinen: Hier sind die Männer ausschließlich böse und verbohrt und brutal, sie tragen und schwingen beständig Äxte ja, Äxte! , und selbst Lucias Geliebter Edgardo erscheint nicht als Lichtgestalt in dieser Finsternis. Aber gerade durch diese Polemik gelingt es Kaiser, immer wieder Fragen aufzuwerfen, inwieweit eine Welt wie die Gezeigte vielleicht doch besteht, inwieweit die Rollenbilder von starkem Mann und schwacher Frau heute noch existieren. Die Inszenierung provoziert in dieser Hinsicht reflektierten Widerspruch und Auseinandersetzung und das will sie auch. Aber Lucia, das ist für viele Opernfreunde zuallererst die Musik, natürlich: der Gesang. Und da kann das Saarbrücker Theater durchaus beachtliches bieten. Zuallererst muss die Sängerin der Titelrolle, Stefanie Krahnenfeld erwähnt werden, die mit dieser Interpretation ihre bisherige Saarbrücker Laufbahn krönt. Mit immer sicherer Technik gelingt ihr ein intensives Rollenportrait der Lucia, es gelingt ihr, in den Ensembles durchaus die nötige Durchschlagskraft zu haben, sie schafft auch darstellerisch eine intensive und glaubhafte Wahnsinnsszene, die zu Recht mit viel spontanem Applaus bedacht wurde. Wenn man etwas kritisch anmerken möchte, dann vielleicht, dass die Stimme an einigen wenigen exponierten Stellen in der Höhe etwas zu spitz klingt aber angesichts der überragenden Leistung ist das ein nur kleiner Einwand. Dann, endlich, ist es gelungen, einen wahrhaften italienischen Tenor in das Ensemble zu engagieren. Ein italienischer Tenor, der Koreaner ist Jae-Chul Bae erstaunt nach seiner Übernahme des Manrico in Verdis Troubadour auch als Edgardo di Ravenswood mit sicher und geschmackvoll geführtem, wohlklingenden Material, das allenfalls an exponierten Stellen durch zu harte Attacke überstrapaziert wird. Zwar ist sein Spiel nicht frei von klassischen Opernposen, jedoch ist sein Portrait des Edgardo eine durchaus beachtliche Sache, die leider neben der in der Lucia schnell überragenden Sängerin der Titelrolle etwas ins Abseits geriet. Das Hauptdarstellertrio wird komplettiert durch Otto Daubner als Enrico, der mit mattem und erstaunlich monochromem Bariton leider das Niveau der anderen beiden nicht zu halten vermochte. Daubner ist schon lange Ensemblemitglied in Saarbrücken; mit den hier geforderten Klangnuancen ist seine Stimme aber hörbar überfordert. Auch seine hörbar deutsche Artikulation der italienischen Sprache verbessert den Eindruck leider nicht. Sicher, alle Töne werden geliefert, aber den starken Leistungen der beiden anderen hat Daubner nichts rechtes entgegenzusetzen. Immerhin gelingt es ihm im Spiel besser, den rücksichtslosen Bruder der Lucia über die Bühnenrampe zu bringen. Manou Walesch, Rupprecht Braun und Algirdas Drevrinskas sekundieren in ihren kurzen Rollen überzeugend, während es Volker Philippis Bass versteht, sich nachdrücklich als Raimondo zu profilieren. Zwar fehlen (noch) die dunklen, fahlen Töne für die Fassungslosigkeit bei der Erzählung von Buklaws Tod, jedoch kann der junge Sänger immer wieder durch seine intuitive Musikalität für sich punkten. Man kann dem Sänger nur wünschen, dass man ihm Zeit lässt, sich langsam zu entwickeln. Lucia ist dem Wahnsinn verfallen - Stefanie Krahnenfeld und Opernchor
Constantin Trinks dirigierte die von Michele Carulli einstudierte Produktion in der besuchten Aufführung mit der von ihm gewohnten Sicherheit und gehörigem Schmiss, schaffte es, die Musiker immer wieder in Soli aus der Reserve zu locken und das Orchester sonst zu einem vielleicht manchmal zu kompakten Klang zu bewegen. Trinks trägt die Sänger auf Händen, was diese ihm beim Schlussapplaus dankten, und er versteht es, große Szenen wie das Ende des zweiten Aktes oder das Duett Lucia-Enrico stringent zu entwickeln. Orchestral eine Aufführung auf sehr gutem solidem Niveau, das man sich im Abonnementbetrieb wünscht. Und so stellte sich immer wieder die hochemotionale Wirkung der Musik Donizettis ein, die Flaubert beschreibt: Sie fühlte, wie ihr die Seele in der Brust mit in Schwingungen geriet, als strichen die Violinenbogen über ihre Nerven. Die Inszenierung tat das übrige dazu, dass man einen ebenso bewegenden wie anregenden Opernabend erleben konnte, der noch lange nach seinem Ende nachwirkte.
Eine polemisch zugespitzte Inszenierung zusammen mit auf weitgehend sehr hohem Niveau dargebotenen Belcantokünsten: Oper satt. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam* Besetzung der rezensierten AufführungInszenierung Matthias Kaiser
Musikalische Leitung
Bühne
Kostüme
Dramaturgie
Choreinstudierung
Solisten* Besetzung der PremiereLord Enrico Ashton Guido Baehr / Otto Daubner*
Lucia, seine Schwester
Sir Edgardo di Ravenswood
Lord Arturo Buklaw
Raimondo Bidebent
Volker Philippi*
Alisa, Lucias Vertraute
Normanno
Weitere Informationen erhalten Sie vom Saarländischen Staatstheater (Homepage) |
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