Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Die Eroberung von Mexico
Musiktheater nach Antonin Artaud
Textzusammenstellung und Musik von Wolfgang Rihm


In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 30 Minuten (eine Pause)

Premiere am 14. Mai 2005 im Großen Haus der Städtischen Bühnen Münster
(rezensierte Aufführung: 21. Mai 2005)


Logo: Städtische Bühnen Münster

Städtische Bühnen Münster
(Homepage)
Plüschtierschlachten

Von Stefan Schmöe / Fotos von Michael Hörnschemeyer


Vergrößerung in neuem Fenster

Die Eroberung von Mexiko durch die Truppen des Spaniers Hernándo Cortez und die damit verbundene Zerstörung des Aztekenreiches gehört zu den düstersten Kapiteln der europäischen Kulturgeschichte. Das klingt nach viel Theaterblut, aber Wolfgang Rihm erzählt in seiner (im Auftrag der Hamburgischen Staatsoper komponierten und dort 1992 uraufgeführten) Oper keine fortlaufende Geschichte, sondern in seiner Textzusammenstellung, die im Wesentlichen auf Texten des französischen Surrealisten Antonin Artaud (1896 – 1948) basiert, schimmert ein Handlungsablauf nur noch vage durch. Rihm hat weder den Zusammenprall der Kulturen noch primär westliche Kulturkritik im Sinn, sondern deutet den blutigen Konflikt um in eine Auseinandersetzung zwischen den Geschlechtern. Musikalisch wird dem Bariton Cortez ein dramatischer Sopran, der den Aztekenherrscher Montezuma verkörpert, entgegen gestellt, beide unterstützt durch ein Duo im Orchestergraben: Für Cortez zwei Sprecher (und Männerchor), für Montezuma ein extrem hoher Sopran unnd ein tiefer Alt (und Frauenchor). Das in etwa ist die Grundaufstellung für die musikalische Schlacht um Mexiko.

Vergrößerung in neuem Fenster

Der Gegensätzlichkeit von Cortez und Montezuma entspricht aber nicht nur die Geschlechterproblematik, auch auf vielen anderen Ebenen zeigt die Oper den Prozess von Annäherung und Zerstörung bis hinein in die musikalische Struktur. Auch die gegenseitige Durchdringung von Sprache und Musik entspricht dieser Dialektik. Rihm entzieht sich bewusst konkreten Deutungsmöglichkeiten; man kann die Oper tiefenpsychologisch als (Alb-)Traum auffassen, man kann sie auch als Versuch verstehen, die Gattung Oper aus den Fesseln der an narrativen Strukturen ausgerichteten Konvention zu befreien, ohne gänzlich damit zu brechen.

Vergrößerung in neuem Fenster

Diese Offenheit in der Deutung haben den Münsteraner Intendant Wolfgang Quetes (der das Stück 1994 in Nürnberg selbst inszeniert hat) bewogen, den für seine knallbunte Kunst je nach Geschmack berühmten oder berüchtigten Otmar Alt mit der Ausstattung zu betrauen. Dem Regiesseur Peter Beat Wyrsch bleibt da eigentlich nicht mehr viel zu tun, denn Alts farbenfrohe und provokativ kindliche Figurinen lassen für eine detaillierte Personenregie ohnehin keine Bewegungsfreiheit. Das muss kein Fehler sein: Durch diesen Ansatz wird den Protagonisten alles Individuelle genommen und das Werk auch visuell auf eine fast surreale, in den besten Momenten sehr poetische Ebene gehoben. Dieses Prinzip funktioniert allerdings nicht durchgängig; verschenkt wird etwa die Szene der Tänzerin Malinche (Helena Fernandino bleibt eher wegen ihres extrem knappen Höschens als wegen der belanglosen Choreographie in Erinnerung), die zwischen Cortez und Montezuma vermitteln soll.

Vergrößerung in neuem Fenster

Klangbeispiel Klangbeispiel: Anfang 2. Teil Bekenntnis "Neutral, männlich, weiblich" (Cortez: Ingo Anders; Bewegungschor)
(MP3-Datei)


Klangbeispiel Klangbeispiel: 3. Teil Umwälzungen "Ich zerschneide den eigentlichen Raum" (Montezuma: Judith Gennrich, Sopran: Ulrike Maria Maier, Alt: Janet Collins)
(MP3-Datei)


Klangbeispiel Klangbeispiel: 4. Teil Die Abdankung "Männlich, neutral, weiblich" (Cortez: Ingo Anders, Sopran: Ulrike Maria Maier, Alt: Janet Collins)
(MP3-Datei)


Alt hat nicht nur Bühne und Orchestergraben, sondern auch den Zuschauerraum in seine Ausstattung einbezogen, und so hängen riesige bunte Installationen herunter, die apart bläulich angestrahlt sind. Überdeutlich ist die Geschlechterproblematik aufgegriffen (Cortez etwa trägt einen ungeheuerlichen Plüschphallus). Verspielte Exotik und Andeutungen an Kleidung der frühen Neuzeit umreißen die historische Situation. Das ist beziehungsreich und sehr hübsch anzusehen – aber Alts naiver Zugang mildert den tragischen Grundkonflikt, dessen Brutalität Rihm (auch in der Komposition) nicht unterschlägt, stark ab. Die Azteken schnitten Menschenopfern das noch schlagende Herz aus dem Leib – bei Alt werden zum Zeichen des Sterbens rote Plüschherzchen hochgehalten. Solche Momente sind aber weder makaber noch zynisch, sie sind allzu banal und verwässern Rihms Konzept. Und auf die Dauer von mehr als zwei Stunden sind sie auch ermüdend. Bei aller Phantasie, mit der Alt gearbeitet hat, gleichen sich die Bilder in ihrer Wirkung mehr und mehr an, wirken beliebig und austauschbar. So niedlich hat Rihm die Eroberung von Mexico wohl auch wieder nicht gesehen.

Vergrößerung in neuem Fenster

Eindrucksvoll ist die musikalische Umsetzung. Peter Voß leitet umsichtig und sehr präzise das im Raum verteilte Orchester, das sehr konzentriert spielt und zwischen den Gewaltausbrüchen die intimen Momente der Musik betont (der Chorpart wird vom Band - es handelt sich um die Bänder der Hamburger Uraufführung - eingespielt). Annette Elster, die in der hier besprochenen zweiten Aufführung den Montezuma sang (sie alterniert mit Judith Gennrich aus dem hauseigenen Ensemble), hat die Rolle schon in verschiedenen Produktionen gesungen und gestaltet sie eher lyrisch als dramatisch und mit fast spielerischer Leichtigkeit. Ingo Anders als Cortez hat da mehr Mühe, muss im Verlauf der Aufführung hin und wieder „zurückschalten“. Bei aller sauberen Deklamation könnte die Partie etwas mehr Espressivo vertragen. Bewundernswert ist Ulrike Maria Maier, die aus dem Orchestergraben ihre extrem hohe Partie nuanciert und mit Mut zu leisen Tönen singt. Ihr Gegenpart Janet Collins singt die Altpartie sauber und zuverlässig; etwas mehr Klang in der Tiefe wäre wünschenswert. Die beiden sitzen (ebenso wie die beiden zuverlässig und präsent agierenden Sprecher) in bunten Tonnen, die bei Bedarf die Deckel hochfahren können – ein wenig wird man an den Mülltonnenbewohner Oskar aus der guten alten Sesamstraße erinnert. Trennen lassen sich Musik und Szene also nicht; das ist im Werk bereits so angelegt und wird durch die raumgreifende Inszenierung noch unterstrichen. Oper wird hier zum Gesamtkunstwerk. Das sehr konzentriert zuhörende und zusehende Publikum zollte dem viel Beifall.


FAZIT

Otmar Alts farbenfroh stilisierende Ausstattung hinterlässt ambivalente Eindrücke zwischen poetischer Schönheit und banaler Verniedlichung. Musikalisch sehr überzeugend.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Christian Voß

Inszenierung
Peter Beat Wyrsch

Bühne und Kostüme
Otmar Alt

Realisation der Ausstattung
Kathrin Kleeberg

Choreographische Mitarbeit
Tomasz Zwozniak

Dramaturgie
Matthias Heilmann


Bewegungschor der
Städtischen Bühnen Münster

Sinfonieorchester
der Stadt Münster


Solisten

* Besetzung der rezensierten Aufführung

Cortez
Ingo Anders

Montezuma
Judith Gennrich /
* Annette Elster

Hoher Sopran
Ulrike Maria Maier

Alt
Janet Collins

Der schreiende Mann
Kiyotaka Mizuno
(gespielt von Uwe Klix)

1. Sprecher
* Matthias Klesy /
Laszlo Varga

2. Sprecher
Eberhard Kaehler

Malinche
Helena Fernandino



Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Städtische Bühnen Münster
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Musiktheater-Startseite E-mail Impressum

© 2005 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -