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Musiktheater
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Der Freischütz
Romantische Oper in drei Akten
Musik von Carl Maria von Weber
Libretto von Friedrich Kind

In deutscher Sprache mit französischen und flämischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 50' (eine Pause)

Premiere im Théâtre Royal de Liège
am 18. März 2005

Homepage

Opéra Royal de Wallonie
(Homepage)
Die Sau ist schon tot und der Teufel eine Frau

Von Thomas Tillmann / Fotos von der Opéra Royal de Wallonie


Nachdem Kilian den Vorhang heruntergeschossen hat, auf dem ein Mädchen abgebildet ist, das wie später Agathe am Fenster steht und auf den Geliebten wartet, fällt das Auge des Betrachters auf ein in hässlichen Grüntönen gekacheltes Schlachthaus mit Flecken von altem Blut in den dreckigen Ecken, mit Tierkadaver-Attrappen und Neonröhren und mit ein paar Bierfässern auf der rechten Seite, die für das Duett Max - Kaspar gebraucht werden. Aus der Jagd im Grünen ist ein Zerlegen toter Tiere im Fleischverarbeitungsbetrieb geworden. In diesem gruseligen Ambiente von Bühnenbildner Johannes Leiacker feiert eine grobe, aggressive Masse und verspottet Max, der unter dem Vorhang hervorgekrochen kommt und auf eine attraktive Frau mit langen roten Haaren trifft, die souverän einen schicken karmesinroten Mantel und die schwarz glänzenden Stiefel der Domina trägt: Samiel, die Inkarnation des Bösen, ist in Guy Joostens Inszenierung, die bereits sensible Zuschauer in Leipzig und Montpellier aufgebracht hatte, eine böse lächelnde Verführerin à la Kundry - wird sie Max helfen können, sein Impotenzproblem zu lösen? Ums vordergründige Schießen und Treffen geht es in dieser Inszenierung nämlich nicht, wie man bald merkt: Dass der arme Max sein Problem im Bordell "Wolfsschlucht" in den Griff bekommen soll, in dem klischeehafte Verrenkungen und ein paar einzelne nackte Brüste in sündig rotem Licht Sinnlichkeit heraufbeschwören sollen und ein paar Kuscheltiere uns gleichzeitig lehren, wie arg der Hurenberuf und wie sehr die Mädchen und der Transvestit, der nicht fehlen darf, in Wirklichkeit nach Zärtlichkeit und echten Gefühlen dürsten, hatte man bereits befürchtet, bevor man es tatsächlich zu sehen bekam. Reichlich Alkohol betäubt da die wunden Seelen und erschwert letztlich die Sinnenlust, natürlich geistert auch eine Attrappe der blutbefleckten Braut durchs Bild, und auch der Mutter Geist wird sehr gegenständlich beschworen, wenn ein altes Paar kreischend über die Bühne jagt. Max nimmt es nicht sehr tragisch, sondern vergnügt sich nach und nach eher pflichtschuldig als wirklich begeistert mit sieben Halbweltdamen, die ihm daraufhin sieben Kugeln aushändigen - welche Symbolik!

Vergrößerung Max (Patrick Raftery) in den Fängen des Bösen, repräsentiert durch Kaspar (Jaco Huijpen, rechts mit Gewehr), ...

Diese sexualisierte, die meiste Zeit mehr auf Provokation schielende als auf solide Analyse setzende Sichtweise gerät so unsäglich einfältig und platt, dass ich Sympathien entwickelte für den Zuschauer in der Reihe hinter mir, der die Augen geschlossen hatte und das Parkett mit eindrucksvollem Schnarchen mehr zum Lachen brachte als die Gags auf der Bühne. Die vom Jägerchor beschworenen Objekte des Jagens waren da natürlich auch nicht die Tiere des Waldes, sondern die Damen aus der Wolfsschlucht, wie das plakative Schließen der Hosenschlitze und das Abwischen der Lippenstiftspuren uns verrät. Da hat auch ein für andere Werte stehender Eremit keine Chance, auch wenn er durchs Parkett einziehen darf. Die Zuschauer in der ersten, engen Reihe (die in den nächsten Jahren anstehende Renovierung auch dieses Teiles des Hauses ist wirklich nötig!) stehen brav auf für ihn und lächeln ihm freundlich zu, was einen schönen, unfreiwillig komischen Kontrapunkt zum gleichermaßen banalen Bühnengeschehen darstellt. Agathe, die von Anfang an nicht viel mehr als eine Kontrastfigur war, die man um ihr in den Schlachthof geschobenes, an ein Bunker erinnerndes Zimmerchen auch nicht beneidet, geht schließlich ohne weitere Aufregung ab, was Max auch tut, aber - man ahnte es - mit der Falschen, nämlich mit Samiel(a). Und weil das dem Eremiten nicht gefallen kann, wird er eben erschossen. Alles klar?

Vergrößerung

... die Huren in der Wolfsschlucht ...

Ich habe durchaus Inszenierungen gesehen, die das in unserer Zeit zweifellos problematische Stück gegen den Strich bürsten wollten, es ist auch nicht verboten, sich dem Freischütz psychoanalytisch zu nähern und die verdeckt sexuellen Implikationen zu beleuchten, Max' Prüfung als Initiationsprozess zu begreifen und Schattenseiten der gezeigten Gesellschaft aufzuspüren. Wenn aber Initiation nichts weiter ist als ein Besuch im Puff vor der Hochzeitsnacht mit dem Ergebnis, dass Max seiner Triebe nicht mehr Herr wird und mit Samiela durchbrennt, wenn das Fehlen von Moral darin ihren Ausdruck findet, dass der Eremit am Ende erschossen wird, dann ist das nichts als vordergründig und trivialisierend. Besonders ärgerlich fand ich, dass sich offensichtlich niemand wirklich die Mühe gemacht hatte, dem Bühnenpersonal klar zu machen, was es da eigentlich tat: Ich wurde den Eindruck nicht los, dass die Darsteller in den Kostümen von Jorge Jara, die nicht stören und im Wesentlichen in die Jetztzeit weisen, in den paar Tagen Probenzeit lediglich dazu gebracht wurden, auf der Bühne vom Video aus Leipzig oder Montpellier abgeschaute Dinge auszuführen, ohne den tieferen Sinn durchschaut zu haben. Ihre individuellen Fähigkeiten wurden da natürlich nicht ernst genommen, was aber nötig gewesen wäre, um aus einem zweifelhaften Konzept vielleicht doch noch einen einigermaßen spannenden, überzeugenden Theaterabend zu machen. Auch daran muss man eben beim Verabreden von an sich ja wünschenswerten Kooperationen und bei der Probendisposition denken.

Vergrößerung ... und Samiel selber, in dieser Inszenierung eine verführerische Frau (Ines Agnes Krautwurst).

Romantische Oper fand in erster Linie im Graben statt, wo mit Friedrich Pleyer ein erster Dirigent des deutschen Repertoires stand, der einem den Wald in kräftigsten Farben, mit wissender Phrasierung, stimmigen Übergängen zwischen den einzelnen Teilen der Ouvertüre, großer Spannung, Akkuratesse und Heiterkeit in den bewegteren Passagen und der nötigen Gelassenheit für Fermaten und Generalpausen vor das innere Auge zauberte - schade, dass er sich am Ende des Jahres aus Liège verabschieden wird.

Vergrößerung

Noch ahnen Agathe (Nancy Weißbach, sitzend), ihre Cousine Ännchen (Anja Van Engeland, links daneben in grün) und die Brautjungfern nicht, dass sich anstatt des Jungfernkranzes eine Totenkrone in der Hutschachtel befindet.

Nancy Weißbach, Schülerin von Cristina Deutekom und Galina Wischnewskaja, sang in Meinigen bereits die Marschallin im Rosenkavalier und die Santuzza in Cavalleria rusticana, in Schwerin und Dessau die Fremde Fürstin in Rusalka, die Chrysothemis in Elektra in Strasbourg (dort auch Webers Euryanthe), Brüssel und Mannheim und Strauss' Ariadne in Triest, und sie hat wohl auch den vollen, eher dunklen Sopran für all diese Rollen (denen sie keinesfalls noch schwerere hinzufügen sollte!), sie hat gelernt, was Legato und mezza voce sind und wie man beides geschickt einsetzt, aber besonders in der zweiten Arie der Agathe wurde deutlich, dass ihr das letzte bisschen Phrasierungseleganz, Stil und Rollenidentifikation (noch) fehlen, die ihre gute Leistung zu einer großen machen könnten, und ich mag auch nicht verschweigen, dass einzelne Töne über dem System ein wenig schrill gerieten. In Anja Van Engeland hatte sie ein zupackendes, etwas gewöhnliches, aber sehr kommunikatives Ännchen an ihrer Seite, das gleichfalls kein dünnes Soubrettenstimmchen mitbrachte, sondern ein für dieses Fach erstaunlich kraftvolles, bewegliches Organ und eine große Spielbegabung: Schnell hatte sie die Brille abgesetzt und das Haar gelöst, die Brüste brünstig gepackt und das Bein entblößt, als sie über schlanke Burschen ins Schwärmen kam.

Vieles von dem, was ich über Patrick Rafterys Leistung als Siegmund in der Lütticher Walküre geschrieben habe, ließ auch seinen Max zu einer nicht unproblematischen Angelegenheit werden: Die Stimme klingt immer noch sehr baritonal und in der tiefen Lage am attraktivsten, obwohl der Künstler seit 1992 Tenorrollen singt, was mich weniger störte als viele meiner Gesprächspartner an diesem Abend, und weist in der Mittellage und der mitunter etwas knappen Höhe einen unangenehm ältlichen, vibratoreichen Klang auf, besaß aber immerhin mehr Frische und Farbe als bei dem erwähnten Wagnerabend. Grundsätzlich aber bewältigte er die nicht einfache Partie erstaunlich sicher, war allerdings auch optisch keinesfalls der Jüngling, der Schwierigkeiten hat, erwachsen zu werden und zwischen dem richtigen und dem falschen Weg zu wählen hat, von dem die Einleitungsworte auf der Homepage des Opernhauses sprechen. Jaco Huijpen ist ein darstellerisch sehr präsenter, ausdrucksstarker, charismatischer, aber auch ein ziemlich ungeschlacht singender Kaspar mit hörbaren stimmlichen Grenzen, womit ich nicht nur die angerissenen Spitzentöne und die grundsätzlich stumpfe Höhe meine. Wojtek Smilek singt den Part des Eremiten souverän, aber wenig bewegend und mit reichlich viel Vibrato, Guy Gabelle war ein in die Jahre gekommener Kilian, der nicht wirklich eine Konkurrenz für Max darstellte, zumal sein Interpret wirklich abenteuerliches Deutsch sprach, anders als Ensemblekollege Léonard Graus, der längere Zeit in Deutschland gearbeitet hat und einen würdevollen, strengen Kuno gab. Bernhard Spingler, dessen Stimme seit Wuppertaler Zeiten nicht liebenswürdiger geworden ist, gibt einen attraktiven, jovial-blasierten Ottokar der übertriebenen Mimik und Konsonantenspuckerei, Ines Agnes Krautwurst könnte für mein Empfinden noch mehr aus der interessanten Rolle eines weiblichen Samiel machen. Ein Kompliment verdient auch der Chor, nicht zuletzt auch wegen der großen Mühe, die sich seine Mitglieder mit dem deutschen Text und der Umsetzung der szenischen Anweisungen gaben.



FAZIT

Wer Flaches über Max' problematische Sexualität und halbherzige Sex-and-Crime-Mätzchen im Opernhaus sehen und dazu hervorragend musizierten Weber hören mochte, der war richtig bei dieser Premiere in Liège.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Friedrich Pleyer

Inszenierung
Guy Joosten

Bühne
Johannes Leiacker

Kostüme
Jorge Jara

Licht
Davy Cunningham

Choreinstudierung
Edouard Rasquin

Koproduktion mit der
Oper Leipzig und der
Opéra National
de Montpellier



Chöre und
Orchester der
Opéra Royal de Wallonie


Solisten



Agathe
Nancy Weißbach

Ännchen
Anja Van Engeland

Max
Patrick Raftery

Kaspar
Jaco Huijpen

Ein Eremit
Wojtek Smilek

Kilian
Guy Gabelle

Kuno
Léonard Graus

Ottokar
Bernhard Spingler

Samiel
Ines Agnes Krautwurst

Erster Jäger
Marcel Arpots

Zweiter Jäger
Edwin Radermacher

Brautjungfern
Natacha Kowalski
Magali Mayenne
Julie Mossay
Jessica Ceunen
Angélique Engels
Myriam Hautregard
Barbara Pryk




Weitere
Informationen

erhalten Sie von der
Opéra Royal
de Wallonie

(Homepage)



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