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Erlösung ohne Untergang
Von Ralf Jochen Ehresmann / Fotos von Jacqueline Krause-Burberg (Karlsruhe) Wie heute kaum mehr anders möglich, verlegt sich der neue Holländer am Badischen Staatstheater auf eine tiefenpsychologische Deutung des Geschehens als Ausdruck einer Persönlichkeitsspaltung bei Senta. Das allein ist nicht mehr neu und gewissermaßen seit Harry Kupfers Inszenierung in Bayreuth 1980 unhintergehbarer Standard. Und so hat der Karlsruher Generalintendant Achim Thorwald den Regiestift in die eigene Hand genommen und bewiesen, dass auf dieser Grundlage immer neu herrlich spannendes Musiktheater entstehen kann. Dass er damit ewiggestrige Anhänger der Märchenfraktion verärgern musste, war sicher keine Überraschung, doch wurden deren wenige wenn auch lautstarke Buhrufer von einer breiten Welle jubelnder Zustimmung überlagert. Schon im Vorspiel ist die Träumerin bei der Sache...
Konnte man seit 2003 in Bayreuth die verborgene Identität des Daland mit dem Holländer betrachten, indem beide als Interpolation ihrer selbst auftreten, geht Achim Thorwald nun den entgegen gesetzten Weg und transzendiert Sentas Schizophrenie dergestalt, dass er sie gleich doppelt auf die Bühne stellt, nämlich einerseits als manisch gestörte Gegenwartsflüchtige, die aus allseits bekannten Sagenstoffen sich ihre Scheinwelt erschafft, in der sie eine zusätzliche Nebenexistenz unterhält, die Thorwald nicht nur als Innenprojektion versteht und stattdessen in Form einer stummen Senta pantomimisch auftreten lässt. Märchenbuchstöbernd kann so Senta1 sich selbst als geträumter Senta2 zusehen und muss nur gelegentlich selbst in die Handlung eingreifen. Diesem Gedanken fügt sich Helmut Stürmers Bühnenbild geradezu idealtypisch, wenn es unter Gerd Meiers phänomenaler Lichtregie mit wenigen variablen Klappwänden blitzschnell auch größere Verwandlungen ermöglichte, die getreu der inszenatorischen Grundidee Vorstellung und Vorgestelltes nahe beieinander ansiedelte. Wenn nun anstelle eines fetten Ölschinkens am Gemäldehaken der Holländer selbst in den Spalt des imaginierten Schiffes tritt, um dort als Spiegelung seiner selbst zu fungieren, so findet Thorwald damit eine wundervolle Umsetzung der Wahntraumidentitätsidee jenseits aller Diaprojektionen. ...und stets neben der Spur,...
Wenn somit alles auf Sentas Selbstmord zuläuft als einzig denkbarem Ausweg, den schon ihr permanentes Gefuchtel mit dem großen Messer andeutet, so hatte doch das Erlösungsfinale der Ouvertüre Anlass zur Hoffnung auf ein irgendwie anders geartetes Ende gegeben, indem freilich nur Erik als einzig wirklich Mitfühlender ihr die Waffe entwindet und Senta tatsächlich zur Einsicht gelangt, wohin ihr Wahn sie beinahe gebracht hätte. ... bis alle glauben, was nur sie sieht.
An diesem Erfolg hatten freilich auch die Solistinnen gehörigen Anteil, deren Gang vor den Vorhang die Bravorufer bereits bestens in Stimmung gebracht hatte. Und das zurecht: Von Terje Stensvold als Holländer zu schwärmen, hieße nur, bekanntes Lob zu wiederholen. Düster timbriert setze er ohne falschen Druck klare Akzente. Starke Höhe zeigte auch Peter Lobert als Daland, die seinem Bass einen stark tenoralen Einschlag gab. Der Textverständlichkeit kam das sehr zugute, wenngleich dieses Lob an das gesamte Ensemble geht. Hier waren Übertexteinblendungen tatsächlich generell verzichtbar, wenn sie auch sonst ein gutes Hilfsmittel sind. Klaus Schneider nahm seinen Erik im Gegensatz zur üblichen Praxis nicht als weinerlichen Dauerverlierer, der zärtlich-lyrisch heulen kann; hier rang einer um die Fassung, der in einem schier aussichtslosen Kampf mit irrationalen Übermächten dennoch zu obsiegen hofft und dafür keine Mühen scheut auch gegen die fassungslose Passivität der wohl-situierten Gesellschaft, die die Irre längst abgeschrieben hat. Selten gehen Rollendeutung und Stimmführung eine so klare, sinnerhellende Synthese ein, wie es Klaus Schneider hier vorgeführt hat, so dass sich die relativen Abstriche beim Höhenglanz objektiv relativierten. Unlimitierter Schwärmerei darf allerdings zulässigerweise verfallen, wer Edith Haller in der Partie der Senta erlebt hat. Wie Sommersonne am Frühlingshimmel überstrahlte ihre zarte Wucht alles Geschehen. Unangestrengt, ermüdungsfrei und jedes falschen Pathos' unbedürftig, traf ihr vibratofreier Power-Sopran mitten ins Herz, und es gehört wenig prophetischer Mut dazu, dieser Ausnahmesängerin eine große Karriere vorherzusagen. Wenigstens einer behält den Durchblick!
Die Chöre brachten die allzu bekannten Ohrwürmer mit großer Spielfreude und gut austariertem Klangbild zu Gehör. Dabei waren sie eher klein besetzt, so dass der Verdacht kaum gänzlich fehl geht, ihr penetrantes rhythmische Gestampfe v.a. im 3.Aufzug diene u.a. auch dazu, eine Masse zu suggerieren, die mangels Personal gar nicht vorhanden ist. Angesichts der beachtlichen Bühnenbreite fiel die Koordination einheitlicher Tempogestaltung - auch dem sonst bestens aufgestellten Orchester nicht immer leicht, wobei die Damen klar am besten abschnitten.
Wer nach diversen Bruchlandungen verunglückter Holländerflüge einem phänomenalen Höhenstart beiwohnen will, wie ihn kunstferne Medien in diesen Tagen bloß dem neuen Airbus zubilligen wollen, dem sei die Reise nach Karlsruhe wärmstens anempfohlen! Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten* AlternativbesetzungDaland Peter Lobert * Ulrich Schneider
Senta
Senta (stumm)
Erik
* Mauro Nicoletti
Mary
* Silvia Hablowetz
Steuermann
* Bernhard Berchtold
Holländer
* Stefan Stoll * Walter Donati
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