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Der böse Triumph des deutschen NationalgeniesVon Stefan Schmöe / Fotos von Klaus LefebvreDetlev Glanert ist so etwas wie der Shooting-Star des zeitgenössischen Musiktheaters in Deutschland. Wo in der Regel bei neuen Opern die Uraufführungsinszenierung auch gleich die letzte ist, wird Glanert landauf, landab aufgeführt. Gleich drei Opern kann man in diesem Frühjahr erleben: Die drei Rätsel (derzeit in Halle auf dem Spielplan, ab Juli in Frankfurt / Main), Das Theater in Gelsenkirchen bereitet Den Spiegel des großen Kaisers vor, und Glanerts Erfolgsstück schlechthin - Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung - ist nach Produktionen in Halle (Uraufführung 2001), Rostock, Krefeld und Mönchengladbach (unser Bericht), München, Mannheim und Regensburg jetzt in Köln zu erleben. (Und Köln und Frankfurt haben gemeinsam bereits eine neue Glanert-Oper in Auftrag gegeben). Armer Poet: Der Dichter Rattengift sehnt sich nach Ruhm. Was macht diesen Erfolg aus? Im Fall von Scherz, ist es einerseits ein geistreiches, bis zur Absurdität witziges Schauspiel als Vorlage (noch dazu ein historisch veredeltes), dann eine gemäßigt moderne, tonal nachvollziehbare und anschaulich plakative Musik und nicht zuletzt ein Gespür für das richtige Timing, was sich hier in einem atemberaubenden Tempo niederschlägt, in dem Glanert das Schauspiel von Christian Dietrich Grabbe (1801 1836) durcheilt. (Außerdem lässt sich, ein ganz wichtiger Erfolgsfaktor, die Oper auch an kleineren Theatern realisieren.) In der Kölner Neuinszenierung von Christian Schuller wird als Summe dieser Faktoren eine Qualität sicht- und hörbar, die in hohem Maße für das Werk spricht: Diese Oper ist in hohem Maße unterhaltsam (was man von den wenigsten neuen Stücken behaupten kann). Suizidgefährdet: Wenn Herr Mollfels, gerade aus Italien zurückgekehrt, von Liddys Verlobung erfahren wird, droht die Oper ein frühes tragisches Ende zu nehmen. Der Teufel auf Erden, weil die Hölle geputzt wird das kann nicht gut gehen, schon weil auf der Erde ohnehin nichts gut geht. Die junge Baronesse Liddy wird von drei obskuren Herren umgarnt, die freilich nur zu gerne einen Pakt mit dem Teufel eingehen, und nur ein schwärmerischer vierter Verehrer kann sie erretten. Derweil zieht ein autoritärer Schulmeister mit PISA-untauglichen Mitteln den blöden Knaben Gottliebchen zum deutschen Nationalgenie heran und fängt nebenbei den Teufel ein der aber von seiner (des Teufels) Großmutter gerettet wird. Am Ende triumphiert Gottliebchen, während die Welt in Asche liegt. Gegen eine derart chaotische Handlung setzen Regisseur Schuller, Bühnenbildner Jens Kilian und Kostümbildner Ulrich Schulz klare und prägnante Bilder: Ein paar verschiebbare Wände ergeben im ersten Akt eine variable Spielfläche, die sich schnell vom Dorfplatz in das Schulzimmer verwandeln lassen. Der Mord an 13 Schneidergesellen wird, man kann es auch als Ballett-Verschnitt ansehen, als Variante des Spiels Reise nach Jerusalem inszeniert. Bewährte Pädagogik: Der Schulmeister unterrichtet Gottliebchen, das künftige deutsche Nationalgenie. Wie das Libretto von Jörg W. Gronius immer wieder Zitate aus oder Anspielungen auf große Werke des Musiktheaters aufblitzen lässt, baut auch Schuller eine Reihe von Zitaten ein: Da wird Spitzwegs Armer Poet nachgestellt, die Ruine vor Sternenhimmel im zweiten Akt ist eine Hommage an C. D. Friedrich, und als düstere Schlusspointe zieht sich Gottliebchen eine Uniform an und vom Bühnenhimmel schwebt ein riesiger Luftballon in Form der Erdkugel herab eindeutiger Verweis auf Chaplins Hitler-Paraphrase in Der große Diktator. Oft ist die Regie witzig, aber sie lässt in erster Linie den Wortwitz zur Geltung kommen und die Musik. Die stellt z.B. Gottliebchen ein Ensemble aus Blockflöten als Begleitinstrumentarium zur Seite, das schaurig dissonante Fanfaren erzeugt. Das Gürzenich-Orchester, unter der ansonsten souveränen Leitung von Markus Stenz für die Sänger eine Spur zu laut, zeichnet solche Effekte lustvoll nach. Kopflose Wissenschaft: Vier Naturgelehrte verstehen eine Welt, in der es teuflisch zugeht, nicht mehr. Nicht ganz auf diesem Niveau sind die sängerischen Leistungen. Der Teufel (ein Countertenor) dürfte schärfer und eindringlicher gesungen werden als Matthias Koch dies tut. Der Sopran von Ausrine Stundyte (Liddy) ist unausgeglichen; schöne Passagen wechseln mit forcierten und gepressten ab, und in der tiefen Lage fehlt es an Fundament, wodurch die Partie etwas zu sehr Operettenhaftes erhielt. Ray M. Wade jr. ist ein emphatischer Dichter Rattengift mit tenoralem Glanz. Hauke Möller legt den romantisch veranlagten Mollfels als komischen Charaktertenor an. Ist Michael Dries ein solider, wenngleich unauffälliger Baron, so müssten Miljenko Turk (Wernthal), Ulrich Hielscher (Mordax) und Thomas Jesatko (Schulmeister) mehr vokale Präsenz zeigen. Sehr blass, dazu kaum verständlich, ist das Quartett von vier Naturhistorikern. Da behält zu recht die blendend spielen und singende Claudia Rohrbach als Gottliebchen das letzte Wort. Für einen sehr vergnüglichen Opernabend reicht das aus. Die Chance, mit den Mitteln eines großen Hauses eine musikalisch mustergültige Aufführung auf die Beine zu stellen (das hier gehörte Niveau wird man in etwa auch an den kleineren Stadttheatern erwarten), ist vertan. Oder lag es daran, dass Teile des Ensembles in einer Repertoire-Vorstellung vor halb leerem Saal (wie in der hier besprochenen Aufführung) nicht mehr alles abrufen?
Vokal durchwachsen, orchestral akzeptabel - und eine Inszenierung, die den Witz von Text und Musik unterstreicht und für einen höchst vergnüglichen Abend mit böser Schlusspointe sorgt. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten AufführungTeufel Matthias Koch
Baron
Liddy
Freiherr von Mordax
Herr von Wernthal
Rattengift
Mollfells
Schulmeister
Gottliebchen
Vier Naturhistoriker
Des Teufels Großmutter
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- Fine -