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Psychogramm einer nicht nachahmenswerten Karriere
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Stefan Kühle
Zwei Seelen wohnen in seiner Brust: Die eine will ein ordentliches Leben führen, die andere zieht ihn zum Laster und Unmoral. Faust und Mephisto, oder freudianisch Ich undEs in Rainer Friedemanns Neuinszenierung von The Rake's Progress geht es etwas pauschal um den Dualismus von Gut und Böse. Zwischen den Szenen sieht man auf dem Vorhang immer wieder das Portrait von Tom Rakewell, der sich vom braven Spießbürger im Handumdrehen (na ja, zweieinhalb Stunden dauert es schon) zum Wüstling wandelt, und wenn sich der Vorhang erhebt, schauen wir sozusagen ins Innerste der Psyche dieses dubiosen Herrn. Da tun sich dann allerlei Abgründe auf. Auf ins pralle Leben: Tom Rakewell (Dominik Wortig, links) lässt sich von der düsteren Seite seiner Seele in der Gestalt von Nick Shadow (Frank Dolphin Wong) zu verbotenem Tun verleiten.
Igor Strawinsky ließ sich durch eine Serie von Kupferstichen von William Hogarth (1697 1764) zu The Rake's Progress anregen, die in Form einer Bildergeschichte die zweifelhafte Karriere eines durch Erbschaft wohlhabend gewordenen jungen Mannes erzählen. Im Libretto von Wystan Hugh Auden und Chester Kallmann ist die Handlung mit absurden Elementen zugespitzt (etwa die Heirat Toms mit der vollbärtigen Türkenbaba, einer Jahrmarktssensation). Strawinskys dem Neoklassizismus huldigende Musik orientiert sich an Formen der klassischen Oper des 18. Jahrhunderts, und was all' die Reformer von Gluck bis Wagner an Typisierungen aus der Opernwelt wegreformiert haben, greift Strawinsky lustvoll wieder auf: Statt großer Gefühlsergüsse und psychologischer Spitzfindigkeit werden die Figuren in konventionell anmutenden Arien hart umrissen und leben gerade von dieser Typisierung. Der ironische Blick auf scheinbar hoffnungslos veraltete Kompositionstechniken schafft eine Distanz, in der die Musik dann, einmal angeworfen, mechanisch schnurrt wie von einer aufgezogenen Spieluhr. Im prallen Leben wartet dann die Türkenbaba (Nadine Weissmann), die sich bald als ziemlich anstrengende Ehefrau für Tom erweist.
Emotionaler Bezug zum Bühnengeschehen war 1951, als das Werk entstand, nicht erwünscht, und deshalb lässt die exzellent gearbeitete Partitur trotz ihrer Rafinessen auch ziemlich kalt. Dafür hat The Rake's Progress in seinem schier unendlichen Beziehungsreichtum erhebliche Unterhaltungsqualitäten. Die allerdings hätte Rainer Friedemann ruhig pointierter zeigen können. Seine vor allem in der Personenführung grundsolide Inszenierung hat zwar ein paar hübsche Ideen, aber keinen wirklich zwingenden Roten Faden. Die eingangs erwähnte psychologische Sicht hat sich schnell verbraucht. Die Verwendung venezianischer Masken für die Choristen soll wohl auf die Uraufführung der Oper am La Fenice in Venedig anspielen, wird aber nicht konsequent durchgezogen. Irgendwann scheint das Regieteam auf die (durchaus hübsche) Idee gekommen zu sein, gezeichnete Elemente als Referenz an Hogarths Kupferstiche zu verwenden und so erscheinen Kutsche samt Pferd als Karikatur, vom Schwarzlicht ausgeleuchtet, und weil das so schön klappt, wird von nun an fast alles in der gleichen Weise als schwarzes Theater dargestellt, bis man der Sache überdrüssig wird (und leider auch darüber hinaus). Absolut irre - also landet Tom in der Psychatrie, wo ihm nicht einmal die unendlich treue Ann Truelove (Dagmar Hesse) helfen kann.
Tückisch ist die Angelegenheit für das Hagener Orchester, das sich mit der diffizilen Partitur wacker schlägt, aber man hört im kammermusikalischen und äußerst transparent gehaltenen Satz jede noch so kleine Unsicherheit. Um den Witz der Partitur hörbar zu machen, müsste das Orchester noch souveräner mit dieser Musik umgehen. Dirigent Anthony Hermus hält alles ordentlich zusammen; Strawinskys Doppelbödigkeit aber bleiben die Musiker schuldig. Dankbarer ist es für die Sänger, die angesichts des kleinen Orchesters keinerlei Mühe haben, sich zu behaupten. Dominik Wortig als Antiheld Tom Rakewell ist ein nettes, etwas tollpatschiges Riesenbaby. Sein Tenor ist wärmer und runder geworden und besitzt ausreichend Reserven in der Höhe. Der junge Niederländer Frank Dolphin Wong singt und spielt sehr agil dessen alter ego Nick Shadow mit markantem, recht hellen Bariton. Dagmar Hesse, als Senta im Fliegenden Holländer, Katja Kabanova oder Rosenkavalier-Marschallin in stimmlich größeren Partien aktiv, gestaltet Toms Verlobte Ann Truelove (der Name sagt eigentlich alles) unprätentios und soubrettenhaft, wie junge Mädchen, die mit Teddybär im Arm unverdrossen an die große Liebe glauben, eben singen. Da mit Andrey Valiguras (Anns Vater) und Nadine Weissmann (Türkenbaba) sowie Edeltraut Kwiatkowsi, Richard van Gemert und Klaus Nowaczyk auch die anderen Rollen gut und passend besetzt sind und auch der Chor präsent und aufmerksam singt, profiliert sich die Aufführung vor allem im musikalischen Bereich.
Amüsanter Opernabend, der freilich noch etwas mehr Witz hätte vertragen können. So wird es ein Sieg nach Punkten für die guten Sänger. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Choreographie
Ausstattung
Dramaturgie
Choreinstudierung
Schwarzes Theater
Opernchor des Theater Hagen SolistenTruelove Andrey Valiguras
Ann
Tom Rakewell
Nick Shadow
Mutter Goose
Baba
Sellem
Wärter
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