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Der fliegende Holländer
Romantische Oper in drei Aufzügen
Text und Musik von Richard Wagner


Aufführungsdauer: ca. 2h 45' (eine Pause)

Premiere im Theater Hagen
am 3. Juli 2004
Besuchte Aufführung: 27.10.2004


Logo: Theater Hagen

Theater Hagen
(Homepage)
Patientinnenmissbrauch mittels des Mythos

Von Ralf Jochen Ehresmann / Fotos von Stefan Kühle

Der Fliegende Holländer in Hagen entwickelt auch im Umfeld herausragender und mutiger Interpretationen einen nicht minder gewichtigen Ansatz von beachtlicher Deutungsrelevanz. Was so bieder beginnt, entwickelt sich rasant zu einem makabren Defilé des Grauens, und der Missbrauch von Sentas Mädchenphantasien wird wieder neu in seiner potentiellen Vielgestaltigkeit ausgeleuchtet.

Vergrößerung in neuem Fenster "Sie seufzet um den bleichen Mann!
Den Kopf verliert sie noch darum.
Da sieht man, was ein Bild doch kann!
Nichts hilft es, wenn ich täglich brumm'!
Komm', Senta! Wend' dich doch herum!"

Rainer Friedemann ist auf der Suche nach den seelischen Abgründen eines genau dort verwundeten Wesens. Dabei ist Senta gleichermaßen Opfer ihrer unmittelbaren Umgebung wie des numinösen Fremden, das offenbar so fremd nun doch nicht ist und nur von ihr nicht als die Maskerade des Verbrechens durchschaut wird, die es substantiell bloß ist.

Rainer Friedemann setzt den Gedanken der Dichtung trefflich um, dass hier ein Mann seine eigene Wohlfahrt - und sei es die eigene Untergangsphantasie - mit Mitteln des Menschenopfers zu betreiben gewillt ist, wozu er - je nach Lage der sozialen Verhältnisse - Verbündete braucht. Vater Daland tut sich schon in der Dichtung klar gezeichnet als jemand hervor, der bereit ist, sein Kind an Unbekannte zu verkaufen, deren Absichten er nie hinterfragt, weil sie sich als zahlungskräftig erweisen, und nur Erik in der undankbaren Rolle des verlustangstgeprägten Dauernörglers kommt es bei, rein instinktiv das sich anbahnende Unheil zutreffend zu erkennen. Indem Rainer Friedemann ihm nun die Rolle des Retters zuweist, wo Senta gegen die kollektive Verschwörung von Volk und Fremden nichts auszurichten vermag, wächst dieser über die ihm ursprünglich zugewiesene Dimension seiner Partie hinaus und wird mit seinem mutigen Eingreifen im Finale zu der einzigen Gestalt, die in mörderischer Umgebung Humanität exekutiert.

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"Hui! - Und Satan hört's - Johohe!
Hui! - und nahm ihn bei'm Wort! - Johohe!"

Wer sich Wagners Fliegenden Holländer nur als Märchenaufführung vorstellen mag, muss sich fragen, wie die Gestalt des Holländers einerseits in der Gesellschaft des norwegischen Küstenvolkes dauernd präsent - als Lied, als Bild oder auch als konkreter Inhalt der Matrosenspottlieder - und andererseits sein wirkliches Erscheinen dann so eine Überraschung sein kann. Wer ihn aber als Teil oder gar Spiegelbild der realen Verhältnisse in Sentas Umgebung versteht, dem stehen viele Wege offen.
Bei Rainer Friedemann in Hagen spielt er die Rolle des schwarzen Mannes, dessen Fatum den Unmündigen als Angstquelle vorgehalten wird. Und wenn dieser dann solcherart eingeführt selbst zum aktiven Teil des Küstengeschehens wird und die Rolle des Oberpriesters in der schwarzen Messe des dörflichen Neuheidentums am Hafen ausführt, dann zeigt sich endlich deutlich klar, wie sehr Sentas psychische Labilität sie dazu prädestiniert, wiederum missbraucht zu werden, indem ihr diesmal das Messer in die Hand gedrückt wird, mit dem sie ein kleines Kind schlachten soll, als ob sie mit dieser Gehorsamtreue die Erlösung jenes Oberbefehlshabers bewirken könnte, der seinerseits von Anfang an in ihrer willenlosen Wehrunfähigkeit das ideale Opfer und Werkzeug seiner menschenmordenden Gelüste erkannt und planmäßig dafür zugerichtet hat.

Sogar das Erlösungsfinale, dessen Ouvertürenschluss angesichts der eher harmlosen Bebilderung des 1.Aufzuges eine brave Heile-Segen-Sauce befürchten ließ, erhält hier eine neue Berechtigung, wenn Außenseiter Erik als einzig Unbeteiligter ihrer Hand das Schlachtmesser entwendet, die düstere Versammlung auflöst und Sentas Alptraum beendet.

Auch spielerisch und sängerisch bereitete die Aufführung viel Freude: Erik gewinnt die leisen Töne erst im Laufe der Zeit. Der Anfang zeigt ihn geradezu satirisch als empfindungslosen Kerl, der dröhnend und betont unlyrisch gestelzt mit den Händen in den Hosentaschen von seinem leidenden Herzen schwadroniert - eine Szenerie, die Marc Horus so gelungen wiedergab, dass man die spätere Wendung als ebenso überraschend empfinden musste wie die gesamte Zuspitzung überhaupt.

Vergrößerung in neuem Fenster : (http://theater.hagen.de/holl_3l.jpg) "Oh, könntest das Geschick du ahnen,
dem dann mit mir du angehörst,
dich würd' es an das Opfer mahnen,
das du mir bringst, wenn Treu' du schwörst"

Die beiden männlichen Hauptrollen waren auch hier - wie neuerdings öfters anzutreffen - in enger Parallelität angelegt, was schlüssig scheint angesichts des Finales, das sie beide als Mitglieder derselben Schauersekte offenbart. Gerade Andrey Valiguras als Daland legte eine ungeheure Steigerung ‚vor's Parkett', die - nach dem sympathischen Verschlucker bei Holländers plötzlichem Heiratsansinnen - so weit zunahm, dass sie diesen beinahe überlagert hätte. Mit solch gewaltigem Organ hätte er sicher kein Problem, weit größere Hallen vernehmlich zu beschallen! Holländers (Theodor Carlson) Tiefe geriet etwas wackelig, besonders, wenn er von der Gewalt des Orchesters manchmal etwas zum Schreien genötigt wurde, was aber nur zulasten der Schönheit, nicht aber der Verständlichkeit ging - für letztere verdient er sicher besonderes Lob.

Maximales Spielgenie erwies vor allen Dagmar Hesse, die der Senta jenen verzerrten Ausdruck so mitreißend zu verleihen verstand, wie es dem besonderen Profil dieser Inszenierung entsprach. Hat der Wahn sie voll erfasst, steht sie wie neben sich, und ihre Stimmfärbung nimmt jenen glasigen Ausdruck an, ohne jedoch dabei an Präzision einzubüßen. Vom Chor der Spinnerinnen wird sie, die scheinbare Spinnerin mit mehr als bloß subtiler Gewalt attackiert, so dass deren Summ-Lied zum folterhaften Ausdruck einer extremen Hackordnung gerät. Erst der Wahn bringt Senta in solcher Umgebung zu sich selbst; erst im Vortrag der Ballade gewinnt sie Fassung und kann zur souveränen Beherrscherin der Szene wachsen. Hier gewinnt auch ihre Stimme jene Kraft, die sie an anderer Stelle bedeutungsvoll reduzieren musste. Fast wächst sie über sich hinaus, wenn sie des Holländers Erscheinen so sehr herbeiphantasiert, bis dass er endlich erscheint: eine perfekte Neurotikerin, schwankend zwischen epileptischer Neigung und deutlich infantiler Persistenz bei gelegentlich exstatischer Eruption.

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(http://theater.hagen.de/holl_2l.jpg ) "Oh, frage nicht! Antwort darf ich nicht geben...
nicht an dich denken: hohe Pflicht gebeut's."

Die eigentliche Deutung dieser Inszenierung beginnt erst hier, denn der Holländer verabreicht ihr ein Rauschmittel und erzielt so ihr Bekenntnis, nachdem er die geistesabwesend Dreinblickende ausführlich hat befingern können.

Die Chöre, vor allem die der Frauen, zeigten sich leider nicht in bester Verfassung, litten sie doch an erheblichen Koordinationsstörungen, wobei erfreulicherweise ihre Textverständlichkeit darunter nur wenig gelitten hat. Dem Herrenchor weist der - von den Folgeaufzügen weit zurückbleibende - 1. Aufzug keine dramatische Funktion zu; ihm bleibt nur, tableauförmig aufzutreten und dazustehen. Welch ein Unterschied zum Finale, dessen Opferungsgrusel ohne den Chor als Parallelerscheinung des Ku-Kux-Clan gar nicht denkbar wäre!

Mit seinem Dirigat zeigte sich Anthony Hermus überaus engagiert und feurig, als ob er die durch die ohnehin bloß störenden Pausen verlorene Zeit wieder hereinholen wolle; sein Klangbild kam gewaltig und blechbetont daher, wobei die in Hagen üblicherweise eh nur klein besetzten Streichergruppen einen etwas schweren Stand hatten.

Vergrößerung in neuem Fenster "Holländer: ew'ge Verdammnis ist ihr Los!
Zahllose Opfer fielen diesem Spruch
durch mich!"

Bedauerlich bleibt nur die Entscheidung für die aktweise geteilte Fassung, auf die sich Wagner nur hatte einlassen müssen angesichts des Zustandes der Bühnentechnik in Dresden 1842, über welchen Entwicklungsgrad man 162 Jahre später eigentlich hinaus gewachsen sein sollte, um frei von störenden Interruptionen jenen großen einheitlichen Spannungsbogen aufzuziehen, der seit der Bayreuther Erstaufführung von 1901 von Cosima Wagner als verbindlicher und unhintergehbarer Standard gelten sollte!


FAZIT

Mit seinem neusten Fliegenden Holländer in nur 15-jährigem Abstand zum vorherigen beweist Hagen ein ums andre Mal, dass es trotz sehr viel bescheidenerer Mittel in Technik und Etat debattenprägende Interpretationen zu liefern fähig ist - was so noch lange bleiben möge!




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Antony Hermus

Regie
Rainer Friedemann

Ausstattung
Walter Perdacher

Choreinstudierung
Uwe Münch



Opernchor, Extrachor
und Statisterie des
Theater Hagen

Philharmonisches
Orchester Hagen


Solisten

* Alternativbesetzung


Daland
Andrey Valiguras

Senta
Dagmar Hesse

Erik
Marc Horus

Mary
Marilyn Bennett
* Carola Günther

Steuermann
Dominik Wortig

Holländer
Theodor Carlson
* Stefan Adam
* Stefan Stoll


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Hagen (Homepage)




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