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iOPAL

Große Oper
Von Hans-Joachim Hespos

Uraufführung am 30. April 2005

Niedersächsische Staatstheater Hannover

Die Quadratur des Kreises im Dreieck

Von Bernd Stopka / Fotos von Matthias Horn


„ja inhaltsschutt, oder wie jemand das nannte: die scheiße im kopf. so etwas interessiert kaum mehr. uns beschäftigen wirkzusammenhänge.“ „literaturoper, handlungsmusical, alte geschichten voller symbolik und staubiger requisite tendieren qualitativ etwa in richtung kultur-heino. heimatlieder vom ewigen gestern“ (Hans-Joachim Hespos)

„iOPAL. große oper“ hat Hans-Joachim Hespos seine siebente Oper genannt, die als Auftragskomposition der Staatsoper Hannover am 30 April 2005 uraufgeführt wurde. Hespos ist dort seit 2001 „Composer in residence“.

Es gibt keine Handlung und kein Libretto, ja es gibt (fast) keine Sprache. Auch einen Anfang und ein Ende gibt es nicht wirklich, lediglich der Aufführungszeitraum begrenzt das Geschehen. Die einzelnen „Nummern“ heißen „arOma“, „COBE“, „annA“, „fpoi“, Chorszenen „còrogramm/o“. Anweisungen in der Partitur lesen sich beispielsweise so: „kippliquide, moluskulare ereignisse voller geräuschhaftigkeit und obertoniger schärfe am rande des hörbaren! unterschiedliche dichten aus farb-/rauschlinien voll pulsierenden zerkippens/schleifiger zitterung und artikulierenden morsungen“.



Vergrößerung Hörbare und unhörbare Töne:
Yuko Kakuta im Orchestergraben.

Hespos verweigert die herkömmliche Ordnung des Sujets Oper. Er gibt in seiner Partitur Anregungen, die die Mitwirkenden nach eigenem Ermessen ausgestalten können, dürfen, müssen. Sozusagen im Baukastenprinzip. Er verlässt sich auf die große musikalische Kompetenz der Musiker, die er ausdrücklich „Mitwirkende“ und nicht „Ausführende“ nennt.

Das gibt den Sängern Yuko Kakuta, Francesca Scaini, Michaela Schneider, Christoph Homberger, Graham F. Valentine und Oliver Zwarg dankbare Möglichkeiten die Fähigkeiten ihrer Stimmen auszuloten und das Ergebnis zu präsentieren. Mit höchsten Höhen und tiefsten Tiefen geht es vom Himmel durch die Welt zur Hölle. Da wird gestemmt, gestöhnt, gejohlt, gezischt, miaut, gejault, geheult, geschluchzt, gehechelt ... – ausgiebig gestorben und viel gelacht. Ja, manchmal auch tatsächlich gesungen. Es klingt spannend, wenn sich zwei Sänger gegenseitig in den Mund singen. Und selbst der unhörbare Ton wird sichtbar produziert. Ein bisschen erscheint das alles aber doch wie ein stimmlicher Selbsterfahrungsworkshop.



Vergrößerung Kaum ist er (Christoph Homberger, am Boden) geräuschvoll gestorben bereitet sie (Francesca Scaini, links) ihren großen Auftritt vor.

Ähnliches gilt auch für das Orchester (so ungefähr in Donizetti-Besetzung). Wenngleich es nicht an so exponierter Stelle steht, wie die Gesangssolisten. Der Orchestergraben ist halb hochgefahren und zunächst mit Choristen in Freizeitkleidung besetzt. Die nach und nach eintreffenden Orchestermusiker müssen sich ihre Plätze erst erkämpfen – also, die, die dann wirklich im Graben sitzen und nicht im Zuschauerraum oder auf oder hinter der Bühne ihren Platz haben. Köstlich ist die Szene, in der die Streicher in ihre Instrumente blasen. Das herzige Zwiegespräch „Können Streicher nur streichen und Bläser nur blasen...“ aus dem schier unerschöpflichen Loriot-Fundus lässt grüßen.



Vergrößerung Der Chor wurde zu Boden geschimpft (Valentine).

Clusterklänge beherrschen die Chorszenen, die ein Meisterwerk der Koordination zu sein scheinen. Hannovers Chordirektor Johannes Mikkelsen ist auch für solche Herausforderungen ein erfahrener Meister.

Es entstehen Klänge und Geräusche, die von überall auf und hinter der Bühne und aus dem Zuschauerraum kommen. Dabei wird man weniger von Tonmassen erschlagen, als vom Geräuschbuchstabieren gelangweilt. Ob die Babylaute aus dem Rang mitkomponiert waren, könnte man fragen. Die Alkoholfahne meines Hintermannes könnte ein „Requisit für die Nase“ gewesen sein. Nur die schwere Bronchitis der Dame vor mir war mit Sicherheit echt. Hustend verlies sie vorzeitig den Zuschauerraum, von manch neidischem Blick verfolgt... Aber der Neid war nicht gerechtfertigt, war doch die „große oper“ schneller vorbei als eine Bronchitis.

Bei aller Verweigerung und allem Ausreizen von Gegensätzlichkeiten (z. B. der Dirigent in Kostüm und Maske – der Chor in Freizeitkleidung) muss es logischerweise aber doch eine Ordnung geben. Doch das Festlegen dieser Ordnung hat Hespos dem Dirigenten (Johannes Harneit) und der Regisseurin (Anna Viebrock) überlassen und einem sogenannten Score Manager (Kai-Ivo Nowack).



Vergrößerung Gleich wird er (Oliver Zwarg) sie (Michaela Schneider)
an den Füßen von der Bühne ziehen.

Auch das Publikum, wird mehr als sonst für sein Erlebnis, den Umgang, die Assoziationen selbstverantwortlich gemacht. Symbolisch bekommt es daher auch kein Programmheft in die Hand, sondern eine lose Blättersammlung. Wir basteln uns eine Oper - jeder für sich seine eigene.

Spannend erscheint die Spirale der Verweigerung. Hespos verweigert zunächst die Sprache und verweigert dann wiederum diese Verweigerung und lässt doch wieder Sätze sprechen, Genau einen auf Deutsch, und einige (auch mal derb sexuelle) Beschimpfungen auf Englisch. Mit einer der letztgenannten wird auch der Dirigent verjagt, ohne den die Oper dann trotzdem zu Ende geht. Zwischendurch gibt es auch einmal eine Dirigentin und einen Dirigenten zur gleichen Zeit und einen Abbruch der Oper – als Schluß in der Mitte? Alles ist irgendwie, aber auch wieder ganz anders. Auch das Nichtvorhandensein einer Handlung wird gebrochen, in dem kurze Szenen durchaus eine Minihandlung erkennen lassen. Es entsteht der Eindruck, das Hespos die Quadratur des Kreises versucht – und das möglichst auch noch im Dreieck.



Vergrößerung Spieglein, Spieglein...



Vergrößerung – oder auch kein Spieglein.

Regisseurin, Bühnen- und Kostümbildnerin Anna Viebrock stellt einen Einheitsraum auf die Bühne, der an einen etwas heruntergekommenen Probensaal mit einem riesigen Spiegel erinnert. Doch der Spiegel ist kein Spiegel, sondern ein Durchbruch in einen anderen, identischen Saal, in dem sich (fast) alles „spiegelt“, das heißt gleiche Requisiten an gleichen Stellen stehen und Personen parallel auftreten. Das wird ausgiebig ausgeschlachtet, durch Gegensätzlichkeiten gebrochen und erinnert an ähnliche Szenen in alten Stummfilmen. Bösartigerweise könnte man es als Klamauk sehen, der das Publikum bei Laune hält. Denn die akustischen Angebote werden schnell öde, langweilig und eintönig. Die große Soloszene für Sopran und eine ähnliche für Männerstimme am Ende zeigen eine spannende Vielfältigkeit auf der Opernbühne nie gehörter Töne und Intervalle. Doch da ist die Konzentration des Publikums schon arg strapaziert und die Bereitschaft sich einzulassen eher geringer geworden.



Vergrößerung Schlussgeräusche in assoziationsreicher Stellung
am Rande des Lächerlichen (Valentine).

Das Türenschlagen ausreißender Besucher wird vorweggenommen und ist für den Zeitraum „komponiert“ in dem das Publikum seine Plätze einnimmt. Choristen sind an den Türen platziert und übernehmen dies. Einige Besucher nehmen dieses Motiv im Laufe der Aufführung hörbar auf. Doch zunächst lässt sich das Publikum neugierig, konzentriert und geduldig auf das Neugetön ein. Erste Fluchten beobachtet man erst nach einer Stunde. Zweimal regen sich lautstarke Proteste im Publikum. „So'n Mist!“ „Das ist langweilig!“ „Aufhören!“, „Geld zurück!“, „Geht das noch lange?“, „Is ja gut!“. Eine ganze Reihe ironisch-bissiger Bemerkungen sind auch zwischendurch immer wieder laut oder halblaut vernehmbar und sorgen für Heiterkeit, finden aber auch immer mehr Zustimmung. Doch die Proteste werden vom interessierten Teil des Publikums niedergerufen. Viel Applaus spendete man am Ende einträchtig den Musikern bevor der Kampf der „Buh“ – und „Bravo“ Stürme für den Komponisten losschlug. Der quittierte das mit freundlichem Lächeln.


FAZIT

In diesem Werk steckt alles und nichts. Und zwar erklärtermaßen und beabsichtigt. Die möglichst weitgehende Verweigerungshaltung driftet in Beliebigkeit ab, streift immer wieder die Grenze zur Lächerlichkeit und überschreitet sie oft genug. Wenige akustisch spannende Momente stehen vielen langweiligen Passagen gegenüber. Die akustische Grundidee erscheint mir als ein spannender und interessanter Ansatz für einen Workshop. In der Uraufführung dieser „großen oper“ kam ich mir aber doch vor wie im Märchen – im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Johannes Harneit

Regie, Bühne und Kostüme
Anna Viebrock

Dramaturgie
Dominica Volkert
Malte Ubenauf

Chor
Johannes Mikkelsen

Score Manager
Kai-Ivo Nowack



Chor der
Staatsoper Hannover

Staatsorchester Hannover


Solisten

Sopran 1
Yuko Kakuta

Sopran 2
Francesca Scaini

Sopran 3
Michaela Schneider

Tenor
Christoph Homberger

Bariton, tiefer Bass, Hoher Tenor
Graham F. Valentine

Basso Cantante
Oliver Zwarg


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Niedersächsischen
Staatstheater Hannover

(Homepage)




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