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Musiktheater
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Tosca

Melodramma in drei Akten
Musik von Giacomo Puccini
Text von Giuseppe Giocosa und Luigi Illica
Nach dem Drama La Tosca von Victorien Sardou

Aufführungsdauer: ca. 2h 15' (eine Pause)

Premiere im Großen Haus des Musiktheaters im Revier Gelsenkirchen
am 4. Juni 2005


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Musiktheater im Revier
(Homepage)

Über die Banalität des Bösen

Von Peter Bilsing / Fotos von Rudolf Majer-Finkes


„Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann?"
"Und wenn er kommt ?"
" – Dann laufen wir.“

Wir sitzen vor einem geschlossenen samtroten Bühnenvorhang, davor rechts Kinosessel – in einem räkelt sich, kleidungsmäßig eingeschätzt, wohl die „Regimentstochter“ aus der gleichnamigen Oper. Madame wirkt nicht unbedingt glücklich. Ungeduldig, zickig und manieriert zeuselt sie an ihrem Hut 'rum oder zupft am Haaransatz; Gestus von jemanden, der auf den Bus wartet. Es könnte aber auch sein, dass sie im Kino sitzt und gelangweilt von der vielen Werbung endlich den Hauptfilm herbeisehnt. Interessanter Anfang. Wir grübeln. Die Regie stellt wohl Denksportaufgaben, wie weiland Ruth Berghaus.

Doch es klingt nun gar nicht nach Donizetti, was da aus dem Orchestergraben dröhnt und säuselt. Die Musik hat entfernte Ähnlichkeit mit Puccinis Oper Tosca. Mein Nachbar schaut mich irritiert an „Tosca?“ Ich nicke und murmele „Vermutlich!“ – „Wahrscheinlichkeit?“ – „80 Prozent!“ - „O.k. Danke. Aber die Tosca tauchte früher doch immer erst in der zweiten Szene auf?“ – „moderne Inszenierung!“ – „Aha.“

Vergrößerung in neuem Fenster 1.Akt: Tosca ( Noriko Ogawa-Yatake), Cavaradossi (Pieter Roux

„Sag wer mag das Männlein sein....?“ Geht mir durch den Kopf, als jemand verwundert durch den roten Vorhang äugelt – als wolle er nachsehen, ob auch alle Zuschauer schon da sind. „Angelotti!“ haucht mein Nebenmann; dann geht der Vorhang auf.

Bunt bemaltes Kirchenambiente – doch irgendwie stimmt die Perspektive nicht, denn die Rundgemälde der Decke zieren die Seitenwände und umgekehrt. Wir sehen eine kitschige Madonna, mit elektrischer Miniglühbirnchen-Monstranz; sie umfängt ein rot leuchtendes Kirmesherz. Fröhlich baumeln zwei Glockenseile, im Zentrum ein Beichtstuhl, Malerutensilien und das obligate Restauratoren-Gerüst. Waberlohe umnebelt die sonstige Bühnendüsternis (Bühne: Hermann Feuchter). Weihrauch, oder sind wir schon im Hades ?

„Recondita armonia.” Geheimnisvolle Harmonie. Wie wahr und wirklich nachvollziehbar. Da passt die Arie unseres Mario Cavaradossi (Pieter Roux). Bereitet die Interpretation des holländischen Tenors uns keine Freude, so haben wir doch Spaß an der Darstellung des Mesner, der sich permanent am Allerwertesten bzw. anderen Körperteilen kratzen und schrubbeln muss. Was will uns wohl die Regisseurin damit sagen? Richtig: „Der Mann hat Läuse!“

Im Orchestergraben bemüht man sich derweil weiter um Puccini.

„Mario, Mario, Mario!“ Die Kinobesucherin hat sich vom Sitz erhoben und greift ins Geschehen ein – Erleichterung beim Publikum. Werktreu verläuft die Story von nun an bis zum Ende des zweiten Aktes. Die Stimmung im Publikum steigt, umgekehrt proportional zur gesanglich musikalischen Qualität, die sinkt. Gipfel des musikalischen Grauens ist das „Te Deum“, wo musikalisch fast keiner mehr durch- und zusammenkommt, obwohl sich Dirigent Johannes Wildner sehr bemüht.

Der zweite Akt schließt nahtlos (ohne Pause) an. Bühnentechnisch bravourös gelöst, wenn auch inhaltlich nicht unbedingt logisch, indem die Bühne einfach hochfährt, um auf der düsteren Unterbühne den schlichten Verhörraum sichtbar werden zu lassen. Hier sind wir dann mal dicht bei Puccini, und die Produktion gewinnt an Spannung.

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2.Akt: Scarpia (Jee-Hyun Kim), Tosca (Noriko Ogawa-Yatake)

Jee-Hyun Kim ist ein finsterbackener Scarpia im schwarzen Faschistenlook der Mussolini-Schergen (natürlich mit langem Ledermantel!). Ja, so sehen echte Bösewichter aus, wie in billigen US-Filmen, frisch aus dem Bilderbuch der Banalität. Der klassische „schwarze Mann“ als Kinderschreck. Dem gegenüber wirken seine zwei Handlanger Spoletta (Georg Hansen) und Sciarrone (Charles Moulton) eher unfreiwillig komisch wie Hampelmänner aus dem Kasperltheater bzw. frisch in den Geheimdienst beförderte Keystone Cops der Stummfilmzeit – digital remastered.

Die Folterer sind ganz üble Figuren (daher auch im Programmheft unbenannt); bekreuzigen sich noch bevor es zur Sache geht. Wie sich dann herausstellt, haben sie dem armen Mario nicht nur die Dornenschrauben aufgesetzt, sondern in der Kürze der Zeit auch noch die Künstlerhand (wie in alten Django-Filmen) zerschmettert – wie gemein! Um die Nerven des Publikums zu schonen, wurde die Hand aber doch noch schnell verbunden, wobei logischerweise das Verbandsmaterial für den blutigen Kopf nicht mehr reichte – wir sind trotzdem schockiert. Vielleicht sollte der Kritiker nicht so kleinkariert dem Realismus frönen?

Während nun Floria Tosca (Noriko Ogawa-Yatake) recht bemüht das berühmte „Vissi d´arte...“ haucht, widersetzt sich das Orchester weiterhin dem Schönen. Es klingt auch im 2.Akt unschön, ungeprobt und grobschlächtig. Zwar versucht Johannes Wildner sein Bestes, indem er den lyrischen Passagen geradezu allegrettohafte Betonung verordnet, doch die Neue Philharmonie Westfalen hat einen rabenschwarzen Tag.

„Schön dirigiert er. Keiner folgt !“ Ein Orchesterklang bar jedes „Italianita“ – kein Schmelz, kein Herz, keine Tragik ....null Sentiment, dafür diverse Spiel- und Einsatzfehler.

Vergrößerung in neuem Fenster 3.Akt: "Wahnsinnsszene" Scarpia-Zombie (rechts, Jee-Hyun Kim), Tosca (Noriko Ogawa-Yatake) Cavaradossi (Pieter Roux)

Endlich Pause (nach dem 2. Akt !) Langsam verlässt uns die Hoffnung, ob die Sterne in den restlichen knapp 25 Minuten noch leuchten werden.

Ähnliches dachte sich wohl auch Intendant Peter Theiler, der dann Herrn Roux unter anteilnehmenden Beifall des Publikums für indisponiert erklärt, wegen „Nachwirkungen einer vorangegangenen schweren Bronchitis. Er hat wohl noch Reste von Schleim im Hals.“ Scheinbar derselbe Schleim, der unsere Blechbläser zum Auftakt des dritten Aktes von 5 Noten gleich 3 versaubeuteln lässt. Influenza Philharmonica Westfalia.

Wieso ist eigentlich noch die kleinste Nebenrolle doppelt besetzt und für die Hauptrolle gibt es keinen Cover ? Das ist mehr als peinlich, Herr Generalintendant.

Der dritte Akt ist nichts für schwache Nerven. Hic et nunc dominiert das absolute Grauen; szenisch, sängerisch, musikalisch und regie-einfalls – besser ausfallsmäßig. Wir erleben eine opernhafte Bankrotterklärung in Form verquasten pseudointellektueller Schabernacks. Unsinn hoch drei.

„Selige Öde auf wonniger Höh.“ Die Bühne ist nur noch eine leergeräumte Schräge, die unsäglichen Kinosessel stehen leider immer noch da. Dahinter sitzt doch tatsächlich der eben ermordete Scarpia! Kein Trugbild, auch kein Hirte; Tosca begegnet ihrem ballspielenden Kindheitsbild. Cavaradossi muß sein „Lucevan….” aus einer Bodenklappe singen, und dann wären da noch die Zombies. Kein Scherz! Echte Zombies in Gestalt von finstere SS-Schergen mit einer Scarpia-Maske und 9mm-Walther-PPK ermorden in wilder Knallerei unseren holden Helden. Sic! Irgendwo im Zuschauerraum fällt eine Besucherin in Ohnmacht, und unsere Floria Tosca stirbt in geistiger Umnachtung zwischen den Kinosesseln. Welch Wahnsinn! Irrsinn! Unsinn!

Ende der Oper. Brachialer Jubel beim Gelsenkirchener Premierenpublikum. Kein einziges „Buh“ ist zu hören. Witziges Apercu am Ende: Dirigent Wildner lässt unter rauschendem Beifall die 7 Musiker einzeln aufstehen, die augenscheinlich ihren Puccini korrekt gespielt haben, oder sollte ich da etwas falsch verstanden haben?


FAZIT

Mein streng persönliches Fazit: Abzuraten! Kein Sänger erreichte auch nur annähernd ein Qualitätsniveau, das für die Aufführung einer Puccini-Oper unabdingbar, also „ausreichend“, gewesen wäre. Das Orchester spielt Tosca als Kurkonzert, und die Regisseurin versackte in der Zweitverwertung eines Konzepts, das ihr Mentor Dietrich Hilsdorf an der Deutschen Oper am Rhein (Düsseldorf/Duisburg) entwickelt hat. Schauen Sie sich dann lieber das Original an der Rheinoper an. Diese Tosca-Produktion ist für mich der absolute Tiefpunkt dieser Saison am MiR. Schade.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Johannes Wildner

Inszenierung
Gabriele Rech

Bühne
Hermann Feuchter

Kostüme
Gabriele Heimann

Chor
Nandor Ronay

Dramaturgie
Wiebke Hetmanek



Chor des Musiktheater im Revier

Neue Philharmonie Westfalen


Solisten

Tosca
Noriko Ogawa-Yatake

Mario Cavaradossi
Pieter Roux

Scarpia
Jee-Hyun Kim

Cesare Angelotti
Nicolai Karnolsky

Sagrestano
Joachim Gabriel Maaß

Spoletta
Georg Hansen

Sciarrone
Charles Moulton

Hirt
Lennart Hantke

Kerkermeister
Georg Paderta




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Da capo al Fine

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