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Verklärte Nacht
Ballett von Ralf Dörnen
Musik von Arnold Schönberg


Wie ihr's wollt
Uraufführung
Ballett von Robert North
Musik von Richard Wagner, David Byrne, Einstürzende Neubauten, Michael Jackson, Max Roach u.a.



Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden (1 Pause)

Premiere im Aalto-Theater Essen am 2. April 2005


Logo:  Theater Essen

Theater Essen
(Homepage)
Kunst und Banalität
Von Peter Bilsing / Fotos von Bettina Stöß


Der neue Essener Doppel-Ballettabend ist ein „starkes Stück“; wobei man die umgangssprachliche Zweideutigkeit dieses Begriffs durchaus voll ausloten kann – quod est demonstrandum: Es beginnt wunderbar und endet (im zweiten Ballett !) grauenhaft. Schlechteres habe ich selten gesehen. Doch fangen wir chronologisch mit dem Guten an.

Vergrößerung in neuem Fenster Yulia Tsoi (Solistin) und Tomás Ottych (Solist).

Ralf Dörnen, seit 1997 Ballettdirektor und Chefchoreograph des Ballett Vorpommern in Greifswald/Stralsund, hat bis jetzt 14 Ballette geschaffen und ist einer der vielversprechendsten Talente der deutschen Tanzszene – kein Wunder, arbeitete er doch schon mit solch Größen wie Béjart, Ek, Kylian und von Manen zusammen und hat hier seine positiven Erfahrungen gesammelt. Seine letzte Greifswalder Produktion „MacBeth“ (Januar 2005) wurde nicht nur vom Publikum furios, sondern auch von der Presse überschwänglich gefeiert – ein Riesenerfolg.

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Yulia Tsoi (Solistin) und Tomás Ottych (Solist).

Mit der „Verklärten Nacht“ (UA Dresden 1999) in der späten Streicherfassung von Arnold Schönberg präsentiert uns Dörnen eine Variation des zeitgeschichtlich etwas angestaubten Dehmel Gedichts; den Albtraum einer Frau in einer Zweierbeziehung. Sie ist schwanger durch die Vergewaltigung eines anderen Mannes. Er weiß davon nichts. Ihre innere Zerrissenheit eskaliert. Die sich immer stärker ausbreitende Gefühlskälte wird durch ein geradezu surrealistisches Eis- und Schneefeld bestechend repräsentiert (Bühne/Kostüme: Heinz Winkler) und in kongenialer Lichtregie (Friedewald Degen) stets passend zu Musik und Szene illuminiert.

Vergrößerung in neuem Fenster Ensemble.

Dörnen zeigt uns Menschen, die aufeinander reagieren, teilweise vervielfältig in Vexierbildern. Die Tat wird in posttraumatischen Panikvisionen wiederholt, es werden Gegensätze betont, aber auch wunderbare Bilder der Liebe und des Geborgenseins assoziiert, wobei sich die Choreographie fabelhaft in den großen Bögen der Musik bewegt bis hin zum Finale, das in betörend sinnlicher Harmonie endet, wo man fast über dem Eis wieder in trauter Zweisamkeit entschwebt. Hier sind wir wieder ganz dicht bei Dehmel:

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Yulia Tsoi (Solistin) und Tomás Ottych (Solist).


„Du hast den Glanz in mich gebracht
Du hast mich selbst zum Kind gemacht.
Er faßt sie um die starken Hüften,
ihr Atem küßt sich in den Lüften.
Zwei Menschen gehen durch hohe, helle Nacht.“


Welch ein wundervolles Ballett das ans Herz geht. – Berechtigter Jubel im Publikum, das nicht nur die geradezu fabulösen Solisten Yulia Tsoi & Tomas Ottych hinreißend würdigt, sondern auch den Rest des Ensembles zurecht bravoiert. Die Essener können wirklich stolz sein auf ein solch hochwertiges Tanz-Ensemble.




Dem Ying-Yang Prinzip folgend, kommt nach Licht immer Schatten. Hier dräut der Schatten in Form einer kitschigen, alle Clichées bedienenden, ballettösen Family-Soap, die Robert North (wie verlautet einer der gefragtesten Choreographen der Gegenwart) als discophiles-Hupfdohlen-Geplänkel in Szene setzt. Zeitgeist pur !

Vergrößerung in neuem Fenster Mario Perricone/Gast (Vater)
und Alicia Olleta (Mutter).

Der Titel „Wie Ihr´ s wollt“ könnte ironisch gedacht sein, erweist sich aber im Verlauf der Choreographie als geradezu kindisch subsumiertes amerikanisches Familienbild mit Schmalspurironie. Nun braucht man eigentlich die typisch amerikanische Kleinbürger-Familie kaum zu glossieren, den sie entbehrt nicht jenes gerüttelt Maßes an Realsatire, welches in Filmen, wie „Brady-Family“ noch glossierend, aber schon in „Married with children“ (Eine schrecklich nette Familie) mit bösartigem Sarkasmus ironisiert wird - intelligente Aspekte, die sich leider, auch nicht marginal, in North´ s Machwerk finden lassen.

Da reiht sich wirklich Clichée an Clichée und bedient schamlos den Geschmack des Zeitgeistes a la RTL, SAT und Co; wie auch immer die privatkommerziellen Anstalten heißen, bei denen das Programm nur die Schleimspur zwischen den Werbeblöcken ist.

Vergrößerung in neuem Fenster

Mario Perricone/Gast (Vater),
Ludmila Nikitenko (Tochter),
Tomás Ottych (Sohn) und
Alicia Olleta (Mutter).

North´ s harm- und hirnlose Big-Brother-Family sieht so aus: Vater überarbeitet, Mutter in der Midlife-Crisis, Opa senil, Schule ist scheiße, Tochter schwanger, Sohn nimmt Drogen – doch alles ist letztlich immer noch ein wahnsinniges „happy-go-lucky“ (!) – denn wir sind ja alle so easy, real goodfellows und super-cool drauf. Geile Party, Alter !

Vergrößerung in neuem Fenster Ludmila Nikitenko (Tochter).

Und wie es in einer richtigen amerikanischen Familie eigentlich keine Probleme gibt, so zeigt North auch hier nur die chemisch reine Lösung: weichgespült ist der Zukünftige - kein drogendealender Schwarzer, sondern ein zuckersüßes Schwiegermutterideal a la David Haselhoff - und auch die frühkindliche Schwangerschaft muß natürlich im Kreise Gleichgesinnter geradezu „bärenstark“ und „hipp“ enden; Hauptsache man hat einen schönen Kinderwagen - echt smooth, wie die anderen Girlies.

Daß North dabei auch noch die dämlichsten Otto-Witze (Herauswerfen von Schnullern aus Kinderwagen & Baby = Erwachsener...hahaha !) zitiert ist mehr als ein Armutszeugnis humoristischer Einfalt.

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Cleiton Diomkinas (Teufel).

Ach so da, da war ja auch noch was wirklich Kritisches ! Da kriecht doch ein wahrhafter Teufel in Menschengestalt – na woraus wohl ? – ja ei der daus (Überraschung !) ausgerechnet aus dem Fernseher der Family (Sic !) und bringt (North wörtlich) „das Übel in die Welt. Er verkörpert gefährliche Verführungen, denen wir täglich ausgesetzt sind.“ Über soviel Kritik sind wir platt. Donnerwetter ! Noch Fragen ?

Ist dies üble Machwerk nicht schon schlimm genug anzusehen, so setzt der „gefragteste Choreograph der Gegenwart“ mit der Musikauswahl noch einen drauf. Lassen wir den „Fliegenden Holländer“ als Auftakt noch gelten, es hätte ja auch die Zarathustra-Fanfare sein können. Ein bißchen Bach, Sibelius und die Talking Heads sind im Kaleidoskop dieser Beliebigkeiten auch noch zu verkraften, aber bei der Musik des „Kinderschänder“ Jackson hört im April 2005 der Spaß auf. Die Verbannung des „pädophilen“ Michael J. aus allen Rundfunk & Fernsehsendern hat sich wohl bis Essen noch nicht herumgesprochen. Den Rest geben uns die vervtötenden Techno-Geräusche & das stimmliche Gesäusel der „Einstürzenden Neubauten“. Das grenzt dann schon an Körperverletzung und hat den Gusto musikalischer Umweltverschmutzung. Das die Jungs „mega-out“ sind – wie mir meine Kinder bestätigten – hat sich bis Essen wohl auch noch nicht rumgesprochen.

Noch eine Anmerkung: Wenn dem Regieteam die Texte – die eigentlich keiner aus dem Gekreische identifizieren kann – wichtig sind (man druckt immerhin die Übersetzung im Programmheft ab), warum dann keine Übertitel ? Vielleicht sollte das auch besser keiner lesen:

„Ich sehe nichts, was ich nicht trinken kann.......ich beiß mir in die Zunge und trinke was ich kann.........die reine Leere abgeworfen offenbar, nichts als Licht im Null Komma nichts........leere Menge ohne Elemente, alle Elemente in Aufruhr bringen.......solange meine Mitte noch leuchtet, weil meine Mitte noch leuchtet, weil meine Mitte noch ungefragt leuchtet............ich bin´ s (29 mal wiederholt !)....nihil (16 mal wiederholt !)...nothing (10 mal wiederholt !)..............leer (15 mal wiederholt !).“
Originaltext Blixa Bargeld & E.N.

Oder könnte es ein, daß man solch „hochgeistige“ Diarroeh nur ab 2,8 Promille oder im Drogenjargon gesprochen „completely stoned“ wahrnimmt und versteht ?

Sollte diese Produktion (was ja auch denkbar wäre) vielleicht als Jugendtheater angedacht gewesen sein, so wäre das eigentlich noch schlimmer, da man hier nicht nur die Manifestierung der Mittelmäßigkeit und des Zeitgeistes der Oberflächlichkeit betreibt, sondern auch noch dümmlichste TV-Clichées goutiert und verstärkt. Big-Brother auf der Theater-Bühne wäre ein verantwortungsloser Bärendienst an unserer Jugend.

Toll und farbenprächtig phantasievoll sind die Kostüme von Patricia Toffolutti und ungeachtet des Inhalts, wird - wie immer – von den ganzen Compagnie exzellent getanzt. Was die Solisten leisten – pars pro toto: Alicia Olleta (Mutter), Thomas Ottych (Sohn) und der überragende Cleiton Diomkinas (Teufel) – ist schon ungeheuerlich, wenngleich ich mir gewünscht hätte, das dies auf Basis besserer und anspruchsvollerer U-Musik (wenn es denn sein muß) geschieht. Beispiele ? Vorschläge ? Gern ! Voila:

Pink Floyds „Atom Heart Mother“ ist bisher unbearbeitet, „Salesbury“ von Uriah Heep wartet noch ! (Welchen unbezahlbarer PR-Rummel, wenn der alte Ossy Osbourne zur Premiere käme !) Was ist mit Jimmy Hendrix ? Emerson, Lake & Palmer....usw. Da gibt es noch genug gute, große und lange Stücke, die einer Choreographie harren und die wenigstens eines unstrittig eint: QUALITÄT !


FAZIT

Licht & Schatten, präsentiert von einem hochkarätigen Tanz-Ensemble.




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Produktionsteam

Verklärte Nacht

Ballett von Ralf Dörnen
Musik von Arnold Schönberg


Choreographie
Ralf Dörnen

Bühnenbild
Hans Winkler

Kostüme
Hans Winkler


Solisten

Solistin
Yulia Tsoi

Solist
Tomás Ottych



Wie ihr's wollt

Uraufführung
Ballett von Robert North

Musik von
Richard Wagner,
David Byrne,
Einstürzende Neubauten,
Michael Jackson,
Max Roach u.a.


Choreographie
Robert North

Bühnenbild
Manfred Gruber

Kostüme
Patricia Toffolutti



Solisten

Vater
Mario Perricone/Gast

Mutter
Alicia Olleta

Tochter
Ludmila Nikitenko

Sohn
Tomás Ottych

Teufel
Cleiton Diomkinas






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Theater Essen (Homepage)




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