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Alle an einen Tisch!
Von Stefan Schmöe / Fotos von Thilo Beu Dietrich Hilsdorf hat mit seinen Verdi-Inszenierungen Essener Theatergeschichte geschrieben: In Aida hat er den Triumpfmarsch zum zynischen Defilee der Kriegsversehrten umgedeutet, in Don Carlo für die Verbrennungsszene das Aalto-Theater kurzerhand zum Stadion umfunktioniert und im Trovatore Orgien im Kirchenraum veranstaltet, dass christdemokratische Lokalpolitiker die Inszenierung am liebsten auf den Index gesetzt hätten. Inszenierungen, über die man sich kräftig, aber produktiv ärgern konnte und die zur Pause soweit Hilsdorf sein Publikum überhaupt in Ruhe in die Pause entließ und nicht auch dort seine Handlanger unters Volk mischte für heftigsten Gesprächsstoff sorgten. Hilsdorf-Inszenierungen spielten sich nie nur auf der Bühne ab, sondern rissen das ganze Theater in ihren Sog, spalteten das Publikum in zwei Lager. Lang ist's her. Denn wenn man sich Hilsdorfs aktuelle Verdi-Inszenierung, den Falstaff ansieht, kommen nicht nur Hilsdorf-Fans zu dem Schluss: Das einstige enfant terrible der Essener Opernszene ist handzahm geworden. Das eine Ende des langen Tisches: Falstaff (sitzend) traktiert den Dottore Cajus (am Boden), Pistola (stehend) schaut zu.
Klangbeispiel:
"Quand'er paggio del Duca di Norfolk" (2.Akt / 4.Bild): Marco Chingari (Falstaff)
Nun hat Hilsdorf sein Handwerk und neben seinen provokativen Ansätzen war es seit je auch die handwerkliche Genauigkeit, die exakte Personenführung, die den Erfolg seiner Inszenierungen ausmachten nicht verlernt. Auch dieser Falstaff ist sorgfältig durchgearbeitet, jede Geste kreuzsolide geplant und einstudiert. Die Bühne ist zweigeteilt: Links eine schäbige Kellerkneipe, rechts ein herrschaftlicher Landsitz; ein langer Tisch verbindet beide Räume. Das Bühnenbild von Johannes Leiacker funktioniert; es schafft genügend Atmosphäre, die Komödie halbwegs naturalistisch durchzuspielen, aber sorgt ebenso für die erforderliche verfremdende Distanz. Wie in einem Tennismatch spielen sich Falstaff auf der linken, Alice Ford und ihre Damenriege auf der rechten Seite die Bälle zu. Die Sorte Dutzendmensch mag mich verlachen und auch noch stolz darauf sein. Doch ohne mich fehlte es ihr bei allem Hochmut an jedem Körnchen Salz resümiert der genarrte Falstaff im letzten Bild, und das ist ein Grundgedanke der Inszenierung: Wie auf einer genau austarierten Waage sitzen die Figuren bei Hilsdorf und Leiacker an ihrem langen Tisch, brauchen einander, um nicht herunter zu fallen. Sie ziehen sich an und stoßen sich gleichzeitig ab. Das andere Ende des langen Tisches: Die Besserverdienenden beraten, wie sie mit falstaff fertig werden - von links: Meg Page, Alice Ford, Nanetta (sitzend), Ford und Cajus.
Übertragen gilt dies auch für die unterschiedlichen sozialen Schichten, die hier aufeinander prallen. Sie brauchen sich gegenseitig wie ein Spiegelbild, und am Ende fällt jeder über jeden her: In der Schlacht am kalten Buffet sind alle gleich. Das alles ist klug gedacht und gut umgesetzt, aber es fehlt der alte Hilsdorfsche Überraschungs-Knalleffekt bei diesem Falstaff ist alles vorhersehbar. Szenen wie der Schluss des zweiten Aktes, wo die Herren Jagd auf Falstaff machen, oder das Finale mit Feenspuk hat Hilsdorf in vergleichbaren andern Stücken ungleich bedrohlicher, zielsicherer inszeniert. Und selbst die Schlusspointe (über die hier nichts verraten werden soll) bleibt diesmal recht matt. Es ist wie ein Fußballspiel, bei dem man Taktik und Technik bewundert, aber die Strafraumszenen vermisst. Menschenjagd mit unerwartetem Ausgang: Vor dem Paravent flirten Fenton und Nanetta
Klangbeispiel:
"Labbra leggiadre" (1.Akt / 2.Bild): Andreas Hermann (Fenton), Olatz Saitua-Iribar (Nanetta)
Auch die komischen Momente kommen in dieser Premiere etwas kurz. Zu sehr ist das Ensemble damit beschäftigt, auf den Dirigenten zu schauen. Auch müsste aus dem Orchestergraben mehr Witz kommen, aber hier gilt das Gleiche: Der Interpretation von Stefan Soltesz fehlt (noch) die Leichtigkeit und die Souveränität, auf deren Basis sich die Ironie der Musik entfalten könnte. Soltesz muss an vielen Stellen zunächst darum kämpfen, die komplexen Ensembles zusammenzuhalten (und doch klappert vieles, fehlt oft die letzte Präzision). Er setzt die Partitur aus vielen kleinen, oft orchestral wunderbar geschliffenen Bausteinen zusammen, die aber unverbunden nebeneinander stehen bleiben. Die Hintergründigkeit der Partitur, in der Verdi jede Phrase gleich wieder infrage stellt, geht verloren. Dadurch wirken viele an sich schön gespielte Passagen konstruiert, ohne Zusammenhang. Überzeugender als die ersten beiden Akte gelingt das letzte Bild mit der sehr viel lyrischeren Feenmusik: Hier darf Soltesz die große Linie ausspielen, und das behagt ihm offenbar mehr als die kleingliedrige Musik der anderen Teile. Feenzauber in der Kneipe: Ensemble
Durchwachsen sind die sängerischen Leistungen. Marco Chingari ist ein gutmütiger Falstaff von recht konventionellem Zuschnitt; sehr souverän und beweglich in den Buffo-Momenten, aber wenn er eine lyrische Phrase aussingen muss, fehlt es der Stimme an Sonorität und in der Höhe auch an Substanz. Damit verschiebt sich der Schwerpunkt der Rolle (zu) sehr auf die rein komödiantische Ebene. Marcella Orsatti Talamanca ist attraktive, stimmlich eher leicht besetzte Mrs. Ford, die ihre Rolle gut ausfüllt. Ihre Tochter Nanetta ist mit Olatz Saitua-Iribar, ebenfalls hübsch anzusehen, eindeutig zu soubrettenhaft besetzt: Die dünne Stimme wird von einem recht mechanischen Vibrato getragen und mischt sich denkbar schlecht mit dem duftigen Holzbläserklang, mit dem Verdi diese lyrische Partie umgibt. Mit Andreas Hermann als Fenton hat sie einen Liebhaber mit weichem, elegantem und schön geführtem Tenor. Károly Szilágyi als Ford und Ildiko Szönyi als Miss Quickley sind zwei alte Haudegen des Aalto-Theaters, die Erfahrung und Bühnenpräsenz ausspielen können. Unauffällig bleibt Marie-Helen Joël als zurückhaltende Meg Page. Rainer Maria Röhr ist ein noch jugendlicher Dr. Cajus, Albrecht Kludszuweit (Bardolfo) und Diogenes Randes (Pistola) sind ein ordentliches Dienerpaar. Und natürlich auch Feenzauber im Salon der Fords: Hier wird Falstaff (sitzend) traktiert.
Klangbeispiel:
"Tutti gabbati" (Schlussfuge), (3.Akt / 6.Bild): Ensemble
In den Ensembles haben die Sänger noch nicht recht zueinander gefunden: Rhythmische Ungenauigkeiten sind da ebenso zu beheben wie eine Angleichung der Stimmen. Hier muss sich - so schwierig die Partitur auch sein mag - die Leichtigkeit einstellen, die diese Musik benötigt, um sich zu entfalten. Zur Premiere ist dieser Falstaff bestenfalls ein noch unfertig geschliffener Rohdiamant. Aber selbst wenn man ihn weiter bearbeitet: Ein bisschen Wehmut bleibt doch, wenn man an die ungleich aufregenderen alten Hilsdorf-Inszenierungen denkt.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Choreinstudierung
Dramaturgie
Licht
SolistenSir John FalstaffMarco Chingari
Bardolfo
Pistola
Ford
Alice Ford
Nannetta
Miss Quickly
Meg Page
Fenton
Dr. Cajus
Wirt
Butler
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