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Musiktheater
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Elektra
Tragödie in einem Aufzug
Musik von Richard Strauss
Text von Hugo von Hofmannsthal nach Sophokles


In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 50' (keine Pause)

Premiere im Theater Duisburg am 4. Dezember 2004

Besuchte Vorstellung: 11. Dezember 2004


Homepage

Deutsche Oper am Rhein
(Homepage)
Familiendrama ohne echten Tiefgang

Von Thomas Tillmann / Fotos von Eduard Straub

Natürlich ist ein riesiges, überwiegend in kühlem Weiß gehaltenes Schlafzimmer, das auf dem Kopf steht, ein Hingucker, mit seinen im Boden inmitten von Sandbergen installierten Lichtern, was einige interessante Effekte möglich macht (Light Design: Franz Peter David von der Berliner Staatsoper). Man betrachtet fasziniert Agamemnons Privatgemach, in dem Elektra sich eingenistet hat und das zum Ausdruck ihrer zerrütteten, nur auf den idealisierten Vater und die zum einzigen Lebensinhalt gewordene Rache fixierten Existenz geworden ist: Es ist ein Ort der Aggression, der Gewalt und der (Gefühls-)Kälte (dies unterstreicht auch der wahrlich nicht neue Einfall, hinter der ausladenden Fensterfront zur Terrasse hin einen meistens schwarz-weiß ausgeleuchteten Wald voller entlaubter Bäume zu zeigen), in dem neurotische Familienmitglieder in hässlichen Kostümen von Sabine Böing aufeinander treffen (für Chrysothemis gibt es einen Unterrock, eine gelbe Trainingsjacke, heruntergelassene Seidenstrümpfe und Anti-Rutsch-Socken, Klytämnestra trägt einen wirklich grauenvollen lilafarbenen Wollmantel mit Zottelfransen und die blondierten Haare streng nach hinten gegelt wie Hella von Sinnen, Aegisth, der seinen Alkohol nicht nur in großen Zügen trinkt, sondern ihn sich auch über den Körper fließen lässt, eine Jogginghose in orange und freien Oberkörper).

Vergrößerung

"Allein, weh, ganz allein" - Elektra (Eva Marton) hockt
allein im Bühnenbild von Johannes Schütz.

Die interessanten Ansätze und Ideen dieser Neuinszenierung halten sich indes in Grenzen (Elektra vergräbt am Ende beispielsweise statt zu tanzen die Springerstiefel des Vaters, die sie nun ebenso wie sein Foto nicht mehr braucht, Orest stößt Chrysothemis weg und verlässt den Ort des Schreckens, in dessen Zentrum Elektra nicht entseelt zusammenstürzt, sondern emotionslos stehen bleibt), die wenig sinnvollen Einfälle (nach Chrysothemis' verzweifelter Artikulation ihres Wunsches nach Nachwuchs werden weiß gekleidete Kinder mit Kronen und Lanzen auf die Bühne geschickt, auch später lungern sie hinten im Zimmer am und unter einem Tisch herum, Klytämnestra brüllt "Ich will hinunter", ohne dass es dieses Unten gibt, Elektra leuchtet Aegisth auf einer hellen Bühne und warnt vor Stufen, die nicht da sind) und überflüssig drastischen Momente (der tote Aegisth hängt aus der riesigen Seitentür ins Bild und verströmt seine letzten Körpersäfte überreichlich auf die Bühne, Orest trägt die getötete Mutter über die Bühne) dankenswerterweise auch. Schwerer wiegt der szenische Leerlauf, der diesen Abend dominiert, die Banalität der meisten Bilder, die wenig einfallsreiche Personenführung, die nie so aufwändig ausfällt, dass die Protagonistinnen den festen Blick aufs Dirigentenpult oder die Monitore hätten aufgeben müssen, eine Erzählweise, die ein Berührtsein durch die Ereignisse auf der Bühne kaum je zulässt.

Vergrößerung Elektra (Eva Marton) denkt an nichts anderes als an den
ermordeten Vater, in dessen Mantel sie sich gehüllt hat.

Der einsame Buhrufer, der sich direkt nach Verklingen des letzten Tones zu Wort meldete, verstummte auch dann nicht, als Eva Marton ihren ersten Soloapplaus entgegennahm, und brachte damit zum Ausdruck, dass er bemerkt hatte, dass längst nicht alles Gold war an der insgesamt natürlich noch immer beeindruckenden Leistung des Gaststars, dessen Engagement dem Vernehmen nach der Gatte der durch ihre Charity-Aktivitäten für Kinder in Entwicklungsländern über Düsseldorfs Grenzen bekannten Ute Ohoven durch eine großzügige Spende möglich gemacht hatte. Die Ungarin hat die Elektra seit 1989 an vielen wichtigen Bühnen gesungen (nach Angaben ihrer nicht ganz aktuellen Homepage wohl zuletzt im November 2003 in Hamburg), und vor allem in ihrem Gesicht konnte man die tiefe Durchdringung des wunderbaren Hofmannsthalschen Textes erkennen, wenn man weit genug vorne saß, nicht aber an den vielen pauschalen, raumgreifenden Rudergesten und ihrem daueraggressiven Gebaren, wobei ihr die zornigen und die zynisch-spöttischen Anteile der Figur am besten liegen. Ansonsten stampft sie in ihrem schwarzen Ulla-Popken-Outfit (mit zu elegantem Schal), mit dezentem Make-up und locker geföntem Haar in attraktiven Rot- und Brauntönen über die Bühne, hüllt sich in entscheidenden Momenten in Agamemnons Kriegsmantel (das hat man in der Frankfurter Elektra, die ingesamt spannender und aktueller war, zu Beginn der Spielzeit zwingender gesehen) und streift dessen Kampfstiefel über, sie beklebt die Wände mit Kopien seines Konterfeis, sie bedient sich beim Auftritt der Schwester wenig damenhaft aus dem Henkelmann, den ihr eine der Mägde gereicht hat, sie lümmelt sich in einen Sessel, sie macht die Lampenschirme sauber wie eine der Mägde - und sie lässt mich die längste Zeit des Abends damit ausgesprochen kalt. Hinsichtlich ihrer gesanglichen Leistung schließe ich mich Jens Malte Fischer an, der sich in seinem Buch Große Stimmen vor zehn Jahren höflich wie folgt äußerte: "Eva Martons Stimme imponiert mehr durch Breite und Fülle als durch Konzentriertheit des Klanges; verführt durch das für heutige Verhältnisse exzeptionelle Volumen ihres Soprans, neigt sie eher zu einem pauschalen Singen der großräumigen vokalen Geste". Sicher, ein paar wirkungsvolle Piani gab es schon (nicht jedoch in den höher gelegenen Passagen etwa der Orest-Szene!), das Vibrato, von dem man gehört hatte, hielt sich auch in vertretbaren Grenzen und war keinesfalls zu vergleichen mit dem unschönen Geräusch, das die in diesem Fach zu meinem Unverständnis so gefragte Luana De Vol produziert, aber auf vokale Nuancen wartete man vergeblich, die meisten Töne gerieten in erster Linie laut und oberhalb des Systems gern auch ein wenig zu tief, die Textgestaltung plakativ und nicht fehlerfrei, man hörte auch ein paar matte Töne in der unteren Mittellage und Sprechgesang in Passagen, die Kolleginnen ohne Einbußen hinsichtlich der Expressivität zu singen wussten. Nicht verschwiegen werden soll, dass die Sopranistin einige Male hustete, sich räusperte und schnäuzte, was darauf hinweisen könnte, dass sie sich nicht ganz wohl fühlte.

Vergrößerung

Die Schleppträgerin (Keiko Yano, links) und die Vertraute (Tatjana Homova, rechts)
können Klytämnestra (Renée Morloc, Mitte) nicht davon abbringen,
mit ihrer Tochter reden zu wollen.

Eine Offenbarung war für mich dagegen Therese Waldner mit ihrem dunklen, üppigen, mitunter auch herben, ungemein höhensicheren Sopran als energische, intensive Chrysothemis: Endlich hörte man in dieser Partie wieder eine Sängerin, die genug Stimme hat und nicht nur mit glänzenden Spitzentönen reüssieren konnte, und angesichts einer solchen Ausnahmeleistung war ich fast bereit darüber hinwegzuhören, dass ihr gesungenes Deutsch nicht das Beste war. Renée Morloc hat mit der Klytämnestra wieder eine Partie mit der für sie richtigen Tessitura gefunden, gab sich auch mit dem Text Mühe, erlag nicht der Gefahr, darstellerisch allzu sehr zu übertreiben, und war vollem keine abgesungene ehemalige Interpretin des ersten Fachs, sondern eine Frau in den besten Jahren mit intakter Stimme. Über eine solche verfügt auch Stefan Heidemann, dessen Bariton ich nicht so dunkel, markant und klangvoll in Erinnerung hatte. Frank van Aken meldete sich mit einer Partie an der Deutschen Oper am Rhein zurück, die ihn nicht an Leistungsgrenzen führte, Illka Vihavainen brachte sich als sehr solider Pfleger in Erinnerung, der seit der Spielzeit 2003/2004 an der Rheinoper engagierte Jung-Hwan Lee empfahl sich mit seinem stumpfen Tenor nicht für größere Aufgaben als die des jungen Dieners, Nassrin Azarmi steuerte mit unzureichenden Stimmresten wildes, stumpfes Geschrei bei, Cynthia S. Szymkovicz dürfte sich über ihre Gage mehr gefreut haben als der Zuhörer über ihr lautes, schrilles Gekeife als Aufseherin, und auch Keiko Yano und E. Lee Davis, die als Schleppträgerin und alter Diener besetzt waren, sollte man trotz langjähriger Verdienste beibringen, dass es auch im Bereich der Soufflage und der Inspizienz anregende Aufgaben gibt. Wenig Eindruck hinterließen Tatjana Homova, Cornelia Berger, Stephanie Woodling und Anna Gabler. Der gnädige Mantel des Schweigens sei schließlich über Alexandra von der Weths kurzen, ängstlichen Auftritt in der offenbar zu tief liegenden Partie der 5. Magd gelegt, die sich dann auch nicht mehr zum Schlussapplaus auf der Bühne einfand und diese wohl auch meiden sollte, bis sie ihre frühere Form endgültig wiedergefunden hat.

Vergrößerung Elektra (Eva Marton, links) will Chrysothemis (Therese Waldner, rechts)
davon überzeugen, dass sie beide den Tod des Vaters rächen müssen.

Zu erwähnen bleibt der wuchtig-kompakte, farbige Klang der gut disponierten Philharmoniker, denen John Fiore eine in erster Linie kulinarische Sicht des Werkes verordnete, ohne das plastisch und differenziert herauszuarbeiten, was er über die Motive des Werkes weiß, wie seine launige Einführung in die Oper beweist, die unter dem vielsagenden Titel Die John Fiore Show zum Kauf angeboten wird und auch für Fortgeschrittene mit speziellem Interesse und Humor durchaus ein Schmankerl ist. Immerhin war er dem Bühnenpersonal ein verlässlicher, sichere Einsätze gebender Begleiter, was ja auch ein Verdienst ist.


FAZIT

Mit dieser Elektra hat die Rheinoper eine Inszenierung im Repertoire, die niemanden wirklich ärgert, die aber auch nicht auf dem aktuellen Stand dessen ist, was modernes Musiktheater sein kann. Musikalisch indes hat die Produktion ihre Meriten, wobei man sich ängstlich fragt, wer die Titelpartie singen soll, wenn der für fünf Abende engagierte Star nicht mehr zur Verfügung steht (vielleicht die gerade zur Kammersängerin ernannte Linda Watson?). Ob sie den Vergleich mit früheren Tagen aushält, können diejenigen Zuschauer überprüfen, die die gerade bei Orfeo erschienenen Auszüge aus dem Werk kaufen (mit so prominenten Interpretinnen wie Astrid Varnay und Marijke van der Lugt, Jean Madeira und Martha Mödl sowie Hilde Zadek und Enriqueta Tarres als Elektra, Klytämnestra und Chrysothemis und Arnold Quennet am Pult des Düsseldorfer Orchesters), über die der Rezensent gern mehr berichtet hätte, wenn ihm wunschgemäß ein Exemplar der CD zur Verfügung gestellt worden wäre.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
John Fiore

Inszenierung
Stein Winge

Bühne
Johannes Schütz

Kostüme
Sabine Böing

Licht
Franz Peter David

Chor
Christoph Kurig



Chor der
Deutschen Oper am Rhein
Statisterie der
Deutschen Oper am Rhein
Die Duisburger
Philharmoniker


Solisten

Klytämnestra
Renée Morloc

Elektra
Eva Marton

Chrysothemis
Therese Waldner

Aegisth
Frank van Aken

Orest
Stefan Heidemann

Pfleger des Orest
Ilkka Vihavainen

Die Vertraute
Tatjana Homova

Die Schleppträgerin
Keiko Yano

Ein junger Diener
Jung-Hwan Lee

Ein alter Diener
E. Lee Davis

Die Aufseherin
Cynthia S. Szymkovicz

1. Magd
Cornelia Berger

2. Magd
Stephanie Woodling

3. Magd
Nassrin Azarmi

4. Magd
Anna Gabler

5. Magd
Alexandra von der Weth








Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Deutsche Oper am Rhein
(Homepage)



Da capo al Fine

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