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Schaulaufen
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Thomas M. Jauk (Stage Picture Gmbh) Zu Beginn wird eine Leinwand auf die Bühne herab gelassen. Darauf sieht man Wasser, Schwäne, ein Mädchengesicht, oft in Überblendung. Doch die eindrucksvolle Videoinstallation verschwindet schnell; wird zwar später noch eingeblendet, aber ohne eine tragende Rolle einzunehmen. Was so viel versprechend beginnt, entpuppt sich dann schnell als ziemlich konventionelle Deutung von Tschaikowskys Schwanensee: Dortmunds Ballettchef Xin Peng Wang hat die nun über 100 Jahre alte Originalkonzeption von Marius Petipa und Lew Iwanow zwar hier und da aufgepeppt, hält sich mit eigenen (Um-)Deutungen jedoch dezent zurück. Träumerei vor Videoinstallation: Siegfried in banger Erwartung, was in den nächsten zweieinhalb Stunden wohl kommen wird.
Wenn sich der Vorhang öffnet, sieht man eine lässig gekleidete Geburtstagsgesellschaft irgendwann im 20. Jahrhundert, bei der auch Handy und Fotokamera nicht fehlen. Getanzt wird freilich auf Spitze, Gesellschaftstänze sind dezent angedeutet. Man schenkt Kunstgegenstände, und der mondäne Herr Rotbart hat dem eben volljährig gewordenen Siegfried eine Schwanenstatue mitgebracht. Der Handlungsfaden reißt jedoch in allen vier Akten schnell ab und macht einer losen Aneinanderreihung von Einzelnummern Platz, in denen das Dortmunder Ballettensemble seine Qualitäten vorführen kann, eifrig beklatscht und bisweilen auch bejubelt vom Publikum, dem diese Art des Schaulaufens sichtlich Freude bereitet. Elegantes Paar auf der Geburtstagsparty: Siegfrieds Mutter mit ihrem Lover Rotbart
Der erste Akt (Geburtstag) und der dritte Akt (Maskenball) sind in ihrer Buntheit, die im karnevalesk angehauchten dritten Akt ins Grelle tendiert, in erster Linie als Kontrast zu den weißen Akten zwei und vier angelegt, die in einer bläulich-weiß ausgeleuchteten Traumwelt einen Gegenpol zur schnöden Realität bilden. Hier gelingen Xin Peng Wang beeindruckende Bildwirkungen. Er versteht es, das schier riesige corps de ballett effektvoll zu arrangieren. Freilich ist die Choreographie ganz und gar klassisch, Ballett in Reinform also. Nicht sehr glücklich ist dagegen das Bühnenbild mit einem überdimensionierten, arg kitschig geratenen Schwan, dessen aufgerissener Bauch allzu offensichtlich eine Vagina assoziieren lässt. Wenn die kleinen Schwäne da hinaus oder hineintrippeln, fühlt man sich, pardon, unfreiwillig an Woody Allen als Spermie in Was sie schon immer über Sex wissen wollten erinnert. Barbie lässt grüßen: Siegfried träumt sich diesen blondierten Schwan namens Odette herbei.
Doch auch dieser Symbolik hängt Xin Peng Wang nicht sonderlich lange nach. Wichtiger ist ihm auch hier die ästhetische Verknüpfung, die schönen Bilder und die Möglichkeit, die Qualitäten seines Ensembles vorzuführen. Der technische Standard des Dortmunder Balletts ist in der Tat gut und der Ausdruck bei aller Sportlichkeit immer elegant. Die tänzerischen Mittel aber verselbstständigen sich schnell, haben wenig Bezug zur Handlung (soweit man überhaupt von einer solchen, hier ja nur vage angedeuteten sprechen möchte). In den Hauptrollen beeindrucken die Tänzer mehr durch ihr allgemeines Können als durch einen persönlichen Ausdruck. Mark Radjapovs (Siegfried) eindrucksvolle Sprünge wirken austauschbar, nicht künstlerisch zwingend es sei denn, man wollte ein Argument wie Ballett war schon immer so gelten lassen. Bei Monica Fotescu-Uta (Odile / Odette) wird das noch dadurch verstärkt, dass sie mit wasserstoffblonder Perücke auch noch optisch übermäßig typisiert wird und ihr jede individuelle Persönlichkeit genommen wird. Rotbart (Ivica Novakovic) ist durch einen langen schwarzen Mantel und teuflische Haartracht äußerlich dämonisiert, setzt dies tänzerisch aber erst im vierten Akt entsprechend um. Maike Günther (Siegfrieds Mutter), als Gast engagiert, darf im lang geschlitzten Rock ihre unendlich langen Beine zeigen und ist ganz das mondäne Luxusweibchen aber mehr als ein Klischeebild macht die Choreographie nicht aus der Figur. Beim Maskenball bringt diese junge Dame namens Odile unseren Siegfried so durcheinander, dass er seinem Traumbild untreu wird.
Hin und wieder wird so etwas wie ein Interpretationsansatz angedeutet (etwa homoerotische Neigungen bei Siegfried), aber nie wirklich verfolgt. So wird dieser Schwanensee zu einer Mischung aus Tanz-Revue und Leistungsschau. Da passt es, dass die hervorragenden Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung von Günter Wallner präzise und klangschön begleiten aber eben nur begleiten und keine eigenen Akzente setzen. Dem applausfreudigen Premierenpublikum hat's gefallen hat man doch in den weißen Akten das Gefühl, zurück in der guten alten Zeit des Balletts zu sein. Ein wenig mehr persönliche Handschrift und Mut zur eigenen Interpretation dürfte Xin Peng Wang indes zukünftig ruhig wagen. Aber was soll's: Bei so schönen Arrangements kommt es auf die Handlung ohnehin nicht an.
FAZIT Trotz ein paar flotter Kostüme ein rückwärts gerichteter Ansatz: Schwanensee dient hier in erster Linie als Vorwand, die (beachtlichen) Qualitäten des Dortmunder Balletts zu zeigen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Choreographie und Inszenierung
Bühne und Kostüme
Solisten* Besetzung der PremiereOdette / Odile * Monica Fotescu-Uta / Svetlana Tolstopiatova
Siegfried
Rotbart
Mutter
Benno, Siegfrieds Freund
Dino, Siegfrieds Freund
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