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Ausführliche Lehrstunde in deutscher Literatur- und Nachkriegsgeschichte
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Thomas M. Jauk (Stage Picture Gmbh) Im Jahr 1647 treffen in einer kleinen Stadt zwischen Münster und Osnabrück (den beiden Städten, in denen im Folgejahr durch Friedensverträge der Dreißigjährige Krieg ein Ende finden wird) die wichtigsten deutschen Schriftsteller zusammen. Sie debattieren über ihre Werke, aber auch über ihr Verhältnis zur Politik; kurz: über die Aufgabe von Literatur in düsteren Zeiten. Günter Grass hat diese denkwürdige Versammlung in seiner Erzählung Das Treffen in Telgte für die Nachwelt festgehalten. Der Kopf des Dichterclubs: Simon Dach hat zum Literatur-Treffen nach Teltge geladen ...
Alles erfunden? Ja und nein. Es hat 1647 kein Treffen in Telgte stattgefunden, aber es hat dieses Treffen 300 Jahre später gegeben, als sich wichtige deutsche Schriftsteller in einer ähnlichen Situation zur Gruppe 47 zusammenschlossen. Die Erzählung ist 1979 als Geschenk für Hans-Werner Richter, den spiritus rector der Gruppe 47, zum 70. Geburtstag entstanden, und sie richtet sich vielleicht stärker an Grass' Schriftstellerkollegen als an eine breite Öffentlichkeit. Sie ist in ihren Debatten unter Barockdichtern und den Anspielungen auf die Literatur der Nachkriegszeit auch eine Art Literaturquiz. Literatur über Literatur also und das soll zur Oper taugen? Vielleicht hat gerade der allzu offensichtliche Widerspruch, ein wahrhaft un-musikalisches Sujet zu vertonen, den Komponisten Eckehard Mayer an diesem Stoff interessiert. Mayer geht diese Problematik offensiv an: Der einzige, der nicht singen darf, ist hier ausgerechnet der Musiker, der berühmte Heinrich Schütz, der die Dichter überrascht und als kritischer Beobachter zur zentralen Figur wird eine Sprechrolle. Auch wechseln Orchester und Sänger die angestammten Plätze: Das Orchester ist auf der Bühne platziert, der (überbaute) Orchestergraben wird zur Spielfläche. Musik und Sprache tauschen die Rollen. ... und alle, alle sind sie gekommen und diskutieren und debattieren, was wohl der rechte Schreibstil sei.
Klangbeispiel:
1. Szene: Simon Dach (Werner Van Mechelen) und der Küchenjunge (Selma Harkink) bereiten sich auf das Dichtertreffen vor
Als Konzept hat das zweifelsohne seinen Reiz, aber in der Theaterwirklichkeit treten die Schwierigkeiten schnell zu Tage. Das Treffen in Telgte erinnert natürlich an Wagners Meistersinger, die ja ebenfalls dichtend (allerdings auch singend) über den Sinn von Kunst debattieren. Wagner unterlegt die Debatte mit einem handfesten bühnenwirksamen Plot und entwickelt seine Charaktere daran. Genau das fehlt im Treffen von Telgte: Hier wird viel geredet, aber wem das Who is who der deutschen Barockliteratur nicht geläufig ist, der wird Mühe (und möglicherweise auch wenig Interesse) haben, die Charaktere zu unterscheiden. Geliebt wird zwar auch, aber anders als bei Wagner ausschließlich körperlich (das aber barock-exzessiv), und mehr des deftigen Kolorits als der Handlung wegen. So bleibt die Oper insgesamt sehr textlastig, und da man (wie in fast jeder Oper) wenig vom Text versteht, ist das Werk ohne detaillierte Kenntnisse des anspielungs- und zitatenreichen Librettos von Wolfgang Willaschek (das in der Pause der Uraufführung im Handumdrehen ausverkauft war) in manchen Teilen praktisch nicht nachzuvollziehen. Soldat Gelnhausen wird später seine Kriegserlebnisse wie hier mit der Wirtin, der "Courasche", literarisch festhalten und als Christoph von Grimmelshausen in die deutsche Literaturgeschichte eingehen.
Das Fehlen handfester Bühnenfiguren macht es der Musik schwer. Eckehard Mayer charakterisiert jede Figur kammermusikalisch, ordnet ihr eine bestimmte Stilebene zu, meist verbunden mit einer festen Instrumentengruppe. Angesichts der Vielzahl von Rollen stimmt aber die Balance zwischen Haupt- und Nebenfiguren nicht, werden weder vom Libretto noch von der Musik die entscheidenden Schwerpunkte gesetzt. Oft wirkt die Musik dadurch rein illustrativ. Dem Kammerorchester gegenüber steht ein Riesenorchester für den atmosphärischen Rahmen, aber diese Trennung ist bei der Aufführung akustisch nicht wahrzunehmen: Es klingt jederzeit wie ein einziger großer Klangkörper, der aber sehr differenziert behandelt wird. Mayer setzt kaum große Klangballungen ein, sondern schafft mit der Vielzahl von Instrumenten unterschiedliche, meist stark dissonant geprägte Klangfarben, in die sich hin und wieder ein paar Free-Jazz-Akzente mischen. Anspielungen auf Barockmusik sind latent, an einigen wenigen Stellen auch vordergründig auf einer (verfremdeten) Zitat-Ebene enthalten. Damit immerhin gelingt es der Musik, die 15 Szenen in einem großen Bogen zu verzahnen: Man kann das Werk als einen einzigen großen dissonanten Klang auffassen. In dieser Hinsicht erreicht die Komposition eine eigenständige Ebene, die bei allen Einwänden die Vertonung des Stoffes rechtfertigt und Das Treffen in Telgte zu einem eindrucksvollen Werk macht. Man ist wieder wer: Die Dichter obenauf, die Mägde schwarz, rot und goldgelb gekleidet ...
Klangbeispiel:
13. Szene: Gelnhausen (Paul Lyon) und Libuschka (Turid Carlsen)
Klangbeispiel:
15. Szene: Choral (Ensemble)
Hätte es sich nicht um eine Uraufführung in Anwesenheit des Nobelpreisträgers Grass gehandelt, die Aufführung wäre vermutlich abgesagt worden: Paul Lyon, Dortmunder Heldentenor vom Dienst und hier als Gelnhausen in tragender Rolle, war krankheitsbedingt völlig indisponiert und konnte im zweiten Teil nur noch mikrophonverstärkt markieren. Dadurch wurde der Partitur eine entscheidende Komponente genommen (immerhin handelt es sich um eine der Hauptrollen man stelle sich einmal die Meistersinger ohne den Beckmesser vor!). Das war ein herber Wermutstropfen auf die ansonsten musikalisch hochrangige Uraufführung. Es fällt schwer, aus dem hervorragenden Ensemble jemanden herauszuheben, und gerade in Ensembleszenen erhält die Musik scharfe Konturen; stellvertretend seien hier Werner Van Mechelen als Simon Dach, dem Haupt des Dichterkreises, und Turid Carlsen als Wirtin genannt. Die Dortmunder Philharmoniker spielen sehr differenziert, Arthur Fagen ist ein jederzeit souveräner Leiter des Ganzen. Nicht unproblematisch ist allerdings die Idee der Regie, das (auf der Bühne postierte) Orchester phasenweise in den Unterboden herabfahren zu lassen - da geht dann doch einiges an Transparenz verloren. ... und mit der Banane feiert man, dass alles wieder zusammenwächst: Ein sehr deutsches Stück also.
Angesichts der ohnehin komplizierten Materie hinterlassen in der Inszenierung von Hausherrin Christine Mielitz die Passagen den stärksten Eindruck, in denen sie sich ganz auf Personenregie und wenig Drumherum verlässt. Ihr Regiekonzept will Parallelen zwischen der Parabel und der deutschen Nachkriegsgeschichte bis in die Gegenwart aufzeigen, was sie dem Publikum freilich mit weniger aufdringlichem Fingerzeig hätte zutrauen dürfen. Gelegentliche Videoeinblendungen von Flüchtlingen, von Adenauer im Parlament bis zum Wirtschaftswundermacher Ludwig Erhard umreißen die historische Situation. Zum Untergangsfinale der Gasthof brennt nieder, das mühsam verfasste Manifest der Dichter geht in den Flammen verloren wird Sabine Christiansen mit Gästen eingeblendet: Alles nur Talkshow-Gerede ohne Konsequenz, so kann man dieses Schlussbild deuten. Ansonsten ist es ein Spiel mit Symbolen: Im Laufe des Stückes tauschen die allmählich zu Wohlstand gekommenen Dichter ihre Lumpen gegen weiße Hemden aus, laufen aber mit Hausschuhen herum - Pantoffelhelden also. Ruinenstücke werden zum Designertisch - auch so kann man das Wirtschaftswunder darstellen. Die Polizisten mit niedergenüppeltem Opfer aber wirken ebenso aufgesetzt wie die Banane als Wiedervereinigungssymbol. Da bleib' ich doch lieber bei meiner Musik, scheint hier der Komponist Heinrich Schütz bei so viel Literatenpalaver zu denken.
Man kann Das Treffen in Telgte als großen Klagegesang hören, als Überwindung von Sprache (und Geschwätz) durch die Musik. Die Komposition hat Suggestivkraft, kann sich durchaus eindrucksvoll behaupten. Wie schwer es aber ist, sich von der literarischen Vorlage zu emanzipieren, zeigte der Uraufführungsapplaus: Durchaus intensiv für Aufführende, verhalten herzlich für den Komponisten; als aber Günter Grass die Bühne betrat, erhob sich das Publikum von den Stühlen, als gelte es einen Staatsmann zu würdigen. So trug letztendlich doch die hohe Literatur den Sieg über die Musik davon. FAZITSchwierige Operngeburt aus dem Geist literaturimmanenter Selbstreflexion. Trotz mancher Einwände sehens- und hörenswert, nur sollte man vorher das Libretto sehr genau studiert haben. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Dramaturgie
SolistenSimon DachWerner Van Mechelen
Gelnhausen (Grimmelshausen)
Libuschka, Wirtin
Heinrich Schütz
Andreas Gryphius
Filip Zesen
Scheffler (Angelus Silesius)
Paul Gerhardt
Johann Rist
Johann Georg Greflinger
Siegmund Birken (Betulius)
Georg Rudolph Weckherlin
Friedrich von Logau
Küchenjunge
Marie, Magd
Marthe, Magd
Elsabe, Magd
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