Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Viel Lärm um nichts
Von Thomas Tillmann / Fotos von Thilo Beu Kontroverse Diskussionen sollen Philipp Himmelmanns Produktionen der Contes d'Hoffmann in Bonn und des Don Carlos an der Berliner Lindenoper ausgelöst haben. Solche gab es nach der Premiere von La forza del destino kaum, denn weder reichlich vergossenes Theaterblut noch medizinischer Realismus im Feldlager vermochten von der szenischen Einfallslosigkeit dieser Verdi-Premiere ablenken. Auf der leeren Arbeitsbühne von Elisabeth Pedross bietet nur ein repräsentatives weißes Ledersofa dem Auge Halt, das nicht nur den gesellschaftlichen Rang der der konservativen Oberschicht angehörenden Calatravas illustriert, sondern im späteren Verlauf auch der bevorzugte Platz der Verletzten und Sterbenden sein wird. Der politische Zündstoff der Vorlage wird indes ebenso wenig konsequent beleuchtet wie die dem Regisseur offenbar so wichtige Kritik an der Kirche: Die Spielfläche und damit der Bewegungsradius der schicksalhaft miteinander verbundenen Protagonisten wird durch Wände immer mehr eingeengt, die den Eindruck eines Labyrinths erwecken, in dem Menschen in scheußlichen Alltagskleidern, die zu entwerfen Petra Bongard nicht allzu viel Mühe gekostet haben kann (ich wurde etwa den Eindruck nicht los, dass Leonora im letzten Akt einen Hausanzug trägt, den ein bekannter Kaffeeröster in der Vorweihnachtszeit zu kleinem Preis in Supermärkten feilbot), sich immer mehr verlieren, anstatt Trost, Hilfe und Frieden zu finden, und die das kitschige Gemälde einer Mater dolorosa mit schmerzhaftem Rosenkranz tragen, von der man zwar mehr und mehr zu sehen bekommt, die sich aber immer weiter entfernt, und auch die Mönche bilden eine grimmig blickende, feindselige Masse, die Leonora nicht eben gastfreundlich entgegentritt. Insgesamt passiert aber nicht viel (Erhellendes) auf der Bühne, zumal nicht recht deutlich wird, wer die dort agierenden Personen eigentlich sind, und man eine spannende Personenführung vergeblich auszumachen sucht. Nein, da war Vera Nemirova, an deren nicht unproblematischen, überladenen Bonner Macbeth man sich erinnert, in ihrer Inszenierung für das Staatstheater Oldenburg wahrlich mehr eingefallen. Partisanin Preziosilla (Asta Zubaite) animiert das Volk (Ensemble des Theater Bonn) zum Kriegsdienst.
Und die musikalische Seite? Über den meisten Applaus konnte sich zurecht die in Mannheim fest engagierte Galina Shesterneva freuen, die ich ebendort als Maddalena di Coigny in Andrea Chénier gehört hatte und für ihren schön timbrierten, einiges Gewicht besitzenden Sopran gelobt hatte. Sicher, riesig ist die frauliche, sinnlich vibrierende Stimme mit der absolut mühe- wie furchtlos attackierten, auch in den Ensembles wunderbar leuchtenden Höhe nicht, und das künstliche Abdunkeln in der Tiefe hat auch meistens schädliche Auswirkungen, aber zum jetzigen Zeitpunkt steht die Künstlerin die wahrlich nicht zu unterschätzende Partie bewundernswert durch, und anders als ihre Kollegen bemühte sie sich, Ausdruck aus der sorgfältigen Behandlung des Textes zu entwickeln, so dass man sich bereits in der ersten Arie über beseelten Gesang freute (auch wenn ihr der Dirigent, der überhaupt wenig Gespür für die Belange der Bühne zeigte, kaum Freiraum zur Gestaltung ließ), die Lyrismen wie das vollendete Legato in der zweiten bewunderte, sich von der Zartheit des "La Vergine degli Angeli" berühren und der Entschlossenheit der Pace-Arie gefangen nehmen ließ. Klangbeispiel: Leonora: "La Vergine degli Angeli" (Auszug aus dem Finale des 2. Aktes) Galina Shesterneva und die Herren des Chores und Extrachores des Theater Bonn(MP3-Datei)
Leonora (Galina Shesterneva, rechts) bittet Padre Guardiano (Andrej Telegin, links) in ihrer Not um Hilfe.
Ernesto Grisales war mit seinem robusten, dunklen Latino-Tenor keine schlechte Wahl für den Alvaro - er ist ein Sänger alter Schule, der unter dem starren, unflexiblen Dirigat vielleicht am meisten zu leiden hatte und der zwar für hohe Töne keinen geringen Kraftaufwand treiben muss, der aber immer wieder mit erfreulichem Bemühen um Pianotöne überraschte. Ein großer Schauspieler, der ohne konkrete Anweisungen eines Regisseurs darstellerisch überzeugen könnte, ist der Kolumbianer indes nicht. Peter Danailov hatte bereits als Macbeth einen unschönen Hang zum Sprechgesang erkennen lassen. Seiner Stimme fehlt es trotz anfänglicher Bewunderung für das grundsätzlich imposante Material an jeglichem Feinschliff, und auch die Fortepräferenz - und dies ist letztlich nur ein Euphemismus für ungeschlachtes Gebrüll -, die unsauberen Einsätze, die Vokalverfärbungen und die eindimensionale Dramatik ohne Differenzierungsansätze gefielen anderen besser als mir. Der übertriebene körperliche Totaleinsatz konnte von den vokalen Schwächen nicht ablenken, die auch Asta Zubaites Auftritt als Preziosilla zu einer Pein werden ließen: Die derbe, brustig-knallige Tiefe, die tremolierende, belegte Mittellage und die unangenehm scharfe Höhe verbanden sich kein bisschen, sondern klangen wie drei aus einer Kehle dringende Einzelstimmen. Carlos (Peter Danailov, stehend) kümmert sich um den verwundeten Alvaro (Ernesto Grisales, liegend), dessen wahre Identität er zu diesem Zeitpunkt noch nicht kennt.
Andrej Telegin war mit üppigem, in der Höhe allerdings schwerfälligen Bass nicht ohne Gebrauchsspuren und Nebengeräusche ein charaktervoll-ernster Padre Guardiano, Enrico Marrucci, dessen Stimme es ein wenig an Volumen in der Tiefe fehlt, ein strenger, furchteinflössender, charismatischer Fra Melitone, Martin Tzonev ein tadelloser Marchese. Ulrike Gmeiner dagegen bleibt als Curra weniger wegen eigener Meriten in Erinnerung, sondern weil sie die Kollegin nach "Me pellegrina ed orfana" um den verdienten Applaus brachte. Nach klappernden Einsätzen zu Beginn konnten sich Chor- und Extrachor des Theater Bonn in der Einstudierung von Sibylle Wagner glücklicherweise steigern. Nachdem Carlos (Peter Danailov) das Bild seiner verhassten Schwester bei seinem vermeintlichen Freund gefunden hat, weiß er, dass dieser niemand anders als Don Alvaro ist - Rache wird spätestens jetzt zu seinem einzigen Lebensinhalt.
Nichts weniger als eine Katastrophe war die musikalische Leitung der Veranstaltung durch Erich Wächter, der seit der Spielzeit 2002/2003 als Generalmusikdirektor und stellvertretender Intendant am Landestheater Detmold sowie als erster ständiger Gastdirigent am Theater Bonn engagiert ist (hier leitete er auch bereits Les contes d'Hoffmann): Selten habe ich die Musik Giuseppe Verdis so unsensibel, pauschal, brachial, polternd laut, ohne innere Spannung und Fluss, ohne Feinheiten und Italianità aufgeführt gehört wie an diesem Abend, an dem der Klang des Beethoven-Orchesters zudem in einzelne Gruppen zerfiel, kaum ausbalanciert war und wenig Kontur, aber manchen Spielfehler aufwies. Leonora (Galina Shesterneva) bittet in der berühmten Arie um Frieden - umsonst.
Wenn zu einer einfallslosen, faden Nichtinszenierung ein unsensibles Dirigat kommt, dann können auch eine superbe Sopranistin und ein rollendeckender Tenor den Abend kaum retten. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten
Marchese di Calatrava
Leonora di Vargas
Don Carlos di Vargas
Don Alvaro
Pater Guardian
Fra Melitone
Preziosilla
Mastro Trabuco
Curra
Alcalde
Chirurg
|
© 2004 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de