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Musiktheater
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Die Zauberflöte

Eine große Oper in zwei Akten
von Wolfgang Amadeus Mozart
Text von Emanuel Schikaneder

Aufführungsdauer: ca. 3 Stunden (eine Pause)

Premiere am 13. März 2004
im Staatstheater Stuttgart
Besuchte Vorstellung: 15. März 2004

Homepage Staatstheater Stuttgart

(Homepage)

Klischeefrei und horizonterweiternd

Von Christoph Wurzel


Mit Sicherheit war Mozart kein Ideologe, kein Missionar oder Weltverbesserer. Er nahm die Realität so wie sie war. Ganz gleich, mit welchem Libretto er zu tun hatte: immer charakterisierte er die Situationen ungeschminkt, nie desavouierte er seine Figuren. Spannung und Witz bezog er aus den Widersprüchen ihres Verhaltens. Aus der tiefen Einfühlung in ihre Seelenlage schöpfte er seine geniale Musik.

Paradox, dass gerade er für die Nachwelt zu allerlei kuriosen und verballhornenden Klischees hat herhalten müssen. Eine ganze Reihe davon beziehen sich auf die Zauberflöte, seine letzte vollendete Oper, die für die einen ihrer kunstvoll gearbeitete Kontraste und ihrer wirkungsvollen Theatralik wegen als ein Meisterwerk (Goethe) gilt und für andere nur ein Machwerk ist, weil angeblich innere Brüche die Handlung unglaubwürdig machen (Hildesheimer).

Kierkegaard unterstellte Mozart gar die Absicht, in der Oper ähnlich der Aufklärung eine geistige Entwicklung vollbringen zu wollen, was eine "völlig unmusikalische Idee" sei. Mit Letzterem hat er zweifellos Recht - die Frage ist nur, ob Mozart (und Schikaneder) überhaupt eine bestimmte geistige Idee mit ihrem Werk propagieren wollten - und wenn ja, welche das wäre.

Die tradierte Rezeption hat in der Zauberflöte lange die Apotheose aufgeklärten Denkens und der Humanitäts- Ideale der Freimaurer gesehen. Ihr märchenhafter Charakter schien sie gar mitunter zur Kinderoper in der Weihnachtszeit zu prädestinieren. Allzu oft wurde ihr Personal verkürzt auf platte Typisierungen: die Königin der Nacht als intrigant und machtbesessen, Sarastro als der weise, menschenfreundliche Freimaurer. Pamina war nicht selten das schüchtern ergebene Mädchen, Tamino der strahlend entschlossene Prinz, dazu der hinterhältig böse Mohr Monostatos und der komische Vogelmensch Papageno. Noch die Inszenierung von Achim Freyer bei den Schwetzinger Festspielen vor zwei Jahren konnte diesen Klischees aus naiver Kinderperspektive nicht entgehen.

Dass Mozarts Figuren nicht nur gut oder böse, nicht nur ernst oder komisch, nicht nur schwarz oder weiß sind, beglaubigt nun beeindruckend Peter Konwitschny in seiner ungemein phantasievollen Stuttgarter Inszenierung. So trägt Sarastro (wie alle Männer seiner Loge) zwar ein weißes Gewand, darunter aber einen schwarzen Anzug, Monostatos stellt einen Mohren dar, ist aber gar nicht schwarz geschminkt: die Personen sind vielschichtig angelegt, die innere Ambivalenz der Figuren ist es, aus der diese Inszenierung ihre dramatische Wahrheit entwickelt. Und den festgefügten Bildern, die man so von dieser Oper haben könnte, wird restlos "lebewohl" gesagt.

Schon wie es beginnt, ist frappierend: kein Reptil, in welcher Theatermaschine es auch immer sich daherschlängle, verfolgt den Jüngling Tamino, sondern eine bedrohlich vorwärts drängende Masse Menschen ist die böse Schlange, die dem erwachsen Werdenden Angst einflößt. Er flüchtet in den Orchestergraben, hinter den Rücken des Dirigenten. Als er sich später als "Prinz" zu erkennen gibt, erntet er unter den Musikern nur Hohngelächter. Die drei Damen machen ihm außerordentlich starke erotischen Avancen und die Aussicht darauf, eine Frau zu gewinnen und dazu noch "Glück, Ehr' und Ruhm" zu erlangen, lassen ihn in kühnste Wunschträume verfallen: als Video läuft zur Bildnisarie der Film einer prachtvollen Fürstenhochzeit ab. Ängste und Allmachtsphantasien eines jungen Mannes, dem die Rolle des Helden zu groß sein mag, sind hier zu überzeugenden szenischen Bildern geworden. Johan Weigel sang die Arie mit gesammelter Forschheit, dabei weniger lyrisch weich, aber in schönem Legato.

Die Königin der Nacht hat sich nach dem Tod des Gatten und der Entführung der Tochter aus Verzweiflung dem Suff ergeben - das könnte als Regieeinfall noch nach platter Banalisierung aussehen. Wie sie dann aber in der ersten Arie ihren tiefen Schmerz über ihr Schicksal, ihre erlebte Angst und die sie beherrschende Einsamkeit körperlich ausdrückt, lässt sie zu einer prägnant gezeichneten Charakterfigur werden und gehört zu den Bildern dieser Inszenierung, die tief beeindrucken. Schlüssig wird so ihr späteres Handeln gegen Sarastro. Die höllenschweren Koloraturen der beiden Arien bewältigte Barbara Beier bei ihren Stuttgarter Debut nicht ohne Mühe, in der besuchten Aufführung kamen die Spitzentöne nicht makellos, aber ihre Stimme blieb dabei angenehm weich und schmeichelnd im sanft fließenden Legato.

Die Versammlung der Priester zu Beginn des 2. Akts mutet an wie das Ritual einer Massentrauung bei der Moon- Sekte: Sarastro (der Sänger Attila Jun stammt aus Korea) hält seine Ansprache an die Priestergesellschaft in seiner Muttersprache, die über Lautsprecher simultan übersetzt wird. Die Szene verrät, dass zwei Menschen (die sich noch nicht einmal kennen) zu "ihrem Glück" gezwungen werden sollen - einem Glück, das andere für sie bestimmt haben. Der Geist seiner Worte und das Verhalten des Oberpriesters stehen im krassen Widerspruch. Noch deutlicher wird Sarastros Weisheitslehre als Ideologie entlarvt, wenn er in seiner Hallen-Arie zwar die Rache verurteilt und die Verzeihung propagiert, dabei aber zugleich den gefangenen Monostatos knebelt und würgt.

Als junge Frau mit unbändigem Freiheitsdrang beeindruckend gezeichnet ist Pamina. Ihr Schicksal in den Händen der "Eingeweihten" gleicht dem Versuch der Zähmung einer Widerspenstigen. Keiner Fremdbestimmung will sie sich unterwerfen, mit energischem Behauptungswillen setzt sie sich allen Versuchen zur Wehr, sie den Normen der patriarchalischen Männerkaste zu unterwerfen. Wie ein Fanal der Freiheit schleudert sie Sarastro das Geständnis ihres Ausbruchsversuchs entgegen: "...die Wahrheit, wär' sie auch Verbrechen!" Die tiefe Verzweiflung in ihrer Arie "Ach, ich fühl`s" stellt einen der ergreifendsten Momente der Inszenierung dar. Alexandra Reinprecht singt das sehr schön und anrührend, jedoch mit schlechter Textverständlichkeit. Bert Neumann hat ihr schwarze Cargohosen verpasst und ein bauchfreies schwarzes Top, das scheint in ihr einen solchen Sturm und Drang zu wecken und sie zu einem Spiel zu beflügeln, als spiele sie sich selbst.

Der Augenblick des größten Skandalons der Handlung, wenn Sarastro das junge Paar erneut trennen und Tamino zur Feuer- und Wasserprobe zwingen will, ist in dieser Inszenierung folgerichtig auch der Augenblick der größten Überraschung: "Soll ich dich, Teurer, nicht mehr sehn" - Pamina leistet so lange Widerstand gegen diesen unerhörten Akt der Vergewaltigung von Freiheit, Hoffnung und Glück, dass für einen kurzen Moment der Verwirrung aller handelnden Personen der Fortgang der Handlung unterbrochen wird, bis auf den Wink Sarastros an den Kapellmeister die Szene als konzertante Gesangsnummer der Oper gegeben werden kann. Zum folgenden Marsch der Flöten, Pauken und Bläser ersetzt ein Film die Bühnenhandlung, in dem die vielfältigen Proben und Gefahren der menschlichen Existenz zwischen Geburt und Tod an den Zuschauern vorbei ziehen.

Der spektakuläre Knalleffekt der Aufführung aber ist zweifellos Papagenos zweites Lied "Ein Mädchen oder Weibchen". In einer effektvollen Showeinlage kann Rudolf Rosen hier aus dem Vollen schöpfen. Die Szene ist eine glänzende Parodie auf die vergnügungshungrige Popszene mit ihrem trendsettenden Outfit (Papagenos poppiges Federkostüm passt bestens ins Bild), ihrer sexualisierten Körperakrobatik (Rosen macht das, als gehörten derartige Räkeleien zu den tägliche Übungen eines Opernsängers) und der kalkuliert gelenkten Massenhysterie eines enthusiasmierten, Popcorn mampfenden Publikums (der Chor auf der Bühne spielt grandios dabei mit): soviel ist mal klar: Stuttgart hat den Superstar!

Drei ist bekanntlich eine Märchenzahl und Gestaltenwandel ist auch für das Märchen typisch. So fern liegt also der Gedanke nicht, die drei Knaben gleich in dreierlei Gestalt auftreten zu lassen - gerade so, wie es die Situation erfordert: mal als Burschen mit den Wunderdingen Zauberflöte und Glockenspiel und als Wegweiser in Sarastros Reich, ein ander Mal als Servierdamen im 2. Akt ("Wollt ihr die Speisen nicht verschmähen") und schließlich als Putzhilfen, die Pamina bei der Bewältigung ihres Gefühlschaos ("Dieses Eisen töte mich") segensreich behilflich sind. Gute Geister sind sie, von niemandem geschickt und niemandem verantwortlich (endlich einmal schlüssig in Szene gesetzt), allein wie leibhaftige Schutzengel wirken sie, als Helfer in der Not, von denen es ja nie zu viele geben kann. Dass die Stuttgarter Staatsoper nebst den drei Aurelius - Sängerknaben auch für solche Nebenrollen über prächtige Sängerinnen verfügt, macht diese Regieidee nur noch wirkungsvoller.

Die Vereinigung Paminas mit Tamino von Sarastros Gnaden schließlich wirkt dann auch etwas schal und es bleibt fraglich, ob sie überhaupt das ideale Paar sind. Ein Fragezeichen, das die Inszenierung an dieser Stelle deutlich setzt, denn im Duett "Bei Männern, welche Liebe fühlen" im 1. Akt hatte nämlich Papageno nicht nur als passendes stimmliches Pendent, sondern auch in seiner spontanen Lebensfreude und der gemeinsam erfahrenen Innerlichkeit viel besser mit Pamina harmoniert.

Am Schluss siegt ja auch weniger die Liebe, sondern "die Stärke". Pamina wirft die ihr übergestülpte Kluft der Eingeweihten von sich. Auf der Bühne zurück bleiben die Königin der Nacht und Sarastro, die sich feindlich fixierend in Schach halten - gleichsam als archetypische Statthalter im Kampf zwischen Matriarchat und Partriarchat.

Konwitschny hat die Oper in einer rasanten Bilderrevue inszeniert und ist damit völlig konform zu ihrer inneren disparaten Struktur geblieben. So wie Mozart heterogene Elemente wie populäre Singspielcouplets mit streng protestantischem Choralsatz zum Teil hart gefügt und kontrastiert hat, so bedient sich auch die Inszenierung einer Abfolge unterschiedlichster Stilebenen, die aber in der jeweiligen Bühnensituation schlüssig und höchst aussagekräftig über die Bretter gehen.

Auch Lothar Zagrosek hat hörbar Wert darauf gelegt, es genauer zu nehmen und die Partitur auf ihre verschlüsselten Botschaften hin auszuhören. Besonders das Geflecht der Bläserstimmen klingt immer wieder deutlicher als gewohnt heraus. Nie sind die eingefleischten Hörgewohnheiten bei dieser nur allzu bekannten Musik vor Zagroseks präziser Detailarbeit sicher, immer wieder ist sie anstößig in dem Sinn, dass man nach ihrer Bedeutung fragt. Exemplarisch in Sarastros Hallen - Arie: der gefallene Mensch wandelt zwar nach Sarastros Worten "an Freundes Hand / vergnügt und froh ins bessre Land", musikalisch ist dabei deutlich eine in lichte Höhe aufsteigende, aber ebenso deutlich auch eine in dunkle Tiefe absteigende Skala zu hören - eine widersprüchliche Botschaft des "göttlichen Weisen": der Hinweis auf verborgene Machenschaften im Reich der Guten? Mit Sicherheit jedenfalls eine Verdeutlichung von Mozarts Kunst der verschlüsselten musikalischen Charakterisierung.


FAZIT

Es ist eine Inszenierung gelungen, die aus vielen anderen als den gewohnten Blickwinkeln auf Mozarts Oper schauen lässt Das Dilemma der Zauberflöte ist ja: Jeder meint sie zu kennen. Die Stuttgarter Produktion hilft gegen gähnende Langeweile und ist ein Impuls für neue Gedanken dazu - ein Vergnügen für Verstand und Sinne.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Lothar Zagrosek

Inszenierung und Dramaturgie
Peter Konwitschny

Bühne und Kostüme
Bert Neumann

Chorleitung
Michael Alber

Licht
Lothar Baumgarten

Video
Philip Bußmann

Dramaturgie
Juliane Votteler


Chor der Staatsoper Stuttgart

Staatsorchester Stuttgart


Solisten

Sarastro
Attila Jun

Tamino
Johan Weigel

Sprecher
Motti Kastón

Zweiter Priester
Heinz Göhrig

Königin der Nacht
Barbara Baier

Pamina
Alexandra Reinprecht

Erste Dame
Karina Babajanian

Zweite Dame
Maria Theresia Ullrich

Dritte Dame
Helene Ranada

Papageno
Rudolf Rosen

Junge Papagena
Irena Bespalovaite

Alte Papagena
Ursula Penzel

Monostatos
Michael Austin

Erster Geharnischter
Frank van Aken

Zweiter Geharnischter
Thomas Schmidt

Drei Knaben (1. Auftritt)
Aurelius Sängerknaben Calw

Drei Knaben (2. Auftritt)
Gabriela Herrera
Daniela Dott
Naomi Ishizu

Drei Knaben (3. Auftritt)
Helga Rós Indridadottir
Carmen Mammoser
Emma Curtis

Glockenspiel
Dorothea Schwarz




Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Staatstheater Stuttgart
(Homepage)



Da capo al Fine

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