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Wozzeck
Oper von Alban Berg
Text nach dem Dramenfragment "Woyzeck" von Georg Büchner
In deutscher Sprache
Aufführungsdauer: ca. 1 h 45 ' (keine Pause)

Premiere am Theater Münster am 6. Juni 2004
(rezensierte Aufführung: 9. Juni 2004)


Logo: Städtische Bühnen Münster

Städtische Bühnen Münster
(Homepage)

Hier müsste mal aufgeräumt werden.

Von Stefan Schmöe / Fotos von Michael Hörnschemeyer



Im Kultur-Dreieck Münster-Dortmund-Essen gibt es derzeit etwas ganz Besonderes: Ein Wozzeck-Abo. Alle drei Stadttheater haben Alban Bergs Oper im Programm – da lohnt der Vergleich. Dem Kritiker macht man es zunächst schwer, indem die Premieren in Münster und Dortmund für den gleichen Abend angesetzt wurden. Wir entschieden uns für Dortmund (unser Bericht), und angesichts der höchst eindrucksvollen Aufführung dort hat die zweite Vorstellung der Münsteraner Produktion, das sei zugegeben, einen schweren Stand.


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Praxisgebühr fällig? Wozzeck (rechts) lässt sich ärztlich untersuchen.

Klangbeispiel Klangbeispiel: "Was erleb' ich, Wozzeck" (Doktor - Wozzeck) (I. Akt 4. Szene)
(MP3-Datei)


Fokussiert in Dortmund die weitgehend leere Bühne die Aufmerksamkeit ganz auf die Darsteller, so irritiert in Münster das Bühnenbild von Herbert Kapplmüller durch ein heilloses Durcheinander, das vielleicht die psychische Verwirrung des Personals oder das Chaos in der Welt an sich symbolisieren mag, aber eher so aussieht, als habe man allerlei Gerümpel nicht rechtzeitig zur Aufführung wegräumen können. Rechts und links stehen zweistöckige Wohncontainer, links offenbar Maries Heim, rechts vielleicht eine Wachstube mit zwei (nicht benutzten) Pissoirs. In der Bühnenmitte eine Leinwand, die gelegentlich sogar sinnvolle Verwendung findet. Ein Bauzaun im Hintergrund gibt Rätsel auf – ist er versehentlich von einer anderen Produktion stehen geblieben? Soll er auf bautechnische Mängel der Bühne hinweisen? Oder symbolisiert er ganz platt das Abgründige, das Wozzeck anspricht („Der Mensch ist ein Abgrund“)?

In diesem Bühnenbild, das zeitweilig hier um eine Wippe, dort um einen Laufsteg erweitert wird, treten die Personen brav auf und ab, ohne dass recht sinnfällig würde, weshalb und wozu. Regisseur Peter Beat Wyrsch möchte offenbar ähnlich wie Kollegin Christine Mielitz in Dortmund das Allgemeingültige herausarbeiten, aber die Personenregie ist viel zu ungenau, um einen konkreten Ansatz deutlich werden zu lassen. Der Wozzeck von Stefan Adam (der sich bravourös durch die schwierige Partie kämpft) ist als gehetzte Kreatur zwar recht konventionell, aber immerhin glaubwürdig. Ines Krome ist eine arg biedere Marie im braven Kleid, der man sexuelle Abenteuer kaum abnimmt. Ihre lyrische, für die Rolle recht kleine Stimme kontrastiert recht stark mit den gesprochenen oder im Sprechgesang zu gestaltenden Passagen; dadurch kann sie der Figur nicht das musikalische Profil verleihen, das angesichts der szenischen Vernachlässigung erforderlich wäre. Die Nebenfiguren sind karikaturhaft überzeichnet: Markus Petsch als Tambourmajor mit gigantischem Schnurrbart, Mark Bowman-Hester als wutrot geschminkter Hauptmann und Auke Kempkes als Doktor, der sein Stethoskop wie zwei Hörner trägt, legen ihre Figuren auch musikalisch als Charakterrollen an, bei denen es auf schöne Töne nicht unbedingt ankommt. Das ist legitim angesichts der Tatsache, dass hier ein kleines Theater exponierte Partien aus dem hauseigenen Ensemble besetzen muss, und es ist durchweg akzeptabel gesungen. Nur verlieren diese Figuren, indem sie der Lächerlichkeit preisgegeben werden, ihr Gewicht. Die Aachener Inszenierung von Barbara Beyer hat aus geringerem musikalischen Potential durch sorgfältigere Differenzierung weitaus mehr Gewinn gezogen.


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Beziehungskrise fällig - Wozzeck hat Indizien für Maries Untreue

Klangbeispiel Klangbeispiel: "Das Messer, wo ist das Messer" (Wozzeck) (3. Akt 4. Szene)
(MP3-Datei)


Auch zwingende Bildlösungen wollen sich nicht einstellen: Ein überdimensionierter Hoola-Hoop-Reifen als Bildmittelpunkt für den letzten Akt macht einen recht kläglichen Eindruck – auch wenn er schick bunt leuchten kann. In zwei alptraumhaften Sequenzen strecken einmal ein Haufen Soldaten, einmal eine Gruppe von Marie-Doubles (die aber offenbar einen anderen Friseur haben) aus einem Graben ihre Hände nach Wozzeck aus. Das wäre eindrucksvoll (auch wenn man meint, solche Szenen schon etliche Male gesehen zu haben), würde es in einem sinnvollen Kontext stehen; hier bleibt es Einzelbild ohne erkennbaren Zusammenhang. Auch ein Vorhang, auf dem ein Stück Haut stark vergrößert zu sehen ist und der sich nach jeder der (teilweise sehr kurzen) Szenen senkt und nach einem festen schemanach und nach ausgeleuchtet wird, ist recht bald eher nervig als beeindruckend. Recht schön ist der Mord gelungen, bei dem Marie als Schatten hinter der Leinwand auf der Bühne stehen bleibt; und auch die Andeutung eines Schützengrabens in der Andres-Szene des 1. Aktes als Verweis auf die Entstehungszeit der Oper unmittelbar nach dem 1. Weltkrieg ist plausibel. In der Summe aber ist das viel zu wenig. Wyrsch ist für seine Aufsehen erregende Interpretation von Wagners Ring des Nibelungen in Münster (auch vom Rezensenten dieses Magazins) viel gelobt worden; umso größer ist die Enttäuschung über diese konturlose und zerfahrene Inszenierung des Wozzeck.


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Mord fällig! Marie und Wozzeck haben sich entfremdet.

Durchaus ordentlich ist, was aus dem Orchestergraben zu vernehmen ist – auch wenn der Klassenunterschied zu den Dortmunder Philharmonikern unüberhörbar ist. Dirigent Will Humburg nimmt den Klang an vielen Stellen ganz zurück, um dann effektvoll und stark (blech-)bläserlastig aufzutrumpfen. Dem Symphonieorchester Münster fehlen die Zwischenstufen, mit denen eine Entwicklung klanglich plausibel aufgebaut werden könnte. Schön sind viele der solistischen Stellen, mit überzeugend rustikaler Volkstümlichkeit in den Wirtshausszenen. Mitunter fehlt Humburg die Gelassenheit, einen Sänger seine Phrase ruhig aussingen zu lassen. Zwar treibt dies die Musik voran, aber mancher Satz wird so zur Nebensächlichkeit. Das wiederum passt zur Inszenierung: Auf genaue Charakterisierung kommt es nicht so an. Wer die erleben will, sollte lieber nach Dortmund fahren.



FAZIT

Musikalisch akzeptabele Produktion, die aber im Versuch, die Handlung aus dem historischen Kontext zu befreien, konturlos versandet.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Will Humburg

Inszenierung
Peter Beat Wyrsch

Bühne und Kostüme
Herbert Kapplmüller

Chor
Peter Heinrich

Kinderchor-Einstudierung
Uta Hussong

Choreographische Mitarbeit
Thomas Zwozniak

Dramaturgie
Matthias Heilmann


Statisterie der Städtischen
Bühnen Münster

Chor der Städtischen
Bühnen Münster

Kinderchor des Gymnasiums Paulinum

Symphonieorchester Münster



Solisten

*Besetzung der rezensierten Aufführung

Wozzeck
Stefan Adam

Tambourmajor
Markus Petsch

Andres
Mineo Nagata /
* Andreas Scheidegger

Hauptmann
Mark Bowman-Hester

Doktor
Auke Kempkes

1. Handwerksbursch
Damon Nestor Ploumis

2. Handwerksbursch
Radoslaw Wielgus

Narr
Andreas Scholz

Marie
Ines Krome

Margret
Simona Maestrini

Maries Knabe
Julian Brinkmann /
Aurelius Thoß






Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Städtischen Bühnen Münster
(Homepage)






Da capo al Fine

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