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Verschenkte Möglichkeiten
Von Thomas Tillmann
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Fotos von Matthias Stutte Sicher ist es unfair, ein so bewegendes und gleichzeitig unterhaltendes Stück wie Cabaret gegen Cole Porters wenig "Botschaft" transportierendes, grundsätzlich aber nicht minder amüsantes Musical Anything Goes auszuspielen, das als "Inbegriff der leichtfüßigen und unbefangenen Musikkömodie der Dreißiger" (Gerhard Midding) gilt. Da es aber in etwa dasselbe Team ist, dass vor einem Jahr das Werk von Kander und Ebb beeindruckend (und besser als die Konkurrenz in Dortmund und Bonn !) umgesetzt hatte, war man doch erstaunt, dass die rechte Musicallaune bei dieser Premiere nicht aufkommen wollte. An Bord des Überseedampfers ist die Stimmung prächtig (Ensemble des Theaters Krefeld-Mönchengladbach).
Einziger Handlungsort (mit Ausnahme der Kabinen- und Gefängnisszenen) ist ein Außendeck auf einem Überseedampfer, das man mit wenig mehr finanziellem Aufwand liebevoller und atmosphärischer hätte ausstatten können, ebenso wie die mit scheußlichen Tapeten beklebten und einfallslosen Requisiten zugestellten Kabinen, die eine Ewigkeit brauchen, bis sie hoch- und wieder heruntergefahren sind. Wir alle wissen, dass die Gemeinschaftsbühne am Niederrhein über begrenzte Mittel verfügt, aber etwas geschmack- und fantasievollere sowie weniger billig wirkende Kostüme hätten es auch sein dürfen. Billy (Stefan Diekmann) kniet vor seiner alter Freundin Reno (Esther Keil), aber Liebe ist es nicht.
Dagegen mochte ich Danielle Sassos einfallsreiche Choreografie, auch wenn natürlich selbst der Nichteingeweihte sofort merkte, dass hier aus der Not (die wenigsten deutschen Schauspieler haben eine Tanzausbildung) eine Tugend gemacht und keiner der Mitwirkenden überfordert wurde; dass mit dem Nicht-Tanzen-Können im "It's Delovely" auch noch richtig kokettiert wurde, hatte zweifellos Charme. Eben dieser fehlte den Dialogen, von denen nur wenige wirklich temporeich und komisch waren, sondern wie das gesamte Geschehen die meiste Zeit schwerfällig, verkrampft und angestaubt operettenhaft über die Rampe kamen. Als Beispiel mag das pseudochinesische Geplapper von Adrian Linke und Paul Kaiser dienen, das mir bereits bei ihrem ersten Auftritt unsäglich auf die Nerven ging und wahrlich nicht so bedeutend oder amüsant war, dass es hätte übertitelt werden müssen. Dies wäre freilich bei den durchgängig in englischer Sprache gesungenen, berühmten Songs (wie "I Get A Kick Out of You", das umwerfend komische "You're the Top" mit seiner Anhäufung von bizarren Superlativen, "All Through the Night", "Blow, Gabriel, Blow" oder "Easy to Love") keine schlechte Idee gewesen, denn ich wage zu bezweifeln, dass das Gros der Zuschauer derart bewandert in amerikanischem Slang ist, dass es die witzigen Pointen des Originals wirklich genießen konnte. Auch bei der Personenführung und beim Herausarbeiten der Charaktere hätte Matthias Kniesbeck einfach mehr Sorgfalt walten lassen müssen anstatt nur Auftritte und Abgänge zu organisieren. Und hätte man nicht doch noch ein paar zusätzliche Statisten auftreiben können, die für etwas mehr Geschäftigkeit und Leben auf der nicht eben kleinen Bühne hätten sorgen und ein paar flotte Tanzschritte mehr hätten beisteuern können? Erma (Kerstin Brix) heizt den Matrosen (Alexandre Betov, Manfred Feldmann, Bernhard Schmitt und Zbigniew Szczechura) richtig ein.
Esther Keil singt und spielt sich wie schon mit ihrer Sally Bowles auch in der Ethel-Merman-Rolle der Reno Sweeney schnell und zurecht in die Herzen der Zuschauer: Sie weiß, wie man diese Songs mit einer guten Mischung aus Herz, Erotik und Chuzpe "sophisticated" serviert und wie man sich auf der Bühne bewegt. Ihr "lyrischer" Gegenpart ist mit Anna Schäfer zwar vokal ziemlich leichtgewichtig, aber doch auch ansprechend besetzt, auch wenn die junge Actrice den ihr von der Regie verpassten Augentick das eine oder andere Mal vergaß. In Stefan Diekmann hatte sie einen charmanten, unermüdlich über die Bühne fegenden Billy an ihrer Seite, dem man die wahrlich begrenzten gesanglichen Fähigkeiten großzügig nachsah. Ähnliche Präsenz, aber mehr Stimme hat der kommunikative Tobias Wessler, der als Moonface ebenso überzeugte wie Kerstin Brix als seine laszive Gespielin Erma - schade, dass sie nicht mehr Nummern in dem Stück hat. Alter schützt vor Liebe nicht: Elisha Witney (Matthias Oelrich) macht Evangeline Harcourt (Suly Röthlisberger) den Hof, beobachtet von Renos "Engeln" (Annelie Bolz, Ursula Hennig, Sabine Sanz und Marianne Thijssens).
Lutz Lukasz blieb arg blass und eindimensional in der Rolle des blasierten englischen Lord Evelyn (gleiches gilt für Reiner Roon als Kapitän und Peter Lüthke mit seinen platten, schalen Pointen als Zahlmeister), während Suly Röthlisberger und Matthias Oelrich sich alle Mühe gaben, das Mögliche aus den ihnen anvertrauten Figuren zu machen. Beklagenswert müde und lustlos wirkten die vier in die Jahre gekommenen Matrosen, bemüht, aber reichlich hausbacken Renos ebenfalls nicht mehr ganz taufrischen "Engel", und auch die neunköpfige Band unter Leitung von Jochen Kilian hätte die Hits mit mehr Drive und Schwung präsentieren können (vielleicht war die Idee doch nicht so gut, das Kollektiv in den Salon hinter dem Deck zu verbannen).
Auch wenn das Premierenpublikum nicht mit dem Klatschen aufhören wollte (so wie die Oberbürgermeisterin beim Loben fast aller Mitwirkenden und der Generalintendant bei seinen tiefsinnigen Betrachtungen über das Theater an sich während der anschließenden Feier): Aus diesem gewiss leichtgewichtigen Stück kann man mit ein bisschen mehr Fantasie und Aufwand viel mehr machen - vielleicht wird die Gelsenkirchener Neuinszenierung, die am 2. November Premiere hat, meinen Eindruck bestätigen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Choreografie
Bühne
Kostüme
Choreinstudierung
Dramaturgie
SolistenReno SweeneyEsther Keil
Hope Harcourt
Evangeline Harcourt
Lord Evelyn Oakleigh
Elisha Whitney
Billy Crocker
Moonface Martin
Erma
Luke
John
Kapitän
Zahlmeister
Geistlicher
Fred
Matrosen
Renos "Engel"
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