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Musiktheater
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Les Troyens

Grand opéra von Hector Berlioz
Libretto nach Vergil vom Komponisten

in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 5h' (zwei Pausen)

Premiere im Nationaltheater Mannheim am 3. Oktober 2003
(Uraufführung des originalen Finale)



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Nationaltheater Mannheim
(Homepage)
Bravourös gemeistertes Mammutprojekt

Von Thomas Tillmann / Fotos von Hans Jörg Michel


Mit seiner Oper Les Troyens schrieb Hector Berlioz, der in diesem Jahr seinen 200. Geburtstag feiern würde, ein Werk, das ihm gleichermaßen Herzensangelegenheit wie Schmerzenskind war, ein opus magnum, das immer wieder mit Wagners Ring verglichen wurde und ebenso kühn entworfen und groß gedacht war, im Gegensatz zur Tetralogie des Deutschen aber bedenkenlos zusammengestrichen und in zwei Teile geteilt wurde - der Komponist selber hörte sein Werk, mit dem er seinen literarischen Vorbildern huldigt, indem er den antiken Mythos vom Untergang Trojas und dem Aufenthalt der Trojaner in Didos Karthago aus Vergils Aeneis übernahm und mit Shakespearschem Geist und dem Blick des französischen Romantikers neu belebte, nie in voller Länge - bereits in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts erwies sich dieser Stoff als zu sperrig für den Geschmack des Publikums, so außerordentlich auch immer die Komposition ausgefallen sein mag. Nach bangen Jahren des Wartens und Hoffens auf eine Aufführung - die Direktion der Opéra vertröstete Berlioz immer wieder - willigte er schließlich ein, dass das kleinere und unzulänglich ausgestattete Théâtre-Lyrique sich des Werkes annahm; gespielt werden unter dem Titel Les Troyens à Carthage im November 1863 allerdings nur die drei letzten Akte, und er musste auch zahlreichen Strichen und Änderungen zustimmen. Das verstümmelte Werk brachte es auf 21 Vorstellungen, war wohl auch ein großartiger Erfolg mit endlosem Beifall und berauschenden Lobreden der Kritik auf den Verfasser, wie Dömling es in seiner Biografie des Komponisten belegt; das Schicksal des Werkes schien indes besiegelt, denn auch der Klavierauszug, der 1863 erschien, gab die entstellte Fassung wieder, und bis heute hört man nach wie vor die Auffassung, es handele sich eigentlich um zwei getrennte Opern. 1957 fand in London die berühmte Aufführung in Covent Garden unter der musikalischen Leitung von Rafael Kubelik statt, in der zum ersten Mal das ganze Werk an einem Abend gegeben wurde.

Das Nationaltheater Mannheim ist das erste Haus, das den verkannten französischen Komponisten im Jahr seines zweihundersten Geburtstags mit einer Neuinszenierung dieses wunderbaren, die traditionelle Form der fünfaktigen grand opéra aufnehmenden und den Geist der französischen Oper von Gluck und Cherubini atmenden Werkes ehrte und sich dafür auch die Uraufführungsrechte für das erste Finale sicherte, das nach dem Tod Didons in einen großen Epilog führt, in dem Berlioz große römische Herrscher und Feldherren am Kapitol vorbei ziehen lässt. Dramaturgisch überzeugender ist dieser Schluss allemal, bei dem die Italien-Idee und Berlioz' epische Vision, das Rom des Kaisers Augustus als wahren Erben einer großen Dynastie zu zeigen, die bis in das antike Troja zurückreicht (Clio, die Muse der Geschichte, begrüßt zuvor auch Scipio Africanus und Caesar), noch deutlicher betont werden, musikalisch indes bleibt er hinter der späteren Version zurück.


Vergrößerung in neuem Fenster Cassandre (Kathleen Broderick) sieht den Untergang Trojas voraus.

Das Volk und seine dezimierte, degenerierte Königsfamilie nimmt den dreistöckigen, mit gelber Plastikplane ausgeschlagenen Palast wieder in Besitz, vor dem ein toter Fallschirmspringer die getöteten griechischen Kämpfer repräsentiert - Trojas heimatlose Bewohner befinden sich nach jahrelangem Kriegstreiben in euphorischer Aufbruchsstimmung und nach dem Verlust kultureller Zusammenhänge, nach familiärer Entwurzelung auf der Suche nach einer Neudefinition ihrer Identität. Stefan Baumgarten, Assistent von Ruth Berghaus und Robert Wilson und Mitarbeiter von Einar Schleef, der für seine Kasseler Tosca den Götz-Friedrich-Preis für Nachwuchsregisseure erhielt, dessen Werther-Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin für großes Aufsehen sorgte und der seit dieser Spielzeit als Chefregisseur für Musiktheater und Schauspiel am Meininger Theater engagiert ist, beschwört die Stimmung der vom zweiten Weltkrieg sich erholenden Bundesrepublik im Wirtschaftswunderrausch, in der eine verwundete, sich auf eine Krücke stützende Cassandre im paillettenbesetzten Minikleid und mit Munitionsgürtel vermutlich ebenso irritiert hätte wie Andromache und ihr Sohn Astyanax, die als Sinnbild des Kriegsopfers und Symbol für die zerbrochene Familienidylle mit ihrer Erscheinung die notdürftig wiederhergestellte gesellschaftliche Ordnung zerstören und folgerichtig unschädlich gemacht werden müssen - der Wunsch nach Korrektur der Geschichte verleitet zum Ausblenden, zum Verdrängen der Vergangenheit, und so werden auch in Troja die Überreste des Kriegsgeschehens unmittelbar nach dem Abzug der Griechen distanziert wie ein Stück Historie betrachtet. Das Regieteam erläutert das nur auf den ersten Blick befremdliche Bühnengeschehen durch prägnante, einleuchtende Überschriften für die einzelnen Szenen, die auch die Parallelen in der dramaturgischen Struktur der beiden Teile unterstreichen. Aeneas' Laocoon-Erzählung entfaltet eine virusähnliche Wirkung: Auf Geheiß des "Helden", der mit einer Anchises-Puppe auf der Schulter und in schwarzem Lederoutfit samt Fuchsschwanz auf die Bühne kommt und wie ein ziemlich ungehobelter Altrocker mit stattlichem Bierbauch wirkt, ein Antiheld, dessen Denken und Handeln allein in militärischen Denkstrukturen verläuft (auch hier weicht Berlioz erheblich von Vergil ab), bringen die Trojaner das Pferd in die Stadt (den Einsatz eines echten Tieres von der Reiter- und Diensthundestaffel Mannheim empfand ich dabei als ziemlich überflüssig) und kommen mit Plastiktaschen zurück, aus denen sie die neu erworbenen T-Shirts mit Volkswagen-Logo holen - der Wohlstand hält Einzug und lässt unkritisch werden, nur Cassandre zerschneidet eines, das sie erwischen konnte, bevor sie im selben Käfig, in dem vorher das Pferd gehalten wurde, die trojanischen Frauen zum kollektiven Selbstmord anstiftet (eine Idee Berlioz'). Aeneas indes hat sich nach dem Besuch des Schatten Hektors, der ihm einen die Italienvision symbolisierenden Aktenkoffer ans Handgelenk schnallt, auf den Weg gemacht.


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Cassandre (Kathleen Broderick, in der Mitte im weißen Kleid) überredet die trojanischen Frauen (Damen des Chores und des Extrachores) zum kollektiven Selbstmord.

Der gelbe Palast dient auch in Karthago als zentraler Spielort, an dem wir auf eine gelb-orange gewandete Hippie-Gesellschaft treffen, die sich mit Sonnenschutzmitteln eincremt und auch sonst, angeführt von einer attraktiven Königin im Leopardenmantel und mit Cowboyhut auf den ceresblonden Haaren, ganz dem Vergnügen zu leben scheint - eine prosperierende Metropole und Wohlstandsgesellschaft, die sich gegen Angriffe von außen jedoch nicht mehr zu verteidigen weiß und folgerichtig sofort von dem "Trojaner-Virus" befallen wird. Die Geflohenen haben nichts Besseres zu tun, als sogleich den aufblasbaren Ring des Sychaeus zu entsorgen, und auch Aeneas wird sich kurze Zeit später von dem Aktenkoffer befreien, so dass einer Liaison mit Dido nichts mehr im Wege steht, während Ascagne inzwischen zu einem flegelhaften Halbstarken herangewachsen ist, zu einer Miniaturausgabe seines ja auch nicht gerade stolz und edel wirkenden Vaters, die ihre kurze Vorstellung mit raumgreifenden Rappergesten meint unterstreichen zu müssen. Nicht vergessen werden dürfen die rasanten Videoprojektionen von Stefan Bischoff, der bereits in einer ersten aus Stummfilmszenen komponierten Sequenz die Todessehnsucht und das Leben am Abgrund der Trojaner einleuchtend umgesetzt hatte und auch beeindruckende Bilder für die "Chasse Royale et Orage" fand, die wie ein bizarrer, surrealistischer Drogenrausch gestaltet ist und damit dem, was Dido und Aeneas erleben, vermutlich näher kommt als eine peinlich genaue Umsetzung der ursprünglichen Ideen des Komponisten, die stark den Erwartungen des Pariser Publikums nach spektakulärem grand opéra-Pomp entgegen gekommen sein dürften. Danach ist die Bühne mit weißer Folie ausgeschlagen; der Blick fällt auf eine Wippe und riesige Buchstaben, die zusammengesetzt amour, aber auch mort ergeben - einer der wenigen wirklich platten Einfälle des Abends. Eine der gelungeneren Szenen folgt, als Iopas nicht nur brav sein Lied aus der Heimat singt, sondern zugleich mittels Diaprojektor Bilder aus derselben zeigt und so Dido zu beeindrucken sucht (und die Zuschauer, die sich nicht nur über ein makelloses hohes C freuen können, sondern über einen mit geschmackvoller messa di voce und großer Gestaltungskraft angegangenen Vortrag von Stanley Jackson), die zu diesem Zeitpunkt aber bereits dem trojanischen Helden verfallen ist, auch wenn sie sich während des großen Duetts noch zu wehren scheint, vor dessen Beginn ihr Ascagne spielerisch den Ring entwendet hat. Die "nuit d'ivresse et d'extase infinie" indes zeigt Baumgarten nicht als lauschiges Tête-à-tête im Halbdunkeln, sondern als gleichsam vom Personal des vorausgegangenen Septetts verfolgtes öffentliches Geschehen im Operationssaal, in dem Dido Opfer der Anästhesie von Ascagne und Anna wird und in dessen Hintergrund elfenartige Wesen Riesenluftblasen in den Raum pusten, bevor das Paar sich langsam auszieht und Hectors Schatten unerbittlich das Licht anmacht und an Aeneas' Auftrag erinnert. Man mag die kühle Optik und das Fehlen von Poesie beklagen - ein ungebrochenes Liebesduett hat Berlioz hier nicht geschrieben, denn das Paar bezeugt die wechselseitige Zuneigung merkwürdigerweise durch das Zitieren anderer Liebespaare, und diesem Verfremdungseffekt trägt Baumgarten hier Rechnung.


Vergrößerung in neuem Fenster Didon (Susan Mclean) und Enée (Michail Agafonov) zelebrieren die berühmte "nuit d'ivresse et d'extase infinie".

Und auch dass Hylas sich auf Grund seines immensen Heimwehs die Pulsadern aufschneidet und nur im letzten Moment von den beiden Sentinelles gerettet werden kann, ist letztlich ein stimmiges Bild; Uwe Eikötter hatte offenbar erheblich unter Premierennervosität zu leiden und wird in den Folgevorstellungen das berühmte Lied sicher souveräner interpretieren, während die beiden Gesangsstudenten Michael Nagy und James Martin viel aus der kurzen Szene machen und sich für weitere Aufgaben empfehlen. Deutlich wird in dieser Szene, dass Karthago eben doch eine mögliche Utopie für Troja darstellen könnte, eine denkbare Alternative zur diffusen, zur unüberwindbaren idée fixe erstarrten Verheißung und Staatsvision Italien, die "wie ein aggressiver Virus mehr und mehr eine Spur von Zerstörung in die Geschichte beider Gesellschaften gräbt" (so beschreibt es Produktionsdramaturgin Ina Karr treffend im Programmheft). Und so macht es im Gesamtzusammenhang der Inszenierung sehr wohl Sinn, dass die Trojaner kurz vor ihrer Abfahrt in sexueller Hinsicht noch einmal alles mitnehmen, ebenso wie die Regieanweisung, dass Dido nach Aeneas' Abfahrt ihre blonde Partyperücke abstreift und in ihre Einzelteile zerlegt - eine zeitgemäße Umdeutung des antiken Trauerritus. Beklemmend nüchtern auch der Tod Didos, die in einer schnöden Pappkiste samt der trojanischen Geschenke ohne großen Aufwand und ohne nennenswertes Bedauern der Umstehenden "entsorgt" wird; wie schon Cassandre scheitert sie in ihrem Versuch, das Private mit dem Öffentlichen, also Liebe und Politik zu verbinden: So wie sie zunächst ihrem Volk einen neuen König verweigert, zum Kampf gegen Iarbas aufgerufen hatte, der um sie warb, und wegen ihrer Verbindung mit Aeneas ihre Staatsgeschäfte vernachlässigt hatte, so zerstört sie nun ihr Reich aus enttäuschter Liebe und verletztem Stolz. Das gesamte Ensemble streicht danach die weiße Plane in den italienischen Farben, Projektionen Roms und seiner Macht beschließen den bemerkenswerten Abend, der sich nicht darauf beschränkt, einen altbekannten, aber doch auch sehr fernen Mythos nachzuerzählen, sondern mit großem Ernst versucht, ihm aktuelle oder zeitlose Bezüge abzugewinnen. Dass dabei mancher Einfall übers Ziel hinausschießt, dass die Ideen und Bilder, von denen wenige wirklich unpassend oder nicht zu entschlüsseln sind, sich jagen und weniger oft mehr gewesen wäre - man hat als Beobachter geradezu Angst, ein bedeutungsschwangeres Detail zu übersehen -, dass auf Grund der konsequenten Entmythologisierung und Aktualisierung manches Geschehen reichlich banal erscheint, wollte die Mehrheit des ansonsten enthusiastischen Premierenpublikums nicht goutieren; zu konzedieren ist aber in jedem Fall, dass bei dieser Sichtweise trotz einer Spieldauer von mehr als viereinhalb Stunden (es fehlen nur die Auftritte der Handwerker, Seeleute und Bauern und das Ballett des 4. Aktes, das man ja eigentlich auch nur dann sehen möchte, wenn man eine Spitzentruppe zur Verfügung hat; die Szene um den griechischen Spion Sinon hatte Berlioz selber gestrichen) nie Langeweile aufkommt, nicht zuletzt weil Baumgarten bereits beträchtliches Gespür für eine differenzierte Figurencharakterisierung besitzt. Es geht mit Sicherheit auch anders, aber so geht es auch!


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Didon (Susan Maclean) ist fassungslos über Enées Abreise.

Auch hinsichtlich der Besetzung stellt dieses Werk natürlich eine besondere Herausforderung an jedes Opernhaus, und es ist bewundernswert, dass mit Ausnahme der Didon alle Partien - manche gar doppelt - aus dem eigenen Ensemble besetzt werden können, das durchweg mit großem Engagement sang und agierte und auch mit dem französischen Idiom bestens vertraut war, was das Ergebnis einer intensiven, kompetent-profunden Einstudierung sein dürfte.

Michail Agafanov war mir bereits in den konzertanten Aufführung von Verdis Masnadieri als leistungsfähiger Spintotenor aufgefallen, und auch die heikle, unangenehm hoch liegende Partie des Enée bewältigt der Künstler meisterlich und scheinbar mühelos: Schon die Laocoon-Erzählung erklingt mit erstaunlicher Sicherheit, Tonschönheit und viel Stilgefühl, aber auch heldischem Aplomb und Durchschlagskraft bei den fulminanten Spitzentönen, ohne dass man auf zartere Töne, ein vorbildliches Legato oder die für französische Opern unentbehrliche clarté und Leichtigkeit des Ansatzes hätte verzichten müssen. Kein Wunder also, dass nach seiner Arie im fünften Akt das Publikum zum ersten und einzigen Mal den Abend durch frenetischen Beifall unterbrach - das hört man selbst auf CD nicht besser (nicht nur das hohe C bei "Bienfaitrice des miens"), und auch optisch passt der Russe hervorragend zum Konzept des gebrochenen Helden. Kathleen Broderick, die in Mannheim Senta, Turandot, Elektra und demnächst auch Isolde singt, trotzt ihrer großen, vielleicht etwas allgemein timbrierten Stimme wahrhaft imposante, energisch-expressive Töne ab, lässt bereits mit erschütterten "Malheureux roi"-Rufen aufhorchen, interpoliert gegen Ende des Duetts mit Chorèbe wie Eleanor Steber in dem berühmten Mitschnitt aus dem Jahre 1959/1960 gar ein weiteres H und verzehrt sich, gerade auch in darstellerischer Hinsicht. Eine ungemein natürlich agierende Interpretin der Didon ist Susan Maclean, deren Abschied vom Leben zu Tränen rührt, nicht zuletzt weil die Amerikanerin den ihr zugedachten Text mit bestechender Diktion präsentiert. Ihr ungemein flexibler, schlank geführter Mezzosopran weist die für französische Stimmen so typische leichte Schärfe und eine nicht unangenehme metallische Farbe auf und klingt durch sein leichtes Vibrieren ungemein verführerisch, erreicht problemlos hohe wie tiefe Töne und hat die Atemreserven für die endlos langen Bögen.

Daneben reüssiert Thomas Berau als kultiviert singender, vorbildlich phrasierender Chorèbe mit seinem ausgeglichen strömenden, die Erfahrung im Liedgesang erkennen lassenden lyrischen Bariton, Winfried Sakai ist ein vokal wie szenisch ungemein präsenter Panthée mit wilder Stimme. Tobias Schabel hat mit dem Narbal eine Rolle gefunden, die seinem dunklen, leicht vibrierenden Bass weitaus besser liegt als König Heinrich im Lohengrin, auch wenn mancher extrem tiefe Ton keine geringe Anstrengung erfordert; für das peinliche hautfarbene Oberteil mit Brustwarzenpiercing kann der Sänger nichts. Ceri Williams gibt die Anna mit einem die tiefe Tessitura mühelos bewältigendem Alt, der vielleicht etwas derb klingt, sich aber von der deutlich höher gelagerten Stimme der Bühnenschwester gut abhebt. Marina Ivanova bleibt als Ascagne vor allem dank ihres unermüdlichen darstellerischen Einsatzes in Erinnerung, und auch bei den übrigen Mitwirkenden gibt es keine Ausfälle. In unerwartet guter Verfassung präsentierten sich zudem der erheblich geforderte Chor und der Extrachor, auch wenn es im letzten Akt zu einigen Unsauberkeiten kam.

Hauptereignis des Abends war aber zweifellos das Dirigat des neuen Ersten Kapellmeisters Axel Kober, der am Pult des Nationaltheater-Orchesters einen fulminanten Einstand hatte und Berlioz' komplexe Partitur zwischen Erhabenheit und Leidenschaftlichkeit mit großer Transparenz und bestechender Präzision gerade auch in rhythmischer Hinsicht zum Klingen brachte. Dabei unterstützte er die Solisten wie die Chöre vorbildlich, bewahrte auch in den großen Tableaux stets die nötige Übersicht und wählte grundsätzlich flüssige Tempi, die jede schwülstige Wirkung vermeiden halfen, ohne dass man auf das Majestätisch-Mitreißende der Musik hätte verzichten müssen; dass atmosphärisch ungemein dichte Spiel während der "Chasse Royale et Orage" verdient besondere Erwähnung - ein junger Dirigent, den man im Auge behalten sollte!


FAZIT

Es ist erstaunlich, was das junge Team um Sebastian Baumgarten und Axel Kober zu Beginn der 225. Saison des Nationaltheaters Mannheim auf die Beine gestellt hat, um dem Publikum ein wahrhaft unterschätztes Meisterwerk näher zu bringen, das für mein Empfinden in seiner Großartigkeit mit den Musikdramen Wagners zweifellos mithalten kann - ein Riesenkompliment an alle Beteiligten für ihren Mut, ihren Fleiß, ihre Kreativität und ihr großes Können! Umso deutlicher wird dem aus Nordrhein-Westfalen Angereisten bewusst, wie armselig sich müde Kinder-Versionen von Rossinis Barbier, ambitionierte, aber offenbar wenig überzeugende Kagel-Projekte und der Wettstreit um die beste Neuinszenierung der Zauberflöte in der Region gegen dieses Mammutunternehmen ausnehmen. Das Mannheimer Publikum sollte Ulrich Schwabs Appell ernst nehmen und alles daran setzen zu verhindern, dass das Nationaltheater durch das trojanische Pferd Sparen zum zerstörten Troja wird!


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Axel Kober

Inszenierung
Sebastian Baumgarten

Bühnenbild
Hartmut Meyer

Kostüme
Valerie von Stillfried

Video
Stefan Bischoff

Chor
Bernhard Schneider
Harald Braun

Dramaturgie
Ina Karr



Chor, Extrachor und Statisterie
des Nationaltheaters Mannheim

Nationaltheater-Orchester
Mannheim


Solisten

* Premierenbesetzung

Enée
Michail Agafonov

Chorèbe
* Thomas Berau/
Ian Vayne

Panthée
Thomas Jesatko/
* Winfried Sakai

Narbal
Tomasz Konieczny/
* Tobias Schabel

Iopas
* Stanley Jackson/
Xavier Moreno

Ascagne
* Marina Ivanova/
Frédérique Friess

Cassandre
Kathleen Broderick

Didon, Clio
Susan Maclean

Anna
Ceri Williams

Hylas, Helenus
* Uwe Eikötter/
Matthias Wohlbrecht

Priam
* James Martin/
Hugh Egerton

Un chef grec
* James Martin/
Winfried Knoll

L'ombre d'Hector
* Tomasz Konieczny/
Tobias Schabel

Un soldat troyen
* Michael Nagy/
Slawomir Czarnecki

Première sentinelle
* Michael Nagy/
Vasile Tartan

Deuxième sentinelle
* James Martin/
Hyun-Seok Kim

Mercure
* James Martin/
Winfried Knoll

Polyxène
Susanne Nederkorn/
* Sibylle Vogel

Hécube
Julia Müller/
* Candace Zaiden

Spectre d'Hector
* James Martin/
Slawomir Czarnecki

Spectre de Chorèbe
Michael Nagy/
* Hyun-Seok Kim

Spectre de Priam
* Michael Nagy/
Hugh Egerton

Spectre de Cassandre
Natalia Maiorova/
* Susanne Scheffel



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