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Traditionelles Narrendrama
Von Thomas Tillmann
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Fotos von der Opéra Royal de Wallonie
Die aus Nizza bekannte, von dem aus Liège stammenden Paul-Emile Fourny verantwortete Rigoletto-Produktion mit ihrer sehr einfachen, konventionellen Ausstattung von Michael Scott, die die magische Beleuchtung von Jacques Chatelet ebenso nötig hatte (er setzte in der letzten Spielzeit schon La donna del lago ins rechte atmosphärische Licht) wie die historisierenden Kostüme, die von meinem weiter hinten gelegenen Platz in der Samstagsvorstellung bedeutend edler aussahen, wäre keine schlechte Folie für Verdis Narrendrama, das mit ein bisschen mehr Sorgfalt bei der Zeichnung der Figuren und ein wenig mehr Kreativität in der Erzählweise szenisch zweifellos überzeugender über die Rampe gekommen wäre. Trautes Heim, Glück allein: Gilda (Olga Mykytenko, links) und Rigoletto (Marcel Vanaud, rechts)
Ein paar sündig bemalte Vorhänge skizzieren den Hof des Herzogs als einen Ort der körperlichen Liebe (das etwas halbherzige gegenseitige Befummeln und die entblößten Brüste der Statistinnen regten freilich selbst die vielen pubertierenden Besucherinnen und Besucher in meiner Nähe kein bisschen auf), das Herabfallen des Stoffes signalisiert, dass dramaturgisch Bedeutsames passiert (wie etwa beim Auftritt Monterones, aus dem man mehr machen kann als Roger Joakim es mit wenig profundem Material tat), ein paar rasch hineingefahrene strukturierte Wände markieren Rigolettos trautes Heim. Einige Wirkung entfaltete dagegen der die Bühne bedeckende rote Vorhang, in den der tragische Buffone seine entehrte Tochter hüllte, und auch mit der Spelunke des letzten Bildes und ihrer neblig-feuchten Umgebung hatte man sich mehr Mühe gegeben. Ich mochte auch die Idee, Gilda im Bühnenhintergrund als eine Art Engel im unwirklichen blauen Licht erscheinen und ihre letzten Phrasen singen zu lassen, während Rigoletto vorn ein aus dem Sack hervorschauendes Double im Arm hält - die Szene ist immer heikel und wird von Opernhassern gern gegen das Genre angeführt. Jetzt ist alles aus: Rigoletto (Marcel Vanaud) hat die entführte Gilda (Olga Mykytenko) am Hofe seines Herrn wiedergefunden.
Bei jedem Wiederhören scheint mir Marcel Vanauds Bariton ein bisschen dunkler geworden zu sein, was ja kein Fehler ist, denn diese Entwicklung geht keinesfalls zu Lasten der nach wie vor hervorragenden Höhe. Der Belgier bringt erfolgreich seine langjährige Erfahrung mit der Titelpartie in seine sehr menschliche Interpretation ein - man könnte Seiten füllen, um die vielen feinen Nuancen und Ausdrucksvaleurs zu beschreiben, den sinnstiftenden Einsatz des nie dünnen Piano, in dem er beispielsweise Gilda von der verstorbenen Mutter erzählt -, und selbst die wenigen gefährdeten Töne sind geschickt in sein vielschichtiges, nie zur Outrage neigendes Rollenportrait dieses großen Sängerdarstellers integriert. Seng-Hyoun Ko, der auch an bedeutenden deutschen Opernhäusern wie Hamburg oder Berlin nennenswerte Erfolge im italienischen Fach verbuchen konnte, konzentrierte sich bei seinem Belgiendebüt eher auf den Narren als auf den Vater Rigoletto. Der Koreaner war lange genug in Italien, um keine Probleme mit dem Text zu haben, auch das Material ist individueller als bei manchem Landsmann, er zeigte sich auch stets um Details und Differenzierung bemüht, sang die Rolle bei grundsätzlicher Forte-Präferenz ohne Fehl und steigerte sich im Laufe des Abends mehr und mehr (der lange Beifall nach seinem "Cortigiani" war zweifellos berechtigt), aber mich persönlich berührte anders als die Mehrheit der Zuschauer der belgische Kollege mehr. Noch einmal, aber in anderer Besetzung: Gilda (Victoria Loukianetz, links) und Rigoletto (Seng Hyoun Ko, rechts) sehen sich im Palast des schändlichen Herzogs wieder.
Hatte man zunächst noch über die arg neckische, übertrieben mädchenhafte Darstellung geschmunzelt, das "Caro nome" etwas konventionell gefunden und einige kleinere Intonationsungenauigkeiten registriert, so freute man sich danach mehr und mehr über den warmen, substanzreichen und farbigen, angenehm vibrierenden, durchaus beweglichen und die Spitzentöne unverkrampft erreichenden lyrischen Sopran von Olga Mykytenko, die nach einem bewegenden "Tutti le feste" auch interpretatorisch mehr und mehr an Format gewann, das berühmte Quartett souverän dominierte und besonders am Ende zu berückenden Tönen fand. Tags drauf dagegen fragte ich mich einmal mehr, warum Victoria Loukianetz eine vergleichsweise große Karriere gemacht hat (ich erinnere mich etwa an ihre sehr kleinstimmige Violetta in Köln). Natürlich ist sie die erfahrenere Schauspielerin, aber mir ist die Stimme zu metallisch, zu hell, zu scharf und flackernd in der Höhe, zu weiß bei den Tönen oberhalb des Systems. Das Protagonistenquartett (von links nach rechts: Olga Mykytenko als Gilda, Marcel Vanaud als Rigoletto, Jadranka Jovanovic als Maddalena und Valeriy Serkin als Duca di Mantova) in der düsteren Spelunke am Flussufer
Der Duca di Mantova ist sicher keine Partie, für die man einen dramatischen Tenor braucht, aber mit Valerij Serkin hatte man wirklich einen vokal unterbelichteten Tenorino verpflichtet, der natürlich keine Probleme mit den Fiorituren hat, dessen flexible Stimme aber nicht nur sehr weit im Hals zu liegen scheint, sondern auch einen unattraktiven wobble und eine ausgezehrt-weiße Höhe aufweist, von der ein tief empfundenes Spiel nicht ablenken kann. Wie viel mehr Format, Ausstrahlung und Zwischentöne hatte da der furchtlos und kein Risiko scheuend attackierende Stefano Secco, der mir bereits vor einigen Monaten in der gefürchteten Titelpartie in Bellinis Il Pirata in Amsterdam sehr positiv aufgefallen war! Die ausgesprochen leicht ansprechende, schlank und elegant geführte, aber eben auch ein gesundes dunkles Fundament erkennen lassende und damit stets gut hörbare Stimme ist gleichermaßen geschmeidig wie viril, atmet die südliche Sonne, die man sich für die Partie des Verführers wünscht - man wird viel hören von diesem auch die Kunst des messa di voce beherrschenden und die Kadenzen mit viel Geschmack ausführenden Italieners! Rigoletto (Seng-Hyoun Ko) beklagt das traurige Schicksal seiner geliebten Tochter (in Engelsoptik singt hinten Victoria Loukianetz deren letzte Phrasen, während vorn eine Statistin den vorgesehenen Bühnentod spielt).
Daneben gaben Jadranka Jovanovic mit dunklem, strengen Ton eine etwas in die Jahre gekommene, angemessen vulgäre Klischee-Maddalena und Marco Spotti mit vollmundigen, die richtige "diabolische" Farbe aufweisenden und auch in den Extremlagen nicht in Verlegenheit kommenden Bass einen vorzüglichen Sparafucile, während über die Interpreten der kleineren Partien nicht viel geschrieben werden muss, wohl aber der leistungsstarke Herrenchor Erwähnung finden soll. Angst und bange wurde einem angesichts der ungeheuer rasanten, forschen Tempi, die Antonino Fogliani zunächst am Pult des freilich glänzend einstudierten Orchesters anschlug und mit denen er die Sänger mindestens phasenweise an ihre Grenzen führte (erstaunlich, dass kaum eine wirkliche Panne passierte!), aber eben auch große Brillanz erzielte und selbst in den längeren Arien jeden Stillstand verhinderte. Der ehemalige Assistent von Gianluigi Gelmetti und Alberto Zedda mit einiger eigener Erfahrung mit Belcanto-Opern wusste die Solisten und das Orchester jedenfalls hervorragend zu motivieren und garantierte eine frische, pulsierende Wiedergabe der bekannten Partitur.
Ein solider Rigoletto, dessen musikalische Seite wie häufig in Liège mehr überzeugte als die szenische! Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Licht
Assistenz
Choreinstudierung
Eine Produktion der
Solisten* Besetzung derVorstellung am 5. März 2004 ** Besetzung der Premiere und der Vorstellung am 6. März 2004 Gilda ** Victoria Loukianetz/ * Olga Mykytenko
Maddalena
Giovanna
Contessa di Ceprano/
Rigoletto
Il Duca di Mantova
Sparafucile
Il Conte di Monterone
Marullo
Matteo Borsa
Il Conte di Ceprano
Usciere di Corte
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