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Musiktheater
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Fidelio

Große Oper in zwei Aufzügen von Joseph Sonnleithner und Friedrich Treitschke
nach dem Französischen des Jean Nicolas Bouilly ("Letzte Bearbeitung", 1814)
Musik von Ludwig van Beethoven
Revidierte Edition von Helga Lühning und Robert Didion



Aufführungsdauer: ca. 2h 35' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Köln
am 11. Juni 2004

Logo: Oper Köln

Bühnen der Stadt Köln
(Homepage)

Fidelio lässt kalt

Von Thomas Tillmann / Fotos von Klaus Lefebvre

Noch während der Ouvertüre wird man Zeuge einer Organentnahme auf dem improvisierten Operationstisch im geräumigen Gefängnis, in dessen hinteren Teil man einen gläsernen Aufzug bemerkt, aus dem später Pizarro steigen wird und der den Zuschauer, der Zeit hatte, das Programmheft zu studieren, die Guillotine der Französischen Revolution assoziieren lässt (die Schräglage stünde dann für die grausamen Auswüchse, die diese genommen hat). Jaquino ist der flotte Anstaltsarzt, der Laufschuhe zum weißen Kittel trägt, Marzelline wischt kommentarlos das Blut weg, das vergossen wurde, als Pizarros sonnenbebrillte Schlägertruppe, die mich an die Freunde der italienischen Oper aus Billy Wilders Some Like It Hot oder andere Komödienmafiosi erinnerten und meistens dümmlich lachten, Gefangene misshandelte, wenn sie sich nicht gerade der Annäherungsversuche des erstgenannten erwehren muss, der sie am liebsten gleich auf einem Mülleimer nehmen würde.


Vergrößerung in neuem Fenster Jaquino (Hauke Möller) stellt Marzelline (Claudia Rohrbach) nach.

Das gespenstische metallische Hämmern, das man als Zuschauer immer wieder registriert, das Bühnenpersonal aber kalt lässt, sind Florestans verzweifelte Versuche, durch Schläge auf die zur Freiheit führende Treppe auf sein beklagenswertes Schicksal aufmerksam zu machen. Pizarro, unwiderstehlich in dem leuchtend roten Zweireiher, den Ausstatterin Marlene Poley ihm verordnet hat (sie ist auch für die anderen unauffälligen Kostüme unserer Tage verantwortlich, auch für das wenig vorteilhafte schwarze Outfit Leonores, die dazu eine Strubbelperücke in "herausgewachsenem" Wasserstoffblond tragen musste, und kreierte zudem das zweifellos imposante Bühnenbild), betatscht Marzelline, wirft auch auf Leonore einen begehrlichen Blick, bevor er einige herauf geführte Gefangene dazu zwingt, in enger Tuchfühlung mit ihm zu den Klängen des Marsches zu tanzen, und ein Inhaftierter schnell erschossen wird, dem ein von Pizarro zwischen seine Lippen geschobener Zigarillo herunter gefallen war und der erwartungsgemäß auf dem OP-Tisch landet (wenn man eine "zeitgemäße" Art von willkürlicher Gewalt und Folter hätte zeigen wollen, wäre es eindringlicher gewesen, einen arabisch aussehenden Statisten dazu zu zwingen, sich auszuziehen, und ihn dann am Halsband über die Bühne zu führen, und außerdem fragte ich mich, warum denn überhaupt Roccos Mitarbeit bei Florestans Ermordung nötig ist, wenn der Bösewicht doch eine so gewaltbereite, ihm hörige Meute mit sich führt). Trotz all dem lässt Leonore die Gefangenen ohne Rücksprache mit den weiteren Mitgliedern des Aufsichtspersonals zum Gefangenenchor aus ihren nicht sichtbaren Verliesen, und als Rocco dies aus dem höher gelegenen Überwachungsquader mit seinen tückischen Lamellenrollos trotz Fußballberieselung auf dem Monitor bemerkt, finden sich Marzelline und Jaquino inmitten der Gefangenen hinter dem runtergefahrenen Gitter wieder.


Vergrößerung in neuem Fenster Vater Rocco (Dieter Schweikart) beobachtet von seiner Überwachungszentrale aus den Streit zwischen Marzelline und Jaquino.

Und dann war im Wesentlichen auch schon Schluss mit eigenen Ideen, denn ab jetzt wird die Geschichte sehr traditionell weiter erzählt, wobei man sich mit viel Rampensteherei und Stillstand abfinden muss, wozu ich auch die Umbaupause nach dem Duett im Kerker zähle, die durch den nicht besonders geistreichen Einfall, dass Pizarro Rocco vor dem Vorhang die Blumen für Leonore in die Hand drückt, kein bisschen kürzer wurde, sondern den ohnehin schleppenden Fluss der Handlung noch weiter bremste.


Vergrößerung in neuem Fenster Pizarro, der Abscheuliche (Harry Peeters), kann auch von Marzelline (Claudia Rohrbach) die Finger nicht lassen.

Dass der Minister im wenig profilierten Schlussbild von einer Reihe ebenfalls mit Orden reich dekorierter Asiaten eskortiert wurde, aber eine sehr westeuropäisch ausschauende Gattin mitgebracht hatte, die sich ohne Rücksicht auf die eigentlich wichtigen Personen immer wieder vor den Kameras der spärlich erschienenen Journalisten (auch ein ganz neuer Einfall!) interessant zu machen suchte und damit zur am sorgfältigsten gezeichneten Figur des Abends avancierte, trug nicht zu einer veränderten Werksicht bei. Dank des Programmhefts weiß ich aber, warum Florestan allein nach hinten und damit in die Freiheit stürmt, Leonore aber vorn erstarrt: die "Ideologisierung von Familie, Ehe und Weiblichkeit zementierte traditionelle Geschlechterrollen ", weiß Martin Lade, der ansonsten überzeugend "Spuren historischer Realität in Beethovens Fidelio" nachweist, ohne dass dies in der Inszenierung von Operndebütant Christian Stückl wirklich umgesetzt würde, der laut Pressetext doch zu den markantesten jüngeren deutschen Regisseuren zählt, Intendant des Münchner Volkstheaters ist, den Jedermann für die Salzburger Festspiele inszenierte und auch die Passionsspiele seiner Heimatstadt Oberammergau leitet, aber sich in den Dialogen zwischen historisierend-traditionellem Duktus (ich hörte manche Passage, die mir aus der in Frankfurt unter Winfried Zillig entstandenen Aufnahme mit Helena Braun und Helge Rosvaenge bekannt vorkam) und aktueller Sprache nicht entscheiden konnte.


Vergrößerung in neuem Fenster Florestan (Klaus Florian Vogt), der Wahrheit kühn zu sagen wagte und dessen Lohn die Ketten sind

Aber da war ja noch die Musik! Zwischen 1804 und 1814 hat Beethoven mit mehreren Unterbrechungen insgesamt drei Jahre an dieser Oper gearbeitet, von vielen Nummern sogar mehrere Fassungen komponiert, immer wieder revidiert und korrigiert. Seit der vor 140 Jahren im Rahmen der alten Gesamtausgabe erschienen ersten wissenschaftlichen Edition ist Fidelio nicht mehr gründlich erforscht worden. In Köln wird jetzt zwar die bekannte letzte und vom Komponisten autorisierte Version gespielt, aber mit einem Aufführungsmaterial, das Helga Lühning und Robert Didion erstellt haben (es handelt sich um eine "Vorausedition" zu einer neuen wissenschaftlichen Ausgabe der Oper, die im Beethoven-Archiv in Bonn entsteht) und das zum ersten Mal an einem deutschen Theater benutzt wird. Die Musikwissenschaftler haben zwar keine neuen Arien oder Ensembles entdeckt, aber dadurch, dass sie vieles, das dem Notentext an Spielanweisungen und anderen Details im 19. Jahrhundert hinzugefügt worden ist, in Anlehnung an den Urtext bereinigt und zahllose Details der Artikulation, der Dynamik, des Klangs und der Orchesterbesetzung korrigiert haben, die Grundlage für ein verändertes Klangbild geschaffen, das - zumal aufgrund des beinahe vibratolosen Spiels des Orchesters - mehr der Wiener Klassik als der Aufführungspraxis der romantischen Oper verpflichtet ist.


Vergrößerung in neuem Fenster "Töt' erst sein Weib" sagt Leonore (Ruth-Maria Nicolay, rechts) zu Pizarros (Harry Peters, Mitte) und Florestans (Klaus Florian Vogt, links) Erstaunen.

Die Leistung von Markus Stenz, der mit dieser Einstudierung noch vor seinem Amtsantritt als GMD in der kommenden Saison seinen Einstand an der Kölner Oper gab, wurde während der Pause und dann auf der Premierenfeier durchaus differenziert diskutiert. Tatsächlich gelang es ihm, bei aller Bemühung um "authentische Musizierweise" zu einer lebendigen, farbenreichen, trotz der bemerkenswert häufigen Spielfehler (Hörner!) des Gürzenich-Orchesters letztlich akkuraten, aber nie "akademisch" klingenden, leidenschaftlichen, aber stets kontrollierten, durchsichtigen Wiedergabe der meistens bewegten, pulsierenden Tempi und der starken, aber nie übertriebenen dynamischen Kontraste zu finden. Was mich störte, war der Umstand, dass durch das Hochfahren des Orchestergrabens das Kollektiv einfach zu dominant, mitunter auch schlicht zu laut war und dass die Kommunikation mit den Solisten nicht immer störungsfrei ablief. Und trotz all der genannten Positiva: Wirklich unter die Haut ging mir diese Interpretation nicht.

Klangbeispiel Klangbeispiel: Leonore: "Abscheulicher, wo eilst du hin?" (Ausschnitt)
(Ruth-Maria Nicolay)
(MP3-Datei)


Ähnliches muss leider auch über das reichlich hölzerne, belanglose Spiel, den wenig enthusiastisch und dazu kaum verständlich vorgetragenen Dialog und das kühle, metallisch-helle Timbre des nicht eben liebenswürdigen Soprans der Rollendebütantin Ruth-Maria Nicolay gesagt werden, die 1988/89 als lyrischer Sopran angefangen hatte, in Hannover dann auch dramatische Mezzorollen übernahm (ich erinnere mich an eine intensive Johanna in Tschaikowski Jungfrau von Orléans in Wuppertal aus dieser Zeit), bevor sie 1998/99 ins dramatische Sopranfach wechselte und inzwischen Partien wie Sieglinde, Brünnhilde in Siegfried, Brangäne, Elsa und Ortrud, Senta und Lady Macbeth gesungen hat. Immerhin hatte die Künstlerin keinerlei Probleme mit dem flotten Tempo, das Markus Stenz für die Arie vorgesehen hatte, auch nicht mit den Aufschwüngen bis zum H, und man freute sich auch über die vielen geglückten Pianostellen, etwa bei "O namenlose Freude", das man selten so exakt und differenziert ausgeführt hört, ein Kompliment, das gleichermaßen an Klaus Florian Vogt geht, der den Florestan bereits im Oktober 2002 an der Vlaamse Opera gesungen hat (seit 1998 ist er Ensemblemitglied der Dresdner Semperoper, wo er unter anderem als Tamino, Hans, Matteo und Max zu hören war, während er in Erfurt und Bremen den Lohengrin gab, in der Hansestadt auch den Paul in Korngolds Die tote Stadt). Nicht nur wegen der exzellenten Textverständlichkeit, der hohen Rollenidentifikation und seiner scheinbar mühelosen Bewältigung der gefürchteten Tessitura ist er natürlich eine erste Wahl für diese Partie, wobei man festhalten muss, dass hier natürlich ein Sänger mit einem nach wie vor lyrischen, wenn auch (durchschlags-)kräftigen und zu einem beeindruckenden Forte fähigen Tenor am Werk ist, von dem man ein schönes Legato, eine vollendete Gesangslinie und eine strahlende, leicht ansprechende Höhe erwarten darf. Man wünscht dem Sänger die Stärke, sich mit noch schwereren Partien eine Menge Zeit zu lassen!

Klangbeispiel Klangbeispiel: Florestan: "In des Lebens Frühlingstagen?" (Ausschnitt)
(Klaus Florian Vogt)
(MP3-Datei)


Dieter Schweikart gab den Rocco mit weitgehend intaktem Bass und großem darstellerischen Bemühen - die Gewissensbisse und innere Zerrissenheit des Mitläufers machte er so berührend deutlich, dass man auf den Einfall, ihn mehrfach zum Flachmann greifen zu lassen, gut hätte verzichten können. Harry Peeters entwickelte weder vokal noch darstellerisch erwähnenswertes Profil als Pizarro - wann hat man je eine Fidelio-Aufführung gehört, in der sich nach der großen Arie keine Hand rührte? Zurecht wurden dagegen die innigen Töne des leichten lyrischen Soprans von der auch szenisch sehr präsenten Claudia Rohrbach am meisten beklatscht (sie war schon in der Lady Hamilton das eigentliche Ereignis gewesen) und die prägnanten, aber schmalen und auch etwas charaktertenoralen Hauke Möllers deutlich weniger (von wegen männlich-lyrischer Schmelz, wie es Opernintendant Christoph Dammann auf der Premierenfeier zur Freude der anwesenden Journalisten meinte formulieren zu müssen). Dagegen war Samuel Youn ein ausgesprochen schön und ebenmäßig singender Minister, und Ähnliches lässt sich auch über die beiden Solo-Gefangenen sagen. Auch wenn der diesmal wieder von Albert Limbach einstudierte Chor sich nicht in so kläglicher Verfassung präsentierte wie bei der letzten Premiere, so muss ich doch gestehen, dass ich die berühmten Stellen des ersten Aufzugs schon dynamisch differenzierter und bewegender gehört habe, das Finale des zweiten emphatischer und mitreißender.


Vergrößerung in neuem Fenster Umringt von Reportern und Sicherheitskräften kann Leonore (Ruth-Maria Nicolay, Mitte) sich wenig über die Blumen und freundlichen Worte des Ministers (Samuel Youn, rechts) freuen, während die üppige blonde Gattin Don Fernandos (Mitglied des Chores der Oper Köln) sich weiterhin penetrant in Szene setzt und so zur am prägnantesten gezeichneten Figur des Abends wird.


FAZIT

Wenn eine Fidelio-Aufführung nicht rührt und man eher gelangweilt als bewegt zur Premierenfeier geht, bei der zudem ein Barpianist das Nachklingen der Musik Beethovens schwer macht, dann ist etwas schief gegangen.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Markus Stenz

Inszenierung
Christian Stückl

Bühne und Kostüme
Marlene Poley

Licht
Dirk Sarach-Craig

Chor
Albert Limbach

Dramaturgie
Christoph Schwandt


Statisterie
der Oper Köln

Chor und Extra-Chor
der Oper Köln

Gürzenich-Orchester
Köln


Solisten



Don Fernando
Samuel Youn

Don Pizarro
Harry Peeters

Florestan
Klaus Florian Vogt

Leonore
Ruth-Maria Nicolay

Rocco
Dieter Schweikart

Marzelline
Claudia Rohrbach

Jaquino
Hauke Möller

1. Gefangener
Sung-Soo Kim

2. Gefangener
Chang-Wan Yoo


Weitere Informationen
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Bühnen der Stadt Köln
(Homepage)





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