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Daphne

Bukolische Tragödie in einem Aufzug, op. 82
Text von Joseph Gregor
Musik von Richard Strauss

Aufführungsdauer: ca. 1h 45' (ohne Pause)

Konzertante Aufführung
in der Kölner Philharmonie
am 13. März 2004


Logo: WDR Sinfonieorchester Köln

WDR Sinfonieorchester Köln
(Homepage)
Ein (Tenor-)Gott!

Von Thomas Tillmann


Von einem "etwas verquaste(n) Symbolgehalt" spricht Michael Struck-Schloen nicht zu Unrecht in seinem profunden Beitrag für das Programmheft, das für die beiden Aufführungen von Richard Strauss' in Zusammenarbeit mit dem (als Librettisten zweifellos weniger als seine Vorgänger Hugo von Hofmannsthal und Stefan Zweig begabten) Kulturhistoriker und Altphilologen Joseph Gregor entstandene bukolische Tragödie Daphne aufgelegt wurde, die der Kölner Philharmonie zweimal ein ausverkauftes Haus bescherten.

In seiner drittletzten Oper, am Heiligen Abend des Jahres 1937 in Taormina vollendet und am 15. Oktober 1938 an der Dresdner Staatsoper unter der Leitung von Karl Böhm uraufgeführt (dem das Werk gewidmet ist und der auch den als Referenzaufnahme gehandelten Mitschnitt von den Wiener Festwochen des Jahres 1964 mit Hilde Güden, Fritz Wunderlich und James King in den Hauptpartien dirigiert) kehrt der Komponist zu einem Urstoff der Gattung zurück: 1595 hatte Ottavio Rinuccini das erste Dafne-Libretto gedichtet (Jacopo Peri, Jacopo Corsi und Marco da Gagliano hatten es vertont), und auch Heinrich Schütz hat eine (nicht erhaltene) Daphne auf ein Textbuch von Martin Opitz komponiert. Wichtigste Inspirationsquelle für Strauss soll aber die berühmte Skulptur Apollo und Daphne von Gian Lorenzo Bernini gewesen sein, die er in der Villa Borghese in Rom gesehen hatte.

In dem Werk, das im Schäfermilieu eines fernen Arkadiens spielt, das gleichwohl von ungezügelten Trieben, Mord und Trauer erfüllt ist, treffen die Hitze des Begehrens und die sexuelle Indifferenz, die Leidenschaften des Gottes und die Gelassenheit des Naturwesens konflikthaft aufeinander und werden erst in der mystischen Verwandlung der Daphne in einen Lorbeerbaum wieder versöhnt. So weit, so merkwürdig - für mein Empfinden ist es eine kluge Entscheidung, diese Oper in einer konzertanten Aufführung zu präsentieren; die Wiener Staatsoper geht einen anderen Weg, wenn sie im Juni diesen Jahres nach 32 Jahren Spielplanabstinenz eine Neuinszenierung wagt (übrigens ebenfalls mit Johan Botha als Apollo und Semyon Bychkov am Pult).

Betörende Musik hat Richard Strauss allemal geschrieben, auch wenn einem die eine oder andere Passage etwas kunstgewerblich erscheinen will. Das einen angenehm warmen Klang erzielende WDR Sinfonieorchester Köln kostet die schillernde Partitur und den Farbenreichtum der Instrumentation genussvoll aus. Semyon Bychkov sorgte dafür, dass dies auch bei den Stellen, an denen es ordentlich "rauschen" muss, diszipliniert geschah, er hielt den großen Orchesterapparat bei aller vorgesehenen Wucht (etwa beim Tanz der maskierten Schäfer) und Ausgelassenheit (wie beim "Fest der blühenden Rebe") problemlos zusammen, bewies aber auch viel Gespür für kammermusikalische Intimität und transparent-luftige Stimmungen (so beim Auftritt der Mädchen und dem Rundtanz der Thyrsosträgerinnen), hatte keine Probleme mit den nicht ganz einfachen Übergängen und wusste auch, wie man Steigerungen über viele Partiturseiten hinweg aufbaut. Dass das Werk unter Böhm eben doch noch ein bisschen ausgewogener (auch hinsichtlich der einzelnen Gruppen im Orchester) klingt, noch präziser und transparenter, mag man konstatieren, dem Jüngeren aber ebenso wenig wirklich vorwerfen wie die nicht eben seltenen Patzer des Blechs, die den puren Wohllaut der Mondscheinmusik nicht unerheblich störten.

Das eigentliche Ereignis des Abends war zweifellos Johan Botha, der den Apollo im Jahre 2002 bereits mit großem Erfolg in London gesungen hatte (das hätte vielleicht auch diejenigen Zuschauer interessiert, die den privaten Mitschnitt nicht besitzen und die sich anders als der Rezensent nicht die Mühe gemacht haben, mit der Agentur des Sängers zu telefonieren, liebe Öffentlichkeitsarbeit!). In Köln war der Südafrikaner für mein Empfinden in noch besserer Form und bewältigte die vertrackte Partie noch müheloser mit rundem, strahlend-heldischen Tenor, dessen Timbre vielleicht nicht jedermanns Sache ist, der aber weder mit der insgesamt gemeinen Tessitura Probleme hatte noch damit, die heiklen Bs und Hs in die Gesangslinie zu integrieren, die Stimme etwa beim Kennen lernen der Angebeteten zurückzunehmen oder das heikle finale Calando wie vorgesehen auszuführen - eine Ausnahmeleistung, zumal man das Gefühl hatte, der Sänger könnte die ganze Partie im Anschluss noch einmal auf demselben hohen Niveau singen.

Das Publikum klatschte sich erwartungsgemäß die Hände besonders für Renée Fleming wund, deren PR-Maschinerie glänzend funktioniert und die die Titelpartie meines Wissens zum ersten Mal komplett gesungen hat (die Verwandlungsszene kennt man natürlich von der CD "Great Opera Scenes", die gleichzeitig eine der letzten des großen Sir Georg Solti war). Ich habe die Sängerin nun zum dritten Mal innerhalb kurzer Zeit live gehört (bei einer in Düsseldorf wie in Dortmund, und ich bleibe bei meiner Einschätzung, dass ich die uferlose Begeisterung für ihre Kunst nicht uneingeschränkt teilen kann, auch wenn die Sopranistin sich offenkundig mit dem Text auseinandergesetzt hat und sich um eine präzise Aussprache bemühte, ohne auf diese Weise über eine ausgesprochen allgemein bleibende, Worte und Noten nicht wirklich durchdringende Interpretation hinauszukommen. Die hervorragend geführte Stimme hat unbestritten ein schönes Timbre und einige Resonanz in der Tiefe, aber sie ist nicht der volle lyrische Sopran, als den die Künstlerin ihr Organ gern beschreibt und den man auf ihren vielen Aufnahmen hört, sondern ein durchaus fragiler, den man nicht auf jedem Platz der großen Konzerthäuser Nordrhein-Westfalens gut hört, sondern nur, solange das Orchester nicht laut spielen muss (und Bychkov macht ihr die Sache keinesfalls schwer, sondern unterstützt sie nach Kräften!). Wie klein und dezent die Stimme ist, wurde vor allem in den Szenen mit Apollo deutlich, auch wenn die Fans vermutlich behaupten werden, dass das Objekt ihrer Verehrung gerade das Mädchenhafte der Figur betone! Überzeugend gerieten natürlich die lyrischen, liedhaften Momente, die vielfach eher gehauchten als gesungenen Töne, das zweifellos beeindruckende Piano, aber ich erwarte bei dieser Partie einfach eine größere tonliche Fülle, mehr Farben und mehr Glanz in der Höhe (ich hatte den ganzen Abend das Gefühl, als habe sich die Sängerin die Regieanweisung "vom Wipfel des Baumes" - so steht es über den Vokalisen der Verwandlungsszene - als Motto des gesamten Abends genommen). Und so bleibt als markantestes Adjektiv zur Beschreibung von Stimme und Interpretation der Amerikanerin einmal mehr das nicht sehr vielsagende "nice". Man hört eine ganz andere Musik, wenn man etwa die Ausschnitte mit Margarete Teschemacher auflegt, die die erste Daphne war und eben über einen jugendlich-dramatischen Sopran verfügte, für den auch eine Rezia, Elsa, Senta oder Sieglinde, eine Aida oder Tosca kein Problem war und der das Format und den Jubel einer echten Strauss-Stimme besaß, den man auch bei Sängerinnen wie Maria Cebotari oder Hilde Güden bewundert, die auch nicht über die kräftigsten Mittel verfügten. Es geht darum, eine reiche Stimme zu haben (Ähnliches sagte mir Ingrid Bjoner, die die Partie liebte und mit der ich vor einigen Jahren das Glück hatte, über diese und andere Strauss-Rollen zu sprechen), und es gehört zu den großen Versäumnissen der Plattenfirmen, das Werk nicht mit Anna Tomowa-Sintow eingespielt zu haben, die auf einem ihren wunderbaren Recitals immerhin mit der Schlussszene vertreten ist und vermutlich ideal als Daphne gewesen wäre.

Jeffrey Dowd, dessen wirklich gruseligen Apollo ich noch unangenehm im Ohr habe, scheint nach Jahren im viel zu schweren dramatischen Fach zu lyrischeren Partien zurückkehren zu wollen, was ein wenig spät sein dürfte. Zwar beginnt er mit ausgeruhtem, zunächst unangestrengten Material, aber wie bei ihm üblich huscht er über schnellere Notenwerte und sonstige Feinheiten generös hinweg, und es dauert nicht lange, bis er sich im Passaggio fest singt und man sich mit einem flachen, ausgebleichten Geräusch abfinden muss, mit gequälten Tönen oberhalb des G und einem zittrigen Piano. Und auch dies muss gesagt werden: Wenn die Interpreten der zweifellos längeren und schwierigeren Hauptpartien den ganzen Abend auf dem Podium sitzen bleiben können, dann sollte der Tenor es auch schaffen und nicht erst im letzten Moment wieder erscheinen und dabei auch noch die weitesten Wege wählen!

Einen glänzenden Eindruck hinterließ dagegen mit vollmundig-rundem und dennoch präzis fokussiertem Alt Anna Larsson, die die tiefe Tessitur der Gaea-Partie kein bisschen in Verlegenheit brachte und die selbst die Es unterhalb des Systems ohne hörbare Mühe bewältigte. Kwangchul Youn setzte seine beeindruckende, in allen Lagen problemlos ansprechende Bassstimme als Peneios erfreulich kontrolliert ein. Ein Gewinn waren Julia Kleiter und Susanne Bernhard als frischstimmige, glänzend harmonierende Mägde; namentlich die Sopranistin hat nicht viel weniger Stimme als der Star der Produktion und erreicht hohe Noten leichter als dieser. Unter den Schäfern tat sich besonders Jörg Schneider mit angenehm timbrierten lyrischen Tenor hervor - vielleicht wäre er die bessere Wahl für den Leukippos gewesen -, der erfahrene Eike Wilm Schulte steuerte angemessen charaktervoll-reife Töne bei, und auch Gregory Reinhart und Carsten Wittmoser hinterließen mit ihren kurzen Beiträgen keinen schlechten Eindruck. Erwähnung verdienen zudem die glänzend aufgelegten Herren des WDR Rundfunkchores Köln, die die diversen dynamischen Vorschriften präzis umsetzten, eine hohe Textverständlichkeit erzielten und wie aus einem Munde sangen (zweifellos das Ergebnis einer soliden Einstudierung von Jörg Ritter).


FAZIT

Mit mehreren Sekunden Schweigen dankte das Publikum den Mitwirkenden ihre bemerkenswerte Leistung, bevor minutenlanger frenetischer Beifall einsetzte. Diejenigen, die nicht dabei sein konnten, können am 21. März 2004 im WDR 3 nachhören, was sie verpasst haben!


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Semyon Bychkov

Choreinstudierung
Jörg Ritter



Herren des
WDR Rundfunkchores Köln

WDR Sinfonieorchester Köln


Solisten

Daphne
Renée Fleming, Sopran

Gaea
Anna Larsson, Alt

Leukippos
Jeffrey Dowd, Tenor

Apollo
Johan Botha, Tenor

Peneios
Kwangchul Youn, Bass

Erster Schäfer
Eike Wilm Schulte, Bariton

Zweiter Schäfer
Jörg Schneider, Tenor

Dritter Schäfer
Gregory Reinhart, Bass

Vierter Schäfer
Carsten Wittmoser, Bass

Erste Magd
Julia Kleiter, Sopran

Zweite Magd
Susanne Bernhard, Sopran




Weitere Informationen
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WDR Sinfonieorchester Köln

(Homepage)



Da capo al Fine

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