Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Homepage Musiktheater-Startseite E-mail Impressum



Königskinder
Musikmärchen in drei Akten
von Engelbert Humperdinck
Dichtung von Ernst Rosmer,
i.e. Elsa-Agnes Bernstein-Porges

Premiere im Theater Hagen am 15.November 2003

Aufführungsdauer: ca. 3h 15' (eine Pause)


Logo: Theater Hagen

Theater Hagen
(Homepage)

Märchen weniger für Kinder

Von Ralf Jochen Ehresmann / Fotos von Stefan Kühle


Ob die Hagener Spielplangestalter ohne näheres Hinsehen gemeint haben könnten, Humperdinck=Märchen=Kinderveranstaltung, bleibt offen, doch wer von Hänsel und Gretel, das ebenfalls vor drei Jahren über die Hagener Bühne ging, leichtfertig auf universale Leichtigkeit eines Genrekomponisten schlussfolgert, liegt damit zwar voll in einem Trend, der Humperdinck schon zu Lebzeiten zu schaffen machte, der Sache nach aber schwer daneben.
Dabei ist es durchaus als mutiger Entschluss zu loben, angesichts des allwinterlichen Ansturmes der Märchen in die Spielpläne mal etwas anderes zu präsentieren als Hänsel und Gretel, das wie seit eh und je die Hitliste anführt.

Und wieder einmal zeigt diese Hagener Neuinszenierung - ausweislich des Programmheftes - die erste seit 1955 - ein weiteres Mal die Leistungsfähigkeit der kleineren Häuser unseres Landes.

Vergrößerung in neuem Fenster Die Gänsemagd (Angelina Ruzzafante)
mit ihrer schlauen Graugans (Ballettelevin),
argwöhnisch beäugt von der Hexe (Marilyn Bennett).

Das Märchen darf auch in der abgeklärten Gegenwart ein Märchen bleiben, das uns von allerlei Wunderdingen erzählt. Für ein Märchen kommen die Königskinder mit erstaunlich wenig Wundern aus und könnten ebenso gut als entmythologisiertes Psychodrama bestehen. Mit genau dieser Doppeloption bieten sie zugleich einen wichtigen Zugang zu den Werken von Humperdincks wichtigstem Schüler: Siegfried Wagner.

Äußerlich gesehen durchschaut ein vagabundierender Jungadeliger anlässlich der Begegnung mit einer ungefähr gleichaltrigen Frau in inneren Abhängigkeiten deren Not nur wenig, hinter der sich ungeklärte Herkunftsfragen verbergen. Durch symbolhaft aufgeladene Handlungen kommen sie getrennt voneinander unter Anleitung des Spielmannes zur Erkenntnis ihres gesellschaftlichen Auftrages, was die fragliche Kommune aufgrund vorurteilsgesteuerter Fehldeutung nicht erkennt und daher seine neue Regentur vertreibt. Deren junge Generation durchschaut die Erbschuld dieser Schande ihrer auf Statusbewahrung orientierten Patriarchen, doch ihr Versuch zur Wiedergutmachung der Vertreibungs-Schuld und Heimholung der Verstoßenen - wiederum unter Führung des Spielmanns - misslingt final, indem nur noch die erfrorenen Leichen der Königskinder vorzufinden sind.

Vergrößerung in neuem Fenster

Die Hexe (Marilyn Bennett) will aus der Gänsemagd
(Angelina Ruzzafante) ein echtes Hexenkind machen.

Gleichzeitig besteht auch dann noch eine zureichende Basis des Geschehens und seiner Deutung, wenn man im Vordergrund verbleibt, wie Jörg Fallheier in Hagen es tut: Auch ohne doppelten Boden gelangt man zu einem schlüssigen Erzählfluss, dessen unaufdringliche Sozialkritik an der Vordergründigkeit der Logik der Erwachsenen genauso gut bruchfrei in nostalgische Verklärung des ach so seligen Kinderglücks aufgelöst werden kann. Kindertauglich im Sinne einer relevanten Publikumsgröße wird es auch dadurch nicht, dawider stehen erhebliche Längen in den reflexiven Passagen ohne "Handlung" im äußerlich darstellbaren Sinne: Wenn ich noch einmal wiederkommen kann, dann sicher ohne meinen Sohn.

Durch die Einstiegsszene mit Hexe und Gänsemagd konstituiert sich eine Welt, wo "gut" und "böse" noch eindeutig unterscheidbar sind, wo also dem Sympathiebedürfnis auf Zuschauerseite klare Objekte präsentiert werden. Zu der wirklichen Welt da draußen mit ihren enervierenden Differenzierungen und psychologischen Abgründen besteht keine Verbindung: Hier fühlt man sich wohl, da man weiß, wohin man gehört und sich trotz gegenteiliger Ausgangslage fest auf den letztlichen Sieg des Guten verlassen kann.

Aber dann legt Rosmers alias Bernstein-Porges' Dichtung los, und das klare Weltbild des Märchens verkehrt sich in sein Gegenteil. Gewiss, die Vereinigung mit dem Königssohn darf natürlich nicht gleich bei der 1.Begegnung gelingen; dann wäre die Oper ja schon nach eine halben Stunde zu Ende. Doch bereits die Gründe dieses primären Missratens eröffnen eine tiefenpsychologische Dimension, die den Austritt aus der Gattung Märchen in seiner schlichten Variante einleitet und die Grundlage weiterer Entwicklung schafft.

Vergrößerung in neuem Fenster Die Gänsemagd (Angelina Ruzzafante) träumt
von einem Leben jenseits des düsteren Waldes.
Der Hexe (Marilyn Bennett) behagt das gar nicht.

Weder gelingt dem Königssohn, die royale Position und ihren Habitus vollständig hinter sich zu lassen, um ganz der Vagabund zu werden, als der er wandernd streift, noch hat das Gänsemädchen eine reale Chance, ihren Part als Regentin akzeptabel auszufüllen, so dass dem Pöbel und seinem Klischee behafteten Erwartungsdruck psychologisch kaum etwas anderes übrig bleibt, als dieses ungleiche Gespann von allergogener Ähnlichkeit zum eigenen Status in einer Autoimmunreaktion abzustoßen: Zu fremd, um dazuzugehören; zu ähnlich, um als neuer Adel Herrschaftsrecht beanspruchen zu können.

Da bleibt nur der Gang in die innere Emigration, und aus solcher Lage entsteht dann auch wieder jene Märchenaura, die die Kinder als zentrales gesellschaftliches Erkenntnismedium hochleben lässt - ein Topos, der beständig durch Humperdincks Werke geistert, worauf sogar das Programmheft sehr gelungen rekurriert, wenn es Herbert Grönemeyers Kinder an die Macht zitiert.

Vergrößerung in neuem Fenster

Der Königssohn (Dominik Wortig) verlässt überzornig die zaghafte
Gänsemagd (Angelina Ruzzafante), weil er nicht versteht,
dass sie unter dem Zauberbann der Hexe steht.

Die Inszenierung deutet das Volk von Hellabrunn nicht tiefer als in der üblichen Koinzidenz von dumm und frech, so dass die Vertreibung des zuvor so heiß ersehnten Königspaares kaum verwundern kann. Wie oft stürzt gerade das Eintreffen des lang Ersehnten die Glücklich-Erwartenden ins Unglück derer, denen ihr Lebenssinn und -inhalt abhanden gekommen ist... Das zeigte sich schon an der Präsentation ihrer Archetypen, des Holzhackers und des Besenbinders, die stets als nur als dummdreistes Duo (HHBB) auftreten, das gerne zaghaft kneift, wenn es seine großmäuligen Ankündigungen realisieren soll.

Den Verstoßenen widerfährt zu Lebzeiten keine Erlösung: statt "happy end", "Liebestod light". Einzig der Spielmann als Prophet, der in seiner Heimat nichts gilt und die ihm folgende Kinderschar erkennen die Lage, intuitiv und nicht durch Analyse. Deren Stimmen hat Humperdinck ergreifende Passagen anvertraut, die in der Umsetzung des Hagener Kinderchores und seiner Solistin an die Grenzen des imaginären Optimums vorstießen, wundervoll.

Vergrößerung in neuem Fenster Der Spielmann (Bernd Valentin) wetteifert mit der Hexe
(Marilyn Bennett) um die Befreiung des Gänsemädchens.

Die Szeneneinteilung des 3.Aufzuges ist leider sehr unklar geraten. Das Bühnenbild erklärt weder das WoherWohin von HHBB noch deren Verhältnis zum Spielmann, wohin das Königskinderpaar eigentlich wandert, warum etwa HHBB das alte Zauberbrot als Krumen herausgeben, obschon doch der Spielmann als Nachmieter der Hexe Bewohner des verlassenen Hexenhauses ist und die Herren eigentlich selbst Hunger haben müssten, wie überhaupt die Mutation des Brotes zu Zauberware nie verständlich und beispielsweise durch eine Symbolhandlung transparent geworden ist. Allein die schiere Länge des Schlussdialoges zwischen den Königskindern von einer knappen halben Stunde zu fortgeschrittener Stunde belegt die mangelnde Eignung des Stückes für ein klassisches Kinderprogramm und hätte überhaupt nach einer szenischen Unterstützung verlangt, so dass hier eine gewisse Länge entstanden ist, der anderweitig nur durch Texteinblendungen beizukommen wäre, um den dramaturgisch so wichtigen Inhalt dieses Dialoges nachvollziehbar zu machen. Denn nachdem der um den Bruch der nutzlos gewordenen Königskrone eingetauschte Brotlaib, dessen Hexenherkunft niemand mehr erkennt, hungergierig verzehrt ist, entfaltet der alte Doppelzauber seine Kraft: Das Schönste zu sehen und daran zu vergehen. Hier wäre denn auch Gelegenheit gewesen, über die gelungene Lichtregie hinaus, für die Rolf Hagemann ausdrücklich zu gratulieren ist, eine adäquate Szenenverwandlung zu platzieren, welche Maßnahme im Etat dieser Produktion offenbar nicht mehr unterzubringen war.

Die SolistInnen sind durchgängig gut besetzt, gerade das Königskinderpaar mit Angelina Ruzzafante und Dominik Wortig wird seiner Aufgabe bestens gerecht. Wortigs heller Tenor vereinigt Wärme und Glanz, während man sich hier manchmal etwas mehr Spielfreude gewünscht hätte. Diese ist dafür bei Ruzzafante sehr ausgeprägt, und mit Bravour vollbringt sie ihren Charakterwechsel vom 1.zum 3.Aufzug, also von maximaler Naivität und parsifalischer Torheit zu jener jungen Frau, die nicht einmal der Rausschmiss aus Hellabrunn vom Bewusstsein ihrer Sendung abbringt und die ihre Entscheidung für den Königssohn gegen alle Widerstände durchhalten will, nicht um erneut der Welt zu entfliehen sondern um mit ihm ihre Liebe auszuleben. Marilyn Bennett verkörpert die Boshaftigkeit der Hexe voller Inbrunst und mit starker Gestik und Mimik.
Holzhacker (Panajotis Iconomou) und Besenbinder (Richard van Gemert) vertreten exemplarisch die kommunale Torheit der Dorfleute, stark auch die Schnippigkeit der Wirtstochter (Carola Günther), während die übrigen HellabrunnerInnen nicht zu eigenen Charakteren sich auswachsen.

Vergrößerung in neuem Fenster

Wer die Wahrheit sagt, macht sich nirgendwo beliebt.
Der Königssohn hat zuviel durchschaut und muss ins Exil.

Nicht hoch genug zu loben ist der Kinderchor, der im 3.Aufzug auch erhebliches dramatisches Gewicht gewinnt. Nie zuvor hat das Jungendensemble eines Theaters mich so zu rühren vermocht: Weiter so!

Unbestrittener Star allerdings bleibt Bernd Valentin als Spielmann. Diese Sympathiefigur ohne Eigenambitionen, die nur am Wohl des Volkes interessiert ist, die Stimme der Unterdrückten unterstützt und ein veritabler Freund der Kinder und der von ihnen erwählte Anführer ist, verlangt auch stimmlich das Meiste von ihrem Darsteller, und Bernd Valentin lässt hierbei keine Wünsche unerfüllt. Volumenstark und dabei hoch präzise in Diktion und Bühnenpräsenz, ist hier ein Glanzpunkt zu erkennen,

Vergrößerung in neuem Fenster "Gebt den Kindern das Kommando" (H.Grönemeyer).

Die Aufführung dauert rund 3 1/4 Stunden und bringt das Gesamtwerk erfreulicherweise ungekürzt.

Das Hagener Theater erweist hiermit ein weiteres mal die Richtigkeit seines Dauerschwerpunktes auf deutscher Spät- und Nachromantik, worin sich nicht zuletzt die Langlebigkeit eines guten Erbes aus PPPachls Zeiten niederschlägt.


FAZIT

Eine wichtige Ausgrabung, die in Hagen in guten Händen liegt und von Fans der deutschen Spät- und Nachromantik nicht verpasst werden sollte!



Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Antony Hermus

Regie
Jörg Fallheier

Ausstattung
Axel Schmitt-Falckenberg

Dramaturgie
Christian Wildhagen

Choreinstudierung
Uwe Münch

Kinderchoreinstudierung
Caroline Bosch

Opernchor, Extrachor,
Kinderchor und Statisterie
des Theater Hagen

Das Philharmonische
Orchester Hagen


Solisten

Der Königssohn
Dominik Wortig

Die Gänsemagd
Angelina Ruzzafante

Der Spielmann
Bernd Valentin

Hexe
Marilyn Bennett

Der Holzhacker
Panajotis Iconomou

Der Besenbinder
Richard van Gemert

Der Ratsälteste
Ks. Horst Fiehl

Der Wirt
Andrey Valiguras

Die Wirtstochter
Carola Günther

Der Schneider
Tobias Schäfer

Die Stallmagd
Edeltraud Kwiatkowski

Erster Torwächter
Dirk Achille

Zweiter Torwächter
Wolfgang Niggel

Eine Frau
Vera Käuper

Das Töchterchen des Besenbinders
Lucy Struck

Das Vogelkind
Bruno kelzenberg

Die Gans
Leonie Theis


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Hagen (Homepage)




Da capo al Fine

Homepage Musiktheater-Startseite E-mail Impressum

© 2003 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -