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Hier kommt einem manches spanisch vor
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Rudolf Majer-Finkes Carmen ist die wohl spanischste aller Opern. Geschrieben wurde sie freilich von einem Franzosen, in französischer Sprache. Das liegt natürlich auch am Sujet, am Stierkämpfer-Milieu; aber auch an der spanischen Einfärbung der Musik. Auch Beethovens Fidelio spielt in Spanien, was der Oper allerdings aus gutem Grund nicht anzuhören ist: Spanien ist hier vor allem ein Ort, der weit genug von den Wienerischen Zensoren entfernt ist, als dass es den Herrschenden an der Donau mulmig werden könne angesichts der Zustände in einem Staatsgefängnis. Noch weiter weg muss das Spanien liegen, in dem die Gralsburg Montsalvat liegt; irgendwo im fernen Land, unnahbar euren Schritten, wie Lohengrin noch zu erzählen wusste (und Parsifal zwischen dem zweiten und dritten Akt seiner Oper schmerzlich erfahren muss). Dass Wagner sie für den Parsifal an die Außengrenze des christlichen Abendlandes, nahe zum arabisch besetzten Teil Spaniens, verlegt, hat symbolische, nicht geographische Bedeutung, spielt doch die Grenzlinie zwischen Christen- und Heidentum eine vielschichtige Rolle in der Oper. Carmen ohne Spanien steht auf verlorenem Posten. Parsifal in Spanien auch. Amfortas verbreitet tibetanisches Flair in der spanischen Klosterschule, derweil Titurel im Stile eines dem Martyrium erlegenen Mudschaheddin aufgebahrt auf seinen nächsten Gesangseinsatz wartet.
Trotzdem versetzt Rosamund Gilmore die Oper in ein ganz reales Spanien. Irgendwo in einer ländlichen Klosterschule steht der Gral zwischen den Trophäen, die man wahrscheinlich für den Sieg beim Bezirksfußballturnier der Schulen oder den südostkastilischen Lesewettbewerb gewonnen hat: Repräsentativ im Schaukasten gleich neben dem Eingang. "Erlösung dem Erlöser" steht als Motto, natürlich auf spanisch, an der Wand, und ein Wegweiser Al jardin magico weist den Zuschauer zunächst in die irre statt zum verzauberten Garten: Nicht draußen, nein, hier drinnen auf der muffigen Bühne, die wahrscheinlich am Schuljahresende fürs Schülertheater und die Preisverleihung für den strebsamsten Knaben benötigt wird. Im zweiten Akt erlebt Parsifal hier eine tolle Blumenmädchenrevue mit vielen bunten Luftballons, und Kundry, Topstar dieses mittelprächtigen Varietés, wird ihm eine Solonummer widmen. Gurnemanz wird im dritten Akt mit der Gießkanne (ein heil'ger Quell) seine Setzlinge gießen und angesichts der kleinen Pflänzchen von blühenden Landschaften, nein, pardon: grünen Auen singen. Glitzernder Colt, wo die Manneskraft sitzen sollte: Gestalten wie Klingsor sollte man (frau?) wohl nicht zu ernst nehmen.
Klangbeispiel: Parsifal (Burkhard Fritz)
Das für alle Akte einheitliche Bühnenbild von Carl Friedrich Oberle (das ungeachtet seines detailgetreuen Realismus dramatisch nach hinten im Boden zu versinken scheint) ist also angetan, das Bühnenweihfestspiel aus dem neochristlichen wagnerschen Theaterhimmel in ganz irdische Niederungen der spanischen Provinz herabzuholen. Die hehre Symbolik ironisch zu zerpflücken und auf die dahinter liegenden Qualitäten des Stückes zu schauen, das hätte das Anliegen der Inszenierung sein können. Das Bühnenbild verleitet die Regisseurin aber erst einmal zu einer stark narrativ ausgerichteten Personenführung: Gurnemanz als Oberlehrer, Parsifal als schlecht erzogener Pubertierender, Kundry als Obdachlose mit filzigem Haar und Plastiktüten. Zweifel könnten angesichts der absurd kostümierten Gralsritter aufkommen: Wird hier der Realismus gebrochen? Aber das Programmheft belehrt eines Besseren. Die scheinbar albernen und übertriebenen Kutten sind recht genau Fotografien von Prozessionen in Zentralspanien nachempfunden; über den entsprechenden Bildband informiert das Programmheft. Immerhin, die Show stimmt in Klingsors Zaubergarten: Parsifal wird von Blumenmädchen angenehm unterhalten ...
Dieses Spanienbild dürfte den allermeisten Zuschauern allerdings ähnlich fremd vorkommen wie die Gralswelt an sich, und daher bringt die Verlagerung in das moderne (?) Spanien keinen Zugewinn. Die Regisseurin stellt dieser erzählenden Interpretation aber noch eine weitere, abstrahierende Ebene zur Seite. In jedem Akt ist eine Tänzerin präsent, offenbar eine abstrahierende Verkörperung der Kundry und in jedem Akt mit etwas anderen Facetten: Sandra Lommerzheim deutet im ersten Aufzug das erotisch-verführerische Moment an (die Sängerin Richetta Manager zeigt die Kundry in bewusst unattraktiver Weise), Cécile Rouverot im dritten Aufzug das mädchenhaft-unschuldige. Sind die beiden aber schon weitgehend überflüssig, so ist Christina Menne im zweiten Aufzug, der durch die musikalische Präsenz der Kundry nun wahrlich keine Verdopplung benötigt, aufdringlich störend, auch weil die Choreographie der Musik und dem sonstigen Geschehen hier überhaupt nichts erkennbar Neues entgegen zu setzen hat. So wird der Einsatz der Tänzerinnen (ein Markenzeichen von Rosamund Gilmore, dass sich in der Gelsenkirchener Turandot schon nicht bewährt hat) eine weitgehend unsinnige Parallelaktion ohne Nutzen. ... und bekommt von Kundry, Star des Ensembles, noch einen coolen Song von der Liebe geboten.
Überhaupt neigt die Regisseurin zu (allzu) plakativen Symbolen: Klingsor trägt clownesk einen glitzernden Colt im Genitalbereich, und für einen kurzen Moment darf man die entblößten Unterleiber einiger Statisten betrachten damit auch diejenigen Zuschauer, die weder Programmheft, Übertitel noch sonst welche Informationsquellen gelesen haben, verstehen, dass es in dieser Oper nicht um Seitenstiche geht. Amfortas zeigt als buddhistischer Mönch kulturübergreifenden Schmerz, und auch der singende Leichnam Titurel (ein altgedienter Mudschaheddin?) ist ästhetisch nicht eben geglückt. Klangbeispiel: Amfortas (Jee-Hyun Kim)(MP3-Datei)
Sind die jeweils ersten Hälften der drei Aufzüge noch recht eindrucksvoll in ihrer mitunter unkonventionellen Bildsprache, so verdirbt die zweite jeweils den guten Eindruck. Parsifal jedenfalls urteilt geschmackssicher, wenn er nach der Gralsfeier des ersten Aktes diese verbrämte Gesellschaft Hare raufend verlässt. Richetta Manager als in alternde Show-Diva Kundry bleibt derartig unerotisch, dass ihr Kuss so attraktiv ist wie der einer ungeliebten Stieftante das hier die Schlüsselstelle des Dramas ist, muss man ausschließlich der Musik entnehmen. Und zur Erlösung schwenkt Parsifal den Speer nicht groß anders als in der Uraufführung da kapituliert eine Regie, die sich längst verzettelt und verfangen hat, vor dem Mythos, den sie eigentlich ironisch durchkreuzen wollte. Gurnemanz (vorne kniend) entstaubt noch ein letztes Mal den Gralspokal, den das Gralsritterteam vermutlich beim letzten Fußballturnier gewonnen hat. Doch nur der Speer taugt, die Inszenierung zu beenden: Bei so einer tollen Waffe auf der Bühne singen auch die Frauen wieder mit, und alles wird gut!
Musikalisch kann sich die Aufführung durchaus hören lassen, und dass, obwohl man weitgehend auf Gäste verzichtet hat. Allein Rainer Zaun als sehr vitaler, endlich einmal nicht dem Typus des Märchenonkels entsprechender Gurnemanz verstärkt das hauseigene Ensemble. Burkhard Fritz singt die Titelrolle mit kraftvollem, baritonal fundiertem Tenor. Richetta Managers Kundry ist akkurat gesungen und entspricht dem Rollenbild, das die Inszenierung vorgibt (mit den genannten Problemen). Jee-Hyun Kim ist ein kraftvoll leidender Amfortas, Nicolai Karnolsky ein solider Titurel. Recht blass bleibt Nikolai Miassojedov als Klingsor. Durchweg gut sind die kleinen Rollen (Knappen, Ritter, Blumenmädchen) besetzt. Klangvoll und recht differenziert singen die von Nandor Ronay einstudierten Chöre. Samuel Bächli wählt recht flotte Tempi, baut damit aber mit der sehr engagiert und konzentriert spielenden Neuen Philharmonie Westfalen über weite Strecken überzeugende Spannungsbögen. Eine Botschaft hält das Stück dann doch noch bereit: Nach der Erlösung des Erlösers treten die Frauen hinzu, in Alltagskleidern, und Parsifal darf Kundry leidenschaftlich küssen. Seht her, so schlimm ist's mit der Liebe zwischen Männern und Frauen gar nicht, will uns da die Regie wohl sagen. Nur, das werden sich selbst die größten Parsifal-Bewunderer fragen, muss man ein Publikum über fünf Stunden in ein Opernhaus einspferchen, um in solcher Trivialität zu enden?
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Dramaturgie
Chor
Solisten
Amfortas
Titurel
Gurnemanz Parsifal Klingsor Kundry 1. Gralsritter 2. Gralsritter Blumenmädchen 1. Knappe 2. Knappe 3. Knappe 4. Knappe Stimme aus der Höhe Tänzerinnen
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