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Musiktheater
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Roméo et Juliette
Oper in einem Prolog und fünf Akten von Charles Gounod
Text von Jules Paul Barbier und Michel Florentin Carré
nach Romeo and Juliet von William Shakespeare


In französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 15' (eine Pause)

Premiere in der Oper Frankfurt
am 7. Dezember 2003


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Oper Frankfurt
(Homepage)
Ärgerliche Mogelpackung

Von Thomas Tillmann / Fotos von Bettina Müller



Uwe Eric Laufenberg, dessen belanglosen Gianni Schicchi in Oldenburg ich noch in unangenehmer Erinnerung habe, hat herausgefunden, dass Gounods Oper in den ersten drei Akten durch das Genre "Ballmusik" dominiert wird: "Mit all den Chören, Walzern und Konversationsensembles haben wir es hier mit einem permanenten Fest, einer zur Permanenz verurteilten Fröhlichkeit zu tun", wir bleiben "bei Gounod im abgeschlossenen Raum des Balles", und überhaupt ist diese Oper "ein höchst subjektives Destillat von Shakespeares Tragödie", ein "Kind der zweiten Jahrhunderthälfte, ihres Oberflächlichkeitskultes, ihrer Dekorationssucht und Dekadenz" und dazu auch noch eine "Grand opéra mit sämtlichen pompösen Ingredienzien" - pfui Teufel, und mit so etwas muss der zukünftige Intendant des Hans-Otto-Theaters in Potsdam sein Geld verdienen! Dagegen urteilt die im Programmheft zitierte Silke Leopold ganz zurecht, dass Gounod für seine Oper einen innigen, fast religiösen Ton fand und "der tragischen Liebesgeschichte gegenüber so bühnenwirksamen Ereignissen wie dem Maskenball im Hause der Capulets ... musikalisch eindeutig den Vorrang gab. Selbst der berühmte, ansonsten mit Kritik am Werk nicht geizende Eduard Hanslick hatte sich dafür erwärmen können, dass die vier einzelnen Duette, die einen großen Raum der Oper einnehmen, "gleichsam die Biografie der Liebe zwischen Romeo und Julia von deren erstem Erblühen bis zur tragischen Vernichtung" skizzieren, und Richard Langham Smith spricht im Begleittext zu der EMI-Aufnahme aus dem Jahre 1995 gar von einem "der besten und beständigsten Beiträge zu dem uralten Thema Liebe und Familienrivalität, der den Weg auf die Opernbühne fand"!

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Die Debütantin (Juanita Lascarro) im Kreise der munteren Gesellschaft, die Romeo und Julia aufführen will (direkt neben ihr Elzbieta Ardam als Gertrude und Johannes Martin Kränzle als Capulet).

Guter Rat war da teuer, ebenso wie vermutlich das opulente Bühnenbild und die aufwändigen Kostüme, die der Regisseur bei Gisbert Jäkel und Kaspar Glarner in Auftrag gegeben hatte und die einen vorzüglichen Rahmen für jede üppige Operetteninszenierung darstellen dürften. Statt Verona und 14. Jahrhundert, Garten, Klosterzelle oder gar unterirdische Gruft musste es die sich in Exstase tanzende "Fassadengesellschaft der Belle Epoque, die erst mit den Schüssen von Sarajewo ihr Ende finden wird", sein. Das Werk in diese Zeit zu verlegen, ist trotz mühsamer, wortreicher apologetischer Bemerkungen im Programmheft freilich reine Willkür. Rechtzeitig zu den ersten Takten der Musik wird in der Mitte der Bühne eine Leinwand sichtbar, auf der Kriegsszenen, ein rauschendes Offiziersfest auf einem Luxusliner und Leichenberge in Schützengräben sich abwechseln (Filmsequenzen wie diese von Jakob List zusammengestellten sind im Herbst diesen Jahres offenbar bei der Inszenierung französischer Opern besonders en vogue, mit diesem Mittel arbeitete man auch bei Les Troyens in Mannheim und Paris). Und weil man sich auf einem richtigen Ball ja nicht nur beim Tanzen, Schlemmen, Trinken und Flirten langweilen will, muss ein Gesellschaftsspiel her, und was liegt da näher, als Shakespeares Romeo und Julia zur Aufführung zu bringen? Flugs ziehen die Partygäste aus einer Lostrommel ihre Rollen für das geplante Spiel, Marie ist die Julia, Tony Romeo (die Namen der Figuren scheinen aus Bernsteins West Side Story übernommen zu sein, die Laufenberg offenbar mehr interessiert hätte), und schon kann's losgehen.

Weil der Komponist aber offenbar doch kein vollständiger Idiot war und der "bleibende Wert ..., die Erfindung, die uns heute noch etwas erzählt", die Figur der femme fragile ist, übernimmt Laufenberg Gounods "verlagernde Wertsetzung für das Mädchen" und rückt sie ins Zentrum seiner Inszenierung: "Aus einer Ballbesucherin wird eine Darstellerin und dann - auf dem Höhepunkt eines immer intensiven werdenden Identifikationsprozesses - die wirkliche Julia, die man vergeblich von ihrer Obsession abzubringen versucht. Aus dem Spiel wird wieder tödlicher Ernst." Die letzten beiden Akte, vom Regisseur als "Nach dem Fest" überschrieben, fasst der offenkundig auch literarisch hoch begabte Bühnenbildner zusammen: "Die Dekorationen sind abgebaut. Aber ein Fehler hat sich eingeschlichen. Ihr ist es ernst geworden, der Marie, die das große Los gezogen hatte, das Los der Julia. Die liebt ihren Romeo wahrhaftig. Sie will mit ihm bleiben, für immer, lebendig und tot. Die Marie empfindet wie Julia! Sie ist Julia! Sie ist wohl verrückt geworden ..." Diese Demenz wird ihr helfen, die von Gounod eingefügte Hochzeit mit Pâris durchzustehen, der sie zusammen mit seiner Truppe gleich noch vergewaltigen darf. Tony-Roméo singt sein "C'est là" zu Beginn des fünften Aktes vom Notenpult aus - ein gänzlich neuer Verfremdungseffekt, den man wirklich noch nie gesehen hat! -, das "Paar" sitzt auf Stühlen während des finalen Duetts (natürlich passt der gesungene Text manches Mal nicht zu dem, was man auf der Bühne zu sehen bekommt!), und obwohl Tony doch durchschaut hat, dass die Geschichte mit Marie-Juliette nichts weiter war als eine Farce, nimmt er dennoch Roméos Gift, während das Mädchen sich nicht entschließen kann, sich zu erstechen: Die Protagonisten werfen am Schluss nur den Klavierauszug weg und entfernen sich.

Vergrößerung in neuem Fenster Marie-Juliette (Juanita Lascarro) hält die Rosen ihrer Verehrer fest im Arm.

Während die Regie in den intimeren Momenten jeglichem Stillstand misstraut und überflüssige Nebenhandlungen meint einfügen zu müssen, produziert sie selbst die längste Zeit bei aller Betriebsamkeit lähmende Langeweile - das laute Gähnen eines genervten Zuschauers sprach mir aus der Seele! -, zumal einem die Figuren letztlich fremd bleiben, man eine kluge Personenführung vermisst und einem unangenehm auffällt, dass sich doch sehr viel an der Rampe oder auf dem Pavillon-Podest vorne rechts abspielt. Ärgerlich fand mancher Zuschauer wohl auch, dass Frère Laurent von einigen halbseidenen Damen, mit denen er sich zuvor vergnügt hat, für die Trauung angezogen wird, dass die tuntigen Ministranten in Flip-Flops erscheinen (die waren in diesem Sommer modern!) und dass die natürlich anwesenden Ballgäste wie das Brautpaar bei dieser Juxheirat Ringe tauschen. Ebenso überflüssig ist die Klamaukfechterei, die in eine Gruppenkeilerei ausartet und dann auf einmal doch ernst sein soll (für die Kampfchoreografie hatte man extra den von der Essener Folkwang-Schule bekannten Klaus Figge verpflichtet, einen Weggefährten des Regisseurs, was einen auch den Kopf schütteln lässt). Am Ende des dritten Aktes muss dann auch noch gesprochener Dialog eingefügt werden (etwa "La fête est finie"), um das eben nicht durchgängig stimmige Konzept zu stützen - noch Fragen?

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Tony-Roméo (Joseph Calleja) und Marie-Juliette werden von Bruder Laurent (Daniele Tonini) getraut - eine Juxheirat, wie sich herausstellen wird.

Ungläubiges Staunen befiel mich bereits nach den ersten Tönen von Juanita Lascarro, deren Lulu meinem Kollegen Ehresmann vokal schon nicht überzeugt hatte (sie war in Frankfurt auch als Emma in Schuberts Fierrabras und als Massenets Manon zu erleben) und angesichts deren Leistung als Juliette ich mich bereits während der Ariette fragte, wie sie es überhaupt an ein mittleres Haus geschafft hat und mit welcher Berechtigung sie im kommenden Jahr am Royal Opera House in London debütieren darf. Natürlich ist die Kolumbianerin eine zierlich-mädchenhafte, attraktive, exotische Frau mit einiger Ausstrahlung, aber wir drehen ja keinen Film, sondern machen Oper, und obwohl der Regisseur es so eingerichtet hatte, dass sie fast alle anstrengenden Passagen am Bühnenrand oder auf dem erhöhten Podest singen durfte, musste sie ihr dünnes Stimmchen, dessen unangenehmste Lage die bald zittrige, bald spitze, meistens weiße und nicht immer zuverlässige Höhe ist, arg forcieren, was streckenweise ein ausladendes Vibrato zur Folge hatte - ein paar verinnerlichte Töne in der Mittellage reichen da als Entschädigung nicht, zumal die Künstlerin auch den virtuosen Anforderungen der Partie nur mit einiger Mühe gerecht wurde und wahrlich keine raffinierte Gestalterin ist.

Eine erstklassige Besetzung der zweiten Titelpartie war dagegen der erst 25jährige Joseph Calleja, der sich in der vergangenen Spielzeit als Rodolfo in Frankfurt vorgestellt hatte, inzwischen auch in Wien in La Sonnambula auftrat und dorthin für I Puritani zurückkehren wird (zur Zeit bereitet er auch sein Met-Debüt vor und wird ein Arienrecital für die Firma Decca aufnehmen, die ihn zur Probe schon einmal die Einwürfe Alfredos in Renée Flemings Einspielung von Violettas "E strano" hat singen lassen; seine hochgelobte Mitwirkung bei der Dynamic-CD und -DVD von Maria Stuarda verschweigen die offiziellen Biografien dagegen zu Unrecht!). Der Paul-Asciak-Schüler bringt den angemessen leichten Ton und großes Stilgefühl mit, er hat ein leichtes Vibrieren in der geschmeidigen, hell, edel und weich timbrierten Stimme, das an das Moussieren eines guten Champagners erinnert, er hat den nötigen Glanz und die Strahlkraft in der völlig mühelos erreichten Höhe, sein vorbildliches Legato und eine perfekte Atemkontrolle erlauben ihm eine elegante Phrasierung, eine vollendete messa di voce und berückende morendi - bereits sein "Ah! lève-toi, soleil!" wurde zum Showstopper und löste "Bis"-Rufe aus. Dennoch wurde besonders im letzten Akt deutlich, dass der Roméo für den Malteser eine Grenzpartie ist und dass der Tenor, der trotz seiner in einem Interview beklagten Probleme, sich in eine Figur einzufühlen, die ständig zwischen Tony und Roméo hin und her wechseln müsse, auch darstellerisches Format entwickelte, keinesfalls schwerere Rollen in Angriff nehmen sollte.

Vergrößerung in neuem Fenster Die "Hochzeitsnacht" findet auf einer einfachen Matratze inmitten der abgebauten Dekorationen statt: Marie-Juliette (Juanita Lascarro) und Tony-Roméo (Joseph Calleja).

Johannes Martin Kränzle überzeugte als offenbar alkoholkranker Capulet nicht nur dank seiner Bühnenpräsenz und mit gutem Französisch, sondern auch mit elegant geführtem Bariton und der nötigen légèreté, während Daniele Toninis hinsichtlich des Materials grundsätzlich imponierender, aber reichlich steifer, grobkörniger Bass einige heiser-metallische Nebengeräusche aufweist (er gab den Frère Laurent). Elzbieta Ardam war mit reifem, aber intakten Ton eine deutlich aufgewertete Gertrude, Nathaniel Webster mit leichtem Bariton nicht nur in der Ballade von der Königin Mab ein Gewinn als Mercutio. Maria Fontosh brachte die nötige Geläufigkeit und eine interessante metallische Farbe für die Hosenrolle des Stéfano mit, während mir Michael McCown mit seinem quäkigen Tenor als Tybalt nicht unerheblich auf die Nerven ging, Gérard Lavalle ein abgesungener Grégorio war und Simon Bailey und Franz Mayer als Pâris respektive Duc keinen erwähnenswerten Eindruck bei mir hinterließen, anders als die vom neuen Chordirektor Alessandro Zuppardo gut einstudierten Chöre. Nach etwas wuchtigem Beginn setzte Karen Kamensek, die in Frankfurt bereits The Turn of the Screw und La Traviata dirigiert hatte und seit Spielzeitbeginn als Generalmusikdirektorin in Freiburg tätig ist, im weiteren Verlauf eher auf Sorgfalt und Dezenz (namentlich in den Entr'actes) und tat alles, um dem Vorwurf der Süßlichkeit entgegenzuwirken, was dazu führte, dass einem das Werk nicht wirklich unter die Haut ging - ein bisschen raffinierter und vor allem mitreißender hätte das Spiel des ansonsten gut disponierten Museumsorchesters schon sein dürfen!


FAZIT

Die Theaterleitung hätte Uwe Eric Laufenberg davon abbringen müssen, den Zuschauern zuerst erklären zu wollen, wie schlecht Gounods Oper ist, um dann auf dieser Erkenntnis aufbauend eine eigene Geschichte zu erfinden, die weder spannend noch schlüssig erzählt wird. Wenn man mit einem Stück nichts anfangen kann, dann unterschreibt man den Vertrag nicht oder löst ihn auf, wenn man vor der Unterzeichnung keine Zeit hatte, sich mit dem Werk angemessen auseinander zu setzen. Das Frankfurter Premierenpublikum entlarvte die ärgerliche Mogelpackung durch ein selten so einhellig gehörtes Buhkonzert am Ende, feierte aber die Sänger, besonders natürlich Joseph Calleja, der sich auf dem Sprung zur ganz großen Karriere befinden dürfte.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Karen Kamensek

Inszenierung
Uwe Eric Laufenberg

Bühnenbild
Gisbert Jäkel

Kostüme
Kaspar Glarner

Dramaturgie
Norbert Abels

Licht
Olaf Winter

Kampfszenen
Klaus Figge

Filmsequenzen
Jakob List

Chor
Alessandro Zuppardo



Chor und Statisterie
der Oper Frankfurt

Frankfurter Museumsorchester


Solisten


* Alternativbesetzung
Roméo
Joseph Calleja

Juliette
Juanita Lascarro

Tybalt,
Capulets Neffe
Michael McCown/
* Peter Marsh

Pâris
Simon Bailey

Capulet
Johannes Martin Kränzle

Mercutio
Nathaniel Webster

Gertrude
Juliettes Amme
Elzbieta Ardam

Grégorio
Roméos Diener
Gérard Lavalle

Bruder Laurent
Daniele Tonini

Stéfano
Roméos Page
Maria Fontosh

Le Duc
Franz Mayer

Benvolio
Pere Llompart



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
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(Homepage)



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