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Wozzeck

Oper von Alban Berg
Text nach dem Dramenfragment "Woyzeck" von Georg Büchner


In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln
Aufführungsdauer: ca. 1 h 45' (keine Pause)

Premiere im Aalto-Theater Essen am 26. Juli 2004
(rezensierte Aufführung: 29. Juli 2004)


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Theater Essen
(Homepage)
Kammerspiel und Welttheater

Von Stefan Schmöe / Foto von Karl Forster


Das Schicksalsrad rollt schwer wie ein Mühlstein über die Bühne, und wie eine Guillotine droht die schräg gestellte Wand die Akteure zu zerreißen: Die Essener Neuinszenierung des Wozzeck lebt von den großen, die Bühne beherrschenden Bildern und Symbolen. Regisseur Johannes Schaaf und Bühnenbildner Hans-Dieter Schaal setzen auf klare, streng-wuchtige Zeichen, gegenüber denen das Individuum chancenlos ist. Maries Zimmerchen etwa ist verschwindend klein am linken Bühnenrand postiert, aber es wirkt nur noch wie ein Zitat der naturalistischen „Arme-Leut-Welt“ im abstrahierten Weltgefüge – allerdings eines, dass den Rahmen (und die Größenordnungen, um die es hier geht), absteckt.

Szenenfoto

Noch funktioniert der Rückzug in die kleine Welt der Zweisamkeit: Wozzeck und Marie

Klangbeispiel Klangbeispiel: Wiegenlied der Marie (1. Akt, 3. Szene)
(MP3-Datei)


Schaaf versteht es geschickt, mit den großen Bildern die überdimensionierte Essener Bühne zu füllen und gleichzeitig einen schmalen Streifen als Spielfläche abzutrennen. Im Vordergrund findet sozusagen exemplarisch das Kammerspiel statt, das symbolisch zur großen Tragödie überhöht wird. Tatsächlich können sich die Darsteller auf diese Weise gegenüber den gewaltigen Bühnenskulpturen behaupten. An den Schlüsselstellen wird das Bühnenbild dann zum beherrschenden Moment des Spiels: Maries Leiche, in blutrotem Gewand, liegt dekorativ im Inneren des Rades – das ist zwar durchschaubar auf den Effekt hin angelegt, aber trotzdem suggestiv. In ihrem repräsentativen Gestus „funktioniert“ die Inszenierung, obwohl (oder gerade weil?) sie einen Hang zum Pathos hat. Diese Qualität wird sie wohl auch bewahren, wenn sie in den Repertoirebetrieb (mit dann vielleicht anderen Sängern) übernommen wird - für Intendant und Chefdirigent Stefan Soltesz wohl kein ganz unwesentlicher Nebengedanke.

Szenenfoto Im Wettbewerb der Inszenierungen um die scheußlichsten Untersuchungsmethoden in der Doktor-Szene wartet Essen mit Elektroschocks auf.

Das monumentale Bühnenbild schafft gleichzeitig eine Distanz zur Tragödie, was treffend mit der musikalischen Interpretation korrespondiert. Stefan Soltesz, in der Vergangenheit nicht immer davor gefeit, vor lauter Wohlklang die Binnenspannung zu verlieren, musiziert mit den wieder einmal hervorragend disponierten Essener Philharmonikern jede einzelne Phrase so sorgsam aus, als hinge alle Seligkeit der Musikwelt davon ab (was bei dieser Partitur sicher nicht falsch ist), aber er glättet die Verwerfungen nicht ab, lässt Gegensätze nebeneinander stehen. Die Musik klingt jederzeit transparent durchhörbar und nie massig. Soltesz vermeidet, so schön einzelne Phrasen auch sein mögen, ein Übermaß an spätromantischem Weltschmerz. Die Schönheit bleibt abstrakt, sachlich – und darin gelöst vom individuellen Schicksal.

Szenenfoto

Das Schicksalrad führt uns ins große Welttheater: Symbolische Überhöhung der Wirtshaus-Szene

Klangbeispiel Klangbeispiel: "Guten Tag, Franz" (2. Akt, 3.Szene)
(MP3-Datei)


Nicht in jedem Punkt wird die klare Struktur, die das Bühnenbild vorgibt, konsequent eingehalten. Suggeriert das (von Wolfgang Willaschek vorzüglich gestaltete und redigierte) Programmheft noch eine strenge Trennung der einzelnen Szenen, so verschmelzen diese durch die Regie an vielen Stellen miteinander zu einem kontinuierlichen Ablauf der einzelnen Akte, der in dieser Form weder bei Berg noch in Büchners fragmentarisch hinterlassenem Drama zu finden ist. Vielleicht wollte Schaaf ganz bewusst das Individualdrama Wozzecks in einer anderen, bei aller Abstraktion narrativen Erzählstruktur zeigen; das Formbewusstsein an anderer Stelle macht einen solchen gegenläufigen Ansatz aber nicht unbedingt schlüssig. Die Entwicklung des Wozzeck vom naiven Liebhaber zum kaltblütigen Mörder wird in der Personenregie recht plausibel dargestellt. Johan Reuter singt die Rolle mit schlanker, stets auf sorgfältige Tongestaltung bedachter Stimme – eben kein Wozzeck, der das Schicksal herausfordern wollte, sondern ein makellos gesungener Kleinbürger. Daher auch kein Wozzeck für standing ovations, sondern einer, der sich klug ins Ensemble einfügt.

Szenenfoto Tödliches Kammerspiel im monumentalen Bühnenraum: Gleich wird Wozzeck Marie erstechen.

Martina Serafin ist eine recht lyrische Marie, die in der etwas angestrengten Mittellage durch ein recht eintöniges Vibrato in ihren sängerischen Ausdrucksmöglichkeiten begrenzt ist. Nur in der hohen Lage gelingen ihr wirklich dramatische Töne, und das führt zu einem etwas verzerrten Rollenbild: Ein braves Mädel bei den mittleren, eine kämpferische Frau bei den hohen Tönen. Auch schauspielerisch wird die Figur nicht ganz plausibel. Die Hingabe an den Tambourmajor ist teils eine Form der Prostitution, teils Ausdruck von Maries sexuellem Verlangen. Martina Serafin gelingt es aber nicht, beides gleichzeitig darzustellen, sondern entweder den einen oder den anderen Aspekt, und so bleibt diese Marie ein nur vage umrissener, (zu) widersprüchlicher Charakter.

Szenenfoto

Vom Weltenrad zermahlen: Marie tot, Wozzeck gleich auch tot.

Klangbeispiel Klangbeispiel: "Er! Sie! Teufel!" (Wirtshausszene - 2. Akt, 4. Szene)
(MP3-Datei)


Musikalisch durchweg sehr gut sind die weiteren Rollen (Rainer Maria Röhr als Andres, Robert Wöhrle als Hauptmann, Marcel Rosca als Doktor, Jürgen Müller für den erkrankten Jeffrey Dowd als Tambourmajor) besetzt. Die Personenregie ist hier recht schematisch und vergleichsweise konservativ angelegt – diese Figuren sind Archetypen einer Gesellschaft, die das Leben unerträglich macht (und dadurch austauschbar mit etlichen anderen Aufführungen). Christine Mielitz hat in ihrer Inszenierung (unser Bericht) im benachbarten Dortmund (der vergleich liegt nicht nur der räumlichen Nähe wegen in der Luft) mehr aus den Figuren herausgeholt, wie sie überhaupt in vielen Details zwar nicht grundsätzlich anders, aber pointierter als Schaaf zu Werke gegangen ist. Von Schaaf mag man die großen Bilder in Erinnerung behalten, die (insgesamt sicher komplexere) Inszenierung von Christine Mielitz ist – auch wegen ihres bewussten Verzichts auf die Vorherrschaft der Bilder – die aufregendere, unmittelbarer ansprechende. Schaafs und Schaals Bildwelten zeigen, auch wenn Schaaf mit manchen Brechungen (etwa ein Kammerorchester auf der Bühne) dagegen arbeitet, leise Ansätze von ästhetischem Verschleiß.


FAZIT

Trotz einiger Einwände ein starkes Stück Theater. Mich persönlich hat die fast zeitgleich entstandene Dortmunder Inszenierung noch stärker beeindruckt, aber das mag Geschmackssache sein. Am besten sieht man sich einfach beide auf ihre Art sehenswerten Produktionen an.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Stefan Soltesz

Inszenierung
Johannes Schaaf

Bühne
Hans Dieter Schaal

Kostüme
Marie-Louise Strand

Licht
Davy Cunningham

Dramaturgie
Wolfgang Willaschek

Choreographie
Jeremy Leslie-Spinks



Statisterie des Aalto-Theaters
Opernchor und Kinderchor
des Aalto-Theaters

Die Essener Philharmoniker



Solisten

* Besetzung der rezensierten Aufführung

Wozzeck
Johan Reuter

Tambourmajor
Jeffrey Dowd /
* Jürgen Müller

Andres
Rainer Maria Röhr

Hauptmann
Robert Wöhrle

Doktor
Marcel Rosca

1. Handwerksbursch
Almas Svilpa

2. Handwerksbursch
Günter Kiefer

Narr
Herbert Hechenberger

Marie
Martina Serafin

Margret
Marie-Helen Joel

Maries Knabe
Yannick Maximilian Stennes /
* Manuel Rodriguez
(gesungen von Karen Stone)

Ein Soldat
Andre Fox /
* Ulrich Wohlleb

Pianist
Boris Gurevich






Weitere Informationen
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