Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Musikalisches Drama im Geiste Gustav Mahlers
Von Stefan Schmöe
/
Fotos von Thomas M. Jauk Als ich vor 14 Jahren in Dortmund eine Vorstellung von Wozzeck sah, trat zu Beginn der Vorstellung der damalige Intendant Horst Fechner vor den Vorhang und bat das Publikum, doch bitte bis zum Ende der Aufführung zu bleiben; immerhin könne man dann sagen, man sei dabei gewesen. Viel geholfen hat es, einer durchaus ansehnlichen Inszenierung zum Trotz, nicht. So grässlich moderne Musik wollte seinerzeit nicht jeder Dortmunder hören und lief, nicht ohne die Türen effektvoll knallen zulassen, missmutig aus der Vorstellung. Wozzeck - kein Stück für das normale Publikum? Familienglück im Schutzraum: Wozzeck, Marie und Sohn
Klangbeispiel: "Komm, mein Bub'. Was die Leute wollen" (Marie) (I. Akt 3. Szene)
Was manchem Besucher als musikalischer Bruch mit der romantischen Tradition erscheint, wird in der Interpretation von Arthur Fagen und den in allen Bereichen exzellenten Dortmunder Philharmonikern in anderes Licht gestellt. Fagen stellt die Partitur in die direkte Mahler-Nachfolge, und die Parallelen vor allem zu den langsamen Sätzen der späten Symphonien Mahlers wird frappierend deutlich. Fagen erzielt mit dem nicht eben kleinen orchestralen Apparat ein durch und durch transparentes, immer wieder kammermusikalisch reduziertes Klangbild, in dem jeder Einsatz, jede Nuance der Tonfärbung strukturellen Sinn bekommt. Die Unterscheidung in Haupt- und Nebenstimmen gelingt überaus plastisch, und damit erhält die Musik eine melodische Qualität zurück, die unter dem Eindruck der (auch hier nicht verleugneten) scharfen Dissonanzen in anderen Aufführungen häufig unterbelichtet bleibt. Aber nicht nur Gustav Mahler, auch Richard Strauss ist präsent: Die Walzer der Wirtshaus-Szenen knüpfen direkt an die Walzerfolge aus dem 3. Akt des Rosenkavalier an aber was Strauss noch in wehmütiger Erinnerung an vergangene Zeiten vor dem völligen Zusammenbruch bewahrt, kippt bei Berg ins Bodenlose. So vollzieht sich der Umbruch in die Moderne in Fagens Interpretation nicht als Riss, sondern in einer logischen Weiterführung der Tradition (wie Berg sich selbst wohl auch gesehen hat). Die Ablösung von der Tonalität wird hier als ebenso aufregender wie schmerzhafter Prozess hörbar gemacht. Demütigungen: Wozzeck wird vom Hauptmann schikaniert
Klangbeispiel: "Wozzeck, er ist ein guter Mensch" (Wozzeck - Hauptmann) (I. Akt 1. Szene)
Das Orchester ist der eigentliche Star dieser Aufführung und das ganz im Sinne von Regisseurin Christine Mielitz, die das Orchester bestens sichtbar auf der Bühne platziert, nur durch einen Schleiervorhang von der Spielfläche davor getrennt. Damit ist einerseits jeder Bühnenrealismus gebrochen, andererseits für die Sänger auf dem überbauten Orchestergraben eine unmittelbare Nähe zum Publikum gegeben, die die Darsteller effektvoll zu nutzen wissen. Frau Mielitz verweigert eine konkrete zeitliche Einordnung der Handlung; ihr Wozzeck ist eine zu jederzeit denkbare Figur auf einer im Wesentlichen leeren Bühne. In der ersten Szene (in der Wozzeck den Hauptmann rasiert) marschieren kahlköpfige Soldaten Wozzeck unterscheidet sich optisch kaum von ihnen sinnlos im Viereck und geben den Grundton der Inszenierung an: Hier präsentiert sich eine uniforme, gewaltbereite Gesellschaft. Wozzeck ist weniger Außenseiter als Prototyp des einzelnen Individuums, das (wie alle anderen) darin untergehen muss. Demütigungen: Marie betrügt Wozzeck mit dem Tambourmajor
Marie lebt in einem winzigen Zimmerchen, dass aus dem Unterboden hochgefahren wird ob Schutzraum oder Gefängnis, das bleibt offen. Dieser (familiäre) Raum wäre für Wozzeck Rückzugsmöglichkeit, ein Versteck vor der Gesellschaft draußen. Wenn aber der füllige Tambourmajor durch eine Luke hinab springt, füllt er das Zimmerchen durch seine Körpergröße fast aus und die Wucht dieses Eindringens wird unmittelbar nachvollziehbar. Die Zerstörung dieses Refugiums wird mit einfachsten Mitteln (die derbe Sex-Szene wäre gar nicht nötig) vor Augen geführt; der Eindruck dieser Szene ist ungeheuer. Mit der hervorragend ausgearbeiteten Personenregie gelingen der Regisseurin die stärksten Szenen, und je weniger darum herum von den Personen ablenkt, desto wirkungsvoller ist die Regie. Die Aktualität des Stoffes ist fast beiläufig inszeniert. Der Doktor ist kein Arzt, sondern ein Menschen verachtender Wissenschaftler mit studentischem Gefolge, dass wie eine kleine Privatarmee daherkommt. Die Kinder in der Schluss-Szene folgen aktuellen modischen Trends und zeigen damit die Uniformität der gerade gescheiterten Erwachsenen. Meist aber bleibt die Geschichte abstrakt und könnte jederzeit passieren und erhält gerade dadurch ihre beklemmende Wirkung. Die geschichtliche Dimension von Büchners (auf einem realen Fall beruhenden) Dramenfragment, die traumatischen Erfahrungen des 1. Weltkrieges, die Berg zur Komposition veranlassten, sind latent präsent als historische Wurzeln der Tragödie. Modellhaft wird eine Situation durchgespielt, gerade so deutlich, dass man die Handlung nachvollziehen kann, aber abstrakt genug, um Assoziationen in die verschiedensten Richtungen zuzulassen. Keine Partystimmung: Wirtshausszene mit militärischem Gepräge
Klangbeispiel: "Aber du hast einen roten Mund" (Wozzeck - Marie) (2. Akt 3. Szene)
Die Zeichnung der Charaktere ist durchaus konservativ. Maries Untreue wird nicht beschönigt, die soziale Stellung Wozzecks am unteren Rand der Gesellschaft nicht ausgeblendet. Wozzeck ist jederzeit die Hauptperson, im Laufe des Stücks mit immer beklemmenderer Intensität von Jochen Schmeckenbecher gespielt und gesungen. Ebenso wie Milana Butaeva als Marie gestaltet er die Übergänge zwischen gesprochenem Text, Sprechgesang und ariosen Momenten fließend und mit außerordentlicher Expressivität. Beide erreichen eine dramatische Wahrhaftigkeit, wie man sie sich für diese Inszenierung nicht besser wünschen könnte. Ausgezeichnet sind auch die anspruchsvollen Nebenrollen besetzt: Ob Paul Lyon als Tambourmajor, Andreas Becker als Doktor, Jeff Martin als Hauptmann oder Charles Kim als Andres: Hier sind die Figuren einmal nicht karikierend überzeichnet und die Sänger retten sich nicht wie so oft in Falsettlagen, sondern jeder Ton ist ordentlich ausgesungen, und so erhalten diese Figuren auch sängerisch ein Gewicht, das man sonst höchst selten findet. Verzweiflung: Wozzeck mit Soldaten. Im Hintergrund ahnt man das Orchester.
Klangbeispiel: Invention über eine Tonart (Orchester-Zwischenspiel vor der letzten Szene des 3. Akts)
Einen Mond gibt es nicht. Der Mord an Marie wird auf leerer Bühne verübt aber eben dadurch konzentriert sich alles auf die Musik, die den Mond gewaltiger erscheinen lässt als jedes Bild. In seiner Sterbeszene reißt Wozzeck den Schleiervorhang zum Orchester ein. Der Rest ist Musik. Was Sprache und Bilder nicht mehr ausdrücken können, erzählt die Invention über eine Tonart, Bergs großartiger Abgesang auf eine Welt in Auflösung. Die Leitlinien gehen zurück in die Vergangenheit, weisen aber auch in die Zukunft: Hier schließt sich ein Werk wie Bernd Alois Zimmermanns Soldaten an. Die Suggestivkraft dieser Produktion ist ungeheuer - da wird es hoffentlich wenig knallende Türen geben. Eine Großtat des Musiktheaters. FAZIT Kongeniales Zusammenspiel von Regisseurin und Dirigent: Eine mustergültige Produktion auf höchstem Niveau. Zweifelsohne der bisherige Höhepunkt der Intendanz von Christine Mielitz am Theater Dortmund.
Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Choreinstudierung
Choreographie Mitarbeit
Solisten* Besetzung der PremiereWozzeck Jochen Schmeckenbecher
Tambourmajor
Andres
Hauptmann
Doktor
Bart Driessen
1. Handwerksbursch
Assaf Levitin / Christoph Stegemann
2. Handwerksbursch
* Georg Kirketerp
Narr
Jeffrey Treganza
Marie
Margret
Maria Hilmes
Maries Knabe
Ein Soldat
Michael-Silvan Scheel
|
© 2004 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de