Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Nabucco
Oper (Dramma lirico) in vier Teilen
Libretto von Temistocle Solera
Musik von Giuseppe Verdi


In italienischer Sprache mit deutschen Untertiteln

Premiere am 7. März 2004

Aufführungsdauer: ca. 2 h 45' (eine Pause)


Homepage

Theater Dortmund
(Homepage)
Geschmackssache

Von Thomas Tillmann / Fotos von Thomas M. Jauk (Stage Picture Gmbh)



Vergrößerung

Die Hebräer (Chor, Extrachor und Statisterie des Theater Dortmund) sind in ihrer Angst vor Nabucco in den Tempel Salomos geflüchtet.

Es wäre ungerecht zu behaupten, dass Heinz Lukas-Kindermann sein Handwerk nicht verstünde: Der ehemalige Dortmunder Oberspielleiter, der hier in den Jahren 1990 bis 1995 hauptsächlich Werke von Mozart, Wagner und Strauss auf die Bühne brachte, seit 1995 Intendant des Theaters Triers ist und ebendort 1998 zum ersten Mal Antikenfestspiele organisiert hat, erzählt den bekannten biblischen Stoff um das babylonische Exil der Hebräer und die Macht-Hybris Nebukadnezars und Abigailles dem Geschmack eines breiten Publikums entsprechend ausgesprochen plakativ und mit vielen actionreichen coups de théâtre (die hier immerhin gelingen - ein großes Kompliment an die Technik, die nur kurze Umbaupausen braucht und auffällig leise die Verwandlungen des wuchtige Elemente, übergroße Requisiten und jüdische Devotionalien vereinenden Bühnenbildes von Andreas Wilkens bewerkstelligt!), er weiß mit einem großen Chor zu arbeiten und zügige Auf- und Abgänge zu organisieren.

Vergrößerung Nabucco (Béla Perencz) und seine Mannen stürmen den Tempel.

Tiefgang indes hat diese sehr naive, auf äußere Effekte setzende Inszenierung nicht, die bei einem dieser so beliebten Open-air-Spektakeln sicher großen Eindruck machen würde. Auf psychologische Feinheiten und aktualisierende politische Deutungsansätze wartet man auch vergebens (ich erinnere mich gut an die in dieser Hinsicht durchaus gelungene Produktion in Frankfurt), aber kopflastige, in anderer Hinsicht hochproblematische Inszenierungen werden den Zuschauern ja nun auch genug vorgesetzt (man denkt voller Entsetzen an die szenisch wie musikalisch garstige Aufführung des Gelsenkirchener Musiktheaters im Revier). Dieser Nabucco ist mit anderen Worten wirklich Geschmackssache, was die nicht einhelligen Zuschauerreaktionen belegen.

Vergrößerung

Der Oberpriester des Baal (Assaf Levitin) reicht der machtgierigen Abigaille (Carter Scott) die Krone Babylons.

Kontrovers aufgenommen wurde auch die Leistung von Carter Scott bei ihrem Europadebüt, die eine der merkwürdigsten Stimmen besitzt, die ich je gehört habe. Aber bei aller Besorgnis über ihr kein Risiko und kein außermusikalisches Mittel scheuendes, über weite Strecken in erster Linie überrumpelnd lautes Singen, über die drei ziemlich unterschiedlichen Register (da ist die furchteinflößend gutturale Tiefe, eine erschreckend raue Töne aufweisende Mittellage, der das Hochtreiben der Bruststimme nicht gut bekommt, und die wahrlich beeindruckende, wenn auch mitunter mit einigem Kraftaufwand produzierte, jedes Tableau überstrahlende und dem Zuhörer in Mark und Bein fahrende Höhe), bei aller Irritation über das etwas unruhige Piano und den Umstand, dass nicht jede Koloratur wie notiert ausgeführt wird, die Intonation besonders bei fallenden Skalen ungenau wird und Gesangskultur im engeren Sinne nicht die Sache der forschen Amerikanerin ist: Die ehemalige Mezzosopranistin, die im pelzbesetzten Ledermantel, im glänzenden Leopardenkleid und ebensolchen Stiefeln mit gefährlich hohen Absätzen, mit Reitpeitsche und wüster Glitzer-Rasta-Perücke auf die Bühne gestürmt kommt (diese wie die anderen nicht eben umwerfend originellen Kostüme hatte Ulli Kremer entworfen), auch darstellerisch alles gibt und ihren Text Publikum wie Mitspielern geradezu ins Gesicht spuckt, bewältigt die heikle Tessitura der gefürchteten Partie und meistert die lyrischeren Passagen etwa ihres letzten Auftritts, was man nach den Anfangstönen nicht für möglich gehalten hätte. All das sollte der einzelne Buhrufer bedenken, dem es schwer fallen dürfte, heutzutage eine Sängerin zu finden, die die Partie wesentlich besser singt.

Klangbeispiel Klangbeispiel: Terzett Abigaille - Fenena - Ismaele (1. Teil) (Carter Scott, Ute Döring und Charles Kim)
(MP3-Datei)


Vergrößerung Der Schein trügt: Im Moment hat Abigaille (Carter Scott, am Boden) die Macht in Babylon, was sie den verwirrten Nabucco (Béla Perencz) unmissverständlich wissen lässt.

Eindeutiger fiel die Bewertung der männlichen Protagonisten aus: Mit Béla Perencz hatte man einen erfahrenen Interpreten für die Titelpartie gewinnen können, der bei seinem Auftritt mit ungestüm-wilder, kraftvoller Stimme ebenso überzeugte wie mit verinnerlichten, berührenden Tönen etwa in der Auseinandersetzung mit Abigaille. Stellenweise mochte man den Verlust an Farbe in der Höhe beklagen, der den 1994 vollzogenen Fachwechsel vom jugendlichen Heldentenor zum dramatischen Bariton nachvollziehen lässt, aber die hohe Rollenidentifikation machte doch vieles wett. Und auch der dritte Gast des Abends, der Pole Alexander Teliga, überzeugte als Zaccaria mit würdevoll-charismatischem, voluminös-reifen Ton, expressiver Textgestaltung und eindringlicher Darstellung.

Vergrößerung Zaccaria (Alexander Teliga) prophezeit seinem Volk (Chor, Extrachor und Statisterie des Theater Dortmund) Rettung und Sieg.

Einen schwachen Eindruck hinterließ dagegen Ute Döring als Fenena, deren heller, leichter, mädchenhaft-"blonder" lyrischer Mezzosopran meine Sache in diesem Fach nicht ist, auch nicht die unschön harschen Registerbrüche oder die klingelnde, keinesfalls sichere Höhe, was die Frage nahelegt, warum die Künstlerin sich mehr und mehr Partien des dramatischen Sopranfachs zuwendet. Der stets um Legato und Piano bemühte Charles Kim war mit seinem kräftigen, nur zu Beginn in der Höhe ein wenig gestemmt klingenden Tenor eine gute Wahl für den Ismaele, während Assaf Levitins Oberpriester des Baal wenig Format besaß. Blazej Grek schließlich gab mit großem Ernst den Abdallo, Zoya Theleva fiel als Anna immerhin auf.

Der erheblich geforderte Chor zeigte sich in der Einstudierung von Granville Walker nicht nur im beliebten "Va, pensiero" seinen großen Aufgaben mehr als gewachsen, und auch die Dortmunder Philharmoniker befinden sich wie schon beim Rosenkavalier deutlich im Aufwärtstrend: Unter der umsichtigen Leitung von Arthur Fagen, der ein gutes Händchen für den frühen Verdi und seine leidenschaftlich-mitreißenden, emotional aufgeladenen Melodien bewies, entwickelte das Orchester bald viel Drive und Tempo.

Klangbeispiel Klangbeispiel: "Va, pensiero" (Chor und Extrachor des Theater Dortmund)
(MP3-Datei)



FAZIT
Dank der überzeugenden Protagonisten und der hervorragenden Leistung der Kollektive lohnt ein Besuch dieser Produktion allemal - zur szenischen Seite ist bereits in der Überschrift das Wesentliche gesagt.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam


Musikalische Leitung
Arthur Fagen

Inszenierung
Heinz Lukas-Kindermann

Bühne
Andreas Wilkens

Kostüme
Ulli Kremer

Choreinstudierung
Granville Walker



Statisterie des
Theater Dortmund

Chor- und Extrachor
des Theater Dortmund

Philharmonisches
Orchester Dortmund


Solisten

* Besetzung der Premiere


Nabucco (Nebukadnezar),
König von Babylon
Dimitri Kharitónov /
* Béla Perencz

Ismaele, Neffe des
Königs Sedecia
von Jerusalem

* Charles Kim /
Paul Lyon

Zaccaria (Zacharias),
Hohepriester der Hebräer
Alexander Teliga

Abigaille,
Sklavin, vermeintlich
erstgeborene
Tochter Nabuccos

Elena Nebera /
* Carter Scott

Fenena,
Tochter Nabuccos
* Ute Döring /
Karolina Gumos

Oberpriester des Baal
* Assaf Levitin /
Christoph Stegemann

Abdallo, Vertrauter
des Königs von Babylon

* Blazej Grek /
Johannes Knecht

Anna,
Schwester des Zaccaria

Heike Susanne Daum /
* Zoya Zheleva



Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Theater Dortmund
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2004 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -