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Eugen Onegin
Lyrische Szenen in drei Akten
Musik von Peter I. Tschaikowsky
Libretto nach Alexander Puschkin
von Peter I. Tschaikowsky und Konstantin Schilowski


In deutscher Sprache mit deutschen Untertiteln

Premiere am 12. Oktober 2003

Aufführungsdauer: ca. 3 h (eine Pause)


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Theater Dortmund
(Homepage)
Onegins spätes Coming-Out

Von Stefan Schmöe / Fotos von Thomas M. Jauk



Im Jahr 1877 heiratete Tschaikowsky während der Arbeit an Eugen Onegin seine Schülerin Antonina Miljukowa. Zufall war das wohl nicht; vielmehr eine tragische Verquickung von Privatleben und künstlerischem Schaffen: Tschaikowsky, verstärkt mit Gerüchten über seine Homosexualität konfrontiert, erlebte in dem brieflichen Werben Antoninas eine direkte Parallele zu Puschkins Romanheldin Tatjana, die ebenfalls in einem Brief – von Tschaikowsky zur zentralen Szene seiner Oper gemacht – ihre Liebe zu Onegin gesteht. Ulrich Schreiber hat diese Zusammenhänge knapp und schlüssig dargestellt; das Dortmunder Programmheft bezieht sich explizit darauf. Hierbei handelt es sich aber nicht um biographische Hintergrundnotizen zu einer Opernaufführung, sondern um die Grundkonstellation der Inszenierung von Christine Mielitz, die eben diese Übereinstimmung von persönlichem Schicksal und künstlerischer Aufarbeitung zum Thema hat.

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Im Dickicht der Gefühle: Tatjana sucht die Liebe Onegins ...

Tschaikowskys Opernbearbeitung von Puschkins gleichnamigem Versroman fehlt, das ist dem Werk häufig vorgeworfen worden, der klare dramatische Konflikt. Nicht umsonst hat der Komponist die Gattungsbezeichnung "Oper" vermieden und den Onegin als "Lyrische Szenen" bezeichnet. Die Regisseurin sieht darin eine Art Stationendrama, in dessen Verlauf der namensgebende Antiheld einem Bewusstwerdungsprozess unterworfen wird. Immerhin erreicht sie damit, dass trotz der unterschiedlichen Gewichtung der Figuren (der erste Akt wird vom Komponisten aus der Perspektive Tatjanas, der zweite aus der Sicht Lenskis erzählt) die Handlung mit einiger Stringenz auf Onegin Konzentriert wird. Dieser, zu Beginn noch gefühlloser Dandy, offenbart in dieser Inszenierung seine Homosexualität im Duell mit Lenski. Den sterbenden Freund hält er mit deutlich sexuell eingefärbter Gestik in den Armen; hier beginnt der Reifeprozess, auch das Bewusstwerden der eigenen Sexualität. Später, in den Tanzszenen des dritten Aktes, erscheint ein Ballettensemble (ein deutlicher Querverweis auf den Schöpfer des Schwanensee), bei denen sich einige der vermeintlichen Tänzerinnen beim Spitzentanz nach und nach als Männer entpuppen, sich immer weiter entkleiden. Onegin verschwindet schließlich mit einem der Tänzer hinter der Bühne: Ein Coming-Out, dass dem vormals emotionslosen Onegin in der letzten Szene die fast überdrehte Gefühlsraserei ermöglicht. Hier allerdings wird das bis dahin schlüssige Konzept brüchig; Onegins plötzlich aufflammende Liebe zu Tatjana passt nur mit erheblichem Argumentationsaufwand in den bisherigen Ablauf, wird aber nicht erkennbar visuell umgesetzt: Ein Fall für Psychoanalytiker.

Vergrößerung ... Lenskij findet die Liebe Olgas ...

Christine Mielitz zeichnet die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen überaus trostlos. Weiblichkeit gibt es in dieser Welt praktisch nicht; entweder wird sie in asiatisch bis orientalisch anmutenden Kostümen vollständig verhüllt wie bei der Landbevölkerung, oder sie wird ins Kindliche verdrängt (Olga und Tatjana hüpfen zu Beginn in arg albernen Jungmädchenkostümen herum). Bei den Männern sieht es nicht besser aus: Hier herrschen militaristische oder kirchlich anmutende Uniformen vor. Dass Tatjana (bzw. ihr Double) nach ihrer Briefszene kurz vollständig nackt über die Bühne läuft, symbolisiert unter diesem Blickwinkel nicht nur die seelische Entblößung, sondern auch die Entdeckung ihrer weiblichen Sexualität. Ein Brief bleibt im Weitere eine Art optisches Leitmotiv für Wahrhaftigkeit in dieser Welt der Masken: Lenski etwa wird vor seinem Tod einen Brief (an Olga) schreiben.

Vergrößerung

... bis Onegin sich im Tschaikowskiy-Ballett seiner homoerotischen Neigungen bewusst wird ...

Nicht alles ist der Regisseurin überzeugend gelungen. Der erste Akt, in dem der Regieansatz bestenfalls schemenhaft zu erahnen ist (erst im Rückblick erschließt sich Konzeption), wirkt wegen der plakativen Kostüme zunächst wie ein etwas unglücklicher Versuch einer gemäßigt naturalistischen Darstellung vor zarten Wolkenschleiern (im Hintergrund wird ein Foto auf die rückseitig die Bühne begrenzende Leinwand projiziert). Steppengras, im raschen Wechsel hin- und hergefahren, gibt eine etwas bemühte Kulisse für das Gefühlsdickicht der Figuren ab. Im weiteren Verlauf ist manches Detail überdeutlich gezeichnet (die sich entkleidenden Ballett-Tänzer), manches zwar schlüssig, aber recht konstruiert. Auch die Sänger tragen nicht durchweg zum Gelingen bei. Mit Charles Kim ist der Lenskij ausgesprochen unglücklich besetzt, konturlos vom Piano bis in die Mezzo-Lagen, mit bemühter Italianitá im Forte. Dazu wirken der untersetzte Kim und der große, hagere Kevin Greenlaw, der den Onegin singt, in ihrem gegensätzlichen Erscheinungsbild unfreiwillig wie ein Komikerpärchen. Mehr als solide singt auch Greenlaw nicht; zu akkurat, dadurch auch zu eintönig ist die Figur angelegt – auch vor dem einigermaßen furiosen Finale wären ein paar differenziertere Zwischentöne, ein paar Brechungen des Charakters wünschenswert. Ausgesprochen nüchtern doziert Michail Schelomianski seine Arie als Fürst Gremin. So bleiben die Männer in diesem Stück ziemlich farblos.

Weitaus besser ist es um die Damen bestellt. Karolina Gumos ist mit frischer, jugendlicher Stimme vokal wie auch äußerlich glaubwürdig in der Verkörperung der blutjungen Olga. Elena Nebera hat eine deutlich vollere, wärmere Stimme und grenzt die Tatjana damit sehr schön gegen die Schwester ab. Die Briefszene gestaltet sie sehr nuanciert und mit hoher Intensität, und auch die Verwandlung in die große Dame des dritten Aktes ist überzeugend (auch wenn die Sängerin hier nicht ganz das Niveau ihres ersten Aktes erreicht). Bei Cornelia Dietrich sind stimmliche Verschleißerscheinungen unüberhörbar; ihre Verkörperung der Amme Filipjewna ist trotzdem – oder eben dadurch – stimmig. Yamina Maamar als zurückhaltende Larina fällt dagegen etwas ab.

Vergrößerung ... jedoch bei der gereiften Tatjana schlechte Chancen hat.

Recht pauschal und mit gelegentlichem Hang zu unverbindlichem Sentiment interpretiert Kapellmeister Dirk Kaftan die Partitur. Wagnersches Grummeln schleicht sich hier und da ein, und die nicht immer homogenen tiefen Streicher und Blechbläser trüben den ordentlichen Eindruck der Violinen und Holzbläser: Das Dortmunder Orchester war schon ungleich differenzierter zu hören. Anfängliche Abstimmungsprobleme zwischen Instrumentalisten und dem stimmlich präsenten Chor bekam Kaftan schnell in den Griff. Als musikalisches Gegengewicht zu Christine Mielitz' Inszenierung aber ist der musikalische Part insgesamt zu blass.


FAZIT
Onegin ist Tschaikowsky ist Onegin – nicht alles ist visuell wirklich überzeugend umgesetzt an diesem immerhin spannenden Regieansatz, der aber (trotz der guten Elena Nebera) auf musikalisch dünnen Füßen daherkommt.


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Produktionsteam


Musikalische Leitung
Dirk Kaftan

Inszenierung
Christine Mielitz

Bühne und Kostüme
Christian Floeren

Choreinstudierung
Granville Walker

Chor-Choreographie
Lothar Hanff

Choreographie
Sergej Vanaev

Dramaturgie
Oliver Binder



Chor und Ballett des
Theater Dortmund

Statisterie des Theater Dortmund

Philharmonisches
Orchester Dortmund


Solisten

* Besetzung der Premiere


Larina
* Yamina Maamar /
Johanna Schoppa

Tatjana
Elena Nebera

Olga
* Karolina Gumos /
Maria Hilmes

Filipjewna, die Amme
Cornelia Dietrich

Eugen Onegin
Mikael Babajanyan /
* Kevin Greenlaw

Lenskij
* Charles Kim /
Jeff Martin

Fürst Gremin
Bart Driessen /
* Michail Schelomianski

Trifon Petrowitsch
Christoph Stegemann

Saretzkij
Assav Levitin

Triquet
* Hannes Brock /
Jeffrey Treganza

Guillot, Kammerdiener
Martin Rohleder



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Da capo al Fine

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