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Musiktheater
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Lulu
Oper in drei Akten von Alban Berg
in der von Friedrich Cerha vervollständigten Fassung von 1979
Text vom Komponisten
Nach den Tragödien "Der Erdgeist" und
"Die Büchse der Pandora" von Frank Wedekind

Koproduktion des Theaters der Bundesstadt Bonn
und der Internationalen Beethovenfeste Bonn.

Aufführungsdauer: ca. 4h (1 Pause und 1 kollektiver Umzug, s.u.)

Premiere im Theater Bonn
am 1. Oktober 2003


Homepage

Theater Bonn
(Homepage)


Von Ralf Jochen Ehresmann / Fotos von Thilo Beu


Wer sich mit der neuen Wiener Schule befassen will und neben Konzerten auch ein musikdramatisches Werk im Programm haben will, ist sicher gut beraten, Alban Bergs Lulu aufzuführen. Das dachten sich die Verantwortlichen des Beethovenfestes wohl auch, und so kommt es heuer zu dieser Koproduktion mit der Bonner Oper, die in dieser Ausdrücklichkeit neu ist und der man nur wünschen kann, sie möge sich so sicher fortsetzen lassen, wie der scheidende Festspiel-Intendant Franz Willnauer dies späterhin als abgemacht hingestellt hat.

Die ebenfalls neue Opernintendanz unter Klaus Weise hat die Inszenierung Werner Schröter anvertraut. Dieser hat das Drama um den Mythos des Weibes unter den Umständen der Moderne und seine Subjekt-Objekt-Interaktion vergleichsweise sachlich aufgezogen. Seine Lulu ändert nie wirklich Wesen und Charakter, und schon ihre Aufmachung zeugt eher von Stilisierung zu einer archetypischen Grundvorlage denn einer Wechselschablone externer, also primär männlicher Projektionen. Das veranschaulicht sich bestens im 2.Aufzug bei der wirren Sammlung von Lulus Verehrerschaft: Der Auftritt der unverbundenen Gestalten Athlet oder Gymnasiast mit ihren konfusen Erwartungen an Lulu entspricht genau dem Chaosfaktor eines solchen Lebens, wobei Lulu auch hier wieder betont normal gezeigt wird, deren angebliche Verruchtheit am ehesten mit dem altmodischen Makel des Theaterbetriebes als unmoralischer Anstalterklärbar wäre, was wiederum das obwaltende 20er-Jahre-Colorit unterstreicht.


Vergrößerung in neuem Fenster Makabres Weihnachtsmärchen: Das Raubtier als mobiles Requisit.

Dieser Eindruck stellt sich schon im Prolog ein, wo sich Dompteurs Sprechgesang vor halbgeöffnetem Adventskalender vollzieht, und nicht mal die obligaten Engelchen wurden vergessen.

Verbindendes ergab sich am ehesten dort, wo es wenig taugt zur Beförderung eines Sinnes mit Deutungsanspruch. Knastaura wurde allenthalben beschworen, sei es in den Filmeinblendungen entr'acte, während des obskuren Intermezzos oder auch schon vor Beginn auf den Foyermonitoren, deren Sinn für gewöhnlich in der aktweisen Vertröstung derjenigen TheaterbesucherInnen besteht, die wieder mal im Stau stecken geblieben sind, sei es in den nach Häftlingsart gestreiften Herren Kulissenschieber, deren Amt darin bestand, durch aufwändige Räumereien möglichst effektiv die Aufmerksamkeit zu stören und abzulenken von Bergs Musik, die gerade dort, wo sie im Musiktheater ohne menschliche Stimme daherkommt und man bei zeitgleichen Vertretern Italiens getrost von Intermezzi reden darf, ihre Kernstellen erreicht, wo also maximaler Ausdruck bei gleichfalls maximaler thematischer Dichte ihren Brennpunkt erreicht und äußerste Konzentration ihre größte Beute einfahren dürfte, wenn man sie ließe...


Vergrößerung in neuem Fenster

Lulu mit Alwa: Muss Liebe schön sein.

Klangbeispiel Klangbeispiel: aus dem 2. Akt
Alwa (Fabrice Dalis) und Lulu (Anat Efraty)
(MP3-Datei)


Ein Schmankerl der besonderen Art war gewiss der kollektive Umzug ins Foyer. Während andere Häuser Lulu, deren 3-Aktversion nach Friedrich Cerha nach fast 25 Jahren genereller Standard ist, wie andere (Wagner-)Opern von vergleichbarer Länge auch mit 2 ordentlichen Pausen geben, war hier offiziell nur 1 Pause nach dem 1.Aufzug angesetzt. Doch anstatt nach dem 2. Akt unterbrechungsfrei weiterzuspielen, bittet man die ZuschauerInnen höchst interaktiv hinaus an den einzigen Monitor, vor dem jedenfalls sehr viel weniger gute Plätze existieren als das Publikum insgesamt Personen umfasst. Dort wird des 3.Aufzuges 1.Teil in einer Videoanimation gezeigt, die den absurden run auf die Jungfrau-Aktien mit rasanten Wertverfall der Jungfräulichkeit und deren Anrechtspapiere umfasst und nebenbei videoclipartig einblendet, was sich sonst aus dem Aurakontrast einer Opernsängerin zwischen Gefängnismauern herauskitzeln lässt. Teile dieser Bilder waren wie erwähnt bereits vorher zu sehen gewesen in den Zwischenmusiken und damit nicht mal neu, dafür immerhin verbindend im Sinne einer Rahmengebung. Doch mit diesem Happening-Effekt erkaufte man hier einen doppeltem Aderlass 1. der akustischen Qualität, deren Verfall dem der besungenen Jungfrauaktien gleichkommt, was sogar die Veranstalter gespürt haben müssen, wenn sie sich entschlossen, genau hier - und nur hier - den Wortlaut in Form von Zwischentexteinblendungen bekannt zu geben, sowie 2. des Publikums selbst, das die willkommene Gelegenheit aufgriff und zum letzten Teil nur noch arg gelichtet in den Zuschauerraum zurückkehrte. So blieb den Flüchtigen zugleich erspart, sich darüber ärgern zu müssen, dass, wo gerade keine Pause angesetzt war, doch noch eine solche eingeschoben wurde, indem es nach ordentlich 3maligem Läuten eben genau nicht zügig weiterging und man stattdessen erneute Sammlung des Orchesters inkl. Instrumentenstimmung abwarten musste, als ob das nicht hätte zwischenzeitlich geschehen sein können: Immerhin befindet man sich mitten im 3.Aufzug! Vielleicht muss hier auch nur irgendwer nachvollziehen, dass Oper eben doch etwas Anderes ist und anders funktioniert als Schauspiel. So wurde man auch den Eindruck nicht ganz los, als ob nur ein Detail der Inszenierung nicht rechtzeitig fertig geworden sei und man ersatzweise eine Probe aufgezeichnet und mit Einlagen "aufgewertet" hätte.


Vergrößerung in neuem Fenster Vaterfreuden.

Dennoch entlässt uns das Schlussbild auch hier mit jener finalen Ergriffenheit, die sich der Vermittlung durchs Wort entzieht, und zu fragen wäre demnach nur, inwieweit die vorgeschlagene Lösung der dramatischen Idee entspricht. Da bei Berg stets wie auch im Wozzeck die eigentliche Katastrophe leise kommt und der Tod fast bagatellhaft eintritt, wie banal und nebenbei, hat der Schauder eine Qualität der Innerlichkeit, der sich hier ganz klar dem Abgesang der Geschwitz und damit Hanna Schwarz verdankt. Ihre Bühnenpräsenz und ungekünstelte Theatralik sind eine Wucht, und es ist keine Schande für eine jüngere Darstellerin wie Anat Efraty, dahinter ins 2.Gleid zurückzutreten. Frau Efratys Lob für ihre Ausgestaltung der Titelpartie zielt auf ihre beachtliche Bereitschaft, sehr kurzfristig für Alexia Voulgaridou eingesprungen zu sein, was man nicht merkte, wenn man's nicht wusste. Die abgebrühte Naivität der Gestalt, deren Akzent hier stärker auf die unwissend Getriebene zielt, die kaum realisiert, welche Kolalateralschäden sie so ganz nebenbei anrichtet, ohne es selbst zu bemerken, wurde von ihr ideal verkörpert, wozu ihre klare hellgefärbte Stimme höhensicher den passenden gesanglichen Rahmen bot. Ebenfalls treffsicher, ausdrucksvoll und rollenfest Pavlo Hunka als Dr. Schön, der besonders die Doppelbödigkeit des moralischen Konformisten wie des Abgründigen Triebgesteuerten zu transportieren vermochte, wodurch er ebenso gut Jack the Ripper verkörpern konnte und damit zugleich die Richtigkeit der von Berg selbst vorgesehenen Doppelbelegungen bestätigte. Auch Sohn Alwa fand in Fabrice Dalis einen würdigen Vertreter, dem nur die Unglaubhaftigkeit der Sprechstelle des 2.Aktes mit dem Athleten (Martin Tzonev) anzulasten wäre: soviel betonte Deklamation wirkt völlig unglaubhaft angesichts der erforderlichen Spontaneität angesichts einer allseits unerwünschten Begegnung.


Vergrößerung in neuem Fenster

Vor dem Untergang.

Schigolch (Adalbert Waller), dessen Vaterschaft Lulus unausgesprochen offensichtlich ist, spielt die Zwielichtigkeit des ständig Präsenten süffisant aus, ihm korrespondieren die göttlich lüsternen Blicke des Kammerdieners im 2.Aufzug (Mark Rosenthal): zum Mitschmachten!


Vergrößerung in neuem Fenster So leicht geht das Sterben.

Die filmische Szene brachte zugleich den Auftritt einiger Mitwirkender, die sonst nicht zu sehen waren, so dass es als bedauerlicher Abstrich verzeichnet werden muss, wenn einige dieser Personen nicht so zur Geltung kommen konnten, wie es ihrer Leistung eigentlich entsprochen hätte. Hier wäre neben Sigrún Pálmadóttir, hier ganz bescheiden als Die Fünfzehnjährige, wiewohl sie sonst auch weit größere Partien in Bonn wahrnimmt, auch unbedingt Guido Scheer als Polizeikommisär (sic!) zu nennen, die im Rahmen der Kameraaufzeichnung einer quasi-konzertanten Teilprobe an Notenpulten ihren einzelnen Rollen gar nicht so leicht zuzuordnen waren, was genauso gut von Ingrid Bartz gesagt werden kann, die hier die Kunstgewerblerin mimte und denen gemeinsam zu wünschen gewesen wäre, dass man sie hätte live erleben dürfen. Sicherlich darf spekuliert werden, ob da jemand mit dem zeitlichen Rahmen nicht zurecht gekommen ist...


FAZIT

1) Bei der Eintrittskarte getrost sparen, denn zwischenzeitlich wird man eh nur einen Stehplatz einnehmen;
2) im Videospektakel schnell vorausrennen, um einen Platz mit Sicht zu ergattern und
3) während der herrlichen Zwischenmusiken die Augen schließen und nicht durch Umräumheckmeck ablenken lassen.


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(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Roman Kofman

Inszenierung
Werner Schroeter

Bühne und Kostüme
Alberte Barsacq

Licht
Thomas Roscher

Choreographie
Miguel Angel Zermeño

Dramaturgie
Tina Rehn



Statisterie des Theater Bonn

Beethoven Orchester
Bonn


Solisten

Lulu
Anat Efraty

Gräfin Geschwitz
Hanna Schwarz

Eine Theatergarderobiere
/ Der Gymnasiast
/ Ein Groom
Asta Zubaite

Der Medizinalrat
/ Der Professor
Karsten Gaul

Der Maler
/ Der Neger
Patrick Henckens

Dr. Schön
/ Jack the Ripper
Pavlo Hunka

Alwa, sein Sohn, Komponist
Fabrice Dalis

Schigolch
Adalbert Waller

Der Tierbändiger
/ Der Athlet
Martin Tzonev

Der Prinz
/ Der Kammerdiener
/ Der Marquis
Mark Rosenthal

Der Theaterdirektor
/ Der Bankier
Andrej Telegin

Der Todesengel
Oleg Zhukov


In der Gesellschaftsszene
des III.Aktes:


Eine Fünfzehnjährige
Sigrún Pálmadóttir

Ihre Mutter
Ulrike Maria Gmeiner

Kunstgewerblerin
Ingrid Bartz

Journalist
Johannes Mertes

Ein Diener
Stefan Baumgärtel

Der Polizeikommisär
Guido Scheer



Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Theater Bonn
(Homepage)



Da capo al Fine

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E-Mail: oper@omm.de

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