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Dardanus
Tragédie lyrique en cinq actes et un prologue
Musik : Jean-Philippe Rameau
Libretto: Charles-Antoine Le Clerc de la Bruère
Bonner Fassung, basierend auf der Erstfassung von 1739

In französischer Sprache mit deutschen Übertiteln.

Aufführungsdauer: ca. 2 h 10' (eine Pause)

Premiere im Theater Bonn
am 28. März 2004


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Theater Bonn
(Homepage)
Ein Bierzeltdrama

Von Gerhard Menzel / Fotos von Thilo Beu


Mit Jean-Philippe Rameaus Dardanus setzte das Theater Bonn seine Aufführungsreihe barocker Stücke fort, die mit Händels Saul und Belsazar, sowie Rameaus Castor und Pollux, schon eine ganze Reihe interessanter Produktionen präsentierte.

Als Dardanus 1739 in Paris uraufgeführt wurde, war ihm kein Erfolg beschieden. Dabei richtete sich die Kritik nicht nur gegen das Libretto von Charles-Antoine le Clerc de la Bruére, sondern auch gegen die Musik Jean-Philippe Rameaus. Weder der ungewöhnliche Aufbau und die Dramaturgie des Librettos, noch die harmonisch sehr durch Dissonanzen angereicherte Musik entsprachen den von Lully tradierten Normen der "Tragédie lyrique". Der Vorwurf, die Musik sei zu dissonant und düster, ist durchaus nachzuvollziehen. Immerhin sind drei der Hauptpartien Bässe (eine Besonderheit ist das Duett der beiden Bässe Anténor und Teucer im ersten Akt) und auch der Orchestersatz bevorzugt über weite Strecken dunkle Klangfarben, was durch die Besetzung mit 4 (!) Fagotten noch eindrucksvoll unterstützt wird (Rameau war übrigens Fagottist).

Schon gleich nach der Uraufführung nahm Rameau erste Veränderungen vor, die schließlich 1744 zu einer 2. Fassung als "Nouvelle tragédie" führten. Der Text und die Musik der letzten drei Akte wurde dabei fast vollständig ersetzt. Bei einer späteren Wiederaufnahme wurde der Prolog schließlich weggelassen, womit Rameau den gewandelten Konventionen Rechnung trug. Grundsätzlich lassen sich daher zwei selbständige Fassungen konstatieren, was auch bei der zur Zeit vorbereiteten Rameau-Gesamtausgabe berücksichtigt wird.

Bei jeder Produktion des Dardanus ergibt sich für die Verantwortlichen folglich die Frage und die Qual der Wahl, welche der Fassungen als Grundlage einer Aufführung dienen soll.

In Bonn griff man auf die in den 90er Jahren eingerichtete (und auch als CD-Einspielung veröffentlichte) Version von Marc Minkowksy zurück, der die Fassung der Uraufführung von 1739 durch die einzigartige Kerkerszene des Dardanus zu Beginn des 4. Aktes aus der zweiten Fassung von 1744 ergänzte. Allerdings wird in Bonn mächtig gekürzt, so dass von den knapp drei Stunden Musik gerade einmal eine Spielzeit von zwei Stunden (inklusive Pause) übriggeblieben ist. Dabei wurde nicht nur der allegorische Prolog gestrichen, sondern auch das abschließende Hochzeitsfest von Dardanus und Iphise mit seinen Chören und Tänzen.

Stofflich stammt de Geschichte aus dem 8. Buch von Vergils Aeneis. Dardanus ist der Sohn des Zeus und der Elektra und hat sich in die Tochter seines Todfeindes, des phrygischen König Teucer, verliebt. Dieser möchte sie jedoch mit seinem Gefolgsmann Anténor verheiraten. Nur durch das ständige eingreifen der Götter (vor allem der Venus) kommt diese "Tragédie lyrique" doch noch zu einem lieto fine.
Die Gattung der "Tragédie lyrique" oder "Tragédie en musique" vereinigt dabei das gesungene Wort (nach Art der klassischen Tragödie eines Corneille oder Rancine) mit instrumentaler Musik und Tanz. Typisch sind auch die schon aus den Barockopern bekannten Szenentypen wie Beschwörung-, Sturm-, Gefängnis- sowie der Schlaf- bzw. Traumszene. Schon im Jahr der Uraufführung kamen zahlreiche Parodien des Dardanus zur Aufführung, die sich vor allem über das "Wunderbare" der Handlung lustig machten.


Vergrößerung in neuem Fenster Sabine Ritterbusch (Iphise).

Klangbeispiel Klangbeispiel: Sabine Ritterbusch (Iphise).
(MP3-Datei)


In dieser Tradition schien sich auch die Regisseurin Karoline Gruber einreihen zu wollen. Sie interessierte weder die Gattung der "Tragédie lyrique", noch die mythologische Tragödie oder die politischen Dimensionen des Stückes. Im Vordergrund ihrer Inszenierung stand eine Art Satire auf deutsche Vereinsmanie, wobei sie allerdings versuchte, durch die Klischees bedienenden Kostüme von Mechthild Seipel und die Anlehnung an barockes Maschinentheater (Bühne: Bernhard Kleber) eine Brücke zu der strengen Etikette des französischen Königshofes und zur Entstehungszeit des Stückes zu schlagen. Übrig blieb dabei eine Reduktion auf den Gegensatz von jugendlichem Freiheitsdrang mit der Sehnsucht nach dem persönlichem Glück und engstirniger Jäger- und Trachtenvereinsmeierei.

Iphise ist nichts weiter, als ein unglücklich verliebtes Mädchen, die mit Begeisterung Schallplatten von Mireille Mathieu hört. Ihrem Vater Teucer, dem Vorsitzenden des Jäger- und Trachtenvereins, ist Dardanus - ein "Halbstarker" in T-Shirt, Turnschuhen und Schlabberhosen - natürlich ein Dorn im Auge. Er bestimmt den angepassten, Brille und Jägeruniform tragenden Biedermann Anténor zum perfekten Schwiegersohn.


Vergrößerung in neuem Fenster

Andrej Telegin (Isménor) und
Eric Laporte (Dardanus) als doppelte Lilo.

Der "Zauberer" Isménor kommt zwar in bester Tradition des Barocktheaters in einem Streitwagen vom Schnürboden zur Erde herabgeschwebt, entpuppt sich dann aber als eine Anspielung an die deutsche Erotik-Ikone Lilo Wanders (der im Programmheft auch ein eigener Beitrag gewidmet ist). Mit seiner blonden Perücke, Sonnenbrille und einem schicken, schwarzen Paillettenkleid stattete er dann auch Dardanus aus (eine herrlich verrückte Szene), um ihm in dieser Verkleidung die Möglichkeit zu geben, die bei Isménor Hilfe suchende Iphise über ihre Gefühle ihm (Dardanus) gegenüber Klarheit zu erhalten. Diese Lilo-Wanders-Travestie - mit den ihn umgebenden Gestalten aus der "Halbwelt" - bildet das entgegengesetzte Extrem zu der "heilen Welt" der Trachten und Dirndel (in der es natürlich auch kein bedrohliches Ungeheuer gibt!).

Andrej Telegin als Isménor machte aus dieser szenischen Vorgabe eine exzellente Show, wobei er nicht nur bewundernswert spielte, sondern auch gesanglich sehr präsent war. Mit Reuben Willcox als Anténor und Mark Morouse als Teucer standen zwei weitere zuverlässige, tiefe Stimmen im Zentrum des Geschehens.


Vergrößerung in neuem Fenster Sabine Ritterbusch (Iphise),
Reuben Willcox (Anténor) und Chor.

Sabine Ritterbusch als Iphise sorgte für die eindrucksvollste sängerische Leistung des Abends. Sie erfüllte ihre Rolle mit anrührenden Klagen, einfühlsamer Wärme und traf besonders schön den französischen Tonfall von Rameaus Musik. Ihre beiden Szenen zu Beginn des ersten und des dritten Aktes bildeten daher die Höhepunkte dieser Aufführung.

Während sich Katrina Thurman in der Partie der Venus mit ihrer hellen leichten Sopranstimme nur schwer profilieren konnte, demonstrierte der von Sibylle Wagner einstudierte Chor wieder sein enormes stimmliches und spielerisches Potenzial.


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Eric Laporte (Dardanus).

Klangbeispiel Klangbeispiel: Eric Laporte (Dardanus).
(MP3-Datei)


Eric Laporte in der Titelrolle schien sich in der extrem hohen Lage dieser hautecontre-Partie nicht so sehr wohl gefühlt zu haben. Obwohl so manche Intonationstrübung zu vernehmen war, gestaltete er den Dardanus aber mit viel Gefühl und großer Hingabe, vor allem in der großen f-Moll Arie "Lieux funestes" ("Düstrer Ort") in der Kerkerszene des vierten Aktes (aus der Fassung von 1744). Für die düstre Atmosphäre diese Akteröffnung, die stark an Beethovens Fidelio (Beginn des zweiten Aktes; Florestan) erinnert, sorgen das obligate Fagott und der sehr kompakte, dissonante Streichersatz.


Vergrößerung in neuem Fenster Endlich: Hochzeit mit dem Bräutigam aus der Torte.

Die größte positive Überraschung gelang dem Barockspezialisten Attilio Cremonesi, unter dessen musikalischer Leitung die Mitglieder des Beethoven Orchesters zu kaum für möglich gehaltenes, sehr an den Gestus der Musik Rameaus herankommendes Spiel fanden. Ob es die differenziert ausgestalteten Orchesterrezitative, die raschen Streicherfiguren in den Arien, Chören oder instrumentalen Abschnitten, oder der farbenreiche Ton der Bläser (mit besonderem Einsatz der Fagotti) waren, der Orchesterklang wirkte - trotz der modernen Instrumente - im hochgefahrenen Orchestergraben immer plastisch und sehr nuanciert; eine für diese Verhältnisse hervorragende Leistung.


FAZIT

Im Gegensatz zu der einen Monat früher zur Aufführung gelangten Dardanus-Produktion in Freiburg, überzeugte der Bonner Balanceakt zwischen Ernst und Satire, Allongeperücken und Lederhosen, griechische Mythologie und Münchner Oktoberfest, barockem Maschinentheater und parodierten Komödienstadel - trotz Kürzungen von etwa einer Stunde Musik - nur teilweise (Rameaus Tragödie ist eben keine Opéra-buffe von Offenbach!).
Während dem Regieteam lautstarke Buhs entgegenschallten, wurden die Sänger mit freundlichem Beifall bedacht. Zu Recht waren Dirigent Attilio Cremonesi und das Orchester die eigentlichen "Stars" des Abends.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Attilio Cremonesi

Inszenierung
Karoline Gruber

Bühne
Bernhard Kleber

Kostüme
Mechthild Seipel

Licht
Thomas Becker
Friedel Grass

Choreinstudierung
Sibylle Wagner

Dramaturgie
Jens Neundorf von Enzberg
Ulrike Schumann



Opernchor des
Theater Bonn

Statisterie des
Theater Bonn


Beethoven Orchester
Bonn


Solisten

Teucer
Mark Morouse

Iphise
Sabine Ritterbusch

Anténor
Reuben Willcox

Isménor
Andrej Telegin

Dardanus
Eric Laporte

Vénus
Katrina Thurman

Venusgefolge
Christina Kallergis
Tiina Sahiro Johannes
Mertes Stefan
Baumgärtel



Weitere
Informationen

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Theater Bonn
(Homepage)



Da capo al Fine

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