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Luisa Miller

Melodramma in zwei Akten
Libretto von Salvatore Cammarano
nach Kabale und Liebe von Friedrich Schiller
Musik von Giuseppe Verdi

in italienischer Sprache mit flämischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere am 20. September 2003
Besuchte Aufführung: 28. September 2003

Koproduktion mit der Oper Leipzig


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Vlaamse Opera
(Homepage)
Doch ein Meisterwerk!

Von Thomas Tillmann


Vielleicht hat Leo Karl Gerhartz Recht, wenn er in seinem Beitrag im Programmheft zur ersten (in Zusammenarbeit mit der Oper Leipzig entstandenen) Neuproduktion der Spielzeit 2003/2004 konstatiert, dass die unmittelbar folgenden, aber auch die späteren Meisterwerke Giuseppe Verdis eine erfolgreichere Karriere der 1849 in Neapel uraufgeführten Luisa Miller verhindert haben. Hinzu kommt, dass bis heute bei vielen große Skepsis vorherrscht, wenn die Vorlage zum Libretto ein so bedeutender Klassiker wie Schillers Kabale und Liebe ist - dieses Schicksal teilt das Werk mit vielen anderen.


Vergrößerung in neuem Fenster Luisa (Fiorella Burato) erklärt ihrem Vater (Bruno Caproni), dass sie "Carlo" trotz seiner Bedenken liebt (im Hintergrund: Chor der Vlaamse Opera).

Prospekte mit historischen Gemälden, die bäuerliches Leben und Jagdszenen zeigen, und einige der ansonsten vielerlei Epochen aufnehmenden Kostüme von Klaus Bruns (dunkles Rot und Schwarz sind für das Volk und Miller reserviert, Luisa trägt unschuldiges Weiß, während unter Federicas goldener Robe schwarze Dessous sichtbar werden, ein bodenlanger Pelzmantel und ein Frack weisen den Grafen als mächtig und reich aus, die langweiligen Anzüge und die schlecht sitzende Perücke Wurm als verklemmt-boshaften, spießigen Schreibtischtäter) sind die einzigen Bezüge zur ursprünglich vorgesehenen Zeit der Handlung in Guy Joostens durchgängig überzeugender, offenbar auf einer genauen Lektüre des Werkes beruhender Inszenierung. Ein postmodern-sachliches Bürogebäude aus Glas und Metall dominiert die Szene von Johannes Leiacker, wird dank der Drehscheibe in immer wieder neue Positionen gebracht (leider um den Preis nicht unerheblicher Bühnengeräusche) und trennt die beiden Welten: Das einfache, untertänige Volk und mit ihnen Miller und Luisa sind in einem Seitentrakt des Imperiums der verdorbenen Herrscherfamilie untergebracht, was für kurze Wege sorgt, ein interessantes Überlappen der Szenen und nicht zuletzt ein wenig aufwändiges Präsentieren von Nebenhandlungen ermöglicht, das die Motivation mancher Aktion sinnvoll erhellt - als Beispiel mag dienen, dass der Mord an Walters Vorgänger während der Sinfonia gezeigt wird (auch wenn das Ganze sehr drastisch und mit viel Theaterblut abläuft und man die entscheidende Szene vermisst, in der der Sterbende Rodolfo die Namen seiner Mörder verrät). Als reichlich plakativ und überflüssig empfinde ich dagegen die Einblendung der Aktüberschriften (amore, intrigo, veleno) - die Inhaltsangabe überfliegen inzwischen doch die meisten Abonnenten. Ansonsten aber überwiegt die Begeisterung für diese Produktion, in der eine einfühlsame, liebevolle, viele kleine Details einbeziehende und mitunter auch durchaus feinen Humor erkennen lassende Zeichnung der Figuren im Vordergrund steht, die durchweg sehr natürlich wirken wie agieren und tatsächlich auch miteinander in Kontakt treten. Von ungeheurer Dichte ist dabei besonders der letzte Akt: Ich schäme mich nicht zu gestehen, dass ich den berühmten Kloß im Hals hatte, als Luisa, die bereits ihr Augenlicht verloren hat, nach Rodolfos Hand sucht.


Vergrößerung in neuem Fenster

Miller (Bruno Caproni, links) erklärt Wurm (Urban Malmberg, rechts), dass seine Tochter den Mann heiraten darf, den sie liebt.

Ein weiterer Pluspunkt der Produktion ist auch die stimmige, im Großen und Ganzen kompetente Besetzung. Die Luisa findet in Fiorella Burato eine attraktive Interpretin mit einem durchaus geläufigen lyrischen Sopran von aparter Farbe und jenem Schuss Metall in der durchdringenden Höhe, der dafür sorgt, dass die nicht sehr große Stimme auch in den Ensembles gut zu hören ist. Der Italienerin gelingen einige wunderbar verinnerlichte, schwebend-schlichte Momente, und auch die beeindruckenden, überlegt eingesetzten Schwelltöne verdienen Erwähnung, aber auch der Umstand, dass man besonders gegen Ende deutlich hört, wie anstrengend diese Partie doch ist und über wie viel Reserven man für die eher in der Mittellage und Tiefe angesiedelten Passagen verfügen muss. Diese kleineren Einschränkungen macht die Künstlerin indes durch ihre berührend-intensive Darstellung wett: Ist die Luisa in ihrer Interpretation zunächst ein durchaus auch aufbegehrendes Mädchen mit eigenem Kopf, so erinnert sie in ihrer Zerbrechlichkeit und Todessehnsucht zum Schluss an Violetta (auch vokal gibt es nicht wenige Ähnlichkeiten), die im letzten Akt eigentlich auch schon nicht mehr von dieser Welt ist, oder an eine der dem Wahnsinn anheim fallenden Belcantoheroinen (die Nähe zum Oeuvre Donizettis bei dieser "opera op de drempel van het meesterlijke" wird im Programmheft nachgewiesen). Dass besonders die auf den zwei Jahre später folgenden Rigoletto verweisenden Szenen zwischen Vater und Tochter Höhepunkte der Aufführung sind, liegt nicht minder an der großartigen Leistung Bruno Capronis, der nicht nur souverän über die Qualitäten eines klangvollen, legato- wie höhenstarken Verdi-Baritons par excellence verfügt, sondern inzwischen auch ein fesselnder, nuancierterer Darsteller ist, der den Miller bereits mit großem Erfolg beim Klangbogen Festival in Wien gesungen hat und zurecht wieder an die New Yorker Met und die Londoner Oper eingeladen wurde. Carl Tanners Rodolfo ist schon optisch alles andere als ein latin lover, sondern ein Yuppie mit beklagenswerten Manieren (so knallt er bei seinem Auftritt seine Füße auf den Tisch in Papas Büro), aufbrausend-jugendlichem Temperament (am Ende des zweiten Aktes fürchtet man um Federicas Unschuld, so unbeherrscht macht er sich über die Gräfin her) und einem unseligen Hang zum theatralischen Waffengebrauch (bereits bei seinem ersten Auftritt droht er dem Vater mit einem Messer, als dieser die Angebetete diskreditiert, und während des Rezitativs zur berühmten Arie etwa gibt er vor, sich erschießen zu wollen). Der Spintotenor des Amerikaners ist vielleicht nicht der edelste, den man gehört hat, und besticht nicht gerade durch mediterrane Färbung, ist aber ein leistungsfähig-robustes Organ mit unproblematischer Höhe, das sich auch in den nicht wenigen dramatischen Passagen mühelos bewährt, das aber mit den noch schwereren Partien des Fachs noch eine Weile warten sollte.


Vergrößerung in neuem Fenster Wurm (Urban Malmberg, rechts) erklärt der empörten Luisa (Fiorella Burato, links), dass sie ihren Vater nur dann retten kann, wenn sie den fatalen Brief schreibt.

Askar Abdrazakovs brachiale Art des Singens, unkultiviertem, nur Unkundige beeindruckendem Gebrüll nicht unähnlich, passte natürlich hervorragend zur Figur des selbstgerecht-feigen Grafen, der Künstler besitzt auch die physique du rôle und eine grundsätzliche angenehme dunkle Farbe in der Stimme, aber die korrekte Ausführung auch der schlichtesten Zierfigur ist nicht zu erwarten, und das unmusikalische Aushalten von Schlusstönen macht auch keineswegs den ausgeprägten Wobbel und die fahlen Töne in extremis vergessen. Einen viel besseren Eindruck hinterließ da Urban Malmberg als fieser, verklemmter Wurm - wunderbar, wie er in seinem mit Wellensittich-Kalendern geschmückten Büro minutenlang einen Apfel mit dem Taschenmesser fein säuberlich schält und dann in mundgerechte Stücke schneidet -; sein eher schlanker Bass mag keinen hohen Wiedererkennungswert haben, aber ist zu einem vorbildlichen Legato und vielen Ausdrucksnuancen zu bewegen, die so viel beeindruckender sind als übertriebene außermusikalische Effekte, mit denen mancher Kollege den verwerflichen Charakter der Figur herauszustellen versucht. Eine sexuell ausgehungerte Frau in den besten Jahren und mit Augenklappe, die verständlicherweise großes Interesse hat, doch noch einen Gatten zu finden, ist Graciela Arayas Federica. Die glanzarme Höhe kommt nicht mehr ganz selbstverständlich, aber Mittellage und Tiefe sind bei dieser Partie ohnehin mehr gefragt, von denen die letzte dank des beherzten Einsatzes der Bruststimme besonders präsent ist - einige der geplanten Engagements der Sängerin weisen auf das Charakterfach, was ich nach meinem Eindruck an diesem Nachmittag für eine kluge Entscheidung halte. Mehr hören möchte man von Anja Van Engelands frischem Sopran, mit dem sie die kurzen Einwürfe der Laura ausführte, während Eric Raes als Contadino nicht über das übliche Comprimario-Niveau hinauskam. Die Leitung der Vlaamse Opera hat gut daran getan, Kurt Bikkembergs seit der vergangenen Spielzeit als Chordirigent zu verpflichten - das ihm unterstehende Kollektiv war hörbar gut vorbereitet und ebenso in Form. Einen glänzenden Einstand als neuer Chefdirigent feierte auch Ivan Törzs, der dem gut aufgelegten Orchester ein Leiter von großer Autorität war, den Solisten und dem Chor ein verlässlicher Partner; nur am Ende des zweiten Aufzugs bremste er mit arg zerdehnten Tempi das spannende Bühnengeschehen unnötig aus.


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Luisa (Fiorella Burato) erklärt Rodolfo (Carl Tanner), dass sie von Wurm zum Schreiben des Briefes gezwungen wurde.


FAZIT

Was will man mehr an einem verregneten Nachmittag als eine über weite Strecken wirklich gelungene Aufführung einer wunderbaren Verdi-Oper? Dass internationale Publikum hätte sich da wahrlich mit etwas kräftigerem Applaus schon während der Vorstellung revanchieren können!


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Programm

Musikalische Leitung
Ivan Törzs

Regie
Guy Joosten

Bühnenbild
Johannes Leiacker

Kostüme
Klaus Bruns

Licht
Davy Cunningham

Choreinstudierung
Kurt Bikkembergs

Dramaturgie
Luc Joosten

Fechtszenen
Christian Baggen



Symfonisch Orkest
en Koor
van de Vlaamse Opera


Solisten

Luisa
Fiorella Burato

Rodolfo
Carl Tanner

Miller
Bruno Caproni

Il Conte di Walter
Askar Abdrazakov

Wurm
Urban Malmberg

Federica
Graciela Araya

Laura
Anja Van Engeland

Un contadino
Eric Raes



Weitere Informationen
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Vlaamse Opera



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