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Les Troyens

Grand opéra en cinq actes
I. La prise de Troie
II. Les Troyens à Carthage
Musik und Text von Hector Berlioz

In französischer Sprache mit niederländischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 5h 45' (eine Pause)

Premiere in Het Muziektheater Amsterdam
am 5. Oktober 2003

Besuchte Vorstellung: 11. Oktober 2003


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De Nederlandse Opera
(Homepage)
Anspruch und Wirklichkeit

Von Thomas Tillmann / Fotos von Ruth Walz und Monika Rittershaus



Hatte ich in meiner Besprechung der Les Troyens-Neuinszenierung von Sebastian Baumgarten am Nationaltheater Mannheim (bitte Link setzen!) über das Zuviel an Ideen und Aktionen geklagt, so ist übers Pierre Audis Regie exakt das Gegenteil zu sagen: Brächte nicht das Licht von Peter van Praet (wie das blutige Rot für das brennende Troja) ein bisschen Atmosphäre in das nüchtern-abstrakte Bühnenbild von George Tsypin und könnte man nicht die wirklich edlen Fantasy-Kostüme von Andrea Schmidt-Futterer bewundern, die den Trojanern schwarz, den Karthagern ein etwas schmutzig wirkendes Wollweiß zugeteilt hat, so müsste man noch häufiger auf die Uhr schauen bei dieser weitgehend vollständigen Produktion.

Dabei war der Beginn der ersten szenischen Produktion des Werkes in den Niederlanden (im März 1987 gab es in Utrecht die erste fast komplette konzertante Aufführung, 1993 dirigierte Edo de Waart das Werk beim Holland Festival) recht verheißungsvoll: Noch vor den ersten Takten stürmt Kassandra auf der noch dunklen Bühne, bei ihrem "Malheureux roi" erscheint Priamos mit seiner ihm noch verbliebenen Familie, so dass die Spannungen zwischen dem uneinsichtigen Regenten, der später auf offener Bühne getötet wird, obwohl er laut Libretto bereits verschieden ist, und seiner mit seherischen Fähigkeiten ausgestatteten Tochter deutlich werden. Eindringlich gerät auch der Auftritt Andromaches, die sich die Asche ihres Gatten über den Körper streut und dem Sohn die Rüstung des Vaters anzieht, bevor Sinon die Bühne betritt. Berlioz selbst hat die Szene um den griechischen Spion übrigens gestrichen, die dramaturgisch einige Relevanz haben mag, musikalisch aber wenig beeindruckend ist und das ohnehin breit entfaltete Geschehen eher aufhält. Das letzteres den Rezensenten erstaunlich kalt ließ, mag an der artifiziellen, antiseptisch-kühlen Ästhetik gelegen haben: Auf der nicht kleinen Amsterdamer Bühne sind im Wesentlichen drei beleuchtbare, mit Reliefs und Vertäfelungen dekorierte, mitunter auch an Glasbausteine erinnernde Bühnenelemente zu sehen, die in der horizontalen Anordnung für die Zerstörung Trojas stehen, in der vertikalen für den Aufbau einer neuen Stadt und Kultur; dass sie im letzten Akt umgestürzt zu sehen sein würden, ahnte der aufmerksame Besucher natürlich schon einige Stunden vorher.

In der Theaterzeitung wird Audis "intiem-gefocuste ensceneringsstijl" gepriesen, es wird auf die "intieme momenten" hingewiesen, "die een grote concentratie op het samenspel van de solisten vereisen", und der Künstlerische Direktor des Hauses stellt ausdrücklich heraus, dass es ihm darum geht, "de figuren heel menselijk en plastisch naar voren te laten komen" - si tacuisses ... Nach vorn kommen sie tatsächlich, die Protagonisten, und zwar sicher nicht zufällig an Stellen, in denen sie musikalisch besonders gefordert sind, wie sich das Bühnenpersonal überhaupt gern an der Rampe aufhält, um verstaubte Gesten vorzuführen. Ansonsten wird viel herumgestanden und würdevoll über die Szene geschritten - von einem Zusammenspiel, einer Personenführung kann dabei ebenso wenig die Rede sein wie von einer differenzierten Charakterisierung der Figuren, die seltsam zweidimensional und uninteressant bleiben. Das trojanische Pferd ist in Form einer riesigen Felsattrappe zu sehen, die entfernt an einen Pferdekopf erinnert und am Ende der Chasse Royale als Symbol für Zerstörung an sich wieder auftaucht. Die letztgenannte Szene und das anschließende Gewitter werden wie so viele andere Momente verschenkt, trotz des unermüdlichen, beinahe auf jede Note eine bedeutungsschwangere Bewegung vorsehenden Einsatzes der sechs Tänzerinnen und Tänzer, die sich nach Amir Hosseinpours und Jonathan Lunns Ideen zu Beginn des vierten Aktes in bunt gefleckten Anzügen in pseudoerotischen Verrenkungen ergehen (vorher repräsentierten sie während der arg sozialistisch wirkenden Leistungsschau die Baumeister, Matrosen und Ackerer, und während des gesamten Abends treten sie immer wieder als personifizierter Tod im Skelettkostüm auf). Keine schlechte Idee war es dagegen, zur nicht enden wollenden Ballettmusik im weiteren Verlauf des vierten Aktes einen Traum Didons zu zeigen, in dem Iarbas König, aber bald darauf Opfer eines Mordanschlags wird und in dem auch Andromache noch einmal auftaucht. Die veränderten Verhältnisse in Karthago illustrieren wiederum die Kostüme: Aeneas trägt nun auch einen aufwändigen Königsmantel, während Dido ihr öffentliches Kostüm abgelegt hat und sehr privat in einem weißen Nachthemd erscheint.

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Leistungsschau im prosperierenden Karthago: Anna (Charlotte Hellekant), Iopas (John Osborn), Didon (Yvonne Naef), Narbal (Frode Olsen), die Tänzerinnen und Tänzer und das Volk (Koor van De Nederlandse Opera).

Doch auch musikalisch konnte diese Produktion nicht durchgängig überzeugen: Petra Lang ist bei ihrem szenischen Rollendebüt als Cassandre mit ihrem verstört-wütendem Blick und in ihrem zotteligen roten Mantel darstellerisch zu eindimensional, ihr lyrischer, sehr diszipliniert geführter, in der hohen Lage zweifellos präsenterer Mezzosopran von angenehmer, wenn auch wenig charakteristischer Farbe einfach zu leicht und zu wenig dramatisch, als dass man sich wirklich für die Figur und ihre tragische Befindlichkeit interessieren würde, zumal die Deutsche trotz großer Erfahrung mit der Rolle (sie singt die Partie in dem Londoner Mitschnitt vom Dezember 2000 unter Sir Colin Davis) zu wenig aus dem Text macht und in erster Linie schön singt anstatt wirklich zu interpretieren. Besser gefiel mir zweifellos Yvonne Naef mit ihrem etwas üppigeren, metallischeren und damit präsenterem Mezzo, der zwar nicht das größte Volumen in der Tiefe, aber immerhin einigen Glanz in der Höhe aufweist und weder vor den schnelleren Notenwerten noch vor den langen, nicht einfachen Bögen kapitulieren musste; als Interpretin konnte die Schweizerin allerdings auch erst gegen Ende einiges Profil gewinnen, überraschenderweise in dem Moment, als zum ersten Mal die Grenzen der Stimme zu hören waren, was nach der grundsätzlichen Eignung für diese und andere dramatische Partien fragen lässt, auch wenn Didons Abschied wirklich bewegend geriet, nicht zuletzt aufgrund der hohen Pianokultur der Künstlerin. Dazu passte der gleichfalls schlanke, hinsichtlich der Register auffallend gut verblendete und ohne vulgäre Brusttöne auskommende Alt ihrer Bühnenschwester Charlotte Hellekant. Isabelle Cals gab mit frischem, in der Höhe noch etwas dünnen Mezzo einen wahrlich knabenhaften Ascagne, dem man auch den Amor abnahm, den er in Karthago zu spielen hat.

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Umringt von den schiffbrüchigen Trojanern (Koor van De Nederlandse Opera): Anna (Charlotte Hellekant, links) und Didon (Yvonne Naef).

Das Interview in der Theaterzeitung zeigt, dass Donald Kaasch weiß, was man für die schwere Rolle des Enée braucht - eine kräftige Mittellage etwa, aber auch eine leicht ansprechende Höhe, und auch seine Bemerkungen zu seiner Lieblingssprache Französisch ließen Großes hoffen ("Het Frans is zo rijk, met zoveel klangmogelijkheden, kleurvariaties en een zo veelzijdige expressie"). Umso erschreckender war die tatsächliche Leistung, denn der Amerikaner sang mit Abstand das übelste, unidiomatischste Französisch des Abends, seine Spitzentöne, die jedes Mal eine Zitterpartie waren oder aber gleich falsettiert wurden, was bei überforderten Tenören im Heldenfach Mode zu werden scheint, gerieten durchweg unerträglich grell, eng, gepresst und denkbar unattraktiv. Auch dem selbst formulierten Anspruch eines selbstverständlichen Legato wurde der Künstler auch nicht ansatzweise gerecht - nur äußerst selten war überhaupt eine Gesangslinie zu erkennen, meistens hatte man sich mit isoliert aneinandergereihten, unfokussierten Einzeltönen abzufinden. Der Sänger hätte gut daran getan, mit seiner grundsätzlich hellen, nur künstlich abgedunkelten und verbreiterten und dadurch einen beträchtlichen wobble aufweisenden Stimme bei kleineren lyrischen Partien wie dem Iopas zu bleiben, den er ebenfalls unter Edo de Waart gesungen hat. Absoluter Tiefpunkt war natürlich seine große Arie "Inutiles regrets" im fünften Akt mit all den markierten Tönen; einmal mehr war ich erstaunt über die Toleranz des Amsterdamer Publikums - in Deutschland oder Frankreich wäre zweifellos heftig und zurecht gebuht worden, zumal der Tenor auch darstellerisch beklagenswert unbeholfen ist, so dass man sich doch fragt, ob die für die Besetzung Verantwortlichen ihre Hausaufgaben gemacht haben, denn wir haben es hier nicht mit einer Notlösung aus einem schlecht bezahlten Ensemble zu tun, sondern mit einem extra für diese Partie ausgesuchten Interpreten, der mit keiner geringen Abendgage nach Hause geht und den man bereits in der Probenphase hätte austauschen müssen!

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Anna (Charlotte Hellekant) macht es sich auf dem Thron ihrer Schwester bequem, während diese (Yvonne Naef) darüber nachsinnt, ob sie nicht ihrem toten Gatten die Treue halten müsse.

Besser waren einige der kleineren Partien besetzt: Peter Coleman-Wright etwa war mit dunklem Ton, schlanker Stimmführung und hoher Piano- wie Legatokultur ein exzellenter Chorèbe, der etwas platt mefistofelisch rot geschminkte Christopher Gillett machte mit seinem hellen Charaktertenor viel aus dem kurzen Auftritt des Sinon, Brian Bannatyne-Scott war dank seiner mächtigen Bassstimme nicht nur in dieser Szene ein imposanter Priam, Josep Ribot ein kraftvoller Ombre d'Hector, und auch Frode Olsens Bass haben die Jahre wenig anhaben können, auch wenn in der Erinnerung die tiefen Töne vor einigen Jahren noch müheloser kamen. Tómas Tómasson steuerte als unermüdlich die trojanischen Götterstatuetten tragender Panthée einige etwas unruhige Töne bei, während John Osborns Tenor einfach nicht attraktiv genug timbriert ist und zu viel Anlauf zu dem zweifellos schweren C in alto braucht, um mit dem Lied des Iopas überzeugen zu können. Marcel Reijans machte mehr aus seinem Auftritt als Hylas, auch wenn die nicht zu kleine Stimme im Passaggio deutlich an Volumen verliert und ihr tiefer gelegene Passagen nicht leicht fallen. Winfried Maczewski hatte den 51 Sängerinnen und Sänger umfassenden Chor auf 106 Personen aufgestockt und zu einem superben Klangkörper zusammengeschweißt, der wie aus einer Kehle und dabei ungemein flexibel sang, die dynamischen Vorschriften des Komponisten gut beachtete und auch die vielen von der Regie verordneten Gesten und Bewegungen meistens synchron bewältigte.

Vergrößerung Foto rechts:
Dido (Yvonne Naef) stirbt, begleitet von Iopas (John Osborn, kniend), Narbal (Frode Olsen) und Anna (Charlotte Hellekant).

Edo de Waart hat zweifellos viel Erfahrung mit dem Werk Berlioz', aber seine eher routinierte als inspirierte, streckenweise geradezu lethargische und sehr schleppende Tempi anordnende musikalische Leitung war mindestens in der dritten Vorstellung der Serie nicht dazu in der Lage, das Orchesterspiel, das rhythmisch viel prägnanter und insgesamt bedeutend präsenter sein könnte, zu einem wirkungsvollen Kontrast zum blassen Bühnengeschehen werden zu lassen - in erster Linie wird hier gefällig begleitet, was nicht wenig, aber eben auch nicht genug ist.


FAZIT

Natürlich ist es eine Großtat, überhaupt eine szenische Neuproduktion von Berlioz' opus magnum in Angriff zu nehmen; mit ein bisschen mehr Enthusiasmus der Beteiligten jedoch hätte dieses Unternehmen zweifellos noch größere Wirkung entfaltet und noch eindrucksvollere Werbung für dieses mindestens den Rezensenten mehr und mehr in seinen Bann ziehende Oeuvre gemacht.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Edo de Waart

Inszenierung
Pierre Audi

Bühne
George Tsypin

Kostüme
Andrea Schmidt-
Futterer

Licht
Peter van Praet

Choreografie
Amir Hosseinpour
Jonathan Lunn

Choreinstudierung
Winfried Maczewski

Dramaturgie
Klaus Bertisch



Koor van
De Nederlandse Opera

Radio Filharmonisch
Orkest Holland


Solisten

Enée
Donald Kaasch

Chorèbe
Peter Coleman-Wright

Panthée
Tómas Tómasson

Narbal
Frode Olsen

Iopas
John Osborn

Ascagne
Isabelle Cals

Cassandre
Petra Lang

Didon
Yvonne Naef

Anna
Charlotte Hellekant

Hélénus/Hylas
Marcel Reijans

Priam
Brian Bannatyne-Scott

Un chef grec/
1ère sentinelle
Alexandre Vassiliev

Un soldat/
2ème sentinelle
Josep Ribot

L'ombre d'Hector/
Le dieu Mercure
David Wilson-Johnson

Sinon
Christopher Gillett

Polyxène
Michaela Karadjian-
Schotte

Hécube
Irene Pieters

Andromaque
Jennifer Hanna

Astyanax
Matthijs Hollanders

Hector/Iarbas
Brian Green



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