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Il Pirata

Melodramma in zwei Akten
Libretto von Felice Romani
Musik von Vincenzo Bellini

in italienischer Sprache

Aufführungsdauer: ca. 3h 10' (eine Pause)

Konzertante Aufführung im Concertgebouw Amsterdam
am 20. September 2003




Concertgebouw Amsterdam
(Homepage)
Eine weitere berauschende Belcanto-Matinee

Von Thomas Tillmann


Es stand kein guter Stern über dem ersten Konzert der Zaterdag-Matineen, die mittlerweile in ihre 43. Saison gehen und von Opernfreunden aus ganz Europa besucht werden: Der ursprünglich vorgesehene Raúl Giménez hatte nach gründlichem Partiestudium seine Mitwirkung als Gualtiero abgesagt, der als Itulbo vorgesehene Gustavo Pena war aufgrund anderer Verpflichtungen nicht abkömmlich, und Paolo Gavanelli, der den Ernesto singen sollte, musste in der letzten Woche wegen einer hartnäckigen Erkältung ausscheiden. Und doch ist es Mauricio Fernandez einmal mehr - und diesmal offenbar in letzter Sekunde - gelungen, eine exzellente Besetzung zu präsentieren:

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Stefano Secco, Schüler von Tenorgrößen wie Giacinto Prandelli und Franco Corelli, sang die Rubini-Partie des Gualtiero, über die Beniamino Gigli bei einer Aufführung anlässlich des hundersten Todestages Bellinis im Jahre 1935 gesagt haben soll, sie sei ein "anstrengendes Unternehmen für jeden Tenor", ohne größere erkennbare Mühe und mit bemerkenswerter Sicherheit und Sorgfalt auch in den verzierten Passagen, ohne dass man sich mit einer dieser hellen, unmännlichen, quengeligen oder trockenen, hochgetriebenen Ministimmen hätte herumärgern müssen. Stattdessen delektierte man sich an einem selbst in der tiefen Lage gut ansprechenden, biegsamen, tonschönen, zu berückenden Morendi fähigen, schlank geführten, höhen- und legatostarken Prachttenor, dem auch ein sicheres D in alto gelingt, und ein mitreissend-glutvoller, um mentale wie emotionale Durchdringung der Noten wie des Textes vorbildlich bemühter, elegant phrasierender Interpret ist der junge Italiener auch, der für mein Empfinden eine echte Hoffnung in diesem nicht leicht zu besetzenden Fach ist, zumal die bisherige Rollenauswahl (Alfredo, Arturo, Duca, Nemorino, Rodolfo in Luisa Miller, Pinkerton und Elvino) ein Wissen um die momentanen Grenzen erkennen lässt - ein Namen, den man sich merken sollte.

Für Albert Shagidullins Ernesto, den er auch in Paris an der Seite von Renée Fleming gesungen hat, gilt dagegen im Wesentlichen das, was ich über seinen Duisburger Nottingham gesagt habe (Roberto Devereux in Duisburg): Er ist zwar den immensen technischen Anforderungen in hohem Maße gewachsen (im Vergleich mit den späteren Werken merkt man eben doch, dass Il Pirata zwar Bellinis neuen Personalstil markiert, er aber das Vorbild Rossinis noch nicht gänzlich hinter sich gelassen hatte), was wahrlich nicht wenig ist, und verfügt über eine exzellente Höhe, aber seinem Bariton fehlt es an der nötigen individuellen Färbung, um sich von hundert anderen Stimmen wirklich zu unterscheiden, in der tiefen Lage an Kraft und Rundung, hinsichtlich der Interpretation an der nötigen Präsenz, um mit Sopran und Tenor mithalten zu können.

Ansprechende Leistungen sind Carole Wilson als diskreter Adele mit charaktervollem Mezzo, Gioacchino Lauro Li Vigni als ernsthaftem Itulbo und Deyan Vatchkov als sehr jungem Eremiten Goffredo zu bescheinigen, gar nicht zu reden von dem wie stets exquisiten Groot Omroepkoor in der hervorragenden Einstudierung von Antony Walker, der bald kraftvoll, bald sensibel, aber stets wie aus einer Kehle sang - bravi!

Giuliano Carella mochte sich streckenweise mit der Rolle des sensiblen Begleiters (Paul Korenhof bezeichnet das Orchester in seinen wie stets informativen Bemerkungen zu Bellinis erstem wirklich bedeutenden, am 27. Oktober 1827 in Mailand uraufgeführten Opernerfolg nicht zu Unrecht als "grote gitaar") nicht begnügen, sondern setzte am Pult des brillant musizierenden Niederländischen Radio-Symphonie-Orchesters gleichermaßen auf kräftige Farben und (vielleicht mitunter doch zu) zügige, während der weitgehend ungestrichenen Wiedergabe (es fehlten nur ein paar Takte in der ersten Tenorarie und im Duett der beiden Protagonisten) immense Spannung erzeugende Tempi - der Italiener ist eine echte Autorität, die in jedem Moment die Solisten und die Kollektive im Griff hat, und ein Klangmagier dazu (unvergesslich bleibt mir das Crescendo in der wunderbaren Einleitung des "Oh! s'io potessi"). Die Ausgrabung des originalen Schlusses mit dem Selbstmord Gualtieros indes (der sich übrigens nicht in der "Edizione riveduta sulla partitura autografa esistente nella Biblioteca del Conservatorio musicale di Napoli" findet, die der Ricordi-Klavierauszug festhält, den auch die Sänger benutzten, und der entweder schon kurz vor oder schnell nach der Premiere eliminiert wurde) scheint mir nicht der Mühe wert zu sein, sondern nach der ersten großen Wahnssinnsszene der Opernliteratur unnötig die Begeisterung des Publikums zu bremsen.

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Diese galt selbstverständlich einmal mehr Nelly Miricioiù, die am eindringlichsten bewies, dass Belcanto eben kein Synonym für oberflächliche Stimmartistik und fehlende Dramatik ist, sondern eine unerhört packende Sache sein kann, wenn man sich wirklich mit den Figuren, ihrem Schicksal und ihren Emotionen identifiziert, seine vokalen Mittel werkdienlich (!) zur Charakterisierung der zu portraitierenden Person einsetzt, wenn man, wie es Maria Callas während ihrer Meisterklassen in New York gefordert hat, nach dem strebt, "was tief zwischen den Noten verborgen ist" und sich nicht in erster Linie am äußerlichen Effekt orientiert. Gegenüber den mir bekannten Versionen namentlich der Schlussszene, die sie bereits beim "Operafeest in het Concertgebouw" am 27. November 1996 (ein Mitschnitt der Firma Vanguard Classics hält diese mitreißende Interpretation fest) und im Mai 1998 in Utrecht sowie im April 2001 in einer konzertanten Aufführung der gesamten Oper in Washington gesungen hat, hat die Künstlerin neue, tiefere Schichten der Imogene aufgespürt (die Callas erinnerte die Herzogin sehr an Norma, ist doch auch "eine Frau, die von entsetzlicher Furcht gepeinigt wird und sehr viel erlitten hat") und in einen den Zuhörer in ihren Bann ziehende Klänge verwandelt. Bereits bei ihrem ersten Auftreten stellte die in England lebende Rumänin freilich auch klar, dass Spitzentöne oberhalb des Systems (selbst ein hohes D konnte man staunend bewundern), vertrackte Fiorituren und endlose fallende Skalen, die extreme Tessitur und die immense Länge der Partie nach wie vor kein Problem darstellen.


FAZIT

Einmal mehr jubelt man angesichts einer mitreißenden, hochkarätig besetzen Aufführung eines selten gehörten Belcanto-Werkes, das Christian Carlstedt als "Geburtsstunde der italienischen Romantikoper" bezeichnet hat und das zusammen mit Webers Freischütz und Meyerbeers Robert le diable den Beginn der europäischen Opernromantik markiert. Schade nur, dass die Protagonistin dem Vernehmen nach erst 2006 wieder im schmucken Concertgebouw auftreten wird und damit ihre 20jährige Mitwirkung an den Amsterdamer Matineen nicht angemessen begangen wird. Immerhin können die Fans sich damit trösten, dass sie im Dezember in Maastricht zweimal in einem Arienkonzert sowie im März 2005 bei einer szenischen Neuproduktion der Norma im Muziektheater zu erleben sein wird.


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Programm

Musikalische Leitung
Giuliano Carella

Choreinstudierung
Antony Walker



Groot Omroepkoor

Nederlands Radio Symfonie Orkest


Solisten

Ernesto,
Herzog von Caldora
Albert Shagidullin, Bariton

Imogene, seine Gattin,
frühere Geliebte Gualtieros

Nelly Miricioiù, Sopran

Gualtiero, früher Herzog
von Montalto

Stefano Secco, Tenor

Itulbo, Gefährte Gualtieros
Gioacchino Lauro Li Vigni,
Tenor

Goffredo, früher Lehrer Gualtieros,
jetzt Einsiedler

Deyan Vatchkov, Bass

Adele, Hofdame Imogenes
Carole Wilson, Mezzosopran



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Zaterdagmatinee


Homepage von Nelly Miricioiu:
www.opera-singer.com


OMM-Interview mit Nelly Miricioiù



Da capo al Fine

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