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Viel Herz in kleinen Häuschen
Temperamentvolle Umsetzung des beliebten Musicals
Von Meike Nordmeyer / Fotos von Michael Hörnschemeyer
Viel gibt es, worüber sich Tevje (Hartmut Bauer) Sorgen macht.
Fünf Töchter haben Tevje, der Milchmann und seine Frau Golde. Die ältesten drei werden erwachsen, verlieben sich und bestehen auf die eigenständige Wahl des Ehemanns. Das birgt Konfliktstoff, denn selbstbestimmtes Handeln ist Mädchen traditionell verwehrt, und in dem Dorf Anatevka wird die Tradition hochgehalten. Die jüdischen Bewohner von Anatevka sind Repressalien gewohnt, sie haben sich daher auf ihr einfaches Dorfleben gänzlich zurückgezogen und suchen Halt in den festen Regeln der Tradition. Ausgerechnet während Übergriffe durch russische Soldaten das Dorf bedrohen, muss sich Tevje nun mit seinen entschlossenen Töchtern hart auseinandersetzen. Ein enorm gehaltvoller, berührender Stoff, den das beliebte Musical bietet und der in der Wuppertaler Inszenierung packend vermittelt wird. Listig erzählt Tevje seiner Frau Golde (Ingeborg Wolff), was er geträumt habe.
Die Geschichte spielt 1905 in Russland und Regisseur Attila Láng lässt sie in sorgsamer Ausstattung in kleinen Dorfhütten und auf dem Dorfplatz spielen, die Personen treten in zeitgemäßer, einfacher bäuerlicher Kleidung auf. Doch Láng bietet mit seiner Inszenierung alles andere als nur eine reine Ausstattungsproduktion. Die kleinen Häuschen werden zu den entsprechenden Auftritten auf die leere Bühne geschoben und wieder weggerollt - ein Verfahren, das Bewegung bringt und auch humorvoll eingesetzt wird, wenn etwa zur Traumszene Golde und Tevje im Ehebett hereingerollt werden. Wichtig ist aber vor allem, dass mit dieser beweglichen Bühnengestaltung bei aller realistischer Ausstattung ein gewisser Verfremdungseffekt geschaffen wird: die Häuschen stehen vereinzelt und unverbunden auf der leeren Bühne - im Hintergrund ist nur das Orchester hinter einem Gaze-Vorhang zu sehen. Die Hütten sind zudem reichlich kein und auffallend putzig gehalten. Láng gelingt es damit, einerseits erzählerisch realistisch das lebendige, meist sehr fröhliche und immer liebenswerte Leben im Dorf Anatevka und das Ausüben jüdischer Feierlichkeiten lebendig zu zeigen. Andererseits wird aber auch mühelos deutlich, wie sehr die Bewohner sich in ihrem Dorf durch Rückzug auf ein rückständiges Leben im kleinsten Kreis eine abgekapselte und vor allem unwirklich niedliche heile Welt geschaffen haben. Eine Wirklichkeitskonstruktion, die schließlich nicht mehr zu halten ist. Sie wird nicht nur von den jungen Menschen zunehmend hinterfragt und umgangen, sondern alsbald von der Außenwelt feindselig zerstört. Noch geht es feierlich auf der Hochzeit von Motel (Raimund Fischer) und Zeitel (Sascha Iks) zu.
Besonders überzeugend ist auch die bewegte Personenregie. Singende Schauspieler, tanzende Opernsänger und sprechende Tänzer fügen sich problemlos zu einem außerordentlich homogenen und durchweg temperamentvollen Spiel zusammen - der Regie konnte eine ausgewogene Zusammenführung und Nutzung der verschiedenen Sparten trefflich gelingen. Dem Ensemble macht die Umsetzung riesig viel Spaß und es kann das Publikum sogleich damit anstecken. Mitreißend gelingen auch die vielfältigen Tanzeinlagen: Die Kreistänze der Dorfbewohner zur Klezmermusik, mit denen sie sich schließlich den kraftvollen Tänzen der russischen Soldaten gegenüberstehen sehen. Da tanzt man gegeneinander und schließlich kurzzeitig unversehens auch miteinander. Opernsänger Hartmut Bauer, der sich mit der Rolle des Tevje nach vielen Jahren von den Wuppertaler Bühnen verabschiedet, prägt mit seiner höchst präsenten Darstellung der Hauptfigur die Aufführung entscheidend. Man ist von ihm stets charaktervolle Bühnendarstellung gewohnt. Er übertrifft sich nun noch einmal selbst und zeichnet innig und humorvoll den Tevje als liebenswert schlitzohrig, bockig, aber auch versonnen und weise, als einen Vater, der sich um seine Familie und vor allem die aufbegehrenden Töchter liebend und leidend sorgt. Kräftig herb, doch mit Herz erscheint passend dazu die Golde in der ausdrucksstarken Darstellung von Ingeborg Wolff. Bauer weiß als erfahrener Opernsänger auch mit dem Musical-Fach treffsicher umzugehen und gestaltet seine Partie stimmlich klangvoll und variabel. Schauspielerin Wolff findet als Golde ebenfalls genau den richtigen, gehaltvollen Tonfall. Rührend stimmen sie zusammen im Duett, in dem das alte Ehepaar zögerlich ihre Liebe wiederentdeckt. Überzeugend gelingt auch die Darstellung der Töchter in Spiel und Gesang. Herausragend erklingt Elena Fink als Hodel. Die Sopranistin gestaltet zart und innig den Abschied vom Vater, bevor sie dem Verlobten nach Sibirien nachreist. Raimund Fischer erweist als Schneider Motel ebenfalls geschmeidige Stimmgebung. Das Orchester musste aus Platzgründen hinten auf der Bühne angeordnet werden, was sich aber gut in die Inszenierung einfügte und auch im Zusammenklang mit den Sängern keine Probleme ergab. In kleiner Besetzung ist das Orchester um Instrumente wie Gitarre und Akkordeon ergänzt. In farbreicher Musiksprache bietet die Komposition reichlich Jazzelemente und Klezmerklänge. Unter der Leitung von Simon Rekers spielte das Orchester differenziert, mit dem nötigen Drive und legte hierin im zweiten Teil noch gehörig zu. Geboten wurden gute Einsätze und geschmeidige Übergänge, auch für handlungsbezogene Rubati sorgte das aufmerksame Dirigat von Rekers. Mit schönem Touch konnte die reichhaltige Partitur des Musicals entwickelt werden und stimmungsvoll bewegen.
Eine in jeder Hinsicht gelungene Produktion in intelligenter, sorgsamer Inszenierung und mit einer temperamentvollen Ensembleleistung, die unmittelbar mitreißt. Nicht verpassen und rechtzeitig um Karten kümmern, denn die Aufführungen sind gefragt!
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Licht
Dramaturgie
Chor
SolistenTevje, der MilchmannHartmut Bauer
Golde
Zeitel
Hodel
Chava
Sprinzte
Bielke
Motel, der Schneider
Lazar Wolf, der Fleischer
Perchik, ein Student
Jente, die Heiratsvermittlerin
Der Dorfgendarm
Der Rabbi
Mendel, sein Sohn
Fedja, ein junger Russe
Oma Zeitel
Shandel, Mottels Mutter
Frohma Sara
Mordechai, der Gastwirt
Awram, der Hutmacher
Nachum, der Bettler
Pope
Der Fiedler
Tänzer
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