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Musiktheater
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Anna Bolena

Tragedia lirica in zwei Akten
Libretto von Felice Romani
Musik von Gaetano Donizetti

in italienischer Sprache

Aufführungsdauer: ca. 4h (eine Pause)

Konzertante Aufführung in der Stadthalle Ternitz
am 5. April 2003


Zwanzig Jahre Belcanto in Niederösterreich

Von Thomas Tillmann


Auf zwanzig Jahre offizieller Vereinstätigkeit dürfen die zur Zeit etwa 350 "Amici del Belcanto" zurückblicken, die nicht nur Reisen zu Opernaufführungen in Österreich und den Nachbarstaaten organisieren, sondern sich mit bemerkenswerten eigenen Konzerten die Bekanntmachung von selten gespielten Opern besonders der namensgebenden Epoche auf die Fahnen geschrieben haben (zu nennen sind neben populären Stücken wie Il Trovatore, Ernani, Norma, Adriana Lecouvreur und La Gioconda Werke wie Donizettis Maria de Rudenz und Caterina Cornaro oder auch Verdis I Masnadieri) und dafür immer wieder so bedeutende Künstler wie Fiorenza Cossotto, Lucia Valentini-Terrani, Ghena Dimitrova, Bruna Baglioni, Ines Salazar, Iano Tamar, Denia Mazzola-Gavazzeni, Stefka Evstatieva, Monica Pieck-Hieronimi, Giuliano Ciannella, Kaludi Kaludov, Maurizio Frusoni, Carlo Cossutta, Lando Bartolini, Gregory Kunde, Bonaldo Giaiotti, Ivo Vinco, Paolo Washington, Aldo Protti und Roberto Servile gewinnen konnten, die allesamt nur gegen Spesenersatz, aber ohne Gage mitwirken. Das Jubiläum feiern die Opernfreunde, die zum Großteil aus dem niederösterreichischen Neunkirchen und dem weniger als eine Stunde entfernten Wien stammen, nicht nur mit der im Folgenden zu besprechenden konzertanten Aufführung von Donizettis Anna Bolena, sondern auch mit einer Ausstellung des singenden Malers Hans Sisa, einem Festgottesdienst, in dessen Rahmen Mascagnis Messa di gloria zur Aufführung kommt, einem Geburtstagsfest und einem Benefizfußballturnier (!). Zu den Aktivitäten des Freundeskreis zählt seit 1990 auch die Verleihung der sogenannten "Lira d'argento" an verdiente Künstler der internationalen Opernszene; dass die Überreichung der Plakette an Nelly Miricioiu und Elena Zilio indes ebenso wie die Begrüßung der Botschafter aus China, Indonesien, Nigeria, Russland, Rumänien und Kroatien und anderer wichtiger Ehrengäste ausgerechnet vor Beginn des zweiten Aufzugs stattfinden musste, dürfte die Konzentration der Mitwirkenden empfindlich gestört haben.

Donizettis fünfunddreißigste Oper besiegelte dessen Ruhm in der Musikwelt endgültig, beginnt mit diesem Oeuvre doch ein Abschnitt im Schaffen des Komponisten aus Bergamo, in dem er sich von seinen Vorbildern weitgehend gelöst und zu seiner eigenen individuellen Tonsprache gefunden hat. Dr. Heinrich Tettinek, Präsident des Wiener Richard-Wagner-Verbandes und Vizepräsident der internationalen Sektion derselben Vereinigung, bezeichnet im informativen Programmheft zudem Felice Romanis Textbuch als den "Höhepunkt der italienischen Librettistik der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts", die Oper insgesamt gar als "Meisterwerk eines musikalisch-dramatischen Gesamtkunstwerks". Umso rätselhafter erscheint es, dass das Stück seit anderthalb Jahrhunderten an der Wiener Staatsoper ignoriert wird (die letzten Aufführungen datieren ins Jahr 1854!), während die 1834 uraufgeführte Maria Stuarda noch vor einigen Jahren unter anderen mit Nelly Miricioiu als schottischer Regentin gegeben wurde und der weitere drei Jahre später entstandene Roberto Devereux wohl für Edita Gruberova in den Spielplan genommen wurde. Man kann nur hoffen, dass unter den zahlreichen prominenten Gästen aus Politik und Kultur auch solche von dem berühmten Haus am Ring waren, die sich angesichts einer insgesamt hochkarätigen Aufführung davon überzeugen konnten, dass eine szenische Neuproduktion von Anna Bolena nicht nur überfällig ist, sondern zweifellos eine ebenso begeisterte Aufnahme beim geneigten Publikum finden wird wie das Konzert in Ternitz.

Im Zentrum der Veranstaltung stand natürlich die Interpretin der sehr langen und diffizilen Titelpartie: Mit Nelly Miricioiu hatte man zweifellos eine der sehr wenigen Sopranistinnen unserer Tage gewinnen können, die nicht nur die enormen technischen Anforderungen der Rolle souverän erfüllt, sondern darüber hinaus über die so dringend notwendige künstlerische Intelligenz und Raffinesse sowie ein erstaunliches Einfühlungs- und Charakterisierungsvermögen verfügt, um der Figur echtes Profil, der Musik über schönen Gesang und die korrekte Ausführung der Noten hinaus wahre Expressivität und dem Text ungeahnte Tiefe verleihen zu können. Wieder einmal geriet man ins Staunen über die enorme dynamische Bandbreite zwischen den Raum mühelos füllenden, das nicht eben rücksichtsvolle Orchester mühelos überstrahlenden Forti und den zartesten, aber stets gehaltvollen Piani und Pianissimi, über die atemberaubenden, im besten Sinne durchdringenden Spitzentönen in emotionalen Extremmomenten, die makellosen Koloraturketten und Skalen, die kreative Ausgestaltung der Kadenzen, die außerordentliche Palette von subtilen Ausdrucksnuancen und die in Bruchteilen von Sekunden kreierten Stimmungen etwa in der vertrackten Auftrittsszene (in der der Einsatz eines halligen Keyboards anstelle einer Harfe doch irritierte), den packenden Temperamentsausbruch des "Giudici! Ad Anna!" oder die ungeheure Präsenz in der langen Wahnsinnsszene mit den fein gesponnenen Bögen des "Al dolce guidami", die die Sängerin mit einem "Coppia iniqua" beschloss, das noch entfesselter und akzentuierter geriet als auf dem Mitschnitt aus dem Amsterdamer Concertgebouw der Firma Vanguard Classics - es ist mir ein Rätsel, warum die großen Opernhäuser dieser Welt die Chance nicht nutzen, diese Ausnahmekünstlerin in einer Neuproduktion der gesamten Tudor-Trilogie zu präsentieren.

Marianne Cornetti hat mit ihrer Fachvorgängerin Giulietta Simionato nicht nur gemein, dass sie ihre Bühnenlaufbahn mit Comprimariapartien begann, sondern auch, dass sie sich trotz größter Erfolge im dramatischen Fach (international bekannt wurde sie in der Saison 2000/2001, als Riccardo Muti sie als Azucena an die Mailänder Scala verpflichtete, in einer Rolle also, die sie auch bei ihren Debüts in der Arena di Verona und am Teatro dell'Opera in Rom sang, während sie sich an der Wiener Staatsoper und der New Yorker Met als Amneris vorstellte) auch an verziertere Partien heranwagt, ohne dass man sie als echte Virtuosa wird bezeichnen können. Und doch war es eine Wohltat, die Musik der Giovanna Seymour endlich wieder von einem voluminösen, kraftvoll-saftigen, in allen Lagen präsenten, wenn auch etwas allgemein timbrierten Mezzosopran und nicht von einem ambitionierten Cherubino zu hören. Dazu passte der prächtige, nur in der extremen Tiefe noch etwas flache, aber enorm höhenstarke, tonschöne und bewegliche Bass des attraktiven Spaniers Simon Orfila natürlich vortrefflich, der einen wilden, autoritären König gab, mit dem man keinen Streit haben möchte; freilich möchte man dem jungen Sänger raten, nicht nur auf zweifellos imposante Forteentladungen zu setzen, sondern mehr auf feinere, leisere Töne, die ihm ja ebenfalls nicht allzu schwer zu fallen scheinen.

Das Markenzeichen von Bruce Fowler ist natürlich die leicht ansprechende (Extrem-)Höhe seines geschmeidigen Tenors, der auch in der Partie des Percy beträchtlichen Eindruck machte - die Indisposition, die die Lütticher Premiere von La donna del lago im Februar überschattete, scheint überwunden, wenngleich man sich auch an diesem Abend über manches kratzige Nebengeräusch vor allem in der Mittellage Gedanken machte und unschönes Kieksen befürchten musste (zu dem es glücklicherweise aber nicht kam), aber durch die elegante Phrasierung, die hohe Legatokultur und manchen wunderbar elegischen Ton entschädigt wurde. Umjubelt wurde auch Elena Zilio, die bereits 1963 beim Festival von Spoleto debütierte und vielen besonders durch ihre Interpretationen der schwierigen Koloratur-Alt-Partien des Belcanto bekannt sein dürfte (nicht zuletzt von vielen italienischen Live-Mitschnitten der sechziger und siebziger Jahre). Bei allem Respekt vor der bedeutenden Karriere der Italienerin, der grundsätzlichen Stilsicherheit, dem Wissen um die Erfordernisse des Genres und der sicherlich in der Höhe wie in der Mittellage immer noch erstaunlich frischen und agilen Stimme: Nicht nur die chansonartig-brustige, ausladende Tiefe ließ mich nicht eine Sekunde an einen jungen, naiven Pagen denken. Als verlässliche Stichwortgeber präsentierten sich der Albaner Dritan Luca, der freilich etwas genauer auf den Dirigenten und seine Einsätze hätte achten sollen, anstatt von der Bühne aus mit Bekannten im Auditorium zu flirten, sowie mit reichlich dumpfen Bariton Stefan Tanzer, der Gründungs- und Vorstandsmitglied der "Amici del Belcanto" ist und in diversen Veranstaltungen des Vereins solistisch hervortrat. Eine insgesamt solide Leistung steuerte auch das Gesangsensemble "Lucnica" bei, auch wenn man mancher Stimme anhörte, dass ihr keine professionelle Ausbildung zuteil geworden ist.

Dagegen hinterließ der erste Auftritt des "aus Musikern aus den besten Klangkörpern der slowakischen Hauptstadt" zusammengesetzten Philharmonischen Orchesters Bratislava beim Rezensenten einen zwiespältigen Eindruck: Bei aller Bewunderung für die Musizierfreude, die der im Bereich der Belcantooper ja nicht unerfahrene Marian Vach entfachte, war doch eine solche Fülle von Spielfehlern zu beklagen, dass man schlechte Laune bekommen konnte, und neben einer größeren Flexibilität in den Tempi und mehr Sensibilität in der Sängerbegleitung hätte ich mir manche Passage schlicht weniger laut und knallig ausgeführt gewünscht.


FAZIT

Wenn man bereit war, über einzelne Unzulänglichkeiten besonders beim Orchester hinwegzusehen, konnte man sich über einen mitreißenden Belcantoabend mit manchen Ausnahmeleistungen freuen, der immer wieder von langanhaltendem Applaus und begeisterten Bravorufen unterbrochen wurde und für den den rührigen Amici herzlicher Dank und größte Bewunderung für ihr immenses privates Engagement gebührt!


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Mitwirkende

Musikalische Leitung
Marian Vach

Choreinstudierung
Elena Matusova



Coro "Lucnica"

Symphonieorchester
Bratislava


Solisten

Anna Bolena
Nelly Miricioiu

Giovanna Seymour
Marianne Cornetti

Smeton
Elena Zilio

Enrico VIII.
Simon Orfila

Lord Riccardo Percy
Bruce Fowler

Lord Rochefort
Stefan Tanzer

Sir Hervey
Dritan Luca


In Zusammenarbeit mit dem
Italienischen Kulturinstitut Wien
und der Stadtgemeinde Ternitz
und mit Unterstützung des Vereins
"Freunde der Musik Gaetano
Donizettis"




Weitere Informationen
erhalten Sie von den

Amici del Belcanto
Triester Straße 63
A-2620 Neunkirchen
Niederösterreich
Tel.: (0043) 01/956 37 58
Fax: (0043) 01/956 37 68



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