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Musiktheater
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The Rake's Progress
Eine Oper in drei Akten
Libretto von Wystan Hugh Auden
Deutsche Übersetzung von FritzSchröder
Musik von Igor Strawinsky

Aufführungsdauer: ca. 3 Stunden (eine Pause)

Premiere im Saarländischen Staatstheater Saarbrücken
am 2. Februar 2003


Homepage Staatstheater Saarbr¸cken

Staatstheater Saarbrücken
(Homepage)
Stimmig inszenierte Kupferstiche

Von Thomas Erlach / Fotos von Thomas M. Jauk



Es ist ein Stück "episches Theater" mit allem, was dazugehört: wir werden belehrt über den "Fortschritt" – oder besser: Verfall eines hedonistischen Lebemanns namens Tom Rakewell, der von einer diabolischen Gestalt mit dem vielsagenden Namen Nick Shadow nach und nach in den psychischen und materiellen Ruin getrieben wird. Zunächst wird Tom (der englische "Jedermann"), von Nick (dem "Kerben"-Treiber) dazu gebracht, in einem Bordell seine Unschuld zu verlieren, dann heiratet er aus reiner Willkür – um seine absolute Freiheit unter Beweis zu stellen – die "Türkenbaba", eine Jahrmarktsattraktion mit Bart. Schließlich wird er zur Serienproduktion einer Maschine angestiftet, die angeblich Steine in Brot verwandeln kann – eine industrialisierte Variante der neutestamentlichen Versuchungsgeschichte. Am Ende fordert auf einem vampirfilmtauglichen Friedhof der Teufel den Lohn für seine Dienste. Doch Tom erinnert sich rechtzeitig an seine einstmalige große Liebe mit dem ebenfalls vielsagenden Namen Ann Trulove, die ihm in ihrem Glauben an das Gute Zeit ihres Lebens nachläuft. Das verhindert am Ende das Schlimmste: dass er seine Seele an den Teufel verliert. Er wird lediglich wahnsinnig und landet in der Irrenanstalt Bedlam, weswegen man nicht wirklich von einem "Happy end" sprechen kann.

Vergrößerung in neuem Fenster Wüstling mit Verführer

Das ganze Stück ist – wie in einer traditionellen "Nummernoper" - säuberlich in neun Szenen aufgeteilt, die dem Zuschauer jeweils durch Einblendung von Übertiteln vorher inhaltlich vorgestellt werden. Am Ende belehrt uns eine Moral humorig über die Bedeutung der Handlung. Diese "epische" Konzeption beruht darauf, dass Strawinsky sich zur Komposition von "The Rake's Progress" von acht Bildern des englischen Kupferstechers William Hogarth aus den Jahren 1733-35 anregen ließ: die Szenen sind gewissermaßen komponierte Bilder. Alles ist voller Anspielungen auf traditionelle Motive und Formen; das gilt sowohl für das äußerst poetische Libretto, das der amerikanische Dichter Auden eigens in Strawinsky Auftrag schrieb, als auch für Strawinskys Musik, die in verfremdender, teilweise witzig-ironischer Weise auf "klassische" Vorbilder wie Mozart, Monteverdi oder Donizetti anspielt.

Vergrößerung in neuem Fenster

Turbulente Versteigerug von Toms Besitz

Inszenierung, Bühnenbild und Kostüme werden diesem Reichtum an Bezügen in kongenialer Weise gerecht. Die ganze Produktion ist sehr "englisch". Ursprünglich 1975 in Glyndebourne aufgeführt, verzichtet sie auf extravagantes Austoben revolutionärer Regieideen zu Gunsten einer stimmigen Gesamtkonzeption. Ein Schraffurmuster, gehalten in den vier Farben schwarz, rot, blau und grün, durchzieht die gesamte Ausstattung einschließlich der Kostüme, und erweckt so den Eindruck, dass die Handlung sich ständig in einem Kupferstich des 18. Jahrhunderts abspielt. Jedes Accessoire, jede Bewegung auf der Bühne ist sorgfältig durchgeplant und mit Bedeutung aufgeladen. Sei es die Rokoko-Schaukel im ersten Bild, sei es die Choreographie des Chores, der nicht als neutrales Kollektiv auftritt, sondern durch individuelles Spiel charmant aufgelockert erscheint.

Vergrößerung in neuem Fenster Anns Wiegenlied für den wahnsinnigen Tom

Das hauseigene Sängerensemble agiert überzeugend und gut aufeinander abgestimmt, erfreulicherweise ist sogar der deutsch gesungene Text gut zu verstehen. Gary Bennett glänzt in der Titelrolle, die Leistung des Oberteufels Nick Shadow ragt durch die bis in feine Details ausgespielte Zwiespältigkeit schauspielerisch besonders heraus, die Gestalt der bollerig-schwatzenden Türkenbaba erweist sich als Paraderolle für Maria Pawlus, und Stefanie Krahnenfelds wendiger Sopran vermittelt glaubwürdig die unschuldige Anhänglichkeit der Ann Trulove an ihren dem Verderben geweihten Geliebten. Der Opernchor ist stets präsent, was man vom Orchester nicht unbedingt behaupten kann. Trotz vorangehender emsiger Probenarbeit vermisst man unter der Stabführung von Leonid Grin den mitreißenden Schwung, der dem Witz und der Ironie des Stücks angemessen wäre. Die bei diesem Stück häufig solistisch agierenden Staatsmusiker geben sich jedoch redliche Mühe, der vor allem rhythmisch schwierigen Partitur gerecht zu werden. Gelegentlich schlägt die große Stunde des Cembalisten, der bei diesem Stück endlich einmal mit Bravourleistungen glänzen darf.

Das Programmheft für die Aufführung wurde von einem musikwissenschaftlichen Seminar der Universität Saarbrücken ausgearbeitet und verdient ein besonderes Lob. Neben umfassenden Informationen über Libretto und Musik werden dort auch – in verständlicher Form – Fragen der ästhetischen Konzeption problematisiert, wie z.B. der Begriff des "Neoklassizismus". Eine solche Zusammenarbeit von Universität und Theater wäre vielerorts wünschenswert.

Das Saarbrücker Premierenpublikum quittierte die insgesamt sehr gelungene Aufführung mit relativer Zurückhaltung: Man fragt sich warum. Vielleicht stellt Strawinskys Musik trotz ihrer vergleichsweise leichten Verständlichkeit immer noch eine Überforderung für die Hörgewohnheiten vieler Abonnenten dar. Das Stück und die Inszenierung jedenfalls lohnen eindeutig einen Besuch.


FAZIT

Um die Aufführung richtig genießen zu können, empfiehlt sich eine gründliche Vorbereitung.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Leonid Grin

Inszenierung
John Cox

Szenische Einrichtung
Patrick Young

Bühne und Kostüme
David Hockney

Dramaturgie
Alexander Jansen

Chor
Andrew Ollivant



Opernchor und Statisterie,
des Saarländischen Staatstheaters
Das Saarländische Staatsorchester


Solisten

* Alternativbesetzung

Trulove
Hiroshi Matsui/
Patrick Simper*

Ann,
seine Tochter
Stefanie Krahnenfeld

Tom Rakewell,
ihr Verlobter
Gary Bennett

Nick Shadow
Yaron Windmüller

Mutter Goose,
Besitzerin eines Freudenhauses
Sylvia Didam

Baba,
genannt Türkenbaba
Maria Pawlus

Wärter im Irrenhaus
Volker Philippi

Sellem,
Auktionator
Rupprecht Braun





Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Staatstheater Saarbrücken
(Homepage)




Da capo al Fine

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