Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
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Carmen auf der CouchVon Angela Mense / Fotos von Klaus Baqué
Sie trägt eine lockige Haarmähne und ein rotes Kleid, das aus Kravatten zusammengenäht ist. Und sie tanzt Flamenco mit dem großen, muskulösen Torrero Escamillo. Dem ist so heiß, daß er beim Stierkampf nicht nur seine Kraft, sondern auch seinen nackten, schweißglänzenden Oberkörper zur Schau stellt. In der schwülen, blutgetränkten Hitze des Gefechts landen die beiden im Bett. Stop! Das Bild, das der Video-Beamer ins Decors projeziert, entspricht nicht wirklich den Phantasien des Betrachters. Schwarz-weiß und in Zeitlupe winden sich da zwei makellose Körper, deren Nacktheit rein, ja fast unschuldig wirkt. Don Josés Mutter schickt einen Gruß von Ödipus ...
In der Choreographie Maguerite Donlons im Saarländischen Staatstheater ist Carmen nicht mehr nur von dieser sinnlichen Welt. Sie ist in die Sphäre der Tiefenpsychologie entrückt, wo ihr Innerstes schonungslos von allen Seiten durchleuchtet wird, so daß der Zuschauer "Carmen – privat" erleben darf. Die lockere Szenenfolge, die sich latent an Mérimées Erzählung orientiert, deckt mit medizinischer Genauigkeit auf, was hinter der femme fatale steckt: eine gespaltene, traumatisierte Persönlichkeit, von Kindheit an konditioniert, ihre Weiblichkeit zur Schau zu stellen. ... den der Sohn nur wiederwillig empfängt ...
Anna Hagermark bietet als Carmen in einer wundervoll subtil ausgearbeiteten Choreographie fleißig ihre weibliche Reize feil. Dennoch will es dem Mythos nicht recht gelingen, jene klinische Kälte aufzuheizen, die ungemein stylisch daherkommt. Die Ballettkompagnie bewegt sich in eng anliegender, silbriger Astronautenkleidung und fügt sich elegant in die Sterilität eines minimalistisch zweckgebunden Decors. Selbst der überdimensionale Stier, der zur allgemeinen Erheiterung über die Bühne gezogen wird, ist zu einer weißen Gipsfigur erstarrt. ... während Carmen tanzt!
Dafür darf das Saarländische Staatsorchester Bizets temperamentvolle Musik live vortragen. Es erklingen sowohl Fritz Hoffmanns Carmen-Suiten als auch die "Carmen" des russischen Komponisten Rodion Shchedrin (*1931) für Streichorchester und Schlagwerk. Aber auch der Musik darf es an einer reflexiven Ebene nicht fehlen. Sie schaltet sich in Form einer Klangwelt dazwischen, die von den Komponisten und Klangkünstlern Claas Willecke und Sam Auinger eigens für den Anlaß komponiert wurde. Elektronische und Kammermusik ergänzen sich zu einer Gesamtkomposition, der es keineswegs an Kreativität, dafür aber an einem alles verbindenden Spannungsbogen mangelt. So bewegt sich die Choreographie konstant zwischen zwei Polen: zwischen Narration und psychologisierender Abstraktion. Nichts anderes ist wohl auch intendiert - nur daß Donlons Carmen und ihr Don José, der ebenfalls unter die psychoanalytische Lupe genommen wird, im Spagat zwischen Sevilla und Saarbrücken etwas blutleer erscheinen. Nachdenklich und kindlich kommen die beiden daher und brechen mit jenem Mythos der femme fatale und des Machos, jener oberflächlichen Erotik und Exotik, die die Menschheit zwar öffentlich an den Pranger stellt, deren Faszination sich jedoch bis heute keiner entziehen kann. Voyeurismus wird in Saarbrücken aber von vorne herein ausgeschlossen, denn es ist ein Spiel mit offenen Karten. Also keine knisternde Spannung bei der Frage, warum diese arme Carmen ständig Männer bezirzen muß. Keine geheimnisvolle Aura, die dieses mit offenen Armen herumlaufende Superweib doch so unnahbar macht.
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ProduktionsteamChoreographieMarguerite Donlon
Musikalische Leitung
Konzept
Bühne
Lichtdesign
Kostüme
Video
Videobearbeitung
Dramaturgie
Das Saarländische Staatsorchester SolistenDon JoséTilman O'Donnell
Carmen
Micaëla
Mutter Don Josés
Escamillo
Carmens Gefährte
Escamillos Gefährten
Ignacio Martinez, Rubens Renier
Streitführerin
Nicole Kohlmann, Hitomi Kutara, Yong-In Lee, Miriam Parker, Sarah Reynolds
Double Carmen
Double Don José
Double Mutter
Carmen als Kind
Don José als Kind
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- Fine -