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Musiktheater
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Der Ring des Nibelungen
Ein Bühnenfestspiel für drei Tage und einen Vorabend
von Richard Wagner

Vorabend: Das Rheingold
Erster Tag: Die Walküre
Zweiter Tag: Siegfried
Dritter Tag: Götterdämmerung

Aufführungen im Theater Nürnberg
am 17., 19., 22. und 28. Juni 2003

Logo: Theater Nürnberg

Theater Nürnberg
(Homepage)
Vom Schmieden neuer Statatstheater
mittels Wagnerscher Ringe

Von Ralf Jochen Ehresmann / Fotos von Karl Forster

Seit wenigen Wochen ist es heraus: Das Opernhaus der Stadt Nürnberg wird zum Bayerischen Staatstheater erhoben und damit München formal gleich gestellt. Damit soll die Spitze des zuletzt Erreichten gewürdigt und zugleich als neuer Dauermaßstab gesichert werden. Nicht ohne Zufall fällt diese freudige Meldung zusammen mit der Vollendung des Ring des Nibelungen, der in nur zwei Spielzeiten aufgebaut wurde und nun zwei zyklische Gesamtdurchläufe erlebt, von deren erstem wir hier berichten. Nürnberg folgte in dieser ersten Neuproduktion seit 1958/59 jener aktuellen Mode, die vier Einzelpremieren in unorthodoxer Reihenfolge zu bringen. Dabei scheint der Mut zu ungewöhnlicher Sichtweise gegen Ende der Arbeit, also beim Rheingold, am größten gewesen zu sein.
Man ist ja seit Chereau (1976) so einiges gewohnt, ist auch manchem Plagiat und zahlreichen Wiederholungen begegnet; hier aber hat es einer vermocht, dem schon so oft Gezeigten definitiv Neues abzugewinnen und dabei auch erwähnenswert neue Deutungen zu liefern.

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"So schwimm' und schwelge mit uns."

Das Rheingold zeigt uns Wotan den Indianerhäuptling im Laubrock mit Amulett auf nackter Brust, mit Hautbemalung und Federschmuck noch am Speerschaft, und was zunächst nach einer kruden Idee ausschaut, erweist seinen hohen analytischen Wert, wenn dadurch Wotans relative Ohnmachtlage sehr viel deutlicher darstellbar wird als man das ansonsten sieht. Hier erscheint er ganz klar und unverstellt als Prahlemann, als ein Getriebener mit Hang zur Großsprecherei aus purer Unkenntnis der eigenen Lage. Der geistige Gehalt so mancher seiner Äußerungen klingt zwar sehr imperial, hat aber mit Aristokratie im ältesten Sinne, Herrschaft aus geistiger Überlegenheit und vorausverfügender Führerschaft wenig zu tun. Nur der eingespielten Sehgewohnheit, nicht dem Drama als solchem wird Gewalt angetan, wenn man herausstellt, dass Wotan rein passiv agiert, dass jede noch so kleine Idee, die das Geschehen auch in seinem Sinne vorantreibt, von Loge angebracht werden muss, der sich damit als veritabler Strippenzieher erweist, dessen letztlicher Ekel und Abscheu angesichts dieses göttlichen Karnevalsvereins gut nachvollziehbar wird. Federschmuck, Bananenröckchen und Kriegsbemalung generieren eine Gesamtklamotte, die wie nebenbei auch eine Begegnung mit ganz alten Bekannten ermöglicht und echte Götter mit Hörnerhelm zeigt, wie sie seit ca. 80 Jahren von deutschen Bühnen verschwunden sind: Auferstehung durch Satire, ewiges Leben durch VerballHÖRNung! Komplementär dazu und ganz konsequent erscheint Loge als weißer Mann, dessen schrille Kostümierung aus unerfindlichen Gründen leider ständig wechselt: ein Modegetriebener offenbar auch er; vielleicht auch nur eine Nebenfunktion des Karneval in der Upper-Class!

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Die Ankunft des weißen Mannes.

Die Inszenierung von Stephen Lawless zieht gerne Strippen, gelegentlich gleich knäuelweise, quer über die Bühne, quer durch das Riesenopus, von dessen "Beziehungszauber" schon Thomas Mann so schwärmte. Verschiedene Elemente begegnen uns immer wieder, und es ist nicht allein der rote Faden als doppelter Inbegriff des Nornenseils, der uns in nahezu jedem Aufzug irgendwo entgegen tritt.

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Wer verliert schneller: Gold oder Wissen?

Damit fesselt Loge Alberich und Wotan gleichermaßen aneinander, daran hangelt sich Siegmund schlachtgeschwächt in Hundings Saal, und Sieglinde schleppt es als Fußfessel hinter sich her. Das Gold zeigt sich weder als Kugel noch als Barren sondern als Buchstabe, meistens A wie Alberich, deutlich seltener als U, was zusammen das chemische Zeichen für Aurum ergäbe.

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Betrieb in der Goldschmiede

Die große Welt der Licht- und Nachtalben über den Walkürenfelsen bis in die Gibichungenhalle spielt immer wieder in und vor den gleichen Bergen. Deren quasi-naturalistischer Touch verstärkt sich durch Andeutungen der vier Elemente in Gestalt transparenter Vorhänge und deren wiederkehrende Abfolge, und auch Wotan schaut wandernd vorbei, wo er nicht unbedingt auftreten muss.

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Alberich und Wotan hängen an derselben Leine.

Doch nicht jeder Wiedergänger behauptet seinen Platz gleichermaßen schlüssig: Der Schiffsbug am Rande jenes Bergsees, der die Jagdgründe der Lichtalben so anschaulich begrenzt, in dessen Bugfenstern bereit jene 2 Raben sitzen, die Brünnhilde ganz zuletzt heim schicken wird - ohne dass diese dann wirklich abfliegen: Welche Titanic, welche Arche mag sich dahinter verbergen?

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Das faule Paradies im Glanz des Naturschönen.

Ja, Märchen sind noch möglich, so erfährt man hier, und Wagners Ring ist eines davon: Donners Regentanz zur Wolkenvertreibung veranschaulicht das ebenso wie manches Großbild, bspw. Frohs Riesenumhang im vollen Farbprisma. Doch a8uch der analytische Wert kommt nicht zu kurz: In Ausnutzung der optischen Maßstabsverzerrung erscheinen die Riesen als berggroße Wesen, bei deren Anblick die Götter angstvoll zu Boden gehen, was abermals die längst nicht so klaren Kräfteverhältnisse veranschaulicht.

Doch wer hier weiter auf Fortsetzung der surrealen Story harrte, wurde enttäuscht, nicht etwa, weil danach nur Schlechtes gekommen wäre, sondern weil ein vielversprechender Ansatz abgebrochen wurde.

Die Walküre spielt in einer nicht außergewöhnlichen Hundinghütte, wo Hundings Zeichen seiner Herrschaft verschiedentlich erkennbar sind und er daher keiner begleitenden Jägertruppe bedarf. Die Erstberührung zwischen den liebenden Geschwistern lässt spannungsvoll lange auf sich warten, während zuvor Sieglindes Unruhe ob Siegmunds offenkundiger Begriffsstutzigkeit recht deutlich wird.
Die Schwertergreifung hätte näher zur Musik gestaltet werden können, und des Paares Flucht mochte man nur Glück wünschen, wenn der neue Brudergatte nicht mal dran denkt, das Bein seiner bräutlichen Schwester zu befreien: sein Schicksal schleppt man eben immer mit!

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"Froh nicht grüßt dich der Mann, dem fremd als Gast du nahst."

Fricka erscheint wie auch ihr Gatte als tendenziell außerweltliches Wesen, mit Geweih und Abendkleid, Wotan im Goldglanzanzug mit bemalten Wangen, teilweise im Wolfspelz. Fricka tankt permanent Kraftstoff nach, indem sie Leuchtäpfel aus Freias Lampengarten ausschlürft und stärkt sich so für ihr letztes Gefecht.

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Wotan und Widderhornfricka samt Apfel wie Adam und Eva.

Gerade solche Mittel tragen dazu bei, das Drama auch ohne analytische Sozialkritik in einem faszinierenden weil phantastischem Rahmen zu halten, zu dem es allerdings nicht recht passen will, wenn etwa im letzten Aufzug der Götterdämmerung doch noch die reale Welt außerhalb des Theaters in Gestalt einiger Hochhäuser herein gebeten wird, die dann auch brav versinken dürfen: Nach dem 11. September darf eben nicht mehr alles gezeigt werden.
Bekannte Elemente werden neu gefügt, wenn etwa Wotan im Wirrwarr der roten Strippen herumstolpert und dazu feststellt: "In eig'ner Fessel fing ich mich: - ich unfreiester Aller!"; gleich doppelt greift er diese Verbindung wieder auf, denn er "band durch Verträge, was Unheil barg" und beklagt das Elend aus "trüber Verträge trügende Bande", und wenn er abschließend nur noch das Ende will, stürzt ein Tau abgeschnitten herunter. Speerlos ist er schon hier, hatte doch Fricka zuvor seinem Baumelement die grünen Triebe abgehauen, so dass er nun Brünnhilde am Ende dieser Auseinandersetzung nur locker mit dem Seile binden kann. Auch die Begegnung Siegmunds mit der todkündenden Walküre bezieht ihre Stärke aus dem Mut zu großer Anschaulichkeit: Bleibt das Paar bei Brünnhildens Erscheinen anfangs noch regungslos, so gerät Siegmund wenig später in starke Erregung und zittert noch ihrem Verschwinden weiter, bis er sich am Babybauch horchend beruhigen kann.

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"Zwei Leben lachen dir hier: - nimm sie, Nothung, neidischer Stahl! nimm sie mit einem Streich!"

Über den eigentlichen Kampf mit Hunding hüllen wir lieber gnädiges Schweigen, da die Ungleichheit der Waffen mit Schüssen nach vollendeter Flucht keine glaubhafte Szenerie stiften konnten. Immerhin: der vorbeistreifenden Fricka scheint's behagt zu haben!

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Todesengel bei der Sammlung der Wal.

An starken Bildern ist auch der 3.Aufzug reich, der die Walkürenversammlung als immensen Gewaltexzess statuiert, wo die eben angelieferten Helden mit Prügeln, Stechen und Schießen empfangen werden. Die Walküren selber sind scheinbar eine Mischung aus Fledermaus und Archäopterix, alle gleich und barfuß. Diese brutalen komischen Vögel sind Walvater gegenüber allerdings so tapfer, dass sie aus lauter Solidarität mit der befemten Schwester gleich alle mit abhauen und Brünnhilde gar als erste aus ihrem Versteck heraustreten lassen, bevor sie zögernd nachfolgen. Wotans Machtwort vertreibt dann nicht allein die bibbernden Powergirls, denn das umgebende Gebirge verschwindet gleich mit, so dass bereits hier wie gerufen ein breites Bett mit angelehntem Speer und Schild wie zur zukünftigen Erweckung parat steht.

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Wotan bettet die Narkotisierte.

Vielleicht hat dieser Anblick Brünnhilde ungewöhnlich heiß entzückt; jedenfalls sinkt sie viel zu früh nieder, bevor sie recht eigentlich eingeschläfert sein dürfte, wodurch das Publikum um die Rührung der finalen Umarmung betrogen wurde. Stattdessen holt er einen der von Fricka abgetrennten Zweige und pflanzt ihn ein wie das Mädchen auf der Rückseite des alten 50-Pfennigstücks.

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Auf dem Weg in die ewige Wanderschaft:
"Nur Eines will ich noch, das Ende - - das Ende! - "

Auch Mime wird von Lawless mit ungewohnter Distanz zu gängiger Darstellungsform gezeigt, welcher Eindruck sich seiner bemerkenswerten Distanz zum Geschehen um ihn herum verdankt, er, der doch so voller Unsicherheiten steckt, im vollen Bewusstsein seiner zahlreichen Unzulänglichkeiten, ständig planend, wägend, wieder umplanend. Wurde er in Niebelheims Schmiede schon als Forscher im weißen Kittel gezeigt, tritt er hier auf wie der Kellner eines Nobelhotels, später leider dämlich beschürzt, hämmert nicht selbst, fabuliert nur im Traum, doziert sehr trocken, ganz unquäkig und distanziert noch dort, wo mehr Emphase nötig wäre. Dadurch schafft er sich eine Aura, in der auch Siegfried kaum vermag, ihn echt zu bedrohen. Dies verleiht auch seinen endlosen Repetitionen der alten Dankesschuld-Geschichten anstelle der sonstigen lästigen Bettelei den Charme der Überlegenheit, derweil Siegfried in seiner Identitätskrise heult.

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Siegfried mit Mime in der U-Boot-Schmiede.

Dem Wanderer als Wolfe ohne Speer wird scheinbar bang bei der Erinnerung an seine einstige Macht, denn seine Erzählung über die Götter in seiner 3.Antwort wirft nicht nur Mime sondern auch ihn selbst zu Boden. Da sich sonst wenig Action im Dialog des Ober mit Teddy und Schwert und des schweifenden Gottes ergibt, bleiben nur kleinere Gesten und Elemente erwähnenswert, wie der Rettungsring aus dem Schiffszubehör, in den Wotan den verdutzten Mime steckt, ihm seine aussichtslose Lage zu verdeutlichen - oder das Lampenflackern im ganzen Zuschauersaal angesichts Mimes Lichterscheinung kurz vor Siegfrieds Wiederkehr, das uns auch später noch wiederbegegnet. Den Rettungsring har er sehr bald schon nötig, wenn er als Mischung aus Higgins und charmefreiem Badewannenkapitän notvoll als jemand agiert, dessen Siegesphantasien eher schlecht zu seiner allseitigen Contenance passen wollen. Mag ja sein, dass deren Wasser zuvor durch Siegfried erwärmt wurde, als dieser bei seiner Schmiederei, die hier noch schwerer durchschaubar geriet als es nach Textbuch ohnehin schon ist, sein geraspeltes Zwischenergebnis dort untertaucht, freilich ohne, dass es dabei zischen würde. Dass angesichts all dessen schließlich brav der Amboss platzt, kommt nicht wirklich überraschend, kann aber im Hinblick auf das Vorige nichts analytisch Neues bringen.

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Yeti-Alberich als Wiedergänger von Oskar in der Mülltonne.

Alberich verkörpert die Zeit und ihren Verfall wie kein Zweiter: dem glänzenden Fetisch anschaulich verfallen, der die Bühne so häufig gülden erleuchtet, hätten ihm Freias Äpfel wohl ebenso gut getan. So aber altert er von Rheingold bis Siegfried zum Zottelbär im Yetilook, und seine Behausung in der Mülltonne mag den sozialen Abstieg trefflich veranschaulichen. Herrlich satirisch die Keiferei der Nibelungenbrüder vor Neidhöhls Eingang: Wer selbst Söhne hat, fühlt sich an eine Szene aus dem Kinderzimmer erinnert, wenn die Buben sich um ihre Bauklötzchen zanken und dafür keinerlei Beschränkung der Mittel anerkennen. Dem Waldvögelein scheint das nichts auszumachen, denn nachdem es sich bei Siegfrieds anfänglichen Versuchen am Schnitzholz noch die Ohren zugehalten hat, nickt es nun zustimmend zum Horngeblase.

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Der Drache einmal anders: Menschenknäuel im Zeichen des "A".

Fafners Macht und gleichzeitige Unbeweglichkeit wird anschaulich durch das geschnürte Menschenpaket seines Hinterteils. Dadurch kann man sich einerseits seiner natürlichen Stimme ohne elektronische Verstärkung erfreuen, während der Kampf als solcher kaum ernst zu nehmen gerät.

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Finale Lektion: "Weise ja scheinst du Wilder im Sterben"

Das gilt leider auch für Mimes letzten Auftritt, wo er zwar einerseits seinen Killersud bei Siegfried absetzen will, dafür aber keinerlei gastronomische Ambitionen entfaltet. Ganz ohne Picknick-Accesoires steht Mime bloß da, als ob er auf seine Hinrichtung warte, derweil Siegfried Attacken seines schlechten Gewissens bestehen muss und in fast weinerlicher Stimmung Fafners Leiche streichelt.

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Ur-Mutter und Ur-Wolfe: moderne Archaik?

So erhält Siegfrieds Erweckung der Brünnhilde eine besondere Schlagrichtung, wenn sie angesichts des recht neuzeitlichen Bettes weniger seine Furcht vor dem Weiblichen aufgreift sondern primär die Begegnung des Unbedarften mit Gegenständen einer überlegenen Kultur thematisiert. Mit all ihren Monologisieren über Wert und Wichtigkeit ihres Wissens und der Wotansgedanken redet sie ihn trotz tröstender Umarmung nur in neue Furcht hinein. Dazu will es durchaus passen, wenn dieses ungleiche Paar nach anfänglicher Berührung bloß vor dem überbreiten Bette stehen bleibt und nicht hinein findet, obschon Brünnhildes Gewand mit dessen Decke ohnehin im Laufe ihres göttlichen Komas verschmolzen zu sein scheint.

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"Zu End' ist nun mein Schlaf;
... Verwundet hat mich, der mich erweckt!"

Auch in der Götterdämmerung wird alles von jener Aura dominiert, die vorher schon so viele eindrucksvolle Bilder lieferte. Wie bei Jürgen Flimm in Bayreuth (siehe unsere Berichte aus den Jahren 2000, 2001, 2002 und 2003) werden die beiden Szenen des Vorspiels zusammengezogen, so dass die Nornen ihre Welteinsichten angesichts der schlummernd Betroffenen durchsprechen: So konkret ist das Allgemeine. Dabei hätte es solch manifester Schicksalsbemühung nicht bedurft, welche die Abfolge der Zeiten in fetten Lettern auf die Mauern schreibt. Aber gut: Was selbst der Dümmste zu begreifen genötigt werden soll, ist vielleicht nicht immer so selbstverständlich oder gewiss, wie es daherkommt.

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Vorspiel mit Synergieeffekt:
Alle Zeiten in der Hand (und gleich daneben)

Die Gibichungen tagen in derselben Gebirgsszenerie, in die ihre Halle offen hineingepflanzt ist, deren zentrale Stützen wiederum die hinlänglich bekannten Großbuchstaben sind. Ihre wesentliche Charakterisierung liefert bereits ihre Kostümierung, wenn Gunters Verklemmung in seinem weißem Anzug mit dicker Hornbrille gespiegelt wird und Hagens 70er-Jahre Hippielook ebenfalls dazu angetan scheint, die viel zu lange Zeit ohne Nürnberger Ring nachträglich wieder hereinholen zu wollen. Die ganze Reglosigkeit auch bei Gutrune in ihrem überzeitlichen Phantasiedress wirkt wie ein Gegenmodell zur Agilität des Heldenpaares, das eben zuvor "Zu neuen Thaten" aufgebrochen war.

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"Zu neuen Thaten, theurer Helde!"

Eine Vergewaltigung dürfte selten so "einfühlsam" gestaltet worden sein: Siegfried zögert und zaudert; ihn überlaufen Schauer, als Brünnhilde ihm den umkämpften Ring offen hinhält so wie ein Wolf dem anderen seine Kehle. Auch danach zittern sie noch beide weiter, und Brünnhilde erkennt schon hier, wer es ist, der Herr in weiß mit dem Tarndiadem, der sein Schwert nicht nur ansingt sondern tatsächlich zur Grenzziehung in der Hälfte des Bettes parkt.

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Dämonie des Verfalls: Besuch beim Sohnemann.

Da Hagens Mannen als SEK mit dunkler Brille und Barett vor lauter Mobilität nicht immer wissen, wie sie stehen sollen, wird zur Vermeidung von Bühnenstarre manche Bewegung nötig, die eigentlich nur Unruhe stiftet, und angesichts der Bewaffnung mit Gewehren wirkt Hagens Speer irgendwie deplaziert, so dass er außerhalb der Schwurszene selten gezeigt wird. Gunter führt Brünnhilde nicht selbst herein sondern zieht am roten Strick, scheint dabei allerdings die Kräfte falsch eingeschätzt zu haben und stolpert retour vor ihrem Rückschlag. Da sie auch sonst recht streitlustig agiert, müssen die schwarzen Sheriffs öfters trennend eingreifen.
Die Rheintöchter zeigen noch denselben offensiven Charme wie im Rheingold, diesmal in der Art von Unterwasser-Cheerleaders mit effektvollem, professionellem Geräkel. Warum sie des solcherart Angelockten Tauschangebot dann doch ablehnen, um ihm stattdessen zur Erkenntnis seines Unheils verhelfen zu wollen, bleibt hier genauso unklar wie fast überall...

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Vertane Chance: Der unreine Thor bei des Rheines Töchtern.

Der Mord an Siegfried selbst dauert entschieden zu lange, resultiert er doch aus eben jener Starre, die Gunter und Mannen schon lange befiel. Mit dem Stich geht das Licht aus bis auf einen letzten Spot, der auf Siegfried gerichtet bleibt, in dessen Strahl er reichlich spät, dann aber sehr plötzlich umkippt und bei seinem Abgesang allein vorne liegen bleibt. Seine "ewige Braut" im weißen Kleide phantasiert er real herbei und muss im Sterben noch genügend Kraft übrig behalten, um dem schließenden Vorhang zu helfen.
Hagen und Gunter haben ihre Mannen wohl zwischenzeitlich eingebüßt, erscheinen sie doch mit der leeren Bahre allein. Das Rheingoldschiff ist auch wieder da, auf dem später Gutrune als einzige hinwegfahren wird, konsequent insoweit, als dass sie nach der Dichtung in der Tat die Einzige ist, die das ganze Geschehen überlebt. Brünnhilde hat daraufhin - so scheint's - auch die irdische Herrschaft übernommen. Denn als sie wieder - diesmal in rot - die Bühne betritt, stoppt die Security Hagens Ringbemächtigung und führt ihn samt dem verletzten Gunter ab, so dass zwei Witwen allein vorne bleiben. Letztmalig schlurft Wolfe sichtlich abgekämpft durch den Farbwechsel der sanft versinkenden Skyscrapers, bis endlich rot-blau-goldener Glanz der versöhnten Töchter letzte Erscheinung milde erleuchtet.
Damit gerät das Finale zu einem der Schönsten, die es lange zu sehen gab: So unprätentiös, detailbewusst und zugleich friedlich angesichts all des Elends, dessen Zeuge man soeben geworden war. Kein übertriebenes Brimborium, kein krachender Zusammenbruch, weil die Wolkenkratzer nur gelinde wackeln durften: Wem das Bisherige zu viel an Konkretion gebracht hatte, wird spätestens hier versöhnt worden sein.

Für die Auswahl seiner SängerInnen ist dem Theater Nürnberg zu gratulieren, und wie an kleineren Häusern üblich, durfte man sich zudem freuen über manche Wiederbegegnung an späterer Stelle.
Schon zu Beginn betören die Rheintöchter (R. Martin, M. Proudenskaja J. Böhnert) nicht nur Alberich (J. W. Prein) und nicht nur durch fesche Erotik, sondern auch uns und auch durch ihre auffallend verständliche Debatte, der sich Preins perfekte Diktion bestens fügte und den man also gerne in Siegfried und Götterdämmerung wieder hören mochte. Den Charakterwechsel seiner Partie vom erfolgreichen Manager zum Oskar in der Mülltonne hat er darstellerisch ebenso glanzvoll bewältigt wie musikalisch.

Ebenfalls durchgängig besetzt war Wotan/Wanderer mit Ron Peo. Sein anfangs noch reichlicher Vibratogebrauch verflüchtigte sich erfreulich mit gewonnener Sicherheit des Dargestellten, und die Wolfsmütze schien ihm besser zu stehen als der Amulettbehang. Andrea Baker als Fricka verfügte über eine herrliche Direktheit und ein feines piano, dem die innere Kraft nicht abging. In der Walküre ließ sie sich von Renée Morloc vertreten, die die ehrenbedachte Statusbewahrerin mit einer fast schon hysterischen Süffisanz ausstattete. A. Baker tauchte erst wieder auf als Erda im Siegfried, wo die ewig Schwangere ganz wie bei ihren menschlichen Schwestern so sehr im Tiefschlaf verharrte, dass selbst Wanderers Wecklied sie nicht wirklich aus dem wissenden Wähnen heraufholen konnte. Schließlich oblag ihr noch Waltrautes Besuch bei Brünnhilde, wo sie tauben Ohren zu predigen und die ganze Dramatik des unmittelbar bevorstehenden Unheiles an die verständnislos Liebende zu vermitteln hatte, deren bekanntes Ergebnis jedenfalls nicht etwaigen Mängeln ihres Vortrags geschuldet war.

Erdas Erscheinung im Rheingold (M. Proudenskaja) litt leider an der hier häufig anzutreffenden Unverständlichkeit, was allerdings als Nebeneffekt die Sympathie mit Wotans Leiden erleichtert, der ja auch nur ahnt und halb versteht, was ihm da eben verkündet wurde. Die Chance zu einem persönlichen Besuch bei Fräulein Urmutter zwecks Klärung der Restfragen neidet man ihm sowieso...

Ebenfalls täglich vorgesehen war Ks. Heinz-Klaus Ecker. Da Fafner (Bernd Hofmann) im Rheingold nicht viel zu melden hat, übernahm er diesen Part erst im Siegfried und sang am Vorabend des Bühnenfestspiels den Fasolt. Hier hat ihm leider die übergroße Entfernung des Bühnenhintergrundes zur Rampe die Intonationssicherheit geschmälert, welches Problem sich löste, sobald die Riesen weiter nach vorne unten kommen konnten. Da er als Hagen für die Götterdämmerung leider ausfiel und sich durch Roland Bracht - dies allerdings höchst veritabel, tiefgründig und Herrschaftsbewusst - vertreten lassen musste, hatte er seinen größten Auftritt als Hunding. Herrlich bassig und betonungsstark, sehr obertonreich, tiefenstark und vibratofrei, eindeutig besser denn als Fasolt gestaltete er seinen Auftritt als großer Spießer, furchteinflößend auch ohne Hilfsarmee.

Unbestrittener Star der Veranstaltung war Gerhard Siegel, der sowohl als Loge, Siegmund und Jungsiegfried bestens zu überzeugen vermochte und - dem allgemeinen Pausengeplauder zufolge - die Herzen des Publikums im Sturm gewann, wobei er an seinen Erfolg als Siegfried in Köln anzuschließen und diesen noch zu übertreffen vermochte.

Nun ist Loge einerseits eine höchst dankbare Rolle; nur wenige Operngestalten, selbst in Wagners Dramenkosmos, bieten derartige Entfaltungsmöglichkeiten: Siegel wusste sie bestens zu nutzen. Die Vorherrschaft des Wissens und der Verwandlungsfähigkeit vor hierarchischer Ordnung ohne Korrektur von außen setzte er um mit Charme und Esprit, nicht ohne spürbare Delektanz am kontrollierten Frevel. Als Siegmund zeigte er sich differenzierungsstark, souverän in der Höhe, wenn auch manchmal etwas zu spitz.

Dass Siegfrieds Schmiedewerk außer dem bloßen Geraspel aus lauter unnachvollziehbaren Einzelschritten sich zusammensetzte, tat der Gewalt seiner Schmiedelieder keinen Abbruch. Deren Überlagerung mit Mimes Herrschaftsphantasien bleibt dabei leider etwas unebenbürtig zurück, solange jener wie ein begossener Pudel in seiner Wanne hockt und den höheren Gehalt von Siegfrieds wahnhaften Ahnungsbotschaften nicht mal ansatzweise erfasst. Die finale Botschaft bleibt ihm nicht erspart, und Siegfried als ein Wesen mit ursprünglichem Gewissen ohne reflektierende Relativierungsfunktion gemäß sturer Abwägung einer Schaden-Nutzen-Kalkulation erfasst bis zuletzt nie rational sondern nur ursprünglich den Zusammenhang von Schuld und Angriff einerseits und affektivem Selbstschutz andererseits. Diese vorzivilisatorische Grundfunktion glaubhaft umgesetzt zu haben, bleibt eines der größten Verdienste Gerhard Siegels im Rahmen dieses Konzeptes von Stephen Lawless.

Für die Götterdämmerung wechselte das Protagonistenpaar, so dass nun Auswärtige die Besetzungsliste anführten. Man hatte das scheinbar öfters und gern gemeinsam auftretende Paar Francis Ginzer & John Treleaven eingeladen, die erst kurz zuvor in Tristan und Isolde in Frankfurt/Main in den Titelpartien zu erleben waren. Schon in ihrer Vorspielszene zeigten sie sich als echtes Traumpaar, was der bangen Nornenfrage: "Weißt du, wie das wird?" zumindest in dieser Hinsicht eine ermutigende Antwort beschied. Schon hier profitierte das Publikum von deren erfreulicher Rücknahme ihres vormals oft störenden Vibratoeinsatzes; sie kamen auch so gegen das Orchester an und darüber hinaus. Gleichzeitig waren die Gewichte nicht ganz gleich verteilt und die beiden Mannespartien spürbar stärker besetzt als die charakterstarke Frau, die übrigens auch bisweilen mit der Vokalfärbung kämpfte und sich darin als Nichtmuttersprachlerin zu erkennen gab.

Ansonsten war Brünnhildes Partie leider 3geteilt, deren Anfang von Nadine Secunde sehr jugendlich und höhenstark gestaltet wurde, die besorgt um Walvater wie eine Krankenschwester mancher Situation eine eigene Komik abzugewinnen vermochte. Im Siegfried war es an Iréne Theorin, sich von Siegfried erwecken zu lassen, den sie als Sieglinde zuvor quasi selber ausgetragen hatte. Auch verfügte ihre Stimme über jene Iuvenilität, die manchen gerade jüngeren Kolleginnen leider abgeht und die hier so ideal am Platze war. Die zahlreichen "Intermezzi" zur nonverbalen Kommunikation, pantomimisch trefflich ausgedeutet und sehr musiknah angelegt, werden von beiden gemeinsam sehr präzise und behutsam umgesetzt.

Die Nürnberger Philharmoniker unter ihrem Chefdirigenten Philippe Auguin waren mit warmem Wagnerwohlklang gut zur Stelle. Deutlich hörbare Einzelstimmen verhinderten die erforderliche Synthesewirkung nie wirklich, wenn auch ein Deckel nach Bayreuther Vorbild die Fusion widerstreitender Orchestergruppen noch weiter erleichtert hätte, und es ist sicherlich der guten Akustik des Nürnberger Opernhauses geschuldet, dass satter Sound gerade bei erfreulich opulentem forte dennoch nicht in Gefahr geriet, die SängerInnen zu überdecken. Bisweilen haben aber auch gerade die Fehler eine aufklärerische Funktion, wenn etwa die Blechpatzer im Getöse des Rheingoldfinale die hier komponierte Falschheit glaubhaft unterlegten. Den Streichern ohne Blecheinwürfe wie sie gerade im 1. Aufzug der Walküre häufig vorkommen, war kammermusikalische Klarheit dennoch abzugewinnen, wie Auguin seine gelegentlichen Wechsel seinerüberwiegend mittleren, teilweise etwas breiten Tempi ebenso schlüssig übertragen konnte.


FAZIT
Eine gewaltige Kraftanstrengung, die ein vollauf geglücktes Ergebnis hervorbrachte, das sich im Vergleich zu ähnlichen Großtaten anderer Häuser ähnlichen Formats nicht zu verstecken braucht und zurecht den neuerlichen Adelsschlag der Bayerischen Kulturbehörden rechtfertigt. Möge man nicht den Fehler begehen, die Kulissen allzu rasch zu verschrotten sondern für Wiederaufnahmen in künftigen Spielzeiten zu verwahren, auf dass nicht wieder 44 Jahre vergehen müssen, bis Wagners Meisterwerk wieder auf Nürnberger Bühnen zu erleben sein wird!


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Philippe Auguin

Inszenierung
Stephen Lawless

Bühne
Benôit Dugardyn

Kostüme
Ingeborg Bernerth

Dramaturgie
Klaus Angermann


Nürnberger Philharmoniker




Solisten

Vorabend:
Das Rheingold

Wotan
Ron Peo

Donner
Jouni Kokora

Froh
Jón Rúnar Arason

Loge
Gerhard Siegel

Alberich
Johann Werner Prein

Mime
Richard Kindley

Fasolt
Ks. Heinz-Klaus Ecker

Fafner
Bernd Hofmann

Fricka
Andrea Baker

Freia
Anne Lünenbürger

Erda
Marina Proudenskaja

Woglinde
Jutta Böhnert

Wellgunde
Rebecca Martin

Floßhilde
Marina Proudenskaja


Erster Tag:
Die Walküre

Siegmund
Gerhard Siegel

Hunding
Ks. Heinz-Klaus Ecker

Wotan
Ron Peo

Sieglinde
Iréne Theorin

Brünnhilde
Nadine Secunde

Fricka
Renée Morloc

Helmwige
Anne Lünenbürger

Gerhilde
Sabina von Walther

Ortlinde
Siphiwe McKenzie

Waltraute
Aarona Bogdan

Schwertleite
Marina Proudenskaja

Grimgerde
Angelika Straube

Siegrune
Rebecca Martin

Rossweiße
Gudrun Ebel


Zweiter Tag:
Siegfried

Siegfried
Gerhard Siegel

Mime
Richard Kindley

Der Wanderer
Ron Peo

Alberich
Johann Werner Prein

Fafner
Ks. Heinz-Klaus Ecker

Erda
Andrea Baker

Brünnhilde
Iréne Theorin

Waldvogel
Evgenia Grekova


Dritter Tag:
Götterdämmerung

Siegfried
John Treleaven

Gunther
Tero Hannula

Hagen
Ks. Heinz-Klaus Ecker

Alberich
Johann Werner Prein

Brünnhilde
Frances Ginzer

Gutrune
Carole FitzPatrick

Waltraute
Andrea Baker

Erste Norn
Marina Proudenskaja

Zweite Norn
Andrea Baker

Dritte Norn
Carole FitzPatrick

Woglinde
Marina Ivanova

Wellgunde
Rebecca Martin

Flosshilde
Marina Proudenskaja





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