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Musiktheater
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Der Spätlesereiter - Musikarl

Ein Weinmusical
Text von Eberhard Kunkel nach dem Comic Karl - Der Spätlesereiter von Eberhard Kunkel und Michael Apitz
Musik von Rolf-Werner Discher und Holger Pusinelli

Eine Produktion der MUSIKARL GmbH im Kurfürstlichen Schloss, Mainz
rezensierte Aufführung: 28.9.2002



Musikarl GmbH
(Homepage)

Musikalische Weinkunde

Von Christoph Kammertöns


Im kurfürstlichen Schloss, wo sonst alljährlich unter dem Motto "Mainz wie's singt und lacht" die Fastnacht durchs Saalparkett fegt, konnten die Mainzer pünktlich zur Weinlese eine szenisch-musikalische Huldigung an den Wein, genauer an die Spätlese erleben. Als moralische Unterstützung postmoderner Entschleunigungs-Apostel scheint Eberhard Kunkel seine Bühnenadaption des im Rheingau beliebten Comics Karl - Der Spätlesereiter zu begreifen: Glauben wir dem Programmheft, so hatte sich der geistesgeschichtlich beschlagene Librettist vorgenommen, der sprichwörtlichen und zeitgeistigen Einsicht: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!" die Erkenntnis entgegenzustellen, dass auch jener zum Ziel kommt (allerdings, wie im Folgenden deutlich wird, zum unverhofften - Schwamm drüber!), der sich verspätet. Wer gelernt hat, langsam zu gehen, zu reden und zu essen, wird die Idee hinter dem Hühnchen verstehen. Alle anderen seien auf den eigentlichen, unphilosophisch simplen Plot verwiesen: Im Jahre 1775 wurde im Kloster Johannisberg im Rheingau (rechtsrheinisch nahe Wiesbaden gelegen) durch die verspätete Lese der zu diesem Zeitpunkt bereits faulen, durch einen spezifischen Pilzbefall sogenannt edelfaulen Trauben die Spätlese entdeckt. Grund für die unbeabsichtigt späte Lese war das lange Ausbleiben jenes schließlich Spätlesereiter genannten Boten, der beim Fuldaer Fürstbischof die schriftliche Erlaubnis zur Traubenlese einholen sollte. Der Comic (von Kunkel getextet, illustriert von Michael Apitz, der auch Bühne und Kostüme des Musicals entwarf) gewinnt Witz und Spannung durch die freie Spekulation über den Grund der Säumigkeit: Der Bote (Karl) wird von den Vasallen seines Widersachers im Werben um die Liebe Marias (Ferdinand) auf dem Heimweg überfallen und durch Gefangenschaft an der rechtzeitigen Erfüllung seiner Mission gehindert. Diesem Plot folgt auch das nun bereits im dritten Jahr erfolgreiche Musical.

Rolf-Werner Dischers und Holger Pusinellis Musik zu Kunkels angemessen volkstümlicher Textadaption für die Bühne erinnert, obschon versiert instrumentiert, streckenweise an eine unfreiwillige Anknüpfung an die persiflierenden Ungeschicktheiten in Mozarts Musikalischem Spaß. 'Ambitioniertes' ließ bereits das Programmheft mit einem Bekenntnis der Komponisten zum ewiglich unvergänglichen verminderten (Sept-)Akkord erwarten: "Der Überfall durch Ferdinands Spießgesellen wird durch chromatische Rückungen von verminderten Akkorden dargestellt [...] . Der Höhepunkt des Ritts stellt sich in drei verminderten Orchesterakkorden dar [...]." Hier walten aber musikalische Architekten! - Dieser Trick ist nun wirklich so alt wie die sprichwörtlichen Ebentaler Äcker über Rüdesheim und sollte eher schweigend übergangen als stolz hervorgekehrt werden. Doch zeigt sich hier exemplarisch die einerseits prätentiöse, andererseits allzu sorglose Herangehensweise der Komponisten. In einer munteren Mischung aus My Fair Lady und Soundtracks zu Disney-Zeichentrickfilmen (Regung: schwärmerisch verliebt), Les Miserables (Regung: umstürzlerisch), Rheinischen Männerchören (Regung: volkstümlich fröhlich) entsteht ein musikalisches Allerlei, das durch allerhand 'originelle' Einfälle wie holprige Taktwechsel, nervtötende Phrasenwiederholungen (z.B. fünf mal in unglücklicher Sequenz: "Die späte Lese, sie ist das Geheimnis" - damit man's auch begreift!) und unidiomatische Melodieführungen nebst wunderlichen harmonischen Fortschreitungen das Pusinelli-Dischersche Gepräge erhält; nicht zu vergessen plötzliche und unerklärliche Brüche in sonst homogenen Nummern - verwunderlich etwa ein braver Winzerchor ("Wir sind beim Lesen"), dessen etliche Strophen durch barrikadenkämpferische Zwischenspiele in düsterstem Moll und attackierend kämpferischen Rhythmen verknüpft werden. An aufmerksame Tonsatzschüler erinnert hingegen die inflationäre Applikation von harmonischen Trugschlüssen aller Arten, die sich zu Stimmungsumschwüngen und Nummernenden über das Stück gestreut finden.

In der Absicht, den bösen Ferdinand musikalisch vom Helden abzugrenzen, muss ersterer sich mit seiner Entourage in einem kruden Legendenton von auffahrenden Melodiefloskeln und gestrüppartigen Modulationen in Moll zurechtfinden, während letzterer im Duett mit Maria schon mal unter Zuhilfenahme des langsamen Satzes aus Beethovens Pathétique, eingeleitet durch den Beginn von "Ich hätt' getanzt heut' nacht" aus My fair Lady seine Liebe und Sehnsucht besingen darf: "Wie wünsch' ich mir, dass für uns zwei die Liebe nie zu Ende sei." Karl wurde typgerecht durch den hübschen José Wolf verkörpert, dessen staksige Bühnenpräsenz mit dem naiven Gutmensch-Image der Figur verschmolz. Seinem erotischen lyrisch-tenoralen Timbre möchte man eine weitergehende Stimmbildung wünschen. Adrian Kroneberger sang und spielte in der Rolle des Widersachers wesentlich souveräner. Dieser kernigen, wohlgeführten Tenorstimme hätte man zur vollen Entfaltung eine stärker tenoral angelegte Partie gewünscht. In seiner darstellerisch differenzierten aber konsequenten Verkörperung des boshaften Charakters Ferdinands gelang es Kroneberger, sich nicht von Hartmut Schottlers klischeehafter Volkstheater-Regie knebeln zu lassen. Der Regisseur beabsichtigte wohl, vermutlich aus einer vermeintlichen Publikumsnähe heraus, das Berghaussche Credo, Gesagtes nicht gestisch zu paraphrasieren, das als ehedem Frankfurter spiritus loci eigentlich auch in Mainz noch zu spüren sein sollte, durch eine penetrante Doppelung von Sprechen und Gestikulieren auszuhebeln. Die szenischen Plattitüden lassen sich in dieser Ausprägung auch durchaus nicht durch eine berechtigte Anlehnung an die artifiziell-holzschnittartige Faktur des zugrundeliegenden Comics oder die beabsichtigte Nähe zum Volkstheater rechtfertigen.

Mit voluminösem, sicherem Komtursbass gab Michael Zahn als Fürstbischof der Spätlese sein Placet und dadurch uns Nachgeborenen diese önologische Errungenschaft dauerhaft zum Genuss. Weitere Charaktere, namentlich Birgit Thomas (Maria), Horst Korte (Meister Leberlein), Manfred Klein (Pater Anselm), Johannes Püschel (Oskar) und Sabine Kalmer (Gretel), sangen und spielten sich mit mehr oder weniger gutem darstellerischen und stimmlichen Können immerhin recht unterhaltsam durch das Stück. Die Kammerphilharmonie Rhein-Main musizierte unter der versierten Leitung von Holger Pusinelli flexibel und mit Verve. Als lebendige, spiel- und singfreudige Konstante brillierte der Chor, dem man wünschen möchte, dass er auch post-'musikarl' als beachtlich geschlossener Klangkörper in der Rhein-Main-Region von den Freuden des Weins künden werde. Den Komponisten ist - ungeachtet des zweifellos großen Publikumserfolgs - zu wünschen, das in der dramaturgischen Anlage grundsätzlich gelungene Stück (eine geschickt entwickelte Kombination von Sex and Crime ist bekanntlich von jeher ein Erfolgsgarant) musikalisch zu überarbeiten, insbesondere auch Kontrastwirkungen ökonomischer zu gestalten und damit letztlich wirksamer zur Geltung zu bringen; die grundsätzlichen Voraussetzungen zu Verbesserungen werden beide angesichts ihrer soliden akademisch-musikalischen Ausbildung zweifelsohne haben.


FAZIT

Einstweilen bleibt resümierend die Erinnerung an ein (Spätlese?-)Reitergleichnis - ehedem zu Ungunsten eines französischen Komponisten des 19. Jahrhunderts angebracht: "Dass ein Mann ein feuriges Pferd besteigt, dass er es auf seiner Reitbahn in wilden Galopp versetzt und dabei Hindernisse und Gräben überspringt, macht ihn in den Augen vieler, sofern er das Glück hat, nicht zu stürzen, zu einem guten Reiter; aber der Kenner weiß, dass der erstbeste Husar auf diese Weise auf ein Pferd steigen kann, und er weiß auch, dass es eine wünschenswertere und schwierigere Kunst gibt."

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Holger Pusinelli

Inszenierung
Helmut Schottler

Bühnenbild und Kostüme
Michael Apitz



Der MUSIKARL-Chor 2002
Die Kammerphilharmonie Rhein-Main

*Besetzung der rezensierten Aufführung


Solisten

Fürstbischof
Christian Hübner
Michael Zahn*

Karl
Jens Lauterbach
José Wolf*

Ferdinand
Klaus Brantzen
Adrian Kroneberger*

Maria
Birgit Thomas*
Nicole Tamburro

Meister Leberlein
Horst Korte

Pater Anselm
Frank Günther
Manfred Klein*

Oskar
Sebastian Kummert
Johannes Püschel*

Hofkammerrath Krieg
Axel Sawert
Sebastian Kummert

Gretel
Sabine Kalmer


Weitere Informationen
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Musikarl
(Homepage)




Da capo al Fine

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