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Zwischen Theater und Festzelt - die Meistersinger von Münster
Von Christoph Kammertöns
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Fotos von Michael Hörnschemeyer
Wagners Meistersinger, 1868 in München uraufgeführt, bieten eine inzwischen reichlich ausgeschöpfte Palette an Möglichkeiten, sich dem Werk unter einem ausgewählten Aspekt affirmativ oder ironisierend bis destruierend zu nähern. Jedes neu mit der Realisierung betraute Leitungsteam wird sich der Frage nach der problematischen Rezeption vergangener Tage wie nach dem wohlverstanden pädagogisierenden Umgang mit aus heutiger Sicht ungefiltert leicht als nationalchauvinistisch bzw. xenophob interpretierbaren Elementen des Librettos stellen müssen. Die Gretchenfrage ist: Wie halte ich's mit dem Schluss?: Habt acht! Uns drohen üble Streich': - zerfällt erst deutsches Volk und Reich, in falscher welscher Majestät kein Fürst bald mehr sein Volk versteht; und welschen Dunst mit welschem Tand sie pflanzen uns ins deutsche Land. Was deutsch und ächt wüßt' keiner mehr, lebt's nicht in deutscher Meister Ehr'. Wo sich durchaus das Herbeizitieren der dieser Uraufführung fast auf dem Fuße folgenden Reichsgründung und ein wohlverstandenes Plädoyer für eine zu bewahrende (nationale wie föderale) kulturelle Identität ausmachen ließe, wo jedenfalls eine in letzter Minute hinzugefügte Einlassung so zugespitzt weniger Sachsens Ideal im Sinne eines "Volksgeistes" nach Constantin Frantz resümiert denn vielmehr als durch Überfremdungsängste bis hin zur Frankophobie (vergl. Deutsche Kunst und Deutsche Politik, 1867/68) oder zum Antisemitismus interpretierbarer Fremdkörper das Stück beschließend die Wirkung des Ganzen bestimmt, ist eine Stellungnahme der Regie gefordert. Dies umso mehr, als sich Sachsens Worte schlechterdings nicht übergehen bzw. überhören lassen: Ist Sachsens Schlussrede bis hierher in einen durchgearbeiteten gleichmäßigen Begleitsatz gebettet, so fordert nach auffahrenden Sextolen der Violinen das Habt acht! über dräuenden Streichertremoli die ungeteilte Aufmerksamkeit auch derjenigen, die abgeschweift sein mögen. Die einzige Tempomodifikation des Sachs-Monologes unterstreicht schließlich die deutschen Meister als Bollwerk gegen Identitätsverlust durch Überfremdung Etwas breiter werdend. Etwas zurückhaltend: Was deutsch und ächt wüßt' keiner mehr, lebt's nicht in deutscher Meister Ehr'. Akzeptiert der nur bedingt gesellschaftstaugliche Individualist Stolzing, solchermaßen belehrt, nun doch die Meisterkette, bleibt nur noch Zeit für die Paraphrase der Sachsschen Schlussworte durch Das Volk, das zum ohrenbetäubenden, zweifellos beeindruckenden Ende noch Heil Sachs! skandieren darf. Was konnten nun Peter Beat Wyrsch (Regie) und Roland Aeschlimann (Bühne, Konzeption und zusammen mit Jörg Schwarzer Licht) dem Ende abgewinnen? Die Festwiese wurde nach Unterbrechung des dritten Aufzugs vom Theater in ein Bierzelt vor dem Münsteraner Schloss verlegt. Hier geriet der Sängerwettstreit inmitten des inzwischen nach Genuss bayerischen Bieres für jeden Gaudi empfänglichen Publikums zu einem farbenfrohen Spektakel, an dem ganz maßgeblich auch die spielfreudigen Chöre sowie die ebenso motivierte Statisterie Anteil hatten. Was Stolzing nach seinem Sieg und angesichts des Vorbehaltes gegen die Meisterehre mit seinem Mentor zu verhandeln hatte, spielte sich zum Anfassen nahe vor den Biertischen ab. Hier war nun nicht die leiseste Brechung oder wie auch immer inszenierte Kommentierung des Monologs zu bemerken. Robert Künzli akzeptierte als Stolzing schlussendlich artig die Kette, und dem finalen Getöse von Chor und Orchester, Trompeten- und Trommelbatterie folgte gleichlaut das Beifallsgetöse des Publikums. Angesichts der grosso modo überzeugenden musikalischen Leistung verständlich und doch bleibt das Unwohlsein, zum Ende einer kunstvollen Reichsparteitagsmusik in die passende Stimmung gekommen zu sein und nun selbst Heil! rufen zu dürfen - oder doch wenigstens bei berstenden Stimmbändern: Bravo!. (Der Vollständigkeit halber sei noch auf eine Brechungsmöglichkeit hingewiesen, die aber wohl nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden sollte: Die dunkle Hautfarbe von Allan Evans, Sachs, mag in diesem Zusammenhang, wer will, als Dissonanz zu Deutschnationalismus und Xenophobie interpretieren.) ![]() Zwischen Chaos und Ordnung: Eva, Sachs und Walther Wenn Aeschlimann den Ikea-Charme des Bierzeltes konzipiert haben sollte, so ist ihm eine breite Ausdruckspalette zuzubilligen. Der Anfang des dritten Aufzugs hob im Theater noch auf Wielands Scheibe an, vom silbergrauen Zerstörungsmüll der Prügelei übersät, dies ein Sinnbild des Chaos vor einem Rundhorizont von ebenmäßig gesetzten mittelhochdeutschen Texten: Chaos gegen Ordnung, Regellosigkeit gegen Regelhaftigkeit na wunderbar, darum geht es ja schließlich auch in dem ganzen Stück! Wirklich stimmig wirkt hier aber die offensichtlich gemeinte (und bei Wagner nicht vorgesehene) Verwüstung der Schusterwerkstatt, des Lebensmittelpunkts desjenigen, der an dem Spagat zwischen Regel und Anarchie am meisten leidet: Eva (Ines Krome) verwüstet erst Sachsens Arbeitsplatz, die anderen augenscheinlich den Rest der Einrichtung. Wie sich die Regie in der musikalisch ausgezeichnet gebändigten Prügelfuge jedem über die ein oder andere Aikido-Rolle des ein oder anderen Statisten hinausgehenden Wagnis verschloss, so behandelte sie auch andere Gruppenkonstellationen eher stiefmütterlich; es galt das notorische und gehäufte Schulterzucken und Kopfnicken (wahlweise auch: schütteln) insbesondere der Meister zu bewundern. Die Charaktere schienen überhaupt in Ihrer Plastizität hauptsächlich vom Wollen der Darsteller abzuhängen. Was bei Stefan Adams Beckmesser stimmlich und schauspielerisch zu einem Höhepunkt dieser Rolle geriet und Evans' Sachs eine Leidenschaftlichkeit mitgab, die durch gelegentlich zu großes stimmliches Engagement nur betont wurde, fehlte Robert Künzli zur Gänze. Ihm hätte das Engagement Wyrschs gelten dürfen. Das Spannendste an dem hölzernen Ritter war so die Unruhe darüber, mit welchem beklemmenden Zagen und Bangen er sich in die Nähe des jeweils nächste a' von Morgenlich leuchtend stemmen würde. Und tatsächlich, nach dem man die Hoffnung schon hatte fahren lassen: das allerletzte a im Bierzelt saß! (Es ist wohl zu vermuten, dass es die anstrengende Probenzeit war, die hier ihren Tribut gefordert hat.) Ines Krome gab eine ungestüme Eva, die stimmlich wenn nicht unbedingt auf ein recht eigentlich schönes Timbre, so doch auf ein sehr zuverlässiges und in allen Lagen gleichmäßig intoniertes Material zurückgreifen kann. Mark Bowman-Hester verfügt über einen der Rolle des David vollauf gerechten hellen Charaktertenor, dem nur die Spitzentöne zu offen und damit unkontrolliert gerieten. Darstellerisch bestach er durch charmant-jungenhafte Ungeduld und Bewegungsfreude. ![]() Hochzeit im IKEA-Ambiente: Eva und Walther Der verklammernde Geist des Abends ging von Will Humburg aus. Bereits das Vorspiel versicherte die Zuhörer, dass hier nichts passiert', sondern geformt wird. Die allgegenwärtigen und andernorts mitunter vorwärts stolpernden Punktierungen wurden vom Münsteraner Orchester präzise, ja gemessen gesetzt, was einen wunderbaren laid-back-Effekt ergab. Tempomodifikationen erfolgten geplant und auf den i-Tupf dosiert. Mag es unterschiedliche Auffassungen über einen mehr pauschalisierenden oder differenzierenden Wagnerklang geben: In Münster obwaltete eine orchestrale Differenzierung, die (wohl auch der geringen Größe des Apparats geschuldet) Stimmverläufe geradezu pädagogisch erhellte. Der Länge des Werks begegnete Humburg nicht mit raschen Tempi, sondern mit dem den Gesangserfordernissen jederzeit angemessenen Tempo. Was nicht gehetzt und unverständlich musiziert daherprescht, wirkt kurzweiliger als Musik im Zeitraffer. Weniger einheitlich zeigte sich die Klangkultur des Orchesters. Gelegentlich mangelnder Konzentration in den Holzbläsern und den Violinen stand etwa der traumhaft gelungene Blechbläserpart des Vorspiels zum dritten Aufzug gegenüber. Bei gutem Wetter ging übrigens der Wechsel von Theater zum Bierzelt auf denkbar frohe Weise von statten. Unter Blasmusik zogen die prächtig gewandeten Zünfte (Kostüme: Renate Schmitzer) und Protagonisten zu Pferdewagen sowie etliche Gaukler und der maischützenerprobte Teil des Publikums zu Fuß erst zum Prinzipalmarkt, wo es dem Siegerchor eines veritablen Chorwettsingens unter dem Juryvorsitz von Siegfried Jerusalem zu lauschen galt. Von da ging es bei Getrommel, Geblase und Hufgetrappel am Dom vorbei zum Schloss und damit zur Festwiese getreu Sachsens Weisung: Auf, nach der Wies, schnell auf die Füß!
Eine lohnende Produktion, die von der stimmlichen und schauspielerischen Höchstleistung Stefan Adams und Allan Evans' sowie der besonnen lenkenden Hand Will Humburgs lebt. Die Problematik des Schlussmonologs betreffend lohnt sich übrigens ein vergleichender Blick auf die parallele Inszenierung in Essen: Dort wurde eine unspektakuläre aber wirksame Lösung für, je nach Sicht, bedenkliche Implikationen in Sachsens Meister-Apologie gefunden: Stolzing verweigert die Kette endgültig und verlässt mit Eva die Szene. Gerne wäre man hier auch in Münster in irgendeiner Form zum Nachdenken angeregt worden. Dass das Rezeptionsproblem der Meistersinger nun bereits ein altes ist und inzwischen manche Regielösung vorliegt, heißt nicht, keine Entscheidung mehr treffen zu müssen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Konzeption
Kostüme Choreographische Mitarbeit
Chor Licht
Dramaturgie
Veit Pogner
Kunz Vogelgesang
Konrad Nachtigall
Sixtus Beckmesser
Fritz Kothner
Balthasar Zorn
Ulrich Eisslinger
Augustin Moser
Hermann Oertel
Hans Schwarz
Hans Foltz
Walther von Stolzing
David
Eva
Magdalena
Nachtwächter
Lehrbuben
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- Fine -