Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



La donna del lago
Melodramma in zwei Akten
Text von Leone Andrea Tottola
nach der Verserzählung The Lady of the Lake
von Sir Walter Scott

Musik von Gioacchino Rossini


In italienischer Sprache mit französischen und flämischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 15' (eine Pause)

Premiere im Théâtre Royal de Liège
am 21. Februar 2003


Homepage

Opéra Royal de Wallonie
(Homepage)
Prima la musica

Von Thomas Tillmann / Fotos von der Opéra Royal de Wallonie



Gibt es eigentlich das Wort Vierecksbeziehung? Wenn nicht, müsste es erfunden werden, um die Situation der jungen Elena, der Frau vom See, zu beschreiben, die Rodrigo, wie ihr Vater ein aufständischer Hochländer, heiraten soll, aber Malcolm, einen anderen Aufständischen, liebt und zudem vom amtierenden König James V. hofiert wird, der als Uberto getarnt durch die pittoreske Gegend streift, um das Mädchen zu treffen, von dessen Schönheit er gehört, die er aber nie gesehen hat. Das Konstruiert-Irreelle dieses Plots war es, das Claire Servais bei der Vorbereitung ihrer Inszenierung besonders aufgefallen war: Alle Liebesgeschichten dieses eher selten aufgeführten Werkes schienen ihr bereits im Kern unmöglich zu sein, die Titelfigur wirke kaum noch wie ein Wesen aus Fleisch und Blut, sondern sei bloße Projektion des Liebesverlangens der drei männlichen Hauptfiguren, eine "interprète de l'amour", ebenso wie Malcolm, nicht nur aufgrund der Anlage der Partie als Hosenrolle für eine Altstimme eine dezidiert barocke Figur sei, nichts anderes als ein der Vergangenheit verpflichtetes Phantomwesen. Auch die häufigen Ortswechsel vermittelten den Eindruck, dass es sich um eine Illusion handele, um unwirkliches Theater auf dem Theater gleichsam, das Ausstatter Dominique Pichou durch die an die barocke Aufführungspraxis erinnernde Szene unterstreiche. Diesen Aspekt des Unwirklichen greift Claire Servais auf, wenn sie zu Beginn Baumwollfäden über die von einer ins Nichts verschwindenden Treppe dominierte, ansonsten relativ leeren Bühne spannen lässt, wenn zur rechten Zeit Schwerter vom Bühnenhimmel schweben oder ein überdimensionaler Schild sichtbar wird, wenn Elena ihr finales "Tanti affetti" vor einem staunenden Publikum in prächtigen Kostümen der Rossini-Zeit singt (diese wie die durchaus schottisches Flair aufweisenden übrigen Roben entwarf Jean-Pierre Capeyron) - oder wenn Jacques Chatelet einen seiner in der Tat superben, viel (künstliche) Atmosphäre schaffenden Beleuchtungseinfall zelebriert, der zudem den zweiten zentralen Punkt Servais' aufgreift, nämlich das nostalgisch-sentimentale Moment, das sie in dem Werk des ja bereits im Alter von 37 Jahren seinen Abschied aus dem Musikgeschäft nehmenden Komponisten wahrgenommen hat, dessen Konterfei am Ende des ersten Aktes kurz auf dem eisernen Vorhang gezeigt wird. So interessant und nachvollziehbar manches an diesem Ansatz ist: Den bei weitem längsten Teil des Abends sah man sich mit außerordentlich hausbackener Rampensteherei konfrontiert, die nicht selten gar die Grenze zur unfreiwilligen Komik überschritt (erwähnt sei der Auftritt der Schottenrecken mit wirrem Haar und freier Brust) und die Frage aufkommen ließ, ob eine konzertante Aufführung nicht doch die vernünftigste Lösung gewesen wäre, wie sie das Brüsseler Publikum am 5. März in dieser Besetzung im Palais des Beaux-Arts erleben wird, bevor die Produktion Mitte März für zwei Vorstellungen nach Avignon übersiedelt.

Vergrößerung Uberto, wie sich der incognito reisende Schottenkönig James V. nennt (Rockwell Blake), macht der erstaunten Elena (Iano Tamar) den Hof.

La donna del lago gilt vielen nicht nur als die romantischste der italienischen Opern Rossinis, sondern wegen der herausragenden Rolle, die die Natur spielt, als erste italienische romantische Oper überhaupt, handelt es sich doch um die erste Adaption eines Stoffes von Sir Walter Scott, der auch Bellini, Donizetti, Pacini und andere zu Meisterwerken inspirierte (Lucia di Lammermoor ist wohl das prominenteste Beispiel), und tatsächlich bringt der Meister von Pesaro mit dem Einsatz von sechs Jagdhörnern und den Harfen ein gewisses Lokalkolorit ins Spiel. Natürlich hätte man für die musikalische Umsetzung niemand Kompetenteres gewinnen können als Alberto Zedda, der ja seit einigen Jahren Garant für erstklassige Belcanto-Aufführungen in Lüttich ist: Wie kein Zweiter versteht es der Künstlerische Leiter des Rossini-Festivals in Pesaro, Musikwissenschaftler und geschätzte Herausgeber kritischer Editionen zahlreicher italienischer Opern der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, den melodischen Reichtum und die verschiedenen Stimmungen des Werkes neben aller Virtuosität zu entfalten - da klingt nicht eine schlichte Begleitfigur wie die andere, da kommt dank der ungemein flexiblen, abwechslungsreichen Tempi nicht eine Sekunde Langeweile auf, da wird ein Crescendo kaum spürbar über mehrere Partiturseiten hin aufgebaut, da stimmt das kleinste Detail, ohne dass deswegen das Gesamtkonzept zu leiden hätte.

Vergrößerung Ihm gehört das Herz der schönen Elena: Malcolm (Agata Bienkowska).

Hinzu kommt, dass die Opéra Royal de Wallonie als Stagione-Betrieb natürlich den unschätzbaren Vorteil hat, wirkliche Spezialisten mindestens für die zentralen Partien verpflichten zu können. Iano Tamars Karriere etwa hat 1992 mit Rossini begonnen, als Alberto Zedda sie in Pesaro als Semiramide besetzte (nachzuhören auf einem von der Firma Fonit Cetra vertriebenen Mitschnitt), bevor sie namentlich in Deutschland zu einer der profiliertesten Verdisängerinnen avancierte. Offenbar haben ihrem sehr individuell timbrierten, charaktervollen, eher dunklen, mitunter etwas rauchigen Sopran die schweren Partien aber nicht geschadet, denn man war erstaunt, wie leicht die Stimme in dieser verzierten Rolle klang, wie mühelos sie die beträchtlichen virtuosen Anforderungen meisterte, wie vorbildlich ihre Pianokultur ist, ohne dass sie zu oberflächlichen Showeffekten missbraucht würde, wie geschmackvoll sie auch die gar nicht wenigen tiefen Passagen bewältigte; für mein Empfinden hätte die Künstlerin allerdings etwas mehr von dem Temperament, das etwa ihre Lady Macbeth oder Médée auszeichnet, in ihre vor allem der Feinzeichnung gewidmeten Gestaltung der Elena einbringen können, die so etwas anämisch blieb. Anstelle der erkrankten Daniela Barcellona, die nur in den beiden letzten Vorstellungen der Serie den Malcolm singen kann, hatte man kurzfristig die junge Polin Agata Bienkowska engagiert, die sich ebenfalls auf die Werke des Belcanto und namentlich die Opern Rossinis spezialisiert hat und mit Alberto Zedda etwa beim Rossini Festival in Wildbad zusammengearbeitet hat. Ich habe freilich meine Zweifel, ob die Stimme wirklich für dieses spezielle Fach taugt, bei dem man an Namen wie Marilyn Horne, Lucia Valentini-Terrani oder in unseren Tagen Ewa Podles denkt - zu unterschiedlich klingen bei aller atemberaubenden Geläufigkeit und den exzellenten Trillern die Register, von denen die interessant vibrierende, sopranige Höhe noch am ehesten überzeugt, während bereits der untere Bereich der klangvollen, aber sehr lyrischen Mittellage von merkwürdigen Flaschentönen bestimmt wird und die sehr vorsichtig angesetzte, wenig resonante Tiefe ausgesprochen künstlich wirkt.

Vergrößerung Sie sind die Konkurrenten um die Liebe Elenas: Malcolm (Agata Bienkowska, links) und Rodrigo (Bruce Fowler, rechts) im Finale des ersten Aktes (hinten: Chor der Opéra Royal de Wallonie).

Rockwell Blake hat den Giacomo auch in zwei der fünf von Steiger erwähnten Aufnahmen des Stücks gesungen und weiss natürlich um die Erfordernisse des canto fiorito und dieser Partie im Speziellen, und nach wie vor gebührt ihm auch größter Respekt für das, was er mit seiner ungemein agilen, in der Höhe offenbar kaum eine Grenze kennenden, aber auch sehr schmalen, weißen Stimme anstellt, der er nur äußerst selten einen kraftvollen Ton abzuringen versteht (Franco Bonisolli nimmt man - ungeachtet stilistischer Fragen - an der Seite der superben Montserrat Caballé in dem Mitschnitt aus Turin aus dem Jahre 1970, an dem ich mich während der Fahrt nach Belgien delektierte, eher ab, dass er Elena in ihrer Liebe zu Malcolm ins Schwanken bringen könnte). Als enervierend empfand ich zudem das überdeutliche Prononcieren des Textes und das unerträglich affektierte, geradezu hyperaktive Spiel des armerudernden und händeringenden weißgelockten Belcantohelden. Ebenso beweglich, aber farbenreicher und maskuliner ist der gleichfalls schlanke Tenor des darstellerisch wie in der Textausdeutung weniger manierierten Bruce Fowler, der dem Vernehmen nach gesundheitlich nicht ganz auf der Höhe war, so dass einige Töne oberhalb des Systems zur Zitterpartie wurden. Daneben bewies Léonard Graus mit seinem tonschönen Bassbariton als Elenas Vater einmal mehr, dass er nicht nur eine verdiente Stütze des Hauses in Comprimariorollen ist, während Patrick Delcour diesmal auch vokal kaum überzeugen konnte und Emilienne Coquaz mit ihren paar hohen Tönen erheblich zu kämpfen hatte. In viel besserer Verfassung als zuletzt präsentierte sich schließlich der dynamisch sehr differenziert und präzis den Vorstellungen des Maestros folgende Chor.

Vergrößerung Wahre Größe demonstriert der König (Rockwell Blake, Mitte), wenn er seiner Liebe zu Elena (Iano Tamar, rechts) entsagt und Malcolm (Agata Bienkowska, links kniend) begnadigt.


FAZIT

Alberto Zedda und seine Mitstreiter im Graben wie auf der Bühne hatten ihre Not, sich gegen den szenischen Muff durchzusetzen, den Claire Servais trotz kluger Gedanken verantwortete; dass es dennoch ein großer Belcantoabend wurde, konnte sie indes nicht verhindern.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Alberto Zedda

Inszenierung
Claire Servais

Assistenz
Marguerite Borie

Bühnenbild
Dominique Pichou

Kostüme
Jean-Pierre Capeyron

Licht
Jacques Chatelet

Choreinstudierung
Edouard Rasquin



Eine Neuproduktion der
Opéra Royal de Wallonie



Chor der
Opéra Royal de Wallonie

Orchester der
Opéra Royal de Wallonie


Solisten

Elena
Iano Tamar

Malcolm
Agata Bienkowska

Uberto
Rockwell Blake

Rodrigo
Bruce Fowler

Archibald Douglas
Léonard Graus

Serano
Patrick Delcour

Albina
Emilienne Coquaz




Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Opéra Royal de Wallonie
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2003 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -