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Musiktheater
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Limonen aus Sizilien
Drei italienische Geschichten
von Luigi Pirandello und Eduardo De Filippo
Libretto von Wolfgang Willaschek
Musik von Manfred Trojahn

Premiere im Opernhaus Köln
am 23. März 2003

Logo: Oper Köln

Bühnen der Stadt Köln
(Homepage)
Aus 3 mach eins
Mit Belcanto in die kalkulierte Katastrophe


Von Ralf Jochen Ehresmann / Fotos von Klaus Lefebvre


Da hat Manfred Trojahn wieder eine Oper abgeliefert, die von Stil und Ausmaß sicher eher in ein Barocktheaterchen passen möchte, die aber jetzt im Riesenhaus der Kölner Oper ihre gelungene Uraufführung begehen konnte. Dabei hat der Altmeister der gemäßigten Avantgarde seinem Kölner Publikum durchaus überforderungsfreie Kost mit hochcantablen Melodien zugehör gebracht, wofür sich dieses mit freundlichem, buhfreien Applaus bedankte.

Vergrößerung in neuem Fenster

"was ich täte, wenn ich wüsste..." - Vernichtung im Als-Ob.

Librettist Wolfgang Wollaschek hat 3 Erzählungen von Luigi Pirandello (Der Schraubstock und Limonen aus Sizilien) und Eduardo De Filippo (Eine Freundschaft) fusioniert und bei Austauschung einiger Namen einige Personen zu Wiedergängern ihrer selbst gemacht, so dass diese fast-wagnersche Melange ein neues Ganzes hat entstehen lassen. Der Bezug auf Puccinis trittico als "großem Bruder" ist offensichtlich, und die Bezeichnung als tritticino ist wohl nur fallengelassen worden, um den abfälligen Beigeschmack der Verkleinerungsform im Italienischen nicht aufkommen zu lassen.

Vergrößerung in neuem Fenster wenn man merkt, das man nicht mehr dazugehört

Die Handlung geht im Wesentlichen so:
Giulia Fabbri und ihr Liebhaber Antonio Serra rätseln darüber, ob Giulias Mann Andrea von ihrer Liaison Bescheid weiß. Nach einigem Hin und her tritt dieser unvermittelt auf und lässt nun seinerseits die Gemahlin im Unklaren darüber, wie viel er weiß, und beutet ihre Furcht aus, indem er sadistisch ausführt, was er wohl täte, wenn wüsste... Giulia kann mit dieser Schuldprojektion nicht leben und erschießt sich.
Micuccio Fabbri, ihr Sohn, erleidet eine andere Enttäuschung seiner Erwartungen, als er unangemeldet zur Premierenfeier der einst von ihm stipendierten Sängerin und Freundin aus der Kinderzeit Teresina Marnis erscheint und vom Türsteher abgewiesen wird. Er verfällt ins Erzählen, bis dass sie doch noch erscheint und ihren einstigen Gönner durch die Kürze ihrer Zuwendung und die Art ihres Auftretens jene unüberbrückbare Kluft spüren lässt, die mittlerweile zwischen ihnen liegt. Micuccio stellt fest: Sie ist es nicht wert.
Noch bevor er die Bühne richtig verlassen hat, fährt seine gealterte und reichlich senile Spätform im Rollstuhl herein. Micuccio senior wird von seiner Schwester halbherzig gepflegt, als ein gemeinsamer Jugendfreund vorbeischaut, Alberto Serra, der zufällig (?) der Sohn Antonio Serras aus dem 1.Bild ist. Der verwirrte Greis bringt ihn dazu, sich in lauter Gastrollen zu verrenken, um hinterher vom Rollstuhl behände aufspringend dem Erschöpften Alleinunterhalter wider willen mitzuteilen, dass dessen 1.Sohn von ihm, Micuccio, sei.

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Junior und Senior gleichzeitig: Micuccio im Doppelpack

Trojahn nun hat die 3 Teile so verbunden, dass ohne wirkliche Unterbrechung mit Aktschluss und Vorhang dennoch eine klare Unterteilung erkennbar wird, zumal ja ein Teil des Personals sich austauscht. Die Übersichtlichkeit freilich fördert es nicht unbedingt, wenn einzelne DarstellerInnen als jemand Anderes wieder auftreten und gleichzeitig eine bestimmte Person gleich doppelt auf der Bühne steht, einmal jung und einmal 40 Jahre älter. Nach der in Köln getroffenen Aufteilung kommt man also mit 7 SängerInnen aus, um 11 bzw. 12 Partien zu gestalten.

Die Musik entfaltet einen unerhörten Farbenreichtum, ohne beliebig zu wirken, liefert stellenweise reinsten Belcanto - ohne dabei in überkommene Harmonik zu flüchten. Die gibt es freilich auch, jedoch wohldosiert und nur als eingestreuter Fremdkörper, quasi als Statthalter der bestimmten Negation, als Residuum verlorener Schönheit in einer Welt voller Enttäuschung, Entfremdung und Entweihung. Brennpunktartig materialisiert sich dies im "Lied von den 3 Limonen", das Sentas Ballade ähnlich als Keimzelle der dramatischen Idee fungiert, die hier zugleich das einzige fassliche Bindeglied zwischen den 3 Bildern abgibt. Bei den Kindheitsreminiszenzen darf das Duo sogar in Sextparallelen dahinschwärmen, und selbst noch hier entsteht kein Kitsch.

Dafür ist die Behandlung des Orchesters wesentlich verantwortlich, das Trojahn zusammenstellt aus lediglich 17 Instrumentalisten, darunter 7 Streichern. Abgesehen von der freundlichen Geste an die Stadt Köln und ihre finanziellen Nöte, verdichtet sich dadurch zudem die ohnehin insgesamt kammermusikalische Anlage der ganzen Oper, nicht nur des Orchesters. Im Bühnenvordergrund aufgestellt ist es weit stärker präsent, als wenn es wie sonst im Graben verschwände. Diese Anordnung ermöglicht zugleich einige Interaktion mit Darstellern, wenn etwa Micuccio jun. dem Dirigenten einen Limonensaft frisch auspresst.
Neben der Begleitung des Gesanges sind dem Kammerensemble auch längere Intermezzi anvertraut, in denen - wer will - viel Berg oder Respighi heraushören mag.

Vergrößerung in neuem Fenster Umgesetzt wurde die gänzlich neue Vorlage durch ein exzellent besetztes Spitzenensemble. Größtes Lob an Melanie Walz als eingangs betrügende Ehefrau Giulia und später verwandelte Sängerin Teresina, Vergrößerung in neuem Fenster letzteres v.a. ob ihrer mutigen, gekonnten Darstellung.


Faszinierend ebenso die Wandlungen der Julie Kaufmann, auch sie doppelt präsent einerseits als Teresinas Mutter "Tante" Marta Vergrößerung in neuem Fenster wie als Carolina Fabbri, Micuccios Schwester, die den Rollstuhlfahrer pflegt. Astrein und voller Leichtigkeit in fast durchgängig hoher Lage meistert sie alle Schwierigkeiten der Partien souverän und klangschön zugleich.


Thomas Mohr gibt im 1. Bild den gehörnten Gatten Andrea Fabbri, der seine Betrogenheit bestens auszukosten weiß Vergrößerung in neuem Fenster und seine Schuld wahrscheinlich dadurch büßt, dass er im 3.Bild als unfreiwilliger Komiker Alberto Serra Vergrößerung in neuem Fenster allerhand Klamauk zur Belustigung seines früheren Freundes Micuccio aufführt, um anschließend von diesem Simulanten sich demütigen zu lassen, zu welchem finalen Show-down sämtliche Mitwirkenden aller Stücke in die Schaukastenhochbühne sich versammeln.
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Martin Finke als Micuccio sen. fand offenkundig großes Gefallen an seiner Unzurechnungsfähigkeit mit eingeschlossenem Recht zur Tyrannisierung der Umwelt; der dazugehörige Quäkgesang gelang jedenfalls zur spürbaren Erheiterung des Publikums, insbesondere beim Krächzduett mit Freund Alberto. Anderw Collis als Eheeindringling Antonio sowie als Türsteher Ferdinando und Regina Richter als Haushälterin in beiden Pirandello-Bildern sind die eher leichteren Partien dieser Kammeroper anvertraut, die auch sie mit viel Verve, großer Spielfreude und im Vergleich zu den vorgenanten Schwergewichten ungeminderter Intonationssicherheit ausgestalten.

Der genius loci Günter Krämer machte noch einmal vom Hausrecht Gebrauch und inszenierte gleich selbst. Wesentliches Gestaltungsmerkmal wäre die Aufteilung der Spielstätte in einen Schaukasten hinter und oberhalb des Orchesters einerseits sowie am vorderen Bühnenrand inklusive Mitbenutzung des höhenverstellbaren Orchestergrabens andererseits. Spärliche Requisiten werden durch intensive Lichtregie und einfallsreiche Kostümierung aufgewertet, wie überhaupt kein Platz für Überflüssiges vorhanden ist in diesen 70 min, die sich etwa 15+30+25 aufteilen. Das Orchester folgt dem engagierten und stellenweise beswingten Dirigat Jürg Henebergers präzise und aufmerksam und deckt die SängerInnen niemals zu.

Selten ist ein Programmheft so sinn- und wertvoll zugleich wie hier, dessen Anschaffung unbedingt zu empfehlen ist.


FAZIT

Eine sehr engagierte Produktion eines wirklich neuen Werkes, das weder reaktionär noch avantgardistisch verfährt und dem zu wünschen ist, dass es seinen Weg auf viele weitere Bühnen finden möchte, wofür der Name des Komponisten sicher manche Türe öffnen wird, auch wenn Prophezeiungen über den längerfristigen Verbleib in den Spielplänen und Übergang ins Repertoire seriöserweise unterbleiben müssen. Die Reise nach Köln ist rückhaltlos zu empfehlen!



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Jürg Heneberger

Inszenierung
Günter Krämer

Bühne
Ulrich Schulz

Kostüme
Falk Bauer

Licht
Manfred Voss


Statisterie der Bühnen Köln

Gürzenich-Orchester
Kölner Philharmoniker


Solisten

Der Schraubstock

Giulia Fabbri
Melanie Walz

Andrea Fabbri
Thomas Mohr

Antonio Serra
Andrew Collis

Anna
Regina Richter


Limonen aus Sizilien

Micuccio Fabbri
Daniel Kirch

Teresina Marnis
Melanie Walz

Marta Marnis
Julie Kaufmann

Ferdinando
Andrew Collis

Dorina
Regina Richter


Eine Freundschaft

Micuccio Fabbri
Martin Finke

Carolina Fabbri
Julie Kaufmann

Alberto Serra
Thomas Mohr


Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Bühnen der Stadt Köln
(Homepage)





Da capo al Fine

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