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Historisch-musikalische UnschärfeVon Stefan Schmöe / Fotos von Klaus Lefebvre
1905 begann mit Albert Einsteins Beschreibung des lichtelektrischen Effekts eine Ära, die man als das goldene Zeitalter der Physik in Deutschland bezeichnen kann: Unter bestimmten Versuchsanordnungen, so Einsteins später mit dem Nobelpreis gewürdigte Schlussfolgerung aus experimentellen Beobachtungen, verhält sich Licht wie ein Strom aus einzelnen Partikeln und nicht, wie lange Zeit als gesichert angenommen, wie eine kontinuierliche Welle. Die darauf aufbauende Entwicklung der sogenannten Quantenphysik, die zur Entschlüsselung des Atoms führte, revolutionierte das physikalische Denken. Das geistige Oberhaupt einer Forschergemeinschaft, die intensiv über physikalische wie philosophische Konsequenzen kommunizierte und debattierte, saß dabei in Kopenhagen: Niels Bohr. Auf einem Kongress 1922 in Göttingen hatte ein junger Student den Mut, diesem Übervater der Atomphysik zu widersprechen und ihn auf einen Fehler aufmerksam zu machen: Werner Heisenberg. Zwischen beiden entwickelte sich eine enge Beziehung, und auf langen Strandwanderungen bei Bohrs Ferienhaus entwickelten die beiden ein neues physikalisches Weltbild. Um diese Dreierkonstellation in Kopenhagen, April 1941, ranken sich Legenden: Bohr (links) und dessen Frau Magarethe werden von Heisenberg besucht.
Die Machtwergreifung der Nationalsozialisten bereitete dieser wohl großartigsten Epoche der deutschen Physik ein (wenn auch verzögertes) Ende. Einstein emigriert und wird in Amerika zum Idol. Heisenberg beibt, übernimmt endgültig die führende Rolle unter den auf Staatslinie getrimmten deutschen Physikern und arrangiert sich mit den Machthabern auch, um Schlimmeres zu verhindern, wie er später schreibt. Bohrs Heimatland wird im Krieg von Hitlers Truppen besetzt. Im April 1941 reist Heisenberg nach Kopenhagen, vorgeblich, um dort einen Vortrag zu halten, tatsächlich wohl eher, um den alten Freund zu treffen. Die Begegnung ist kurz und markiert den endgültigen Bruch zwischen den Forschern, die der Krieg zu Feinden gemacht hat. Worüber aber gesprochen wird, das ist bis heute ein Rätsel ebenso wie Heisenbergs Absichten. Wollte Heisenberg Bohr zur Mitarbeit an einem deutschen Atombombenprogramm überreden? Oder wollte er ihn vor einem solchen Programm warnen (das wäre fast tollkühn, denn natürlich stand er unter strenger Beobachtung). Oder wollte er von Bohr Informationen über den Stand des Atomwaffenprojekts der Alliierten erhalten? Oder über Bohrs Einfluss erreichen, dass dieses Programm eingestellt (oder von den beteiligten Wissenschaftlern verschleppt) würde? Sollte Bohr die amerikanischen Physiker vom Bau der Atombombe abhalten?
Beide Männer müssen ziemlich ungeschickt um den wie auch immer gearteten heißen Brei herumgeredet haben, denn Bohr fühlte sich offenbar von den ersten vagen Andeutungen Heisenbergs so vor den Kopf gestoßen, dass es nicht zum offenen Gespräch kam. Auch aus den nachträglich verfassten Aufzeichnungen der beiden, im Rückblick sicher nicht sehr exakt und wohl auch geschönt, lässt sich über den Gesprächsverlauf nur spekulieren. Das deutsche Reich stellte bald darauf kollabierend sein Atomprogramm ein (ein Verdienst von Heisenbergs gezielter Desinformation, wie er es später darstellte?); Bohr flüchtete in die USA und arbeitete an der Entwicklung der Hiroshima-Bombe mit. Heisenberg setzte seine glänzende Karriere in der jungen Bundesrepublik fast nahtlos fort. Oder suchte Heisenberg nach den fehlenden Informationen, um die Bombe für Hitler bauen zu können?
Der britische Autor Michael Frayn hat 1998 unter dem Titel Kopenhagen ein weltweit mit riesigem Erfolg aufgeführtes Kammerspiel über das Kopenhagener Treffen verfasst. Sein Kunstgriff ist es, Bohr und Heisenberg (und Bohrs Frau Margarethe) nach ihrem Tod rückblickend über diese Begegnung sinnieren zu lassen. Dadurch vermeidet er den Anschein, das Gespräch rekonstruieren zu wollen, spielt vielmehr die Möglichkeiten des gegenseitigen Missverstehens noch einmal durch. Für den Dramatiker wie für den Wissenschaftshistoriker ist hier nicht nur jedes Wort, sondern jede denkbare Bedeutungsnuance eines Wortes ausschlaggebend. Zuletzt hat die Entdeckung zweier Briefe aus der Korrespondenz der beiden Physiker gezeigt, welche Brisanz unter Wissenschaftlern wie in den Feuilletons diese Thematik hat und wie genau es darauf ankommt, den Tonfall Bohrs und Heisenbergs zu erfassen. All das macht diesen Stoff und insbesondere Frayns Text hochgradig opernuntauglich. Gerade das allerdings hat den Komponisten und Quantenphysikliebhaber Georg Graewe gereizt, die deutsche Übersetzung von Frayns Stück gekürzt, aber ansonsten unverändert als Grundlage seiner ersten Oper zu verwenden, einem Auftragswerk für die Kölner Oper. Im atonalen Parlandostil mit ariosen Einschüben vertont, werden die drei Sänger von einem Kammerensemble (Streichquintett, Flöte, Klarinette, Trompete, Posaune, vibraphonlastiges Schlagzeug) transparent und durchsichtig leicht begleitet. Dieser filigrane Klangteppich gewährleistet gute Textverständlichkeit, und damit sind die Rollen klar verteilt: Das Wort hat eindeutig den Vorrang. Aufgabe der Musik ist es, den Rhythmus des Gespräches, den Grad der Erregung festzulegen. Graewe überhöht aber nicht in klassischer Opernmanier die Emotionen, reagiert kaum einmal unmittelbar mit einem musikalischen Effekt auf ein Stichwort, sondern zeichnet eher abstrakt die Spannungsbögen des Gesprächsverlaufes nach, die allmählichen An- und Entspannungen. Dadurch verstärkt er die Künstlichkeit, vergrößert die Distanz zur historischen Situation, und das kommt Frayns Schauspiel entgegen. Verhandelt wird die Sache aber dennoch auf der textlichen, nicht auf der musikalischen Seite. Dass die reizvoll instrumentierte Musik dabei nicht allzu sehr ablenkt, ist vielleicht noch das beste, was dem Schauspiel wenn es denn schon partout vertont werden musste passieren kann. Die im Stück viel zitierte Heisenbergsche Unschärferelation, ein Kernstück der Quanten- und Atomphysik, lässt sich auf die Musik durchaus ausdehnen: Alles unscharf, nichts exakt greifbar. Das kann man als Stärke oder als Schwäche auslegen. Die Instrumentalisten, Mitglieder des Gürzenich-Orchesters, spielen unter der Leitung von Oliver Stapel jedenfalls mit bestechender Leichtigkeit. Spekulationen, nichts als Spekulationen. Darum wird das Personal verdreifacht und kann so parallel mehrere Möglichkeiten durchspielen.
Einen starken Eindruck hinterlassen die schauspielerisch wie sängerisch guten Darsteller. Johannes Preißiger als hypernervös sich windender Heisenberg wird kontrastiert von Ulrich Hielscher als stoisch abwartendem, dann aber streng und gelassen aburteilendem Bohr, dazu kommt Dalia Schaechter als dessen sehr distanzierte und skeptisch den ungebetenen Gast beobachtende Frau Margarethe. Alle drei werden durch Doubles phasenweise verdoppelt und verdreifacht, und pantomimisch angedeutete alternative Handlungsabläufe im Hintergrund (gespielt wird nur auf einem schmalen Streifen an der Rampe, das Orchester sitzt dahinter) machen das Spekulative der Situation deutlich: Auch Regisseur Uwe Hergenröder geht klar auf Distanz zu einem möglichen Doku-Drama. Leider ist die bei den Sängern sehr penibel ausgearbeitete Personenregie zu ungenau auf die Doubles übertragen. Eher störend sind die Einblendungen physikalischer Formeln oder einer Skizze der Atombombe alles, was vom Text ablenkt, macht die Angelegenheit unübersichtlicher. Peinlich ist das Finalbild, in dem die Doubles silberglänzend in US-kritischer Anti-Kriegs-Kunst-Kitsch-Pose erstarren. Derart aufdringliches Pop-Art-Pathos bleibt weit hinter dem Anspruch des Stückes zurück.
Wo es im Diskurs über Wissenschaft und Verantwortung auf Wortklauberei ankommt, ist die Musik bescheidene Dienerin des Textes. So gesehen ein Erfolg.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild und Kostüme
Licht
SolistenMargaretheDalia Schaechter
Bohr
Heisenberg
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- Fine -