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Geometrie der Liebe
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Olaf Struck
Der Vielzahl von Variationen über den Don Juan fügte Max Frisch 1953 einen erfrischenden Kontrapunkt hinzu: Sie möchten immer meine Seele retten und hoffen, dass ich sie aus Widerspruch verführe. lässt er den merkwürdigen Helden seiner Komödie Don Juan oder Die Liebe zur Geometrie über das schöne Geschlecht bemerken. Der vermeintliche Erotomane, der Sex als lästige Ablenkung von der Versenkung in reine Mathematik betrachtet stolpert bei Frisch, keineswegs als parodistische Verballhornung des Frauenhelden, sondern als ironische Brechung des Mythos konzipiert, unfreiwillig von einer verunglückten Situation in die nächste, weil alle ihre sexuellen Vorstellungen auf den hübschen jungen Mann projizieren und jede seiner Reaktionen umdeuten. Um das Stück ist es still geworden; vielleicht wäre es an der zeit, es erneut auf der Bühne auszuprobieren. Einen begeisterten Leser, das legt die Hagener Neuinszenierung der Mozartschen Variante des Stoffes, des Don Giovanni, nahe, hat Frischs Schauspiel, nämlich Rainer Friedemann, den Intendanten des Hauses und in diesem Fall auch Regisseur.
Frischs Ansatz eklektisch aufgreifend ist der Hagener Giovanni ein freundlicher, etwas behäbiger Herr mit guten Manieren, der den Damen gerne Komplimente macht, aber nicht mehr (für Bernd Valentin, der die Rolle solide und unaufgeregt singt und spielt, ist diese Rollenauslegung, als Langweiler überzeugen zu müssen, nicht eben dankbar, er fügt sich aber). Für alles, was man von einem Lüstling erwartet, sind die anderen zuständig: Zum einen der agile Leporello (spielerisch brillant, stimmlich ordentlich mit noch unausgereiftem Potenzial: Panajotis Iconomu), der Zerlina vergewaltigt und Elvira mit Charme ins Nebenzimmer verführt; zum anderen Elvira, mit hautenger Lederhose lasziv in jeder Geste und nur zu gerne bereit, sich verführen zu lassen (Dagmar Hesse singt mit leuchtender Stimme und nuanciert in der Gestaltung). Undeutlich bleibt, welche Position Anna und Ottavio in dieser Konstellation einnehmen; das mag auch daran liegen, dass die Sängerin der Donna Anna, Magdalena Bränland, kurzfristig erkrankte und die Premiere von Eun-Joo Park vom Theater Dortmund (dramatisch-zupackend und mit einer für das junge Hagener Ensemble schon zu großen Stimme) gerettet wurde da blieb sicher nicht die Zeit, die Rolle szenisch in der nötigen Perfektion einzustudieren. Die Anna ist, so weit man dies erkennen konnte, im Gegensatz zu Elvira die gesetzte Frau, die ihr Gefühlsleben nach außen hin unter Kontrolle hat. Edelrocker Ottavio (mit lyrischer Stimme überzeugend: Dominik Wortig) ist ein echt cooler Typ, der mit wenigen Gesten die Situation unter Kontrolle bringt, wenn er das für nötig hält.
Das Konzept zerfasert hier, wird nicht konsequent durchgehalten und passt vor allem oft nicht zur Musik und zur (musikalischen) Dramaturgie Mozarts. Eklatant deutlich wird das im Finale so fährt man nicht zur Hölle, wenn man einfach nur nett sein möchte. Unplausibel wie in so vielen Inszenierungen bleibt die Rolle des Komturs(angestrengt: Jae-Jun Lee), der als Statue wiederkehrt. Dass er zu Beginn als Blinder, mit seinem Stock nach Giovanni schlagend, mehr versehentlich als geplant in Leporellos nicht in Giovannis! Messer fällt, mag man im Sinne der Max-Frisch-Konzeption ja noch hinnehmen; aber sein Erscheinen im Finale, auf zwei Krücken gestützt, ist durch nichts motiviert. Friedemanns Handlungsfaden verläuft sich aber bereits vorher, zerfasert in zu viele Teilaspekte. Obwohl der Komödienton dominiert, verschenkt Friedemann das komödiantische Potenzial, das sein Ansatz besitzen könnte. Zu wenig traut er sich an die Groteske heran, bleibt lieber unverbindlich konventionell, wo die Spielfreude des Ensembles viel mehr ätzende Schärfe möglich gemacht hätte. Und (zu) unverbindlich ist auch das Bühnenbild, dem selbst der dafür Verantwortliche, Helmut Stürmer, offenbar wenig Wirkung zutraut: Jedenfalls schickt er im Programmheft eine ebenso lange wie nichtssagende Erläuterung hinterher. Ein aufgebrochener, drehbarer Quader mit einer ins Nichts führenden Treppe soll ein abstraktes Sinngebilde, ein Labyrinth als Psychogramm Don Giovannis darstellen. Die Gefahr, die er selbst in seinem Artikel beschrieben hat, kann Stürmer aber nicht bannen: Dieses recht banal geratene kinematische Objekt wird zur Kulisse, die mehr vom Konzept ablenkt als diesem förderlich ist, und das den Spielraum unnötig auf einen schmalen Streifen an der Rampe einschränkt, ohne seinerseits Impulse setzen zu können.
So geschehen die schönsten Momente dieser Inszenierung fast am Rande. Das Paar Zerlina-Masetto nämlich ist von Friedemann am genauesten und am überzeugendsten gezeichnet worden: Zwei Kinder, die viel zu früh heiraten, eine Sandkastenliebe sozusagen. Mit den sehr jungen Darstellern Tanja Schun und Peter Schöne ist hier die Idealbesetzung gefunden, gerade weil den frischen, noch sehr geradlinigen Stimmen die Reife fehlt. Die beiden haben ihre erste Liebesnacht wohl noch vor sich, und es leuchtet hier sofort ein, warum Giovanni auf Zerlina an deren Hochzeitstag eine so große Faszination ausübt: In seinen Komplimenten liegt eine Liebeserfahrung, die sie noch nie erfahren hat und die sie mit dem netten, aber eben noch sehr kindlichen Masetto so nie erleben wird. Zerlina wird dadurch von allen isoliert; weder die von fast sportlichem Charakter geprägte Sexbesessenheit Elviras, Leporellos und Annas, noch die Naivität Masettos (der bald den dumpfen Sitten der anderen verfallen wird) bieten ihr diese Ahnung von Liebe, die Giovannis schmeichlerisches Lá ci darem la mano weckt.
In den kleinen Szene arbeitet das Regieteam sorgfältig und detailliert, und das zahlt sich aus. Zerlinas braves Kleidchen etwa ist perfekt abgestimmt mit dem Teddybären, den sie ohne Peinlichkeit als Symbol der Kindlichkeit herumschleppt. Virtuos inszeniert ist auch der Schluss, wo die Überlebenden sich regelrecht darum schlagen, die Moral aus der Partitur absingen zu dürfen, oder eine Schlägerei zwischen Giovanni und Leporello zu Beginn des zweiten Aktes, worin die Spannungen zwischen beiden deutlich werden. Dass die Aufführung dennoch Längen hat, liegt an der fehlenden schlüssigen Verbindung solcher Momente, aber auch am extrem auf Sicherheit bedachten Dirigat von Anthony Hermus. Er leitet das sehr kultiviert spielende Philharmonische Orchester Hagen umsichtig und sängerfreundlich, aber eben auch sehr kontrolliert, mit Tempi, die immer eine Spur verhaltener zu sein scheinen als eigentlich erforderlich. Das kann sich durchaus hören lassen; die Grenzüberschreitung, die der Regisseur schon seinem schöngeistigen Helden vorenthält, die findet auch hier nicht statt.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der PremiereDon Giovanni Bernd Valentin
Leporello
Der Komtur
Donna Anna
Don Ottavio
Donna Elvira
Masetto
Zerlina
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- Fine -