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Zwei Mächte, die nicht zusammenkommen
Von Gerhard Menzel
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Fotos von Rudolf Majer-Finkes Nach den guten Erfahrungen mit Koproduktionen, zuletzt mit dem phantastischen Gershwin Musical Crazy for you, erlebte nun eine weitere Koproduktion - dieses Mal mit dem Luzerner Theater - seine Premiere am Musiktheater im Revier. Armide (Regine Hermann) lauscht gespannt den Ausführungen des Königs Hidraôt (Aris Argiris).
Musikdirektor Samuel Bächli, der sich inzwischen auch einen Namen als Spezialist für "Alte Musik" machte, hatte schon in den letzten Jahren mit dem Händel-Pasticcio Gefährliche Liebschaften, Monteverdis Il Ritorno d'Ulisse in Patria und zu Beginn der letzten Spielzeit mit Cavallis La Calisto eine Reihe sehr erfolgreicher Inszenierungen mit herausgebracht. Armide (Regine Hermann) an der Spitze ihrer kämpfenden Truppen.
Nach dem La Calisto, einem Werk aus den Anfängen der Operngeschichte, folgte nun mit Christoph Willibald Glucks Armide eine Oper, die - rund 125 Jahre später uraufgeführt - ein sehr interessantes Werk aus der Übergangszeit vom Barock zur Klassik ist. Armide, eine der sechs sogenannten Reformopern Glucks, erfüllt voll und ganz die Ansprüche der Enzyklopädisten (dafür stehen vor allem Jean Jacques Rousseau und Denis Diderot), die eine neue, an der Natur orientierte Ästhetik propagierten und vor allem die Gefühle der Protagonisten mit all ihren Leiden und Qualen auch in Musik gesetzt hören wollten. Richetta Manager (Der Hass) als anderes Ich Armides.
In Armide sucht man das "alte" Secco-Rezitativ vergeblich. Dominierend ist das orchesterbegleitete Accompagnato, das fließend in offenere Formen bevorzugende Arien oder ariose Abschnitte übergeht und damit quasi schon vollkommen durchkomponierte Akte, bzw. Szenen schafft. Durch den an Bedeutung gewinnenden Text und den Verzicht auf barocke Koloraturkunststückchen, rückt wieder das Drama in den Vordergrund (was die hier gewählte deutsche Übersetzung mehr als rechtfertigt). Das dadurch entstehende psychologische Drama stellt eindeutig die Titelfigur ins Zentrum des Interesses. Die Kraft der außerordentlich farbig und emotional gestalteten Musik Glucks - vor allem in den Armida-Szenen - gehört mit zum Eindrucksvollsten, was für die Opernbühne im 18. Jahrhundert komponiert wurde. Samuel Bächli und die "barockbegeisterten" Mitglieder der Neuen Philharmonie Westfalen - die zum Teil schon auf "historischen" Instrumenten spielen - blieben der Musik Glucks (fast) nichts schuldig. Der hier eingeschlagen Weg, wird in den nächsten Jahren sicherlich noch zu manchen überraschenden Hörerlebnissen führen. Der Freiheit liebende Einzelgänger Rinaldo (Mark Adler) auf der Suche Ehre.
Der Stoff der Armide entstammt Torquato Tassos Hauptwerk Gerusalemme liberata, in dem die Konfrontation von Christentum und Islam zur Zeit des ersten Kreuzzugs thematisiert wird. Dass Gluck dabei ein Libretto von Philippe Quinault vertonte, das der französische, damals "unantastbare" "Operngott" Lully bereits 90 Jahr zuvor vertont hatte, erstaunt und führte fast zu einem Skandal. Der heidnischen Zauberin Armida gelingt es, fast alle christlichen Ritter gefangen zu nehmen. Durch List bemächtigt sie sich auch des stärksten Ritters, Rinaldo. Doch ihr Hass verwandelt sich plötzlich in Liebe und stürzt Armide in eine existenzielle Krise. Rinaldo wird schließlich von zwei, für Armidas Künste nicht anfälligen Rittern befreit. Armida bleibt mit ihrem Elend alleine zurück. Regine Hermann in der Titelpartie weiß diese Zerrissenheit zwischen Hass und Liebe ungeheuer präsent zu gestalten, und das mit vorbildlicher Textverständlichkeit! Gesungen wurde die deutsche Übersetzung von Dagny Müller, abgesehen von den "Verführungsszenen", die im französischen Original ("Sprache der Liebe") belassen wurden. Ihr zwar "charakterlich" unterlegen, sie an Stimmschönheit allerdings übertreffend, setzte Mark Adler seine lyrische, sich immer weiter entwickelnde Tenorstimme ein. Armide (Regine Hermann) befragt mit ihren Kampfesschwestern Sidonie (Elise Kaufman) und Phénice (Anke Sieloff) die Zukunft weisende Schüssel.
Klangbeispiel:
Regine Hermann (Armide) und Mark Adler (Rinaldo).
Walküren gleich erstürmen Anke Sieloff als Phénice und Elise Kaufman als Sidonie die Szene, wobei sie sich später als verwandlungsfreudige Plappermäuler (Lucinde/Plaisir 2, bzw. Mélisse/Plaisir 1) präsentierten. Richetta Manager mit ihrem zum dramatischen tendierenden Sopran als Hass, verkörpert das andere Ich Armidas (ebenfalls eine starke Szene). Aris Argiris, ab der nächsten Spielzeit Ensemblemitglied des MiR, ist ein erstaunlich präsenter und ebenfalls textverständlicher König Hidraôt. Der Chor des Musiktheaters hat hier die seltene Gelegenheit, sich auch einmal in einer Barockoper präsentieren zu können (das Ballett dagegen wurde aus verschiedenen Gründen ausgespart). Der dänische Ritter (Sergey Fomenko) und Ritter Ubalde (Nyle P. Wolfe) sind als "Dansk 01-Trinker" vor allen fraulichen Reizen gefeiht.
Stimmlich leider nicht auf diesem Niveau, mühten sich Nyle P. Wolfe (Aronte/Ubalde) und Sergey Fomenko (Artémidore/Chevalier Danois) durch ihre Partien. Zudem fällt ihnen die von der Regie verordnete Aufgabe zu, als offensichtliche "Fremdkörper" (sehr an Asterix und Obelix erinnernd) - für erotische Machenschaften unempfänglich, dafür dem Trinken ergeben - für komische Elemente zu sorgen. Das wirkt zwar etwas platt und gegen Quinault/Gluck interpretiert (Ritterehre), verdeutlicht aber eine zentrale Aussage des Stückes. Regisseur Andreas Baesler, der zusammen mit dem Bühnenbildner Hermann Feuchter und der Kostümbildnerin Susanne Hubrich schon erfolgreich den Calisto am Musiktheater im Revier herausgebracht hatte, gelingt es durch eine präzise Personenregie auch hier, eine spannende Geschichte zu erzählen, die das Publikum mitreißt und in seinen Bann zieht. Durch einfache, aber wirkungsvolle optische Accessoire gewürzt, gelingt es, Altes mit Neuem geschickt zu kombinieren und so zu einem vollkommenen Ganzen zu generieren. Das "Fremde" wird dabei allerdings nicht auf den Islam oder eine andere bestimmte "Gruppe" bezogen, sondern erscheint verallgemeinert und in Bildern, die vom asiatischen Exotismus bis zum Wodo-Zauber Afrikas reichen.
Eine spannende Geschichte in bewegenden Bildern, mit vortrefflichen Protagonisten und unglaublich ausdrucksstarker Musik. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Chor
Dramaturgie
Solisten* AlternativbesetzungArmide Regine Hermann /* Noriko Ogawa-Yatake
Renaud
La Haine
Hidraôt
Sidonie / Mélisse / Plaisir 1
Phénice / Lucinde / Plaisir 2
Aronte / Ubalde
Artémidore / Chevalier Danois
Lustgeist
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