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Musiktheater
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Jérusalem

Oper in vier Akten von Giuseppe Verdi
Text von Alphonse Royer und Gustave Vaez
nach Temistocle Soleras Libretto
I Lombardi alla prima crociata

In französischer Sprache

Aufführungsdauer: ca. 3h 30' (zwei Pausen)

Konzertante Aufführung in der Alten Oper Frankfurt
am 25. April 2003


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Oper Frankfurt
(Homepage)
Gescheiterter Versuch

Von Thomas Tillmann



Einen solchen Fassungsdschungel wie bei Verdis Don Carlo(s) muss man bei Jérusalem zwar nicht überwinden, aber einige Versionen gibt es schon: Da ist einmal die 1843 uraufgeführte Oper I Lombardi alla prima crociata, für die Temistocle Solera das Libretto verfertigt hatte, für das er auf ein gleichnamiges Versepos von Tommaso Grossi zurückgriff, dessen Vorlage wiederum Torquato Tassos Gerusalemme Liberata war, und die stilistisch und musikdramaturgisch an des Meisters Nabucco anknüpft und nicht zuletzt dank mancher Möglichkeit zur patriotischen Deutung ebenso begeisterte Aufnahme fand. Für seinen Einstand an der Pariser Opéra - im Jahre 1847 waren am weniger renommierten Théâtre Italien bereits Nabucco, Ernani und I due Foscari aufgeführt worden - war der Komponist aus Zeitmangel nicht in der Lage, ein vollständig neues Werk zu schaffen. Stattdessen entschied er sich zu einem "rifacimento" und arbeitete die vier Jahre alte Oper dem französischen Musikgeschmack entsprechend zusammen mit den von Eugène Scribe vorgeschlagenen Textdichtern Alphonse Royer und Gustave Vaez um, die auch schon das Libretto für Donizettis La Favorite verfasst hatten. Wenig später ließ Verdi das neue Buch schließlich ins Italienische übertragen und widmete diese unter dem Titel Gerusalemme bekannte Version seiner späteren Gattin Giuseppina Strepponi - die Mailänder Aufführung des Jahres 1850 indes blieb wiederum erfolglos.

In Jérusalem wurden aus den lombardischen französische Kreuzritter, die Personen bekamen neue Namen, die Handlung wurde nach den neuen Gegebenheiten verändert und spielt nun von 1095 bis 1099 in Toulouse und Palästina. Im Vordergrund steht dabei die Liebe zwischen Hélène, Tochter des Grafen von Toulouse, und Gaston, Vicomte de Béarn, die durch eine Intrige von Roger, dem Bruder des Grafen, auf eine harte Probe gestellt wird, am Ende der Oper - nach der Eroberung Jerusalems durch die Franzosen - jedoch ihre Erfüllung findet. Die Musik wurde neu und erheblich komplexer instrumentiert, transponiert und neu geordnet, einige Nummern strich Verdi auch aus der Originalpartitur und ersetzte sie durch neue. Das im letzten Moment aus Gründen der Zensur zum "Salve Maria" umbenannte "Ave Maria" bekam endlich den ursprünglich vorgesehenen Text, der dritte Akt beginnt mit der für Paris obligatorischen Ballettmusik, für das Finale der Oper wurde das Terzett aus dem Finale der Lombardi umgearbeitet. Am 26. November 1847 wurde das neue Werk in prächtigster Ausstattung uraufgeführt, aber reichlich kühl aufgenommen (nichtsdestotrotz war das Unternehmen dennoch ein Erfolg für Giuseppe Verdi, wurde er für die Umarbeitung doch wie für eine neue Oper bezahlt und nach einer Aufführung zweier Akte des Werks in den Tuilerien von Louis-Philippe zum Chevalier de la Légion d'Honneur ernannt). Bis heute blieb Jérusalem eine Art Stiefkind der Verdi-Rezeption: Zwar weiß Julian Budden von drei wichtigen Aufführungen seit 1975, und pünktlich zum Verdi-Jahr 2001 kam auch die erste Studioaufnahme mit Marina Mescheriakova, Marcello Giordani und Roberto Scandiuzzi unter der rasanten Stabführung von Fabio Luisi heraus, aber eine echte Renaissance traut man der Oper auch nach der an sich verdienstvollen Aufführung nicht zu, die zusammen mit der gesondert zu besprechenden Publikation "Vivat Verdi. Der Komponist und seine Aufführungsgeschichte an der Oper Frankfurt" von Norbert Abels und Beate Maurer den vorläufigen Abschluss der Verdi-Hommage in der Mainstadt bildet.

Anstelle der erkrankten Französin Alexia Cousin hatte man die diffizile Partie der Hélène der Belcanto- und Verismo-Spezialistin Nelly Miricioiu anvertraut, die im April und Mai diesen Jahres so unterschiedliche Rollen wie Anna Bolena (Ternitz/Österreich), Tosca (Frankfurt), Fiordiligi (Lissabon) und Lucrezia Borgia (London) übernimmt und auch in dieser Verdipartie mit einer Vielzahl subtiler Effekte und einer stupenden Palette von vokalen Farben und Ausdrucksmomenten aufwartete, so dass bereits ihr mit feinstem fil di voce und perfekter Phrasierung gestaltetes "Ave Maria" zu einem ersten Höhepunkt des langen Abends geriet. Auch für die vom Dirigenten sehr schnell genommene Polonaise verfügte sie über die notwendige Virtuosität, und die große Szene im ersten Bild des dritten Aktes ließ gar Erinnerungen an ihre hochgerühmte Norma-Interpretation aufkommen. Zudem bleibt hervorzuheben, dass diese Ausnahmekünstlerin eben nie nur Noten singt, sondern die ihr anvertrauten Frauengestalten zu echtem Leben erweckt, sich ganz auf die Rolle und das Werk einlässt und auch auf den Text der anderen Figuren reagiert. Für den erkrankten Roberto Aronica hatte man Keith Ikaia-Purdy gewinnen können, dessen grundsätzlich lyrische Stimme zwar hinsichtlich des Timbres sicher Geschmackssache bleibt, der aber als durchaus involvierter Gaston größte vokale Kompetenz bewies und mit spektakulären Spitzentönen (wie das für den Uraufführungssänger Duprez eingesetzte C in der berühmten Arie im zweiten Akt) die Tenorliebhaber in Verzückung versetzte. Allerdings kam er gegen Ende des dritten Teils an Grenzen, hörbar etwa an verstärkten Nebengeräuschen.

Der Jubel um Julian Konstantinov, den man für die Rolle des intrigant-eifersüchtigen Bruder des Grafen engagiert hatte, und seine erstaunlich häufige Beschäftigung an ersten Häusern (Royal Opera House Covent Garden, Carnegie Hall New York, Salzburger Osterfestspiele, Wiener Staatsoper, die Debüts an der Opéra Bastille und an der New Yorker Met stehen bevor) wollte mir indes nicht einleuchten, weist sein Bass doch sowohl in der meistens nur unter größtem Kraftaufwand erreichten, gebrüllten Höhe als auch in der wahrlich matten, wenig voluminösen Tiefe nicht unerhebliche Schwächen auf; auf feinere Nuancen und dynamische Flexibilität wartete man ebenfalls vergeblich. Leider hatte der ansonsten sehr geschätzte Zeljko Lucic als Graf wenig Möglichkeiten, auf die Qualität seines ebenmäßigen, tonschönen Bariton hinzuweisen, den ich etwa als Luna im Trovatore oder als Guy de Montfort in Les vêpres siciliennes (neben Nelly Miricioius Hélène im letzten Jahr im Amsterdamer Concertgebouw) in guter Erinnerung habe. Kein Gewinn war der in die Jahre gekommene, kratzig-schüttere Bass von Magnus Baldvinsson als Adhémar, und auch für die weiteren kleineren Partien hätte man etwas bessere, im Falle von Barbara Zechmeister auch besser vorbereitete Comprimari verpflichten können, sieht man von dem ausgesprochen engagierten Simon Bailey ab.

Jérusalem ist nicht zuletzt eine bedeutende Choroper: Dem Kollektiv wird eine breite Palette differenzierter Klangfarben abverlangt, nicht nur im dem dem berühmten Gefangenenchor nachempfundenen "O mon Dieu! Ta parole est donc vaine", und Andrés Máspero hatte auch hörbar mit seinen Chören gearbeitet (mit Muriel Corradini hatte man sogar eine phonetische Beratung für die beiden Aufführungen hinzugezogen, was den Ernst des Unternehmens unterstreicht!), aber die rechte Begeisterung wollte sich zumindest an diesem Abend nicht einstellen. Paolo Carignani schließlich konzentrierte sich am Pult des nervös beginnenden Museumsorchesters auf das lautstarke Zelebrieren spektakulärer, knalliger Höhepunkte, deren Wirkung in ihrer Oberflächlichkeit aber ziemlich schnell verpuffte, und auf bald reichlich breite, bald allzu gehetzte Tempi, die weder den Bedürfnissen der Solisten entgegen kamen noch dem an sich ja hochkarätigen Klangkörper.


FAZIT

Bei aller anerkennenswerten Bemühung der Verantwortlichen um Jérusalem im Speziellen und die - vor allem in der Nachfolge der letztlich unzulässigen Kritik Richard Wagners zu Unrecht vernachlässigte - Grand Opéra im Allgemeinen: Die konzertante Aufführung in der Alten Oper hat gezeigt, dass diese Oper in mancher Hinsicht (nicht nur in den orchestralen Passagen wie dem Marche Guerrière, dem Marche funèbre und manchem Chor!) nicht das Niveau der Meisterwerke des ansonsten hoch geschätzten Komponisten erreicht und in dieser Version nicht zuletzt auch erhebliche Längen aufweist - Gianandrea Gavazzeni hat 1963 für Gerusalemme wahrlich kluge Striche vorgenommen, wenngleich ich wie die zeitgenössische Kritik die ursprünglichen Lombardi trotz der abstrusen Handlung vorziehen würde. Der Abend in Frankfurt hat aber trotz mancher Einzelleistung auch den beklagenswerten Umstand offen gelegt, dass es einfach kaum noch Sängerinnen und Sänger gibt, die mit den spezifischen Anforderungen des Genres wirklich vertraut sind.


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Produktionsteam




Musikalische Leitung
Paolo Carignani

Chor
Andrés Máspero



Chor und Extrachor
der Oper Frankfurt


Frankfurter
Museumsorchester


Solisten

Gaston,
Vicomte von Béarn
Keith Ikaia-Purdy

Der Graf
von Toulouse
Zeljko Lucic

Roger,
Bruder des Grafen
Julian Konstantinov

Hélène
Nelly Miricioiu

Isaure
Barbara Zechmeister

Adhémar von Montheil,
päpstlicher Legat
Magnus Baldvinsson

Raymond,
Gastons Schildknappe
Jorge Perdigón

Ein Soldat/Der Emir
von Ramla/Ein Herold
Simon Bailey

Ein Offizier des Emirs/
Ein Pilger
Peter Marsh



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Oper Frankfurt
(Homepage)



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