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Die Frau ohne Schatten

Oper in drei Akten von Richard Strauss
Text von Hugo von Hofmannsthal

Aufführungsdauer: ca. 4h 30' (zwei Pausen)

Premiere in der Oper Frankfurt
am 2. Februar 2003
Besuchte Aufführung: 8. Februar 2003 (3. Vorstellung)


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Oper Frankfurt
(Homepage)
Großtat

Von Thomas Tillmann / Fotos von Thilo Beu



Ausgangspunkt für Christof Nels Inszenierung der gewiss sperrigen Frau ohne Schatten und den Bühnenraum von Jens Kilian (der kaum etwas anderes als einen mächtigen Kubus auf die dauernd betriebene Drehscheibe stellt, an dessen Außenwänden sich das triste Leben der Färbersleute abspielt, während im Innern des nach einer Seite hin offenen Gebildes die Szenen der "oberen" Figuren, aber auch die Traumsequenzen etwa der Färbersfrau stattfinden) war wohl Willi Schuhs 1952 formulierte Werkanalyse, nach der, eingeschlossen in ein "magisches Quadrat", zwei Welten zueinander in Beziehung treten, "zwei Menschenpaare, ein oberes und ein unteres, wie in der Zauberflöte, aber hier verhält es sich so, dass deren Konflikte ... einander wechselweise spiegeln, steigern und schließlich aufheben".

Nel hebt die von Textdichter und Komponist konzipierte strikte Polarisierung von hoher, kristalliner Sphäre des Kaiserpaares und der prosaischen Lebenswelt des Färbers und seiner Frau weitgehend auf, so dass grundsätzlich rätselhaft bleibt, für wen oder was Kaiserin und Kaiser (letzterer immerhin mit einer improvisierten Krone ausgestattet), die kaum noch mephistophelische Züge tragende, gouvernantenhafte Amme und der wenig Autorität ausstrahlende Geisterbote, der Falke und die vielen anderen ständig die Bühne bevölkernden Tier- und Symbolfiguren in dieser ansonsten sehr gegenständlichen Welt eigentlich stehen. Dabei überzeugt die Zeichnung des zweifellos ernüchternden Alltags in der "Sozialwohnung" des Färbers: Die drei behinderten Brüder lungern im Bett herum und stellen der zurecht frustrierten Frau nach, gefärbt wird in der Waschmaschine, die Einkäufe werden auf einfachen Bierzeltgarnituren verschlungen, der einzige Schmuck ist eine einzelne Blume in einer Flasche, die die Färberin bei ihrem Ausbruch gegen Ende des zweiten Aufzugs ebenso zerpflückt wie sie ihren sicher preiswerten Ehering abstreift, und so reichen ein paar Bahnen roten Tülls, Karnevalsklunker und der attraktive, halbstarke Nachbarssohn im Feinripp-Unterhemd, um die ins mädchenhafte Sonntagskleid gesteckte Färberin (dies wie die übrigen wenig vorteilhaften, unschönen Kostüme verantwortet Ilse Welter) auf verwegene Gedanken zu bringen.

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Die Amme (Julia Juon, rechts) zeigt der Färbersfrau (Elizabeth Connell) funkelnde Alternativen zum tristen Alltag auf.

Das Zauberisch-Überirdische des Werkes aber bleibt außen vor, sieht man davon ab, dass die Amme in den entscheidenden Momenten eben doch wie im Kindertheater ein bisschen Glimmer durch die Luft wirft, das Licht sich verändert oder sich im dritten Aufzug für kurze Zeit der überdimensionale Schattenriss Keikobads über die trostlose Szene legt. Und auch in der Personencharakterisierung und -führung hat diese Inszenierung erhebliche Defizite: Über weite Strecken hat man das Gefühl, dass die Akteure tun oder lassen, was sie sich selber zurechtgelegt haben, so dass selbst eine so exquisite Charakterdarstellerin wie Julia Juon vergleichsweise blass wirkt. Ich jedenfalls fand wenig Zugang zu den Figuren und folgte ihrem Schicksal keineswegs gelangweilt, aber auch kein bisschen beteiligt oder gar gerührt bis zum trivialen Ende: Nach ihrem beherzten "Ich will nicht!" bekommt die Kaiserin ein paar künstliche Blumen in die Hand gedrückt, der Betonwürfel öffnet sich zum spießigen Wohnzimmer mit Raffrollo, in dem sich Kaisers und Baraks, die sich auch noch fix in ihre Sonntagskleider geworfen haben, eher steif als erleichtert zum Finaljubel aufstellen, als ginge es darum, ein Erinnerungsfoto fürs Familienalbum zu schießen, mit dem man auch Außenstehenden beweisen kann, das jetzt alles wieder gut ist - bis zum nächsten großen Krach, wenn die dann nicht mehr Ungeborenen Vater und/oder Mutter den letzten Nerv rauben.

Vergrößerung in neuem Fenster Etwas abrupt und steif finden sich die Paare zum vom Hofmannsthal und Strauss vorgesehenen Schlussjubel ein (von links nach rechts: Terje Stensvold als Färber, Elizabeth Connell als Färberin, Silvana Dussmann als Kaiserin, Stephen O'Mara als Kaiser).

Klangbeispiel Klangbeispiel: Aus dem 3. Aufzug (Der Kaiser, Die Kaiserin, Die Stimmen der Ungeborenen)
(MP3-Datei)


Christof Nel gelingt es letztlich nicht, in seinem an sich ja nachvollziehbaren Bestreben um Entmythologisierung des Märchens mit tiefenpsychologischer Intention, in dem es "um die Verwandlung von der Monade des geschlossenen Ichs in die Möglichkeit des ... dialogischen Prinzips" (Norbert Abels), um Selbstüberwindung geht (um die Kraft also, die die Menschen entsteinert, die aus Unfruchtbarkeit Fruchtbarkeit macht, die es möglich macht, der Liebesunfähigkeit zu entrinnen), und seinem durchaus begrüßenswerten Bemühen um szenische Reduktion die im zweifellos erhellenden Programmheft aus Klassikern der tiefenpsychologischen, soziologischen und feministischen Literatur en masse zusammengestellten Interpretationsansätze konsequent und spannend umzusetzen - was bleibt, ist eine merkwürdig banale Story, die die Spielleiter von Vorabendserien professioneller aufzubereiten verstehen. Und doch können anders als bei anderen Produktionen dieses Teams die rätselhaften, ungeschickten und verschenkten Momente der Inszenierung den künstlerischen Erfolg der Aufführung nicht wirklich gefährden, denn es ist an sich schon eine nicht zu unterschätzende Großtat, das gewaltige Stück ohne die üblichen Striche und zudem mit Übertiteln zu präsentieren, die es dem Publikum ermöglichen, endlich einmal den wunderbaren Text Hofmannsthals nachzuvollziehen, der sonst häufig entweder in den Orchesterfluten untergeht oder Sängern anvertraut ist, die sich bei dessen Aussprache keinerlei Mühe geben (was an diesem Abend wahrlich nicht der Fall war!).

Es ist das musikalische Niveau, das diesen Abend zu einem großen, unvergesslichen macht, und es sind die Sängerinnen und Sänger, die nicht am Rande ihrer Möglichkeiten entlang schlittern und doch bei jedem Orchester-mezzoforte Schiffbruch erleiden, sondern die aus dem Vollen schöpfen können und einen die Fahrt nach Hessen keine Sekunde bereuen lassen. Auf Stephen O'Mara, der sich seit seinem Europadebüt vor gut zehn Jahren vor allem im italienischen Fach einen Namen gemacht hat, wurde ich durch seinen bei der italienischen Erstaufführung dokumentierten Menelas in Strauss' Die ägyptische Helena (vgl. unsere CD-Kritik) aufmerksam. Hofmannsthals Forderung, der Kaiser solle "eine süße, schöngeführte Stimme in dem Ganzen sein", erfüllte der Amerikaner mit seinem sinnlich vibrierenden, dunkel fundierten, mühelos in allen Lagen ansprechenden jugendlichen Heldentenor auf höchstem Niveau mit schönen messa-di-voce- und Legato-Effekten, ohne enervierende Forteexzesse und ohne jedes Problem mit der wahrlich heiklen Tessitur weitaus besser als manch großer Name selbst im Studio - ein bisschen mehr Applaus hätte es da schon sein dürfen, auch wenn er natürlich weniger auf der Bühne ist als die Damen oder der als Figur berührendere Färber, der in Terje Stensvold mit seinem die über dreißigjährige Karriere wirklich nicht erahnen lassenden, vollmundig-warmtimbrierten Bariton allerdings ebenfalls einen exzellenten Interpreten fand, der sich vor prominenterer Konkurrenz nicht verstecken muss.

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Nicht einmal mehr die Berührungen ihres Mannes (Terje Stensvold) erträgt die frustrierte Färberin (Elizabeth Connell).

Silvana Dussmann (vgl. unser Interview) hat zweifellos den richtigen jubelnd-ekstatischen Ton, die strahlende, beeindruckend furchtlos attackierte, hinsichtlich der Intonation allerdings nicht immer präzise Höhe und auch genügend Volumen in der Mittellage für die Partie der hier als trotziger Teenager in Sweatshirtjacke mit Kapuze, Tüllrock, derben Schnürstiefeln und leicht punkiger, strähniger Out-of-bed-Frisur daherkommenden Kaiserin, der sie (auch in der großen Sprechszene des dritten Aufzugs) nichts schuldig bleibt, sieht man von einigen unsicheren Einsätzen und rhythmischen Freiheiten etwa in der Erwachensszene ab, die sich hoffentlich bei größerer Vertrautheit mit dieser für sie neuen Rolle geben werden. Die eigentliche Sensation war aber Elizabeth Connell in der kräftezehrenden Partie der Färbersfrau, die man selbst auf den besten Platten kaum so souverän bewältigt und dabei so schön gesungen gehört hat. Natürlich bleiben einem die einfach sensationellen Forteacuti am ehesten in Erinnerung, die in ihrer Mühelosigkeit an die Nilsson gemahnen und doch mehr Wärme aufweisen, aber nach dreißig langen Jahren im dramatischen (Mezzo-)Sopranfach, die die Künstlerin an alle großen Opernhäuser und zu den bedeutendsten Festivals führten, ist man fast noch mehr erstaunt, wie frisch die Stimme im erfreulich häufig eingesetzten Piano und auch noch am Ende der langen Vorstellung beim finalen, unglaublich strahlenden C klang - eine Ausnahmeleistung. Und auch darstellerisch bemühte die Sängerin sich nach Kräften, der Figur von Anfang an sympathische Züge zu geben und ihre Not in den Vordergrund zu stellen, die sich ihr Ventil in Härte und Spott sucht.

Vergrößerung in neuem Fenster Der Geisterbote (Gerd Grochowski) weist die Amme (Julia Juon) aus Keikobads Reich.

Julia Juons Amme weckte beim Rezensenten Erinnerungen an ihre superbe Kundry und Ortrud, Partien, in denen ihr höhensicherer, "sopraniger", schlanker Mezzo noch besser zur Geltung kommt und in denen sie, zumal wenn sie von einem kompetenten Regisseur inspiriert wird, noch stärkeres darstellerisches Profil zu entwickeln versteht. Einen glänzend geführten, kraftvollen und höhenstarken Bariton ließ Gerd Grochowski, der bereits als Scarpia in Wuppertal und Heerrufer und Telramund in Bonn aufgefallen war und seit Beginn der Spielzeit fest an der Oper Frankfurt engagiert ist, als Geisterbote und Wächter der Stadt hören - zweifellos wird er über kurz und lang selbst ein vorzüglicher Barak sein. Julia Raschke dagegen hatte nur ein sehr kleines, dünnes Stimmchen für den Falken anzubieten, während Elzbieta Ardam die Einsätze der Stimme von oben, die sie bereits in der Solti-Aufnahme des Werkes gesungen hatte, ohne jede Ausstrahlung abspulte, aber wirkliche Ausfälle waren an diesem Abend nicht zu beklagen, auch nicht bei der Erscheinung des Jünglings, den Brüdern des Färbers, den Wächtern der Stadt oder den Dienerinnen und Kinderstimmen, wenngleich man sich bei beiden Gruppen über etwas mehr Kongruenz gefreut hätte. Sebastian Weigle, von 1997 bis 2002 Erster Staatskapellmeister an der Staatsoper Berlin und designierter Musikdirektor des Teatro del Liceu in Barcelona, hatte bereits zu Beginn der Spielzeit mit der Wiederaufnahme der Salome auf sich aufmerksam gemacht und erntete auch mit dieser hochkarätigen, unpathetischen, jede Süßlichkeit und jeden übertriebenen Lärm meidenden, für meinen Geschmack aber doch etwas zu nüchternen, nicht wirklich berührenden und auch ein wenig zu flotten Wiedergabe keineswegs zu Unrecht größten Beifall.


FAZIT

Wenn man ein solches Weltklasseensemble zur Verfügung hat, das die vielen Klippen der ausladenden, hier ungestrichen wiedergegebenen Partitur so souverän meistert, dann schaut man gnädig auf eine Inszenierung, die sicher nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Auf nach Frankfurt, liebe Strauss-und Stimmenliebhaber - der Weg ist frei!


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Produktionsteam



* Alternativbesetzung

Musikalische Leitung
Sebastian Weigle
Johannes Debus*

Inszenierung
Christof Nel

Szenische Analyse
Martina Jochem

Bühnenbild
Jens Kilian

Licht
Olaf Winter

Kostüme
Ilse Welter

Dramaturgie
Norbert Abels

Chor
Andrés Máspero



Chor der
Oper Frankfurt

Statisterie der
Oper Frankfurt

Frankfurter
Museumsorchester


Solisten

Der Kaiser
Stephen O'Mara
Stuart Skelton*

Die Kaiserin
Silvana Dussmann

Die Amme
Julia Juon

Der Geisterbote
Gerd Grochowski

Barak, der Färber
Terje Stensvold

Seine Frau
Elizabeth Connell

Der Einäugige
Franz Mayer
Gerhard Singer*

Der Einarmige
Soon-Won Kang

Der Bucklige
Hans-Jürgen Lazar

Erscheinung des Jünglings
Andreas Hermann

Ein Hüter der Schwelle
des Tempels/
Stimme des Falken
Britta Stallmeister*/
Julia Raschke

Eine Stimme von oben
Elzbieta Ardam

Die Stimmen der Wächter
der Stadt
Gerd Grochowski
Gerhard Singer
Simon Bailey

Dienerinnen,
Kinderstimmen
Bock-Sil Kim
Julia Raschke
Jianhua Zhu
Christiane Waschk-Gmünd
Gunda Boote




Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Oper Frankfurt
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